The City and the State of Exception/State of Emergency. Ausnahmezustand and the Urban Condition. 5. Jahreskonferenz des Transatlantischen Graduiertenkollegs Berlin-New York, Center for Metropolitan Studies, Berlin

The City and the State of Exception/State of Emergency. Ausnahmezustand and the Urban Condition. 5. Jahreskonferenz des Transatlantischen Graduiertenkollegs Berlin-New York, Center for Metropolitan Studies, Berlin

Organisatoren
Transatlantisches Graduiertenkolleg Berlin–New York, unterstützt durch die Gesellschaft von Freunden der Technischen Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.06.2009 - 06.06.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Kristina Graaff / Jan Kemper / Tim Opitz, Transatlantisches Graduiertenkolleg Berlin–New York

Unter dem Dach der Stadt- und Metropolenforschung haben sich in den letzten Jahren fächerübergreifende und interdisziplinär ausgerichtete Forschungsverhältnisse etabliert. Gleichwohl handelt es sich nach wie vor um ein wenig konturiertes Forschungsfeld. Zwar scheint der interdisziplinäre Austausch im Sinne einer gegenseitigen Information über unterschiedliche Erfahrungen mit der Metropole und den verschiedenen Herangehensweisen an dieses Thema gut zu gelingen. Doch für eine Präzisierung von Fragen, Perspektiven und Konzepten, die ein gemeinsam entwickeltes Erkenntnisinteresse und den Aufbau von fächerübergreifenden Rahmenfragestellungen zulassen, ist noch viel konzeptionelle und inhaltliche Arbeit nötig.

In die Suchbewegung nach konzeptionellen Orientierungen für die Stadt- und Metropolenforschung lässt sich auch die diesjährige, fünfte Jahreskonferenz des am Center for Metropolitan Studies (CMS) der Technischen Universität Berlin angesiedelten „Transatlantischen Graduiertenkollegs Berlin-New York“ (TGK) einreihen.1 Die Konferenz hatte den „Ausnahmezustand“ als forschungsleitende Annährung an die Metropole und als thematisches Bindeglied für eine gemeinsame Diskussion vorgeschlagen. Damit wurde versucht, inhaltliche Aspekte (wie die Reetablierung einer politisch-sozialen Ordnung) und theoretisch-konzeptionelle Gehalte (wie die Orientierung an der Differenz von Normalität und Ausnahme) eines zunächst auf das politisch-juridische Feld festgelegten Diskurses aufzugreifen und als inhaltliche und/oder konzeptionelle Leitmotive für eine Untersuchung der Metropole anzubieten. Damit sollte es gelingen, Stadt- und Metropolenforschung vor dem Hintergrund geteilter Problematiken zu betreiben, ohne die Problemstellungen, Ansätze und Sichtweisen der einzelnen Disziplinen und ihre Forschungsinteressen von vornherein beschneiden zu müssen.

Zugleich war es Grundannahme der Konferenz, durch ein zunächst offen gehaltenes, aber integratives Verständnis von „Ausnahmezustand“ sowohl reale Tendenzen in der metropolitanen Wirklichkeit genauer benennen zu können, die andernfalls ihre Subsumption unter die Begriffe der Krise, des Konflikts und des Krieges erfahren, als auch solche Phänomene benennbar zu machen, die positiv akzentuiert mit Assoziationen der Unruhe, des Protestes und der Regellosigkeit verbunden sind.

Diesem thematischen Zuschnitt der Konferenz entgegen kam die doppelte Bedeutung des Begriffs „Ausnahmezustand“ im englischen Sprachraum: Verstanden als state of emergency benennt der Begriff den Notstand, ausgerufen in Konfrontation mit politischen und ökonomischen Krisen oder ökologischen Katastrophen. Verstanden dagegen als state of exeption kann er auch die Erfahrungen des (kontrollierten) Ausbrechens aus dem Alltag und der temporären Regelverletzung berücksichtigen, wie sie etwa im Karneval realisiert scheinen.

An der Konferenz beteiligt haben sich zwei Dutzend Forscherinnen und Forscher aus den Gebieten der Architektur und Stadtplanung sowie aus den verschiedensten Forschungsbereichen der Sozial- und Geisteswissenschaften. Der interdisziplinäre Charakter der Konferenz, ihre international ausgerichtete Zusammensetzung sowie ein durchgängig gut besuchtes, lebhaftes Auditorium haben dazu beigetragen, Diskussionen über die Metropole vor der Rahmenfragestellung nach dem „Ausnahmezustand“ tatsächlich konstruktiv und angeregt führen zu können.

Inhaltlich betrachtet setzte die Diskussion vorsichtig ein. Engagiert und detailreich, aber in Hinblick auf einen Zusammenhang von Ausnahmezustand und Stadt zurückhaltend, äußerte sich STEVEN GRAHAM (Durham University) in seiner einführenden Keynote. Anhand aktueller Überwachungs- und Militärtechnologien verdeutlichte er, wie diese in den Metropolen als ihrem Realisierungs- und Einsatzort zur Anwendung kommen. Einen Schwerpunkt legte er auf die ‚dunkle’, koloniale Vorgeschichte vieler Techniken und Praktiken der sozialen Kontrolle und der Kriegsführung. Zumindest darauf bezogen, so ein Fazit aus seinen Ausführungen, erweist sich historisch gesehen nicht die Metropole, sondern ihr koloniales Gegenüber als das eigentliche Laboratorium der Kontrolle, der Aufstandsbekämpfung und der Kriegsführung.

Einen weiteren Startpunkt zur Konferenz setzte am nächsten Morgen PETER MARCUSE (Columbia University New York). Seine eher fragend als definierend vorgetragenen Bemerkungen zum Ausnahmezustand berührten dessen begrifflichen Status und seinen inhaltlichen Gehalt. Marcuse fragte entlang einer Auseinandersetzung mit der Kategorie des Ausnahmezustands im Werk des italienischen Philosophen Giorgio Agamben nach dem Wesen des Ausnahmezustands, der Verfügungsmacht über den Ausnahmezustand sowie nach den Quellen seiner Legitimität. Damit entwarf Marcuse einige Leitlinien, die in den Paneldiskussionen immer wieder aufgenommen wurden.

Das erste Panel der Konferenz untersuchte den Ausnahmezustand in der Stadt, indem es sich auf gewaltsame Aufstände und auf den Versuch konzentrierte, diese staatlicherseits unter Kontrolle zu bekommen. Dabei stellten die Panelistinnen DERYA ÖZCAN (Ludwig-Maximilians-Universität München), PENNY KOUTROLIKOU (National Technical University of Athens) und FLORAH IKAWA-WITTE (Transparency International Berlin) eine variierende und sich doch ähnelnde Konstellation vor: Aus komplex verknüpften Gründen kommt es in Städten zu Spannungen, aus denen Ausschreitungen resultieren können. Ihnen wird mit Härte der Sicherheitskräfte begegnet. Solche Situationen gehen immer mit umfangreichen Restriktionen für die gesamte Stadtbevölkerung einher und machen den Stadtraum zu einem physisch umkämpften Ort. Dabei, dieses zeigt der Vergleich von spontanen Jugendaufständen, wie sie Koutrolikou für Athen darstellte, und dem Widerstand gegen umstrittene internationale Konferenzen, wie dem NATO Gipfel 2004 in Istanbul, den Özcan beschrieb, scheint es für den Verlauf des städtischen Ausnahmezustandes letztlich unerheblich, worin er begründet ist. Ganz Ähnliches lässt sich über die Verortung der Ausschreitungen sagen. Derart scheint der urbane Rahmen deutlich wichtiger zu sein als der jeweilige Teil der Welt, in dem sie stattfinden. Diesen Befund unterstützte auch Ikawa-Wittes Vortrag zu den Unruhen in Nairobi nach den kenianischen Wahlen 2007. Auch hier wurde mit dem verstärkten Einsatz von Polizei reagiert, zugleich jedoch auch die „Kenya Vision 2030“, ein soziökonomischer Entwicklungsplan für die Zukunft des gesamten Landes eingeleitet, der auch dessen urbanen Räume einschließt. Hier wurde deutlich, wie eine kürzere Periode des Ausnahmezustandes zu dauerhaften Veränderungen in Städten führen kann.

