Der Pyrenäenfriede 1659

Der Pyrenäenfriede 1659

Organisatoren
Institut für Europäische Geschichte Mainz
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.09.2009 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Andrea Weindl, Institut für Europäische Geschichte Mainz

Im Rahmen des diesjährigen Schwerpunktthemas des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz „Staatenfriede – Religionsfriede“ widmete das Institut eine kleine, mit internationalen Spezialisten besetzte Konferenz dem Pyrenäenfrieden, dessen Abschluss sich heuer zum 350. Mal jährt.

Obwohl der Friede als eigentlicher Endpunkt der zahlreichen europäischen Auseinandersetzungen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bzw. als verzögerter Teil des Westfälischen Friedens begriffen werden kann, hat, wie Heinz Duchhardt (Mainz) in seiner Eröffnung der Konferenz feststellte, weder der Friede selbst noch das Gedenken daran auch nur annähernd soviel Aufmerksamkeit gefunden wie die Friedensschlüsse in Münster und Osnabrück. Das gilt nicht nur für die Historiographie und Politik in den Nachfolgestaaten des Deutschen Reiches, deren Schwerpunkt naturgemäß auf den Konsequenzen Westfalens für die Reichsterritorien liegt, sondern auch und gerade für die Geschichtsschreibung und Öffentlichkeit der beiden Signatarmächte Spanien und Frankreich. Ein wesentlicher Teil der Konferenz drehte sich folglich um die Frage der Rezeption des französisch-spanischen Krieges ab 1635 bzw. des diesen Krieg zumindest vorläufig beendenden Pyrenäenfriedens von 1659.

Angesichts der epochalen Bedeutung des spanisch-französischen Krieges beschäftigte sich ANUSCHKA TISCHER (Marburg) mit der mangelnden Aufarbeitung des Krieges durch die historische Forschung, die bisher lediglich die Geschichte der Vertragsverhandlungen in den Blick genommen habe. Die Gründe für diese gerade im Vergleich zum Dreißigjährigen Krieg defizitäre Rezeption sah Tischer vor allem darin, dass der Pyrenäenfriede zwar einen Wendepunkt des französisch-habsburgischen Konfliktes darstellte, diesen aber nicht beendete. Folglich schuf der Friede nur eine kurze Atempause und die Neuordnung Europas endete erst mit der Schaffung eines neuen Mächtegleichgewichts nach dem Spanischen Erbfolgekrieg, der habsburgisch-französische Gegensatz gar erst mit dem Renversement des Alliances von 1756. Allerdings konnte Tischer anhand zahlreicher, etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts einsetzender Untersuchungen ein Forschungstableau einzelner Aspekte des französisch-spanischen Krieges nachzeichnen, wobei der Schwerpunkt der Forschung auf der den Kriegsausbruch begleitenden Publizistik sowie der symbolischen Kommunikation im Umkreis von Kriegsausbruch und Friedensverhandlungen liegt. Darüber hinaus führte die Neubewertung des Dreißigjährigen Krieges als europäischer Konflikt spätestens seit den Jubiläen vor zehn Jahren zur Einordnung der französisch-spanischen Auseinandersetzung in die das 17. Jahrhundert bestimmenden großen Konfliktlinien der europäischen Politik. So nimmt es kaum Wunder, dass vor allem der bald nach Kriegsausbruch einsetzende Verhandlungsmarathon im Zentrum der jüngsten Veröffentlichungen zum Pyrenäenfrieden steht, sowie die Frage, warum so lange kein Frieden geschlossen werden konnte. Die Forderungen Frankreichs nach einem guten, allgemeinen und sicheren Frieden standen der spanischen Vorstellung eines ehrenvollen Friedens diametral entgegen, ein Widerspruch, der sich vor allem an Elementen der symbolischen Kommunikation wie den Verhandlungen auf der Grenze auf einer Insel im Grenzfluss Bidassoa festmachen lässt. Abschließend würdigte Tischer die bisher geleisteten Forschungen, forderte aber eine Synthese der Ergebnisse ebenso wie eine umfassende Darstellung des Krieges, der aufgrund seiner modernen Aspekte sich für zahlreiche neue Fragestellungen anbiete wie das Kriegsgeschehen aus der Perspektive nicht-staatlicher Akteure, die Rolle kultureller Differenzen und Missverständnisse, wie sie vor allem im Verhältnis zwischen Frankreich und Katalonien zum Ausdruck kamen, und schließlich die Untersuchung der Auseinandersetzung als für die Zeit untypischen „Staatenzerfallskrieg“, mit dem man sich seit 1989 wieder stärker auseinanderzusetzen habe.

