Leibniz und die Ökumene. Internationale Arbeitstagung

Leibniz und die Ökumene. Internationale Arbeitstagung

Organisatoren
Institut für Philosophie, Wissenschaftstheorie, Wissenschafts- und Technikgeschichte, Technische Universität Berlin; Leibniz-Edition Potsdam der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin; Guardini-Lehrstuhl an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin; Guardini-Stiftung Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.10.2009 - 10.10.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Hartmut Rudolph, Hannover

Vom 8. bis 10. Oktober 2009 fand an historischer Stätte, im Berliner Schloss Charlottenburg, eine von der Fritz Thyssen Stiftung geförderte internationale Arbeitstagung über „Leibniz und die Ökumene“ statt. Sie wurde von Hans Poser (Berlin) geleitet, der dieses Projekt initiiert, organisiert und in Zusammenarbeit mit der Leibniz-Edition Potsdam der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften inhaltlich vorbereitet hatte. 22 Teilnehmer/innen aus Deutschland, Frankreich, Italien, der Schweiz, Spanien und den USA widmeten sich Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und seinen vielfältigen Bemühungen um die Einheit der christlichen Kirchen sowie der Wirkungsgeschichte dieser ökumenischen Bemühungen. Erstmals wurde damit Leibniz als Ökumeniker zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Tagung gemacht. In den Referaten und in der Diskussion sollten solche Themen erörtert werden, die in der bisherigen Forschung erkennbar vernachlässigt wurden oder sogar völlig unberücksichtigt geblieben sind, obwohl ihnen sowohl für das systematische Verständnis des Philosophen und Gelehrten wie für dessen historische Einordnung in die Geschichte der Ökumene grundlegende Relevanz zugesprochen werden muss. Es handelt sich nach Ansicht der Veranstalter dabei um drei Bereiche:

(1) Zum einen sollte gefragt werden, ob und wie weit ein Zusammenhang zwischen Leibniz’ Bemühen um die Einheit der Christen und der von dem Philosophen, Gelehrten und politischen Berater dabei entwickelten ökumenischen Methode mit dessen Metaphysik, der politischen Philosophie und dem von ihm selbst entworfenen und zeitlebens verfolgten universalen politischen Projekt nachweisbar und dadurch die Eigenart des Leibnizschen Ökumenismus erkennbar werden

(2) Zum anderen sollte geklärt werden, wie dieser Leibnizsche Ökumenismus in den nachfolgenden Jahrhunderten aufgenommen wurde und welche Elemente daraus in der heutigen Situation des ökumenischen Gesprächs von Nutzen sein könnten

(3) Damit aber diese Gesichtspunkte nicht abgehoben von den (real-) historischen Grundlagen erörtert werden, sondern in die Profan- und Kirchengeschichte eingebunden bleiben und auch von daher bewertet werden können, sollten (vor allem in Sektion I) Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen Leibniz als Ökumeniker wirkte und er als solcher später rezipiert wurde, dem neuesten Stand der Forschung gemäß dargelegt werden.

In zwei öffentlichen Abendvorträgen in der Eosander-Kapelle des Charlottenburger Schlosses entwickelten mit dem früheren Generalsekretär des Weltrates der Kirchen Konrad Raiser und Bischof Paul-Werner Scheele zwei bis vor kurzem oder noch immer an führender Stelle des ökumenischen Dialogs beteiligte Persönlichkeiten vor dem Hintergrund der in der Konferenz erörterten Ideen und Bemühungen von Leibniz ihre jeweilige Sicht der gegenwärtigen Situation der Ökumene.

Von den auf der Tagung sowohl für die Leibnizforschung wie für die Kirchengeschichte gewonnenen neuen Erkenntnissen seien folgende besonders hervorgehoben:

Der junge Leibniz entwarf seine scheinbar der Natur geltende Theorie in Auseinandersetzung mit Hobbes zugleich und wesentlich als ein theologisches, auf die Ökumene gerichtetes Konzept.

Die Erforschung des ökumenischen Konzepts und dessen praktischer Umsetzung in Leibniz’ jahrzehntelangen Bemühungen sowohl um eine innerprotestantische Union wie auch um die Wiedergewinnung der Einheit der katholischen Kirche mit den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen ist besonders abhängig vom Fortgang der Editionsarbeiten an der Leibniz-Akademieausgabe. So ermöglichen gerade die erst vor kurzem veröffentlichten oder bisher nur als Vorausedition verfügbaren Dokumente1 in den Reihen I und IV (besonders die im Zusammenhang der 1697 zwischen Brandenburg und Hannover aufgenommenen innerprotestantischen Einigungsversuche entstandenen Texte) eine neue, bisher nicht wahrgenommene Seite der Leibnizschen Ökumenik. Zu deren Eigenart gehört etwa der Versuch, einen Ausgleich der kontroversen Bekenntnisse und theologischen Lehrmeinungen nicht durch theologische Erörterungen, sondern durch die Auflösung der die Kontroversen verursachenden Wahrnehmungen im philosophischen Vorfeld zu erreichen, um so eine nachhaltige Einigung in der Sache herbeizuführen.

Die erst seit 1998 zugänglichen und erstmals gesichteten Akten des vatikanischen Archivs zeigen, dass Leibniz' Reunionsgespräche mit größter Skepsis verfolgt wurden: „Rom“ ging es bei den damaligen ökumenischen Bemühungen lediglich darum, die protestantischen Beteiligten in die (römisch-)katholische Kirche zurückzuholen (Re-Union).

Die ökumenischen Bemühungen stehen in engem Zusammenhang mit der Herausbildung der Leibnizschen Philosophie, besonders der Substanzmetaphysik, der Theodizee und der Ethik, und bilden einen wichtigen Bestandteil des schon vom jungen Leibniz entworfenen, auf den Fortschritt der gesamten Menschheit ausgerichteten Plans. In den ökumenischen Schriften und Aktivitäten spiegelt sich so der Leibnizsche Anspruch der theoria cum praxi.

Erstmals gelang eine Aufzeichnung der Wirkungsgeschichte der Leibnizschen Reunionsbemühungen in der katholischen Theologie von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert. Der Rekurs auf Leibniz bleibt in den verschiedenen kirchlichen und theologischen Strömungen des Katholizismus, Aufklärung, Restaurationskatholizismus, Ultramontanismus und Liberalismus, keineswegs nur eine marginale Erscheinung. Zugleich wurde deutlich, dass auf protestantischer Seite zwar der Philosoph und Metaphysiker, im Gegensatz zur katholischen Theologie aber kaum der Ökumeniker Leibniz rezipiert wurde.

Die auf Leibniz bezogene Analyse der gegenwärtigen Bemühungen um die Ökumene zeigt, dass diese vielfach zu Lösungen gelangten, die Leibniz’ Vorstellungen überaus verwandt sind, ohne dass jedoch in den Verhandlungen, etwa zwischen dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (sowie der Vereinigten Lutherischen Kirche in Deutschland) und der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz, je auf ihn Bezug genommen worden wäre.

Die Veröffentlichung der Beiträge in einem Sonderheft der „Studia Leibnitiana“ ist vorgesehen.

Konferenzübersicht:

Grußwort: Prof. Dr. Dr. h.c. Günter Stock
Präsident der Berlin-Brandenburgischen
Akademie der Wissenschaften

Einführung in das Thema:
Hartmut Rudolph (Hannover)

I. Leibniz’ ökumenische Positionierung
Konfessionelle, philosophische und biographische Anstöße
Einleitung und Leitung:
Hans Poser (Berlin)

Ursula Goldenbaum (Atlanta):
Der lutherische Leibniz im katholischen Kurmainz: Problemata theologica

Matthias Schnettger (Mainz):
Rojas y Spinola, Molanus und Leibniz – Die (Re-)Unionsverhandlungen und ihr Scheitern

Margherita Palumbo (Rom):
Reunionsgespräche und Konversionsversuche. Neues aus römischen Archiven

II. Quellen der Leibnizschen Irenik
Einleitung und Leitung:
Wenchao Li (Potsdam)

Stephan Waldhoff (Potsdam): Die Bedeutung der Kirchengeschichte für Leibniz’ ökumenische Bemühungen

Claire Rösler (Grenoble und Paris): Innerprotestantischer Ausgleich – Leibniz und Jablonski

Patrick Riley (Harvard): Natural Law and Charity as Bases of Leibniz’s Ecumenism

Abendvortrag
Schloss Charlottenburg, Schlosskapelle
Einleitung und Leitung:
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität Berlin
Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Raiser
Ehem. Generalsekretär des Weltrates der Kirchen
(Bochum/Berlin)
Zur gegenwärtigen Situation der Ökumene

III. Die Herausbildung der ökumenischen Philosophie und Methode
Das proprium der Leibnizschen Kirchenunionsbemühungen
Einleitung und Leitung:
Hartmut Rudolph (Hannover)

Irena Backus (Genf): Leibniz’s conceptions of the eucharist 1668-1699 and his use of 16th ct. sources in the religious negotiations between Hanover and Berlin-Brandenburg

Stefan Lorenz (Münster): Die göttlichen Eigenschaften in Leibniz’ Schriften

Luca Basso (Padua): Kirche als res publica – Leibniz’ Kirchenverständnis als Voraussetzung seiner Ökumenik

Abendvortrag
Schloss Charlottenburg, Schlosskapelle
Einleitung und Leitung:
Staatssekretär a.D. Prof. Ludwig von Pufendorf
Präsident der Guardini Stiftung
Bischof em. Prof. Dr. Paul-Werner Scheele (Würzburg)
„Alles hin zum Einen“: Ökumenische Impulse von Leibniz für unsere Zeit

IV. Der Ökumeniker Leibniz in der Sicht des 19. und 20. Jahrhunderts
Einleitung und Leitung:
Ulrich Becker (Hannover)

Klaus Unterburger (Münster): Der Rekurs auf Leibniz in der katholischen
Theologie des 19. Jahrhunderts

Jaime de Salas (Madrid): Jean Baruzi’s Ecumenical Vision of
Leibniz

Vinzenz Pfnür (Münster): Leibniz als Ökumeniker. Seine Bedeutung in der gegenwärtigen ökumenischen Situation

Abschlussdiskussion

Anmerkung:
1 <http://www.leibniz-edition.de> (09.11.2009)


Redaktion
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