Auf dem zweiten Panel befassten sich HEIKE HOFFMANN (Universität Kassel), KATRIN HAUER (Universität Salzburg) und ANNA KRENZ (Berlin) mit den politischen und kulturellen Verarbeitungen von Naturkatastrophen in der Stadt. Im Hinblick auf amerikanische Stadtentwicklungspolitiken betrachtete Heike Hoffmann die Wiederaufbauprozesse in New Orleans, nachdem durch Hurrikane Katrina und Rita ausgelöste Überschwemmungen weite Teile der Stadt zerstört hatten. Wie Hoffmann zeigte, lässt sich die unorganisierte und partielle Rekonstruktion von New Orleans dabei nur auf den ersten Blick mit dem in der Stadt herrschenden Chaos erklären. Vielmehr stellt die beobachtete Verstrickung von Interessengruppen, die Fülle von bereits vorhandenen Stadtentwicklungsplänen und -initiativen ein alltägliches Phänomen amerikanischer Stadtplanung dar, das durch den Ausnahmezustand in New Orleans nur in einem anderen Licht gesehen, jedoch nicht verändert worden ist. Auf die Auswirkung einer Naturkatastrophe im Salzburg des Jahres 1669 machte Hauer aufmerksam. Sie konzentrierte sich auf die künstlerische Auseinandersetzung mit dem naturbedingten Ausnahmezustand und illustrierte anhand zahlreicher Kupferstiche aus der frühen Neuzeit, wie sich die Naturkatastrophe in das kulturelle Gedächtnis der Stadtbewohner eingeschrieben hat.

Auf den Ausnahmezustand in seiner Beziehung zu Rechtstaat und Demokratie konzentrierten sich die Vorträge des dritten Panels. MORITZ ISENMANN (Universität Köln) zeigte in seinem Vortrag, dass es sich beim Ausnahmezustand nicht um ein Phänomen handelt, welches sich erst mit Gründung des modernen Rechts- und Verfassungsstaats im 18. Jahrhundert etabliert hat. Stattdessen zeigten sich sowohl das Rechtsstaatsprinzip wie auch dessen Aufhebung im Ausnahmezustand bereits in den mittelalterlichen Stadtrepubliken Italiens. Anhand der Stadt Florenz verdeutlichte Isenmann, wie ein permanentes Regieren unter Notverordnungen – vergleichbar mit der in gegenwärtigen Demokratien zu findenden Schwächung der Legislative zugunsten der Ausdehnung der Rechtsbefugnisse der Exekutive – bereits die damaligen Stadtrepubliken in autokratische, vom Ausnahmezustand ausgehöhlte Regierungssysteme transformierte.

JAN KEMPER (TGK) versuchte, mit Hilfe der Kategorie des Ausnahmezustands den Ermessenspielraum von Verwaltungen und das Entscheidungshandeln von street level bureaucrats im Berliner Bezirk Neukölln in den Blick zu bekommen. Vor dem Hintergrund divergierender sozialer Lagen und einer polarisierten politischen Situation im Bezirk seien Verselbstständigungen in der bezirklichen Verwaltung möglich gewesen, die eine willkürlich anmutende und sozial diskriminierende Durchführungspraxis von Verwaltungsbestimmungen erlaubten.

Die Diskussion um einen „permanenten Ausnahmezustand“ wurde in der den ersten Konferenztag beendenden Roundtable-Veranstaltung mit RAUL ZELIK (Autor, Berlin), JON COAFFEE (University of Manchester) und STAVROS STAVRIDES (National Technical University of Athens) aufgegriffen. Im Zentrum stand dabei die Frage nach der Normalisierung des Ausnahmezustands. Sie wurde von Zelik auf das Agieren paramilitärischer Gruppen in Kolumbien übertragen, die als informelle Ergänzung des staatlichen Sicherheitsapparates fungieren und durch gewaltsame Akte wiederkehrende Ausnahmezustände als ein alltägliches Mittel politischer Herrschaft verankern. Aus raumplanerischer Perspektive zeigte anschließend Jon Coaffee, wie terrorpräventive Architekturen, von Schranken bis Überwachungskameras, die schon vor dem 11. September 2001 vor allem in den Finanzvierteln westlicher Städte zu finden waren, als Ausdruck eines permanenten Ausnahmezustands gelesen werden. Allerdings, so Coaffees Argument, lässt sich in heutigen Städten zugleich ein anderes Verständnis von „Normalzustand“ finden. Während vor den Angriffen von 2001 Städte noch durch Gegenstrategien einen Terroranschlag abzuwenden suchten, Normalität also noch als Ausgangspunkt und Abgrenzung gegen den Ausnahmefall verstanden wurde, setzt sich in den letzten Jahren das Konzept der Widerstandsfähigkeit (resilience) durch, das stabile und strapazierfähige Städte zum Ziel hat. Die Frage, ob sich ein Terroranschlag verhindern lässt, ist von jener nach der besten Vorbereitung auf Anschläge abgelöst worden. In einer permanent auf Angriffe vorbereiteten Stadt lässt sich der Ausnahmezustand allerdings nicht mehr als Gegensatz zu einem Normalzustand denken, sondern ist als alltägliches Phänomen immer schon in die Konstruktion der Stadt integriert. Weniger um dessen materielle Ausformulierung als um ein Verständnis des Ausnahmezustands als Schwelle und Möglichkeitsort des Hinterfragens von Normalität ging es abschließend Stavros Stavrides. In Auseinandersetzung mit den Arbeiten Agambens, in denen die Schwelle als eine Zone des Unentscheidbaren definiert wird, in der Innen und Außen verschwimmen, betonte Stravides den Ausnahmezustand als eine Schwelle, in der sich die Gegensätze nicht untrennbar vermischen, sondern aufeinander treffen und miteinander verglichen werden können. So verstanden, stellt das Konzept der Schwelle einen Ort der (Neu-)Verhandlungen dar, in dem Normalität hinterfragt und unterbrochen werden kann. Diese Überlegungen wurden in der Diskussion daraufhin befragt, ob sie sich überhaupt auf den materiellen (Stadt-)Raum anwenden lassen, was Stavrides umgehend verneinte. Statt die Schwelle selbst als materiellen Ausdruck zu verstehen, ging es für ihn eher darum, mit ihr Materialitäten und damit Machtverhältnisse im Stadtraum hinterfragen zu können.

Im vierten Panel wurden Formen des Ausnahmezustandes in einem spezifischen Zeitraum, der Periode zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg, untersucht. Dazu wurden verschiedene Beispiele betrachtet, die jeweils einen Blick auf eine andere Region der Welt warfen. Gemein allerdings war den drei Vorträgen, dass sie den Reibungsraum zwischen Metropole und Kolonie, Eigenem und Fremden auszuloten versuchten. Wie deutlich wurde, impliziert dieser bereits den Ausnahmezustand oder produziert ihn unmittelbar. Dementsprechend verdeutlichte der Vortrag von TIM OPITZ (TGK) am Beispiel der aus der ehemaligen Kolonie Ostafrika nach Berlin heimgekehrten Soldaten um ihren Anführer Lettow-Vorbeck, welche Folgen die „Erzwungene Dekolonisierung“ durch den Versailler Vertrag haben konnte: Diese Soldaten symbolisierten für viele Menschen eine zurückersehnte Ordnung, die im Nachkriegsdeutschland im Untergang begriffen war. Genau diese ersehnte, konservativ ausgerichtete Normalität exekutierten nun in einem Freikorps organisierte Soldaten im Sommer 1919, indem sie den legalen Ausnahmezustand in Hamburg überwachten. Dass allerdings die Zuschreibungen von Ordnungen und Identitäten keineswegs eindeutig sein müssen, unterstrichen, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, die Vorträge von MAX WARD (New York University) und SHERENE SEIKALY (Wissenschaftskolleg Berlin). Ward untersuchte in seiner Präsentation die Bedeutung des Konzeptes von „tenkô“ und dessen Anwendung im Japan am Übergang zum faschistischen Militärstaat. Wie Ward zeigte, entwickelte sich „tenkô“, das übersetzt etwa „Wandlung“ bedeutet, von einem in Verfahren gegen Kommunisten verlangten Widerruf ihrer Überzeugungen zu einem fast allgemeingültigen Bekenntnis zur japanischen Nation. So spiegelt bereits der leichte Wandel in der Wortbedeutung die Veränderung des ganzen Landes in einer Zeit der nationalistischen Repositionierung nach Innen und der Expansion nach Außen. Seikaly demonstrierte in ihrer Untersuchung von Aufständen in Haifa in den 1930er-Jahren, dass in einem Raum zerriebener Identitäten und des wiederkehrenden Ausnahmezustandes wechselnde Zugehörigkeiten unter verschiedenen Gruppen an der Tagesordnung sind. In ihrem Vortrag wurde deutlich, dass eine Untersuchung von Ausnahmezuständen gerade die Subalternen zum Sprechen bringen kann, denn Seikalys Hauptaugenmerk galt oft von der Forschung übersehenen palästinensischen Frauen, die gegen scheinbare Alltagsprobleme protestierten. Wie die anschließende Diskussion deutlich machte, stellen sich bei Untersuchung von Ausnahmezuständen zentral die Fragen, wessen Ordnung erreicht, wieder hergestellt oder bekämpft werden soll.

Welche Einsichten gewonnen werden können, wenn die Kategorie des Ausnahmezustands auf das Verhältnis von Normalität und Ausnahme angelegt und nach den Mechanismen der Konstruktion von Inklusions- und Exklusionsverhältnissen gefragt wird, thematisierte Panel 5. SONIA PAONE (University of Pisa) machte dafür auf die europäische Flüchtlingspolitik aufmerksam. Entlang der Gestalt und der Funktion italienischer Flüchtlingslager skizzierte sie deren gefängnisgleichen Charakter. Erkenntnisleitend für ihre Einschätzung der Situation der Flüchtlinge war die Agamben entliehene Figur des Homo sacer, des vogelfreien Subjekts ohne Rechtstatus. Ebenfalls eng an Agamben orientiert, referierte ESTELA SCHINDEL (Freie Universität Berlin) über Techniken der Inklusion und Exklusion. Ihrem Vortrag war unter anderem zu entnehmen, dass räumliche Arrangements des Ein- und Ausschlusses an Sichtbarkeit verlieren können. Gerade weil sich die gegenwärtigen Inklusions- und Exklusionsverhältnisse als stabil erweisen, kann auf manifeste physische Barrieren zu ihrer Aufrechterhaltung offensichtlich verzichtet werden. Die Attraktivität der populären Rede des Ausnahmezustands zu hinterfragen, war dagegen das zentrale Anliegen von KANISHKA GOONEWARDENA (University of Toronto). Sein Vortrag zielte in ideologiekritischer Absicht darauf, die ahistorisch und metaphysisch anmutende Gewaltzentrierung der Philosophie Agambens als Ausdruck kolonialistischer und imperialistischer Machtpolitiken zu dechiffrieren. Das intellektuelle Interesse an Agambens Werk sei daher als eines zu verstehen, das politische Gewalt thematisieren möchte, ohne aber tatsächliche gesellschaftliche Macht- und Gewaltverhältnisse zur Sprache bringen zu müssen.

Die räumliche Dimension metropolitaner Wirklichkeit und die Möglichkeit ihrer Konzeptionalisierung als „Ausnahmeorte“ war Gegenstand des sechsten Panels. Hier lenkte MARTIN KLAMT (Humboldt-Universität zu Berlin) mit der Bemerkung, entscheidend sei nicht nur wer, sondern auch wo über den Ausnahmezustand verfügt werde, zunächst gelungen Aufmerksamkeit auf die Frage nach dem Verhältnis von politischer Souveränität und den gesellschaftlichen Prozessen der Raumproduktion. Seine eigene Analyse der räumlichen Situierung von Normen konnte diese Frage allerdings nicht beantworten. Sie blieb auf die Identifikation von Raumnutzungstypen entlang einer Gegenüberstellung von deren „normalen“ und deren „außergewöhnlichen“ Nutzung gerichtet. ANKE HAGEMANN (HafenCity University Hamburg) analysierte anschließend entlang der Einrichtung von fanzones im Rahmen der Austragung der Euro 2008 in Zürich ausführlich die Konstruktion von rechtlichen Enklaven im städtischen Raum. Mit einem Verständnis des Ausnahmezustands als ein öffentlich inszenierter Notstand konzentrierte sie sich auf eine politisch-administrativ vorgebrachte und medial verbreitete Rhetorik des Ausnahmezustands, mit der die Etablierung von zeitlich, räumlich und rechtlich gesonderten Arrangements im Rahmen von Großereignissen legitimiert wird. Den Ausnahmezustand als eine Situation extremer ökonomischer und ökologischer Problemlagen deutend, informierten abschließend NICOLE HUBER und RALPH STERN (beide University of Washington) über die mit den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie mit der Übernutzung der regionalen Wasserressourcen konfrontierten Stadt Las Vegas.

Das letzte Panel der Konferenz verließ diese materiell-räumliche Ebene und befasste sich mit kulturellen Vorstellungen und Antizipationen des Ausnahmezustands in der Metropole. STEFAN HÖHNE (TGK) griff dazu erneut das Konzept des Ausnahmezustands als Schwelle auf. Aufgefasst als Grenze und Durchgangszone kann diese, indem sie gleichzeitig ausgrenzt und einschließt, als gesellschaftsstabilisierendes Medium verstanden werden. Angewandt auf kulturelle Imaginationen von Ausnahmezuständen im New Yorker U-Bahn-System, die, so Höhne, immer auf alltägliche Erfahrungen bezogen und historisch spezifisch sind, wird so der urbane Transitraum zur potentiellen Schwelle - und damit zum integrativen Element urbaner Gesellschaften. Weniger auf die Bestätigung als auf die Kritik an urbanen Lebensbedingungen zielt dagegen, so CHRISTIAN FRÖHLICH (Universität Leipzig), die Imagination von Ausnahmezuständen im Zombiefilm. In der Regel im urbanen Kontext angesiedelt, illustrieren Horrorfilme den Ausnahmezustand in einem doppelten Sinn: Als Aufhebung einer politisch-sozialen Ordnung sowie als Raum, in dem Normen, Formen sozialer Beziehungen und kulturelle Praktiken in Frage gestellt werden können. Als problematisch stellte Fröhlich in diesem Zusammenhang den destruktiven Umgang mit dem Stadtraum dar. Er wird immer nur zerstört, nie jedoch neu gestaltet. Derart thematisieren viele Zombiefilme weniger innerstädtischer Probleme, sondern legitimieren letztlich insbesondere die Flucht der weißen amerikanischen Mittelschicht in die Vororte. Vergleichbar mit den Erzählstrukturen dieser kulturellen Imaginationen von Ausnahmezustand(Übertreibungen, Radikalisierungen, Vereinfachungen), allerdings auf positive Zukunftsszenarien konzentriert, waren die visuellen und virtuellen Ausnahmezustände, mit denen sich CHRISTIAN SALEWSKI (ETH Zürich) aus stadtplanerischer Perspektive befasste. Im Rückgriff auf drei aus den Niederlanden stammende architektonische Szenarien, die Salewski als „unerwartete Ausnahmezustände“ fasste, schlug er vor, dass es gerade die nicht vorhersehbaren Abweichungen von der Normalität sind, die zu grundsätzlichen gesellschaftlichen (Wahrnehmungs-)Veränderungen führen können.

Zum Abschluss der Konferenz blieben zahlreiche Fragen und Problemstellungen zum „Ausnahmezustand“ unbeantwortet - vor allem deshalb, weil sie erst im Rahmen der Veranstaltung aufgebracht worden waren. Zwei Diskussionsstränge durchzogen die Konferenz: Ein erster Diskussionsstrang berührte die Ausgangsannahme der Konferenz, dass sich der Ausnahmezustand kaum denken und theoretisieren lässt, ohne auch über sein als ‚normal’ wahrgenommenes Gegenüber zu sprechen, mithin durch die Rede vom Ausnahmezustand also eine Beschreibung und ein Verständnis von ‚Normalzuständen’ zu organisieren. Auf die Normativität dieser Denkbewegung selbst haben in den Diskussionen Volker Berghahn und Peter Marcuse aufmerksam gemacht, als sie eine kritische Auseinandersetzung mit den in der Rede vom Ausnahmezustand offensichtlich immer mittransportierten Vorstellungen eines Normalen und dessen Verletzung bzw. seiner Überschreitung anmahnten.

Der zweite Diskussionsstrang der Veranstaltung war geprägt durch die Frage nach der Reichweite und Tragfähigkeit der Kategorie des Ausnahmezustands. Wie allgemein oder eben wie spezifisch fällt der mit der Rede vom Ausnahmezustand angesprochene Phänomenbereich aus? Auf diese Frage lautete vor allem zum Ende der Konferenz hin die Antwort, das Erkenntnispotential der Kategorie des Ausnahmezustands nicht durch eine generelle Übertragung auf konfliktförmige und gewaltvermittelte Prozesse der (Re-)Produktion sozialer Ordnung in den Metropolen verwässern zu wollen. Dass die Konzentration auf den Ausnahmezustand dazu taugen kann, auf die Frage nach den Prozessen der Produktion von Inklusions- und Exklusionsverhältnissen, von Ordnungsregimen, letztlich von gesellschaftlicher Normalität hin konzentrierte Forschungsinteressen aus unterschiedlichen Disziplinen und Kontexten formulierbar zu machen und zusammenzuführen, hat die Konferenz mehr als deutlich gemacht.

Einerseits kann nicht jedes Phänomen, jeder Zustand als Ausnahme verstanden werden, und somit auch nicht die Stadt an sich einen Ausnahmezustand repräsentieren. Andererseits jedoch machten die diversen, an verschiedensten Fragestellungen, räumlichen und chronologischen Settings interessierten Vorträge der Konferenz deutlich, dass man sich bei der Beschäftigung mit dem Ausnahmezustand nicht allein auf die Untersuchung eines juristischen Problems beschränken kann. Vielmehr scheint es angebracht, den Gegenstandsbereich von Arbeiten zum Ausnahmezustand immer wieder neu auszuloten und zu begründen, um so letztlich die Reichweite des Begriffes zu bestimmen.

Bis zu welchem Grad diese Reichweite den von der Konferenz vorgegebenen Ort der Stadt bzw. der Metropole spezifisch umfasst, bleibt dabei als weitere, die Veranstaltung durchziehende Frage nicht abschließend beantwortet. Die Stadt, das steht außer Frage, ist ein Ort, an dem Ausnahmezustände zu untersuchen sind. Es ist ein Ort der politischen, sozialen, kulturellen Reibung, der kontinuierlich Abgrenzungen und Normalitäten erzeugt – jedoch darf nicht jegliche Abweichung gleich als Ausnahmezustand interpretiert werden. Viel Arbeit scheint an dieser Stelle noch nötig, was jedoch nicht bedeuten kann, das Konzept des Ausnahmezustandes als solches fallen zu lassen. Ganz im Gegenteil könnte eine Konkretisierung des Gegenstandsbereiches bei gleichzeitiger Spezifizierung des theoretischen Rahmens zu einer anregenden und konzentrierten Auseinandersetzung mit Konflikt beladenen Prozessen in der Stadt führen. In diesem Sinne ermöglichte es die Konferenz neue Perspektiven zu eröffnen, denen es zu folgen gilt, wenn man sowohl von städtischer Sicherheitspolitik, Ordnungsregimen, gewaltsamen Auseinandersetzungen als auch von ausgelassenen Feiern, besonderen Repräsentationen oder fragwürdigen bürokratischen Entscheidungen spricht.

Konferenzübersicht:

Keynote: Stephen Graham (Durham University)

Introduction: Peter Marcuse (Columbia University New York):
New Urban Security Regimes and Social Uprisings

PANEL 1: New Urban Security Regimes and Social Uprisings
Chair/Commentator: Volker Berghahn (Columbia University New York), Ingo Bader (TGK Berlin-New York)

Derya Özkan (Ludwig-Maximilians-University Munich): Securitization from the Urban to the Global: NATO 2004 Summit in Istanbul as a State of Exception

Penny Koutrolikou (National Technical University of Athens): The Normalisation of a State of Emergency and its Everyday Politics: The Case of Athens, Greece

Florah Ikawa-Witte (Transparency International Berlin): Rebuilding the Urban Fabric: Nairobi in Post-Ausnahmezustand

PANEL II: Responses to Environmental Catastrophes in Urban Settings
Chair/Commentator: Dorothee Brantz (Center for Metropolitan Studies Berlin), Alessandro Busà (TGK Berlin-New York)

Heike Hoffmann (University of Kassel): Normality in the State of Exception? New Orleans after Hurricanes Katrina and Rita

Anna Krenz (Berlin): Urban Trauma: Catastrophe as a Factor for a Sustainable Metropolis?

Katrin Hauer (University of Salzburg): Ausnahmezustand in the City of Salzburg: The Great Rockslide on the Moenchsberg in 1669

PANEL III: Negotiating Power and Decisions within Urban Governance
Chair/Commentator: Klaus Weinhauer (Leuphana University Luneburg), Anne Vogelpohl (TGK Berlin-New York)

Moritz Isenmann (University of Cologne): For the Good and Peaceful State of the City: State of Emergency versus Rule of Law in Renaissance Florence

Jan Kemper (TGK Berlin-New York): The Discretionary Power of Bureaucracies: The Case of Berlin-Neukölln

ROUNDTABLE: Normalizing the State of Exception: Did the Suspension of the Legal Order become Permanent? A discussion on urban revolts, security regimes, antiterrorist policies and the new juridical-political geography of exception
Moderation: Ingo Bader (TGK Berlin-New York), Sabine Horlitz (TGK Berlin-New York)

Participants: Raul Zelik (Berlin), Jon Coaffee (University of Manchester), Stavros Stavrides (National Technical University of Athens)

PANEL IV: States of Emergency between Metropole and Colony during the Interwar Period
Chair/Commentator: Jörg Barberowski (Humboldt University Berlin), Sasha Disko (TGK Berlin-New York)

Tim Opitz (TGK Berlin-New York): The Order that came from the Colonies

Max Ward (New York University): National Polity as Anomie: Urban Space, Thought Crime and Interwar Japanese Fascism

Sherene Seikaly (Wissenschaftskolleg Berlin): Haifa Partitioned: Revolt, Resistance, and Conviviality in 1936 Palestine

PANEL V: Regulating Spaces – From Exception To Norm
Chair/Commentator: Stavros Stavrides (National Technical University of Athens), Baris Ülker (TGK Berlin-New York)

Sonia Paone (University of Pisa): Emergency/Exception and Production of Space: Temporary Detention Centers for Foreign Immigrants in Italy

Estela Schindel (Freie Universität Berlin): Airports, Detention Centres, Shopping Malls: Architectures of Exception for the Society of Control

Kanishka Goonewardena (University of Toronto): Exceptions and Rules of Empire: Theses on the Death and Life of Great American and Some Other Cities

PANEL VI: Ausnahmeorte – Spaces and Places of Exception
Chair/Commentator: Rosemary Wakemann (Fordham University New York), Johanna Schlaack (TGK Berlin-New York)

Martin Klamt (Humboldt University Berlin): Localized Norms: A Concept to Encounter the Spatial Dimension of the Idea of Ausnahmezustand and its Urban Condition

Anke Hagemann (HafenCity University Hamburg): From Stadium to Fanzone: Host Cities in a State of Emergency

Nicole Huber (University of Washington)/Ralph Stern (University of Washington): Las Vegas 50% Off: Cash-outs, Closeouts, and Contamination in the Mojave Dessert

PANEL VII: Cultural Imaginations and Anticipations of the State of Emergency/Exception
Chair/Commentator: Alexa Färber (Center for Metropolitan Studies Berlin), Kristina Graaff (TGK Berlin-New York)

Stefan Höhne (TGK Berlin-New York): Nightmares and Lucid Dreams of the New York City Subway

Christian Fröhlich (Leipzig University): Purification of the City and the Uprising of the Dead: The “Ausnahmezustand” in Postmodern Horror Films

Christian Salewski (Swiss Federal Institute of Technology, Zurich): The Virtual Ausnahmezustand: On the Use of the Unexpected in Urban Planning

Anmerkung:
1 Das Transatlantische Graduiertenkolleg Berlin-New York wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und von der Humboldt-Universität zu Berlin, der Freien Universität Berlin und der Technischen Universität Berlin getragen. Kooperationspartner des Kollegs in New York sind die Columbia University New York, die City University New York, die Fordham University New York sowie die New York University. Einen Überblick über Kolleg und Konferenz gibt der Internetauftritt des CMS (<http://www.metropolitanstudies.de> (13.07.2009)).