HEINZ DUCHHARDT beleuchtete in seinem Vortrag die Rolle des Mainzer Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn bei der Vermittlung zwischen den beiden Kriegsparteien. Durch den Westfälischen Frieden wuchs den Reichsständen und dem Reichstag eine Reihe von Rechten zu, und vor allem die völkerrechtliche Eigenständigkeit wurde von den Reichsfürsten in den Jahrzehnten nach Münster und Osnabrück einem „Testlauf“ unterzogen. Gleichzeitig führte der militärische Stillstand zwischen Frankreich und Spanien zu zahlreichen Vermittlungsversuchen. Tatsächlich gelang Anfang Juni 1659 unter der Vermittlung des Mainzer Kurfürsten und anderer der Abschluss eines Präliminarfriedens von Paris, woraufhin Kurmainz und Kurköln im Namen des Kaisers und der Kurfürsten für die Abhaltung eines Friedenskongresses in Augsburg weiterverhandelten. Diese Verhandlungen scheiterten allerdings an Präzedenzstreitigkeiten, so dass sie kurzerhand auf die Fasaneninsel im Flüsschen Bidassoa verlegt wurden. Die deutschen Kurfürsten erhielten nur Beobachterstatus. Anhand der Vorgänge, die kaum bekannt sind, skizzierte Duchhardt Chancen und Schwierigkeiten, die den Reichsständen aus den Bestimmungen des Westfälischen Friedens erwuchsen. Zwar gingen sie gestärkt aus ihm hervor, scheiterten jedoch letztlich an dem minderen Status, den ihre unvollkommenen Souveränitätsrechte in den Augen der großen Akteure besaßen. Nach einer Phase des Auslotens des politischen Spielraums habe sich spätestens auf dem Friedenskongress von Nijmegen die mangelnde Akzeptanz der Souveränitätsrechte der deutschen Fürsten durch die großen Mächte offenbart. Schließlich manifestiere sich im Agieren Schönborns ein Merkmal der Verhandlungen, wie sie typisch seien für dass 17. Jahrhundert: Mindestens ebenso interessiert wie an einem substantiellen Friedensschluss war der Mainzer Erzbischof am Zuwachs seiner Reputation als Friedensvermittler.

PEER SCHMIDT (Erfurt) kreiste in seinen Ausführungen um das spanische Krisenbewusstsein in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sowie um die spezifisch spanische Art des Diskurses und der Krisenbewältigung. Der öffentliche Diskurs in Spanien drehte sich weniger um einen zu erringenden Frieden mit Frankreich als vielmehr um die sich aus der veränderten Wahrnehmung des eigenen Imperiums ergebenden Konsequenzen. Die Verfassung des Reiches aus ‚composite monarchies’ (John Elliott) verlangte nach einer Strategie der Bewahrung statt Ausdehnung, allseitige Aufstände an den Rändern der Iberischen Halbinsel nach einem „Zusammenspannen des Reiches“.

Die Monarchie der Katholischen Könige formierte bzw. empfand sich auf der Suche nach einer Antwort auf die Krise zunehmend als Verteidigerin des Glaubens. Prediger schalteten sich in den Diskurs ein, welche die Krise als Strafe für das sündige Leben der Spanier interpretierten. Der religiösen Aufladung der Debatte ordnete Schmidt mehrere Phänomene des öffentlichen Lebens in Spanien zu, wie zum Beispiel die Anfang der 1620er-Jahre vorgenommenen Kanonisierungen mehrerer spanischer Heiliger, die ab den 1630er-Jahren blühende Marienverehrung, das verstärkte Auftreten von Propheten und Laienpredigern und der Zuwachs in weiblichen Klostergemeinschaften. Kaum verwunderlich sei, dass sich Religion als Instrument zur Krisenbewältigung als zweischneidiges Schwert erwies, da sich schon bald die politischen Auseinandersetzungen zwischen Altchristen und Converso-nahen Kreisen zuspitzten. Während sich im Reich zahlreiche Flugschriften und andere Druckwerke als Nachweis der öffentlichen Diskussionen finden, verharrte die spanische Öffentlichkeit in der theatralischen Bildwelt öffentlicher Zurschaustellungen. Die geringe Resonanz auf den Pyrenäenfrieden in der spanischen Öffentlichkeit erklärte Schmidt mit dem fortdauernden Krisenbewusstsein, das den Pyrenäenfrieden zunehmend als Meilenstein im Verlust imperialer Größe und Machtausübung interpretiert habe.

