8. Sitzung des Arbeitskreises Bank- und Versicherungsgeschichte

8. Sitzung des Arbeitskreises Bank- und Versicherungsgeschichte

Organisatoren
Arbeitskreis Bank- und Versicherungsgeschichte
Ort
Eschborn
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2009 -
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Von
Adrian Jitschin, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Philipps-Universität Marburg

Das Thema der 8. Arbeitskreissitzung war Retail-Banking, also standardisiertes Bankgeschäft mit Privatkunden. Herzlich begrüßt wurden die Teilnehmer von Martin Bendrich, der im Auftrag des Gastgebers, der Eurohypo AG, seine Grüße ausrichtete. In seinem einleitenden Referat wies der Vorsitzende des Arbeitskreises, Dieter Ziegler (Ruhr-Universität Bochum) darauf hin, dass der angekündigte Vortrag von Oliver Redenius leider entfallen müsse.

Als erster Referent sprach SIMON GONSER (Historisches Archiv der Commerzbank) zu seinem Dissertationsvorhaben. Entgegen der in der bankhistorischen Literatur vorherrschenden Meinung, dass die deutschen Großbanken (Commerzbank, Deutsche Bank, Dresdner Bank) mit dem Start des Kleinkreditgeschäfts am 2. Mai 1959 in das Privatkundengeschäft einstiegen wären, vertrat der Referent die These, dass sich die Großbanken der Bevölkerung im Laufe einer viel längeren Entwicklung und ohne Strategie genähert hätten. Die Banken hätten dabei vielmehr spontan auf veränderte Rahmenbedingungen oder Impulse von außerhalb reagiert. Diese Entwicklung habe bereits in den ersten Jahrzehnten nach Gründung der Großbanken 1870/71 begonnen. Die Betreuung einzelner vermögender Privatkunden, das Depositengeschäft sowie das Spargeschäft ab Ende der 1920er-Jahre könnten als Vorläufer des späteren Privatkundengeschäfts gesehen werden. Bis in die 1960er-Jahre hinein hätten die Großbanken allerdings weder vertikal noch horizontal die gesamte Bevölkerung erreicht. Die Großbanken hätten sich nach und nach in den Bereichen Sparen, Investmentsparen, Kleinkredite, Lohn- und Gehaltskonten engagiert und konnten nach der Aufhebung der Bedürfnisprüfung 1958 mit ihren Filialen nun auch in der Fläche expandieren. Bei allen diesen Entwicklungen werde aber deutlich, dass die Großbanken nicht unbedingt gezielt auf die Privatpersonen als Neukunden zugegangen wären, sondern dass ihre Hauptinteressen nach wie vor beim klassischen Kreditgeschäft mit den Unternehmen gelegen hätten. Beim Spargeschäft stand die Ausweitung der Refinanzierungsbasis im Vordergrund, bei den Lohn- und Gehaltskonten kam der Impuls von Seiten der Unternehmen mit dem Ziel der Kostenrationalisierung durch Abschaffung der Lohntüte. Erst mit der Einführung der so genannten Integrierten Kundenberatung könne erstmals von einer gezielten Strategie gesprochen werden. Die Großbanken seien nach und nach in das Privatkundengeschäft hineingeglitten. Von einem gezielten Einstieg der Großbanken in das Privatkundengeschäft könne nicht die Rede sein.

REINHARD FROST (Historisches Institut der Deutschen Bank) hat unlängst eine umfangreiche Monographie zum Privatkundengeschäft der Deutschen Bank geschrieben.1 Zu Unrecht hänge der Deutschen Bank der Nimbus an, dem Standardgeschäft enthoben zu sein. Denn bereits 1959 habe sie das standardisierte Privatkundengeschäft eingeführt, welches schließlich – vier Jahrzehnte später – als eigenes Unternehmen innerhalb des Konzerns Deutsche Bank etabliert worden sei.

Als Charakteristikum der Deutschen Bank auf dem Weg ins Kleinkreditgeschäft – und damit dem breiten Einstieg ins Privatkundengeschäft auch im Aktivgeschäft – könne die Konzentration der Feldversuche auf den Großraum Hamburg gelten. Mit dem so genannten fahrenden Bankbus habe man in Hamburg ab 1957 lokale Erfahrungen mit der Vergabe von Kleinkrediten gesammelt. Nach der bundesweiten Einführung des Kleinkredits im Mai 1959, der das moderne Mengengeschäft der Deutschen Bank begründete, sei nach einigen Jahren die Etablierung dieses Geschäftszweigs im Konzern als Markt- und Verkaufsabteilung (1968) gefolgt, einhergehend mit der schrittweise Ausweitung der Produktpalette und einer rapiden Entwicklung des Niederlassungsnetzes. Das Selbstverständnis der gesamten Bank sei durch das Privatkundengeschäft auf breiter Basis in einem Prozess, der sich von 1959 bis heute erstrecke, modifiziert worden. Dieser habe sich sowohl in einem Wandel der Einstellung gegenüber Kunden, denen man nicht länger etwas „gewährte“, sondern „verkaufte“, manifestiert, als auch im öffentlichen Auftritt der Bank gezeigt. Neue Ansätze im kaufmännischen Verständnis, neue Methoden in der Ansprache von Kunden sowie eine stärkere Identifizierung mit Bankprodukten hätten schließlich dazu geführt, dass die Bank ihrem Anspruch als moderne Universalbank glaubhafter entsprechen konnte. Ein gezieltes Verkaufstraining habe im Mittelpunkt flächendeckend durchgeführter Schulungen gestanden. Die 1970er- und 1980er-Jahre hätten eine weitgehend organische Weiterentwicklung des Privatkundengeschäfts der Deutschen Bank gesehen, die durch eine Reihe von technischen Neuerungen auf Kunden- wie auf Mitarbeiterseite geprägt worden seien. Auch der Start des Privatkundengeschäfts im Ausland mit der Übernahme der Banca d’America e d‘Italia (1986) und der Geschäftsbeginn in den Neuen Bundesländern (1990) seien eher als äußere Faktoren, denn als strukturelle Eingriffe zu sehen.

Je mehr sich die Deutsche Bank in erster Linie als internationale Investmentbank verstanden habe (vor allem nach den Übernahmen von Morgan Grenfell und Bankers Trust), umso intensiver sei über die Rentabilität und den Stellenwert vor allem des inländischen Privatkundengeschäfts nachgedacht worden. So habe man in den 1990er-Jahren die Schritte unternommen – Kundensegmentierung (1991), Bank 24 (1995), Ausgliederung des Standardgeschäfts in die Deutsche Bank 24 (1999) – die es dem Konzern schließlich ermöglicht hätten, sich ganz vom Retailgeschäft zu trennen. Hierzu sei es bekanntlich nicht gekommen, sondern 2002 wurde der größte Teil des unter dem Namen Deutsche Bank verantworteten Privatkundengeschäfts (Standardgeschäft, Private Banking, Teile des Firmenkundengeschäfts) unter der Dachmarke Deutsche Bank reintegriert.

Im ersten Vortrag nach der Mittagspause stellten MONIKA MATTES und FRIEDERIKE SATTLER (beide vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam) Überlegungen zu einem Forschungsvorhaben vor. Dabei richteten sie ihren Blick zum einen auf die Ebene der privaten Paar- und Familienbeziehungen und zum anderen auf die Sparkassen, Banken und Versicherungen. Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts soll die Verknüpfung sozialkultureller und sozialökonomischer Aspekte stehen. Ziel sei es, genaueren Aufschluss darüber zu erhalten, wie die Veränderungen der privaten Geldpraktiken unter dem Einfluss des Normen- und Wertewandels und der damit einhergehenden neuen Geschlechterrollen und Lebensstile mit einem zunehmend höheren Stellenwert des Privatkundengeschäfts für die Finanzdienstleister zusammenhingen. Abschließend baten die Referentinnen um Hinweise auf weitere Quellen, die für die Fragestellung Erfolg versprechend sein könnten. Hieraus entspann sich eine längere konstruktive Debatte, in der von den Teilnehmern die Nutzbarkeit verschiedener Quellen für die spezifische Fragestellung erörtert wurde.

Den abschließenden Vortrag hielt STEPHAN PAUL (Ruhr-Universität Bochum). Angesichts der Finanzmarktkrise sei in Deutschland eine bemerkenswerte Renaissance des Retail-Banking zu verzeichnen: Insbesondere Großbanken würden wieder verstärkt in einen Bereich investieren, der noch vor wenigen Jahren eher als „Mühlstein“ bezeichnet worden war. Hintergrund dafür sei vor allem der Zugang zur einer kapitalmarktunabhängigen Refinanzierungsquelle. Dabei habe auch gerade das deutsche Retail-Banking seine Schwächen. Denn ein Blick auf diejenigen Bankengruppen, die schon seit Jahrzehnten ganz überwiegend Retail-Banking betrieben hatten – Sparkassen und Volksbanken – zeige, dass schon kurz nach der Wiedervereinigung ein stetiger Ergebniseinbruch in diesem Segment eingesetzt habe: Deutlich zurückgehende Zinsüberschüsse, keine Kompensation durch Provisionseinnahmen oder Kostenreduktionen und zugleich (auch in Jahren ohne Finanzmarktkrise) dramatisch hohe Risikoaufwendungen hätten die Eigenkapitalrendite aller Sektoren der Kreditwirtschaft in den letzten Jahren erheblich beeinträchtigt. Die Notwendigkeit, ein dichtmaschiges Filialnetz zu unterhalten, hätten zu hohen Verwaltungsausgaben geführt. Die Zukunftsaussichten seien ebenfalls wenig rosig, denn die Kosten-/Erlösschere drohe noch weiter auseinander zu gehen: Zusatzkosten im technischen Bereich (Internet) und zur Erfüllung der sich verschärfenden Regulierung einerseits, sinkende Erlöse vor allem durch mehr Preistransparenz und eine steigende Zahl von Wettbewerbern andererseits würden das Retail-Banking höchstens zu einem „Kurzzeitgewinner“ machen.

Insgesamt zeigten alle Referate, dass das Retail-Banking fünfzig Jahre nach seiner Einführung nicht mehr wegzudenken ist. Die vier Vorträge beleuchteten das Thema aus vier verschiedenen Blickwinkeln: als Teil der Konsumgesellschaft (Gonser), wichtiger Geschäftszweig für die Großbanken (Frost), für die private Gestaltung neuer Geschlechterrollen (Mattes, Sattler) und als Refinanzierungsquelle (Paul). Die Konferenz zeigte: Retail-Banking ist heute eine reflexive Schnittstelle zwischen Privathaushalten und internationalen Finanzmärkten.

Konferenzübersicht:

Begrüßung:
Martin Bendrich, Bereichsleiter Unternehmenskommunikation, Eurohypo AG
Dieter Ziegler (Ruhr-Universität Bochum), Leiter des Arbeitskreises Bank- und Versicherungsgeschichte

Vorträge:
Simon Gonser (Historisches Archiv, Commerzbank AG, Frankfurt am Main): Die deutschen Großbanken und die Frühphase des Mengengeschäfts

Reinhard Frost (Historisches Institut, Deutsche Bank AG, Frankfurt am Main): Die Emanzipation eines Geschäftszweigs - Entwicklungen im Privatkundengeschäft der Deutschen Bank

Monika Mattes/Friederike Sattler (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam): Liebe, Geld und Risiko. Zum Wandel des sozialen Umgangs mit Geld und finanziellen Risiken seit den 1970er-Jahren

Stephan Paul (Ruhr-Universität Bochum): Krisengewinner Retail Banking – Phoenix aus der Asche oder Scheinblüte?

Anmerkung:
1 Historische Gesellschaft der Deutschen Bank (Hrsg.), Wünsche werden Wirklichkeit. Die Deutsche Bank und ihr Privatkundengeschäft, München 2009.


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