Diktaturbewältigung, Erinnerungspolitik, Geschichtskultur – Polen und Spanien im Vergleich

Diktaturbewältigung, Erinnerungspolitik, Geschichtskultur – Polen und Spanien im Vergleich

Organisatoren
Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO)
Ort
Wroclaw/Breslau / Krzyzowa/Kreisau
Land
Poland
Vom - Bis
12.06.2003 - 15.06.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Julia Macher, Berlin

Internationaler Workshop „Diktaturbewältigung, Erinnerungspolitik, Geschichtskultur ­ Polen und Spanien im Vergleich“

Die gründliche Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und SED-Diktatur in Deutschland gilt inzwischen schon als deutsches "Markenzeichen". Timothy Garton Ash erkennt der "Vergangenheitsbewältigung made in Germany" sogar "DIN- Standardqualitäten" und Exportfähigkeit zu. Diametral gegenüber steht dieser intensiven Beschäftigung mit der Vergangenheit die des "Ruhenlassens der Geschichte". Als prototypisch hierfür kann der Umgang mit der diktatorialen Vergangenheit in Spanien und Polen gelten. Beide Länder haben nach dem Ende der Diktaturen auf eine intensive Auseinandersetzung mit Franco bzw. auf einen radikalen personellen Bruch mit der kommunistischen Herrschaft verzichtet. Die Grenzen dieser Art der "Vergangenheitsbewältigung" zeigt die aktuelle Entwicklung in beiden Ländern: In Spanien gelangen die republikanischen Toten des Bürgerkrieges und die Opfer der Diktatur zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. In Polen wurde die Opfer-Täter-Debatte durch die Diskussion um Jedwabne neu entfacht und die Frage nach Autonomie und Handlungsfähigkeit der Volksrepublik Polen neu diskutiert.

Vor diesen Hintergrund gewinnt das von der VolkswagenStiftung finanzierte und am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig durchgeführte Projekt "Diktaturbewältigung und nationale Selbstvergewisserung an der Semi-Peripherie Europas: Geschichtskulturen in Polen und Spanien im Vergleich" besondere Aktualität. Ein gemeinsam mit dem neuen Willy-Brandt-Zentrum für Deutschland- und Europastudien an der Universität Wroclaw, dem Historischen Institut der Universität Warschau und der Stiftung für Europäische Verständigung Kreisau durchgeführter internationaler Workshop in Wroclaw und Krzyzowa setzte die bereits im letzten Jahr im galicischen Santiago de Compostela begonnene Arbeit fort. In einem dichten Programm versuchten die 25 Teilnehmer aus Polen, Spanien, Dänemark und Deutschland Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu ergründen. Ansatzpunkte für den Polen-Spanien-Vergleich liegen, wie Projektleiter Stefan Troebst vom Leipziger GWZO eingangs erläuterte, nicht nur in den Ähnlichkeiten beider überwiegend ländlich-katholisch geprägten Länder und ihrer doppelten Selbstwahrnehmung als "rückständige Nationen" einerseits sowie "große Völker" - "groß" im Sinne adliger, imperialer und hochkultureller Traditionen - andererseits. Vielmehr sehen sich beide in doppelter Weise als an der Peripherie Europas gelegen, nämlich auf der politischen Landkarte ebenso wie auf der eigenen "mental map".

Während, wie Jan Kieniewicz, Spanienhistoriker an der Universität Warschau und erster Nach-Wende-Botschafter Polens in Madrid, in seinem Auftaktvortrag in der Aula Leopoldina der Breslauer Universität ausführte, Spanien als Vor- und Negativbild zu Polen in Polen eine lange Tradition hat, indem es didaktisch aufgearbeitet und in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts propagandistisch instrumentalisiert wurde, dient Polen für Spanien fast nie als Referenzpunkt. Claudia Kraft vom Deutschen Historischen Institut Warschau brachte deswegen gleich zu Beginn der Tagung den Gedanken ein, ob neben dem Generationenwechsel in Spanien nicht auch 1989 ein Auslöser für die derzeitige Rekonstruktion des historischen Gedächtnisses in Spanien gewesen sein könnte. Wichtiger als die Frage der Rückkopplungsmodi ist jedoch die nach den Parallelen. In beiden Ländern werden, so Kraft, nationale Gründungsmythen, historische "Meistererzählungen" in Frage gestellt: Der "Pacto de silencio", der von Ministerpräsident Adolfo Suarez maßgeblich initiierte Pakt des Schweigens nach Francos Tod und die Politik des runden Tisches durch General Wojciech Jaruzelski erfahren derzeit eine Neubewertung. Da Polen wie auch Spanien sich während der Transition explizit in einen europäischen Kontext stellten bzw. auf "europäische Normen" Bezug nahmen, könnten, so Kraft, die neuen Deutungen der Gründungsmythen auch Auswirkungen auf die aktuelle Europadebatte haben: Wenn der friedliche Verständigungskonsens eine Art "emotionale Konvention" für Europa ist, dann wird diese durch die aktuelle Debatte in Spanien und Polen in Frage gestellt.

Die erste Sektion der Tagung widmete sich dem Zusammenhang von "Diktatur und Gedächtnis". In Polen kam es nach dem Ende des Kommunismus zwar - im Gegensatz zu Spanien - zu Straßenumbennungen und der Schleifung von Denkmälern, aber keiner "starken Revolution" der Geschichtsschreibung. Marcin Kula von der Universität Warschau führte aus, dass entgegen des Klischees die Geschichtsschreibung in Polen eng mit dem politischen System verbunden, aber dennoch nicht genuin marxistisch gewesen sei. Wie "Löcher in einem Schweizer Käse" seien bestimmte Kapitel der Geschichte nur unzureichend und zögerlich erhellt worden: Die Auseinandersetzung mit der Zeit ab 1945 und der stalinistischen Herrschaft erhielt erst in den achtziger Jahren durch die Öffnung der Archive und einer zunehmenden Anzweiflung des Systems (Arbeiterstreiks) neue entscheidende Impulse. Erstmals setzte sich die polnische Historiographie in dieser Zeit auch mit der Vertreibung der Deutschen und den deutschen Soldaten in polnischer Gefangenschaft auseinander. Marek Ziolkowski von der Universität Poznan lenkte in seinen Ausführungen den Fokus ebenfalls auf die "Leichen im Keller des polnischen kollektiven Gedächtnisses": auf die Verminderung des jüdischen Leids und die vergessene Diskriminierung der polnischen Roma. Ziolkowski schlug in diesem Zusammenhang zwei Kategorien "vererbbarer Schuld" vor: die politische und die ethnische Schuld. Die vererbten Konflikte aus der Zeit des Kommunismus betreffen Themen wie die Bevorzugung von Funktionärskindern. Sie verlieren ihre Sprengkraft mit der Generation der Enkelkinder. Die ethnischen Probleme rühren noch aus vorkommunistischer Zeit. Da sie stärker an immer noch existente Gruppenidentitäten gebunden sind, wirkt sich diese vererbte Schuld immer noch aus: Ethnische Schuld hat demnach ein höheres Verfallsdatum als politische Schuld.

Die Frage nach Schuld lenkt den Blick auf die "Opfer der Geschichtskultur", auf diejenigen, die von der offiziellen Erinnerungspolitik vergessen wurden. In Spanien und Polen nehmen sich zwei Bürgerinitiativen der Geschichte(n) dieser Menschen an: Die "Asociacion para la recuperacion de la memoria historica" (ARMH), der im Jahr 2000 gegründete Verein zur Wiedergewinnung des historischen Gedächtnisses von Emilio Silva Barrera, und das bereits seit 21 Jahren bestehende Zentrum KARTA unter der Leitung von Zbigniew Gluza. Wie Silva berichtete, hat sein relativ junger Verein maßgeblich dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit der spanischen Öffentlichkeit auf die vergessenen Toten des spanischen Bürgerkrieges 1936-39 zu lenken. Vor dem Hintergrund seines persönlichen Schicksals - Silvas Großvater wurde als Anhänger der spanischen Republik ermordet - hat Silva Ausgrabungen von anonymen Gräbern initiiert, in denen während und nach dem Bürgerkrieg nach Schätzungen von Historikern 30.000 Toten verscharrt wurden. Während das Interesse der Bevölkerung zu Beginn des Projektes relativ groß war ­ über 2500 Suchanfragen gingen seit 2000 bei Silva ein ­ hielten sich die überregionalen spanischen Medien zunächst zurück. Grund hierfür sei der während der Transition vereinbarte "Pakt des Schweigens". Erst nach dem sich die ausländische Presse damit beschäftigt hatte, interessierten sich auch überregionale spanische Medien verstärkt für die Arbeit der ARMH.

Während bei Silva die familiäre Geschichte der Auslöser für seine erinnerungspolitische Arbeit ist, ist es bei Gluza die persönliche Erfahrung: Er stammt, wie seine Mitgründer, aus der demokratischen Opposition. KARTA hat sich zur Aufgabe gemacht, "das Jahrhundert der Diktaturen zu dokumentieren." Die gleichnamige Zeitschrift nimmt sich Themen wie der sowjetischen Repression gegen polnische Staatsbürger an und veröffentlicht Zeitzeugendokumente in populärer Form. Dieser bewusst nicht-historiographische Zugang ermögliche eine Katharsis, die vor allem in der Anfangszeit des Zentrums, in den achtziger Jahren, von großer Bedeutung gewesen war. Inzwischen sind, nicht zuletzt wegen der Arbeit von KARTA, die stalinistischen Verbrechen zum Teil besser dokumentiert als die des Nationalsozialismus. In Bezug auf die kritischere Betrachtung der Politik des runden Tisches in Polen und der "paktierten Reform" in Spanien bemerkte Gluza, eine Auseinandersetzung mit konfliktträchtigen Themen der Vergangenheit sei nur möglich, wenn die demokratische Opposition auf Mitarbeit verzichte - ein Verdikt, das auch für Spanien gilt.

Mit "Diktatur als Gegenstand historischer ‚Meistererzählungen'" beschäftigte sich die zweite Sektion der Konferenz. Anknüpfend an die Konzeption von Hayden White und die von ihm angestoßene Thematisierung des narrativen Grundcharakters historischer Darstellungen wurden hier historische wie historisierende Darstellungen der Diktatur untersucht. David Rey vom Leipziger GWZO analysierte unter diesem Gesichtspunkt die erfolgreiche spanische Vorabendserie Cuentame des staatlichen Fernsehens TVE 1. Die Probleme der sechziger Jahre in Spanien, von Studentenunruhen über das Exil bis hin zum ökonomischen Aufschwung, werden hier anhand der Alltagsgeschichte einer Madrider Familie exemplarisch aufgezeigt. Mit einer prototypischen Mischung aus Nostalgie und Humor erfüllt Cuentame zwar das Bedürfnis der jüngeren Zuschauer nach "unterhaltender Geschichte" und das der älteren nach Erinnerung, bleibt aber, wie die spanischen Teilnehmer der Tagung anmerkten, gerade bei der Schilderung der familiären Machtstrukturen unkritisch in franquistischen Klischees verhaftet. Die Tendenz zur Verlagerung von politischen Konflikten in den privaten Bereich zeigt sich auch im postdiktatorialen Diskurs in Polen.

Die offiziell gewünschten Geschichtsbilder eines Staates spiegeln sich vornehmlich in Geschichtsbüchern wieder. Heike Mätzing von der Technischen Universität Braunschweig untersuchte die quantitative und qualitative Bedeutung, die in Schulbüchern der Mittel- und Oberstufe der Franco-Diktatur in den Jahren der Transition zugemessen wird. Sie kam zu dem Ergebnis, dass in den achtziger Jahren das 20. Jahrhundert insgesamt als historische Epoche zwar stärker gewichtet wird, die Franco-Diktatur jedoch keine quantitative oder qualitative Neubewertung erfährt. Die Diktatur wird - als Zeit von Kontinuität auf Kosten der demokratischen Freiheiten und, in der Spätphase, als Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs - fest in die nationale Großdeutung eingebettet. In einem noch stärkeren Maß hatte, so Krzysztof Ruchniewicz vom Breslauer Willy- Brandt-Zentrum, das polnische Geschichtsbuch seine Aufgabe als magistra vitae zu erfüllen. Fakten und Interpretation wurden nicht getrennt, die "weißen Flecken" der Historiographie finden sich im didaktischen Material ebenfalls wieder: Vertreibung und Antisemitismus bleiben ebenso tabuisiert wie die deutsch-polnischen oder sowjetisch-polnischen Beziehungen, aus nationalen Konflikten werden Klassenkonflikte. Erst in den letzten zwei Jahren der Volksrepublik "wurden die Fakten nicht verdreht", so Ruchniewicz. In Schulbüchern tauchten erstmals Informationen auf, die die Verantwortung der Deutschen für die Morde an polnischen Offizieren in sowjetischer Gefangenschaft 1939-1940 in Frage stellten.

Neben Schulbüchern und audiovisuellen Medien fungieren auch Printmedien als Vermittler historischer ‚Meistererzählungen'. In Spanien hatten sich nach Francos Tod die führenden Printmedien in einer Art selbstauferlegter Zensur auf einen "Pakt des Schweigens" geeinigt. Brisante Themen wie die Rolle der Opposition oder die Repression während der Franco-Zeit wurden ausgeklammert. Das Trauma Bürgerkrieg, dass sich nie mehr wiederholen dürfe, diente dazu als Legitimation. Das Ausblenden der Opfer des Franquismus und die Betonung der sozioökonomischen Entwicklung begünstigten, so Julia Macher aus Berlin, die Verbreitung des Bilds von "Franco als Modernisierer Spaniens". Kaja Kazmierska von der Universität Lodz ergänzte die Analyse historischer "Meistererzählungen" mit einer Auswertung narrativer Zeitzeugenerinnerungen des Zweiten Weltkriegs.

Auf Grenzen der Vergleichbarkeit von Polen und Spanien machte Jan Stanislaw Ciechanowski von der Universität Warschau aufmerksam. Beim Thema "Diktaturerinnerung und Öffentlichkeit" sollten die Unterschiede zwischen beiden Ländern noch einmal besonders deutlich werden. Während, wie Javier Rodrigo aus Madrid ausführte, die spanischen Konzentrationslager, in denen republikanische Soldaten oder Parteimitglieder gefangen gehalten und "umerzogen" wurden, dem gewollten Vergessen anheim fielen bzw. die Erinnerung an den Bürgerkrieg sich im privaten und akademischen Bereich abspielte und keine breite Öffentlichkeit erreichte, waren die Konzentrationslager in Polen Gegenstand permanenter Erinnerung. Zofia Woycicka vom Leipziger GWZO legte dar, dass die Ausstellungen im Konzentrationslager Auschwitz 1945-1956 vor allem zum Ziel hatten, den "Imperialismus/Faschismus zu demaskieren" und insofern eine legitimatorische Funktion für das kommunistische Regime hatten und - langfristig - zur Etablierung eines polnischen Heldenmythos beitrugen.

Organisierte Urlaubsreisen ins Ausland wie in Volkspolen von 1945 bis1989 existierten zwar in Spanien in den Anfangsjahren des Regimes auch, dort allerdings nur im Verband mit den "Kraft durch Freude"-Reisen. In Polen dagegen wurde das identitätsstiftende Volkspolenbild anhand von Reisen auch ins kapitalistische Ausland geschärft, so Pawel Sowinski vom Warschauer Akademieinstitut für Politische Studien. Urlaubsfahrten fungierten hier, anders als in Spanien, als Propagandamittel. Die unterschiedlichen Auswirkungen des Endes einer Diktatur werden gerade im Bereich der Alltagsgeschichte deutlich, einem Thema, dem sich Hanna Naimska aus Warschau am Beispiel der Provinz widmete. Während Polen eine Verstärkung des Einflusses der Religion erfuhr und vor allem die Landbevölkerung von den massiven sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen betroffen war, blieben in Spanien die wirtschaftlichen Bedingungen die gleichen. In Polen wurde um die Wiedergewinnung von Erinnerung gerungen, an der gedächtnisgeschichtlichen Landschaft in Spanien änderte sich unmittelbar nach Francos Tod nichts. Naimskas Kurzreferat blieb neben den Ausführungen von Mateusz Werner vom Warschauer Adam-Mickiewicz-Institut zur Verarbeitung von Diktaturerfahrungen in den Filmen von Carlos Saura und Andrzej Wajda einer der wenigen Beiträge mit streng komparatistischer Perspektive.

Die oft spagatartigen Bemühungen, neue Traditionen für eine Transitionsgesellschaft zu erfinden, stellte Carsten Humlebaek vom Europäischen Hochschulinstitut in Florenz am Beispiel der langwierigen Diskussionen über den Nationalfeiertag in Spanien dar. Erst 1982, kurz nach dem Regierungsantritt der Partido Socialista Obrero Español (PSOE), wurde der Tag der Verfassungsverkündung von 1978, der 6. Dezember, zum Feiertag erklärt ­ gegen den Widerstand einiger sozialistischer Abgeordneter. Auch in Polen führte die Feiertagsdiskussion zu absurden Situationen, wie Kula ausführte: In Warschau wurde der Platz der Verfassung in Platz der Verfassung(en) umbenannt, um nicht mehr der stalinistischen, sondern aller polnischen Verfassungen zu gedenken.

Dem spezifisch spanischen Problem der Regionen, den Spannungen zwischen Zentralstaat und Autonomieregionen, widmeten sich Amaia Lamikiz Lauregiondo vom Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, Xose-Manoel Nunez Seixas von der Universität Santiago de Compostela, Ludger Mees von der Universität des Baskenlandes in Bilbao und Antonio Saez-Arance von der Universität Köln. Während Lamikiz die Bedeutung der baskischen Kulturvereine für das Entstehen eines spezifisch baskischen Geschichtsbewusstseins mit Berufung auf die mittelalterlichen "fueros" hervorhob, konzentrierte sich Nunez auf die problematische Suche nach dem historischen Gedächtnis Spaniens im Zuge der Nationalismus- bzw. Patriotismusdebatte: Auf Seiten der Linken führte der Regierungswechsel zur konservativen Partido Popular (PP) 1996 zu einer Neudeutung der Bürgerkriegs- und Franquismus-Geschichte, während der spanische Neopatriotismus konservativen Vorzeichens die Modernisierung Spaniens nach (und zum Teil vor) 1975 auf die Erfolgsgeschichte der Transition zurückführt. Hand in Hand mit dieser Rekonstruktion des erneuerten spanischen historischen Gedächtnisses geht, so Saez, die Wiederentdeckung von Figuren des "goldenen spanischen Zeitalters" wie Königin Isabela, die Katholische oder Kaiser Karl V. Die Bewegung der "kleinen Heimat" in den Regionen spielte zwar auch im postkommunistischen Polen eine Rolle - auf Grund der weniger starken Verknüpfung von Sprache und Region allerdings eine sehr viel geringere. Der Regionalismus in Polen ist, so Teresa Kulak von der Universität Wroclaw, nicht nur mit Litauen und Polen, sondern auch mit Europa verknüpft.

Der zu Beginn der Tagung von Troebst und Kraft angesprochene beiden Vergleichsfällen gemeinsame Bezugsrahmen Europa, gleichsam das polnisch-spanische Tertium comparationis, fand sich in den Vorträgen und Diskussionsbeiträgen bedauerlicherweise kaum mehr wieder. Dabei könnte gerade die Frage, inwieweit die aktuelle europäische Debatte den Diskurs um Geschichtsbilder in Polen und Spanien bzw. in den jeweiligen Regionen der beiden Länder prägt, Anstöße für weiterführende Diskussionen geben. Vielleicht finden sich hier Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern, die den Blick von den jeweiligen nationalgeschichtlichen Referenzpunkten auf einen größeren, gesamteuropäischen Zusammenhang lenken.

Dass der Tagungsort, das Gut Kreisau der Familie von Moltke in Niederschlesien, nicht zufällig gewählt war, machte ein Vortrag von Wlodzimierz Borodziej von der Universität Warschau im nahe dem Gut gelegenen so genannten Berghaus deutlich: Hier hatten im Zweiten Weltkrieg drei Treffen des Kreisauer Kreises um Helmut James Graf von Moltke stattgefunden. Erst im Zuge der Wende von 1989, als die polnische Oppositionsbewegung erste Schritte in Richtung einer Aufarbeitung der eigenen diktatorischen Vergangenheit machte, wurde man sich des eigenen regionalhistorischen Erbes des deutschen Widerstandes gegen Hitler bewusst. Annemarie Franke, die Leiterin der Gedenkstätte Kreisau, unterstrich dies während einer Führung durch das weitläufige Gutsgelände mit einer Reihe von Beispielen für transnationale Erinnerungsarbeit.

Die ersten Forschungsergebnisse der Leipziger Projektgruppe "Dikaturbewältigung und nationale Selbstvergewisserung an der Semi-Peripherie Europas: Geschichtskulturen in Spanien und Polen im Vergleich" sind soeben als Themenschwerpunkt im Band 4 des "Jahrbuchs für Europäische Geschichte" (München 2003) veröffentlicht worden, und die Materialien des Kreisauer Workshops werden demnächst als Band 4 der Schriften des Breslauer Willy-Brandt-Zentrums erscheinen. Für den September 2004 ist ein Folgeworkshop im baskischen San Sebastian geplant, der dann auch die Vergleichsfälle Portugal, Litauen, Lettland und Griechenland miteinbeziehen soll.


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