Der Nachmittag der Tagung war den ausländischen Gästen gewidmet. RAFAEL VALLADARES (Madrid) beschäftigte sich mit der Rezeption des Pyrenäenfriedens in Spanien und der Frage danach, wie eine moderne Interpretation aussehen könnte. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Friede mit der erzwungenen Aufgabe von Teilen Kataloniens als zentrales Ereignis einer Kette dreier großer Katastrophen angesehen, dem der Westfälische Frieden mit der Unabhängigkeit der nördlichen Niederlande vorausging und die Anerkennung der portugiesischen Unabhängigkeit 1668 nachfolgte. Zu einer Neubewertung kam es erst durch den großen spanischen Historiker Domínguez Ortiz, der den spanischen Akteuren während der Verhandlungen durchaus eine realistische und politisch professionelle Diplomatie zugestand. Ausgerechnet im Spanien General Francos wurde das 300jährige Jubiläum des Friedensschlusses mit großen Feierlichkeiten begangen als ein Versuch, Spanien historisch in den Kontext der europäischen Nationen einzuordnen und so die relative Isolation des Landes aufzubrechen. Dagegen formierte sich die ebenso eher zeitgeschichtlich beeinflusste Opposition vor allem katalanischer Autoren, die der Zentralregierung Verrat an Katalonien vorwarfen. Auf der Suche nach neuen Ansätzen interpretierte Valladares den Friedensschluss als Paradigmenwechsel von einem dynastischen zu einem modernen Staatsverständnis. Die Auseinandersetzung mit Frankreich könne so als ein in langer Tradition stehender Kampf um Reputation und Prestige gesehen werden, der Friedensschluss als ein Ausgleich antagonistischer Kräfte. So habe die negative Rezeption des Friedens tatsächlich erst mit der Unabhängigkeit Portugals begonnen, die, da sie den Verlust von Teilen des Patrimoniums auf der Iberischen Halbinsel besiegelte, als zentrale Katastrophe der spanischen Geschichte begriffen wurde.

DANIEL SERÉ (Paris) unterzog die Aufnahme des Pyrenäenfriedens im zeitgenössischen Frankreich einer detaillierten Analyse. Durch die mit dem französisch-spanischen Krieg einhergehende Zentralisierung und gesellschaftliche Fragmentierung des Landes könne kaum von einer einheitlichen Reaktion auf den Krieg bzw. den Frieden gesprochen werden. Zu der Entmachtung des lokalen Adels traten die Kriegslasten hinzu, so dass in weiten Teilen der Gesellschaft mit dem Frieden mit Spanien das Ende der Schwierigkeiten und die Rückkehr zum Status quo ante erwartet wurde. Die gescheiterten französisch-spanischen Verhandlungen auf dem Kongress von Westfalen führten so beinahe zwangsläufig zur Stärkung oppositioneller Kräfte und der Formierung der Fronde. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil musste sich Mazarin folglich nicht nur mit spanischen Erfolgen im Feld, sondern auch mit der Wiederherstellung des inneren Friedens auseinandersetzen. Die Wiederaufnahme der Verhandlungen 1656 fand deshalb im Geheimen statt und wurde von der Bevölkerung tatsächlich kaum wahrgenommen, so dass ihr etwaiges Scheitern die Herstellung des inneren Friedens nicht aufs Neue gefährden konnte. Bestätigt durch diese Erfolge, wurden auch die abschließenden Verhandlungen bis zum Friedensschluss geheim gehalten, dieser aber, ebenso wie die politischen Erfolge des Kardinals und die Feierlichkeiten zur französisch-spanischen Hochzeit, vor allem mittels der Gazette von Theophraste Renaudot in aller Breite bekannt gemacht. Trotz des Fortbestehens einiger kleiner Unruheherde bedeutete der Vertrag mit Spanien die Rückkehr des inneren Friedens in Frankreich, denn die Machtübernahme durch Ludwig XIV. markierte auch den endgültigen Durchbruch des Absolutismus, dem die Opposition nichts mehr entgegenzusetzen gehabt habe. Letztlich könne so die mit dem Friedensschluss einhergehende innere Befriedung Frankreichs als das Ergebnis eines geschickten Einsatzes der Presse seitens der Regierung interpretiert werden.

