Professions and Property in Eastern Europe (19th and 20th centuries)

Professions and Property in Eastern Europe (19th and 20th centuries)

Organisatoren
Institut für Kulturwissenschaften, Universität Leipzig; historisches Seminar, Universität Belgrad (Filozofski fakultet, Beogradski Univerzitet); Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO); Institut für Zeitgeschichte Serbiens (Institut za noviju istoriju Srbije)
Ort
Belgrad
Land
Serbia
Vom - Bis
19.06.2009 - 20.06.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Dorothea Trebesius, Institut für Kulturwissenschaften, Universität Leipzig

Professionen und Bodeneigentum erfuhren als zentrale Institutionen moderner europäischer Gesellschaften in Osteuropa eine spezifische Ausprägung. Die von der Volkswagenstiftung im Rahmen des Projektes „Bodenrecht, Kataster und Grundbuchwesen im östlichen Europa 1918 – 1945 – 1989. Polen, Rumänien und Jugoslawien im Vergleich“ finanzierte Tagung ging der gegenseitigen Abhängigkeit, Beeinflussung und Entwicklung dieser Institutionen nach. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, wie sich Prozesse der Propertisierung und Professionalisierung im 19. und 20. Jahrhundert in Polen, Serbien und Rumänien entwickelten und gegenseitig bedingten. Der Begriff der Propertisierung verweist auf die These, dass soziale und wirtschaftliche Beziehungen zunehmend durch (private) Eigentumsrechte kontrolliert werden, und dem Eigentümer dabei exklusive Kontroll-, Funktions- und Handlungsrechte zugeschrieben werden. Professionalisierung bezeichnet einen Prozess, in dem Berufsgruppen spezifische Funktionen, Positionen und Einkommensquellen für sich beanspruchen und dies mit ihrem Wissen, ihrer Ausbildung oder ihrem Status begründen. Die Tagung fokussierte auf Berufe, die mit und über Bodeneigentum arbeiteten, konzentrierte sich dabei auf Rechtsberufe, nahm aber auch Vermesser und Geodäten in den Blick.

In seinem einleitenden Vortrag betrachtete HANNES SIEGRIST (Leipzig) eine der leitenden Fragen der Tagung und des gesamten Projektes genauer: kann Eigentum als unabhängige Institution funktionieren oder ist es in ein spezifisches institutionelles Set eingebunden und wäre demnach nur in Abhängigkeit von anderen Institutionen zu begreifen? Beantwortet man die Frage positiv und überlegt weiter, welche Akteure mit Bodeneigentum zu tun haben, nehmen in dieser Hinsicht die Professionen eine zentrale Stellung ein. Siegrist skizzierte dann die Professionalisierung in Westeuropa als einen Prozess der, entgegen dem Mythos der „freien“ und damit autonomen Profession, um 1800 ursprünglich vom Staat angestoßen wurde. Erst im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts autonomisierten sich die Professionen vom Staat. Behält man dieses Modell gedanklich bei, gerät man im Hinblick auf die Professionalisierung in Osteuropa weniger in Gefahr, diese Entwicklung normativ und als „Abweichung“ vom westeuropäischen Weg zu betrachten.

An diese Überlegungen schloss der Beitrag von DIETMAR MÜLLER (Leipzig) an, der nach der Rolle der Professionen bei der Konstruktion und Implementierung von Eigentumsrechten in Osteuropa fragte, die spezifische Situation in Osteuropa genauer beschrieb und sie in einer Reihe von Punkten zum westeuropäischen Modell in Beziehung setzte. Zwar habe der Staat, ähnlich der westeuropäischen Professionalisierung „von oben“ – durch den Staat – mit einer neuen staatlichen Administration auch die Professionen neu geschaffen. Im Gegensatz dazu habe er dann vor allem in den Ländern des Balkans die weitere Autonomisierung von Professionen nicht zugelassen. In der Zwischenkriegszeit folgten die Staaten Ostmittel- und Südosteuropas mit der Nationalisierung ihrer Eliten der westeuropäischen Strategie der Nationalisierung von Mittelklassen- und professionellen Positionen. So wurde etwa Juden durch einen Numerus Clausus der Zugang zu Universitäten und professionellen Assoziationen verwehrt. Die Idee des Aufholens gegenüber Westeuropa führte in der postsozialistischen Periode schließlich dazu, dass allein dem Staat die Fähigkeit zugesprochen wurde, eine effektive Modernisierung durchzuführen, was in einigen Teilen der Staaten Prozesse der De-Professionalisierung und De-Propertisierung bestehender Institutionen mit sich gebracht habe.

MICHAEL BURRAGE (London) diskutierte die Professionen als Element von Zivilgesellschaft und verband damit die These, dass Professionen bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts weniger als ökonomische Interessengruppen, denn „honour-giving Associations“ zu betrachten sind, die gemeinsame Werte haben, Gemeinschaft schaffen und an Orten der Vergemeinschaftung entstanden sind. Schließlich betonte er für das Entstehen von Professionen die Rolle von Revolutionen, welche die Idee einer Gesellschaft ohne Rechtsanwälte vertraten. Abhängig von den spezifischen Vorstellungen, die Revolutionen entwickelten, verlief die Professionalisierung unterschiedlich. Michael Burrage entwickelte sein Konzept von Professionen an den autonomen Professionen des anglo-amerikanischen Raums, was sich an den empirischen Indikatoren für Professionalisierung zeigte, die er aufstellte. Der Vergleich dieser Indikatoren mit dem westeuropäischen und mehr noch mit dem osteuropäischen Modell verdeutlicht dann allerdings, dass „hybride“ Modelle und verschiedene Entwicklungspfade von Professionen und Professionalisierung existieren.

Das Panel zur Professionalisierung von russischen und polnischen Rechtsberufen (chair: Dietmar Müller) begann mit dem Vortrag von HEIKE KATHRIN LITZINGER (Berlin), die einen Teil ihrer kürzlich veröffentlichten Dissertation zu Rechtsanwälten und bäuerlichem Landbesitz in Russland zwischen 1880 und 1914 vorstellte. Litzinger skizzierte eine Professionalisierung der Rechtsanwälte „von oben“. Obwohl deren Professionalisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch den Staat initiiert wurde, gewann sie doch zunehmend an Eigendynamik. Die Rechtsanwälte organisierten sich professionell, indem sie Vereine und Zeitschriften gründeten und kritisierten teilweise den Staat als zu repressiv. Auch die politische Frage der Bauernbefreiung und des Landbesitzes wurde als juristische debattiert und bei der Reaktion der Rechtsanwälte auf diese Frage unterschied Litzinger zwei Antworten: die „westlich orientierte“ Richtung argumentierte in der Tradition des Römischen Rechts und wollte das Eigentumsrecht der Bauern stärken, während eine „slawophile“ Antwort das russische Recht als historisch gewachsen und klar von Westeuropa unterschieden darstellte. Vertreter dieser Richtung argumentierten auch klar gegen einen starken Eigentumsbegriff.

Die Entwicklung von Rechtsberufen im sozialistischen und post-sozialistischen Russland und Polen verfolgte RAFAEL MROWCZYNSKI (Hannover/Bremen) gleich unter zwei komparativen Gesichtspunkten: er verglich nicht nur Russland und Polen, sondern auch die Entwicklung zweier verschiedener Rechtsberufe: Rechtsberater und Advokaten. Rechtsberater und Advokaten unterschieden sich vor allem hinsichtlich ihrer Zuständigkeit: erstere arbeiteten für Organisationen, während Advokaten Individuen berieten. Für Polen zeigte Mrowczynski eine erfolgreiche Professionalisierung, die im Staatssozialismus begann und in eine Konvergenz der beiden Berufe, bzw. eine „Advokatisierung“ eines Teils der Rechtsberater im Postsozialismus mündete. In Russland konnten sich die Rechtsberater weniger erfolgreich professionalisieren. Bezieht man den Vortrag Mrowczynskis auf die Frage nach einem „osteuropäischen Modell“ von Professionalisierung, unterstrich er die zentrale Bedeutung des Staates in seiner Funktion als Regulator der Professionalisierung und als hauptsächlicher Arbeitgeber.

Professionen in den ländlichen Gebieten Rumäniens und Jugoslawiens thematisierte das Panel „The professions in rural areas: Romania and Yugoslavia“ (chair: BOGDAN MURGESCU). Es begann mit dem Beitrag von Dietmar Müller zu Geodäten, Notaren und Rechtsanwälten in Rumänien – Berufen, die sich mit Landeigentum befassten. Der Prozess war eng mit der Modernisierung und Nationalisierung der Gesellschaft verbunden, wobei der rumänische Staat den Akteur, Rahmen und Bezugspunkt der Professionalisierung dieser Berufe bildete. Der Staat stellte die Bedingungen der Ausübung der Profession, zog die Grenzen zu Laien und er war es, der im Jahr 1918 die Funktion von Landeigentum neu definierte und sie nationalen und staatlichen Grundsätzen unterstellte. In der Folge habe sich Eigentum und die mit ihm verbundenen Professionen in die staatlich vorgegebene Richtung entwickelt und auch das kommunistische Regime habe diese Entwicklung nicht gänzlich in Frage gestellt. CORNEL MICU (Jena/Bukarest) plädierte in seinem Vortrag zu den Agronomen in ländlichen Gebieten Rumäniens von 1918 bis 1989, die nationale und die lokale Ebene stärker zu verbinden. Er begriff die Administration als einen Modernisierungsakteur, welcher die Verbindung zwischen den Eliten und der ländlichen Bevölkerung schuf.

ZORAN JANJETOVIĆ leitete das Panel zu den Beziehungen zwischen Professionen und dem Staat in Ost- und Südosteuropa, in der SRĐAN MILOSEVIĆ (Belgrad) anhand der Geodäten zeigte, wie diese zahlenmäßig geringe und schwach professionalisierte Gruppe nach 1950 ideologisiert wurde und sich selbst ideologisierte, um damit einen höheren sozialen Status zu erlangen. Gleichzeitig betrieb der Staat die Professionalisierung der Geodäten, indem er spezialisierte Schulen eröffnete, die Ausbildungszeit verlängerte und Berufsvereine schuf. Im Jahr 1951 waren die Geodäten dann schließlich diejenigen, die erstmals Eigentum in Katastern registrierten und damit ihr spezifisches Wissen für die staatliche betriebene Propertisierung zur Verfügung stellten.

DUBRAVKA STOJANOVIĆ (Belgrad) ordnete in ihrem Beitrag die Thematik der Professionalisierung in die Geschichte der Mittelklassen in Belgrad zwischen 1890 und 1914 ein. Die Mittelklassen, so Stojanović, seien nur schwach ausgeprägt gewesen, zu ihnen gehörten neben den traditionellen Handwerkern und Kaufleuten die vom Staat bezahlten Professoren, Beamte und Rechtsschreiber, wobei sich vor allem die Rechtsberufe, Mediziner und technischen Berufe professionalisierten. Stojanović unterstrich, dass die Rechtsberufe eine der dynamischsten Professionen in Belgrad gewesen seien, die in massiver Weise von dem Bildungsaufschwung dieser Zeit profitierten. Trotzdem sei die Professionalisierung vergleichsweise wenig erfolgreich gewesen, denn die Nationalisierung Belgrads und Serbiens schmälerte, so das Fazit, die soziale Dynamisierung und verhinderte letztlich auch eine weitere Professionalisierung. Die professionellen Gruppen waren zu eng mit dem Staat verschmolzen und in der Folge stagnierte die Modernisierung Serbiens, da kaum zivilgesellschaftliche Gruppen als potentielle Träger von Modernisierung vorhanden waren.

Das verweist noch einmal auf den roten Faden, der sich durch alle Beiträge durchzog und der den Staat als zentralen Akteur von Professionalisierung und De-Professionalisierung sowie Propertisierung und De-Propertisierung begreift. Ob diese Entwicklung eher als eine „nachholende“ Entwicklung zu interpretieren ist oder zu einem osteuropäischen Modell von Professionalisierung führt, wie Dietmar Müller vorschlug, wird weiter zu diskutieren sein.

Konferenzübersicht

Introduction
Chair: Dubravka Stojanović, Filozofski fakultet, Beogradski Univerzitet

Hannes Siegrist/Dietmar Müller: „The role of the professions in the construction and implementation of property rights in Western and Eastern Europe”

Michael Burrage: „Professionalization of lawyers in England, France, USA und Russia”

Between State and Intelligentsia: Russia and Poland
Chair: Dietmar Müller

Heike Kathrin Litzinger: „Legal professions’ view on peasant land. Juridical concepts of property to land in Russia before 1917“

Rafael Mrowczynski: „Legal counsellors in socialist and post-socialist societies. Poland and Russia compared“

The professions in rural areas. Romania and Yugoslavia
Chair: Bogdan Murgescu

Dietmar Müller: „Administration of rural property in Romania. Geodesists, notaries and lawyers“

Cornel Micu: „Profession and administration in Romanian Rural Area (1918 – 1989)”

A history of failure? Professions, the middle classes and the State in Eastern and South-Eastern Europe
Chair: Zoran Janjetović

Srđan Milosević: “Between profession and ideology. Geodatic professionals in the process of “socialist reconstruction and development” in Yugoslavia, 1945–1953“

Dubravka Stojanović: “Professions and the dynamic of the middle class in Belgrade, 1890–1914”