Zum Tagungsabschluss bot LJUDMILA IVONIVA (Smolensk) mit einem Überblick über die russische Historiographie zum Thema eine Außenschau auf den Pyrenäenfrieden. Bis zur Revolution von 1917 fand so gut wie keine Auseinandersetzung russischer Gelehrter mit dem frühmodernen Völkerrecht und dem europäischen Mächtegleichgewicht der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts statt, da man die europäischen Auseinandersetzungen vornehmlich als Rivalitäten zwischen um die Vorherrschaft kämpfenden Monarchen interpretierte. Nach der Revolution analysierte man in Russland den Einfluss der englischen Revolution auf die Auseinandersetzungen auf dem Kontinent, insbesondere auf die Fronde. Der Pyrenäenfrieden selbst erschien schlicht als Auftakt der Devolutionskriege bzw. der bewaffneten Diplomatie Ludwigs XIV. Ein Teil der Forschung verlegte sich angesichts der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs nach 1945 auf militärische Fragen und interpretierte das Geschehen, nicht anders als zahlreiche westliche Kollegen, als Ausdruck des französischen Verlangens nach natürlichen Grenzen und den Beginn der französischen Vorherrschaft.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion ließ der verstärkte Einfluss neuer Strömungen in den Geschichtswissenschaften die Anliegen der klassischen Diplomatiegeschichte in den Hintergrund treten. In den wenigen Arbeiten, die sich explizit mit der französischen Diplomatie der Zeit und dem Pyrenäenfrieden beschäftigen, werden die Ereignisse in die Suche nach einem kollektiven Sicherheitssystem an den französischen Grenzen eingeordnet bzw. in die Entstehung einer neuen Phase internationaler Beziehungen im Rahmen des ‚Westfälischen Systems’.

Insgesamt warf die Tagung ein neues Licht auf den ungeliebten Pyrenäenfrieden, indem sie seine Bewertung vom Ballast der jeweils stark im zeithistorischen Kontext getroffenen Rezeption der Geschichtswissenschaft zu befreien suchte und zeitgenössischen Anschauungen breiten Raum einräumte. So konnten die Einschätzungen von Verlust- bzw. Gewinnfrieden für die eine und andere Seite relativiert werden, wenn man sich auch darüber einig war, dass das Empfinden, einen ausgeglichenen Frieden gefunden zu haben, im Lauf der Zeit schon bald eben jenem Gefühl von Verlust oder Gewinn wich.

Die programmliche Trennung der deutschsprachigen Vorträge von jenen der ausländischen Gäste mag inhaltlichen Kriterien geschuldet gewesen sein, beeinträchtigte aber, unbeschadet einer regen Diskussion der einzelnen Vorträge, den Austausch über Sprachgrenzen hinweg.

Konferenzübersicht:

Eröffnung durch Heinz Duchhardt (Mainz)

Anuschka Tischer (Marburg), Der französisch-spanische Krieg 1635 – 1659. Die Wiederentdeckung eines Wendepunkts der europäischen Geschichte

Heinz Duchhardt, Augsburg statt Bidassoa? Ein gescheiterter Vermittlungsversuch der deutschen Kurfürsten

Peer Schmidt (Erfurt), Der Pyrenäenfrieden. Krise und Krisenbewusstsein in Spanien

Rafael Valladares Ramírez (Madrid), Una disputa perpetua. España, Francia y la hegemonía europea, 1648 – 1659

Daniel Séré (Paris), La réception en France de la paix des Pyrénées

Ljudmila Ivonina (Smolensk), Der Pyrenäenfrieden von 1659 in der russischen Historiographie


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts