Imperialkriege. 50. Internationale Tagung für Militärgeschichte

Imperialkriege. 50. Internationale Tagung für Militärgeschichte

Organisatoren
Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam; Deutsches Historisches Institut London; Arbeitskreis Militärgeschichte; Hamburger Institut für Sozialforschung
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.06.2009 - 01.07.2009
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Von
Erik Fischer, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Die Internationale Tagung für Militärgeschichte ist über viele Jahre hinweg zu einer festen Größe im Bereich der Militärgeschichte geworden und vom 29. Juni bis zum 1. Juli fand in Potsdam die 50. Auflage derselben statt. Organisiert wurde der Kongress vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam, dem Deutschen Historischen Institut London, dem Arbeitskreis Militärgeschichte und dem Hamburger Institut für Sozialforschung.

Als Thema wurde etwas verhandelt, das seit einiger Zeit wieder vermehrt das Interesse der historischen und politischen Forschung erregt hat: die Kriege an den Peripherien des westlichen Weltsystems. Im Zentrum der einführenden Keynote von DIERK WALTER (Hamburg) stand die thematische Klammer der Tagung: der von ihm in diese Diskussion eingeführte Begriff „Imperialkriege“. Dieser Begriff umfasst die Merkmale des transkulturellen Krieges, des entgrenzten bzw. totalen Krieges, des kleinen bzw. des Guerillakrieges und auch des asymmetrischen Krieges. Er bietet den Vorteil, dass er weder zeitlich, noch räumlich oder thematisch bzw. typologisch gebunden ist. Allerdings könnte eine solche Breite auch zu Schwierigkeiten und Indifferenzen führen, was auf der Tagung mehrmals diskutiert werden sollte. Einstweilen bestimmte Walter Imperialkriege als solche Kriege, die zur Eingliederung in bzw. zur Verhinderung der Ablösung von peripheren Weltsystemen aus dem westlichen Weltsystem geführt werden. Zumeist stehen in solchen Kriegen europäische, allgemein: westliche Mächte in einer asymmetrischen Überlegenheit indigenen Truppen des jeweiligen peripheren Systems gegenüber. Warum wird ein solches Phänomen gerade jetzt verhandelt? Zum einen jährten sich speziell in Deutschland die Kolonialkriege des Deutschen Reichs in Afrika und China. Zum anderen ist der Imperialkrieg ein entscheidendes Begleitphänomen der europäischen Expansion der letzten 500 Jahre und die weitaus häufigste Erscheinungsform des Krieges in den letzten Jahrhunderten. Nicht zuletzt die Kriege der neuesten Zeit bezeugten die Aktualität solcher Überlegungen. Auf der Tagung standen drei Fragen im Mittelpunkt: Wer kämpft in Imperialkriegen? Welchen Charakter haben solche Kriege? Und was lernen Institutionen aus solchen Kriegseinsätzen?

CORD EBERSPÄCHER (Berlin) sprach über Chinas imperiale Kriege. Die historische Forschung hat China und Imperialkriege vorwiegend unter dem Gesichtspunkt des westlichen Vordringens im 19. Jahrhundert betrachtet. Demgegenüber sprach Eberspächer von den eigenen chinesischen imperialen Expansionen während der Quing-Dynastie in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Sein Referat umriss nicht nur die Geschichte der innerchinesischen Expansion, sondern diskutierte gleichzeitig auch die Bedeutung der chinesischen Diskurse über Krieg und Imperium, die bis zur heutigen Zeit nachwirkten.

HORST PIETSCHMANN (Hamburg) referierte über spanische Kolonialkriege zwischen Kontinuität und Wandel. Aufgrund einer intensiven Diskussion über den Begriff des gerechten Krieges im Spanien des 16. Jahrhunderts wurden die imperialen Expansionen im amerikanischen Einflussgebiet von den dortigen Kolonialverwesern weitestgehend autonom geführt. Abseits der europäischen Politik entwickelten sich dort Konflikte niederer militärischer Intensität. Das spanische Imperium in Amerika entstand somit durch das selbständige Vordringen privater Krieger, die durch das Mutterland normiert, jedoch nicht finanziert wurden. Erst im 18. Jahrhundert wurde Amerika in die europäische Vertragspolitik mit einbezogen und in den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Stellvertreterkonflikte zwischen den europäischen Mächten.

MARTIN RINK (Potsdam) sprach im Anschluss über die Transformation des kleinen Krieges im französischen Empire des 19. Jahrhunderts. In seinem Referat legte er eine klar strukturierte Definition dessen vor, was der kleine Krieg im 19. Jahrhundert war und wie er sich zum Guerilla- und später zum Volkskrieg gewandelt hatte. Der Rahmen für diese Begriffsbestimmung war die Geschichte der französischen imperialen Expansion unter Napoleon, besonders mit dem Ausgreifen nach Spanien.

Den ersten Tagungstag beschloss KERSTIN JOBST (Hamburg), die über die Expansion des Russischen Reiches im 16. Jahrhundert sprach. Ähnlich wie im Falle Chinas war auch das Russische Reich in seinem eigenen imperialen Ausgreifen bisher eher selten Gegenstand der historischen Forschung. Jobst legte aber eindrücklich dar, dass es dieses vermochte, im 16. Jahrhundert ein gewaltiges Imperium zu erschaffen. Im Zuge einer Zivilisierungsmission war es dabei gezwungen, gegen Widerstände und Aufstände an der Peripherie des entstandenen Imperiums asymmetrische Konflikte zu führen.

Den zweiten Tagungstag eröffnete MARIAN FÜSSEL (Göttingen). Er nahm die asymmetrische Dynamisierung in den Kolonien während des Siebenjährigen Krieges zum Anlass um über die Rekrutierung der indigenen Bevölkerung zu sprechen. Solche indigenen Kolonialtruppen boten aus der Perspektive der Kolonialmächte viele Vorteile, die weit über Orts- und Landeskenntnis hinausgingen und sich vor allem auf die Fähigkeit bezogen, dem Gegner im Land auf gleiche Art und Weise zu begegnen. Trotz ihrer Vorteile und Erfolge gab es zwischen diese Soldaten, zum Beispiel den indischen Sepoys, und den westlichen Truppen stets eine Distanz. Diese versuchten die Kolonialtruppen in einem Prozess der Anpassung zu symmetrisieren.

STEPHAN MANINGER (Schwerin) blickte im Folgenden auf die Versuche von europäischen Mächten bzw. Soldaten, sich in die Kampfweise der Indigenen hinein zu versetzen. Wie kaum eine andere Truppe standen die amerikanischen Ranger für ein solches Konzept. Für den Kontakt der westlichen Mächte mit der asymmetrischen Kleinkriegsführung scheint prägend, dass man diese Art des Krieges für unmoralisch, unehrenhaft und allgemein für nicht akzeptabel hielt. Spezialeinheiten wurden immer kritisch gesehen und die Ranger bis zu ihrer Institutionalisierung 1974 immer wieder nach Kriegseinsätzen aufgelöst.

CHEN TZOREF-ASHKENAZI (Berlin) sprach über die deutschen Hilfstruppen in kolonialen Kriegen zwischen 1776 und 1808. Deutsche kämpften in dieser Zeit im Unabhängigkeitskrieg in den USA und in verschiedenen Kriegen in Indien. Der Einsatz von Hilfstruppen war ein neues Phänomenen und dem Umstand geschuldet, dass die Kolonialmächte aufgrund der weit ausgreifenden Expansion an der Peripherie auf zusätzliche soldatische Kräfte angewiesen waren. Tzoref-Ashekanzi erläuterte in diesem Kontext die Probleme der Deutschen, ihren eigenen Kolonialdiskurs mit dem Dienst für fremde Mächte eben in diesen Kolonialkriegen in Einklang zu bringen und entwarf eine Mentalitätsgeschichte der deutschen Hilfstruppen.

Über die kulturelle Heterogenität der französischen Fremdenlegion sprach CHRISTIAN KOLLER (Bangor). Da die Fremdenlegion Soldaten aus unterschiedlichsten Ländern mit unterschiedlichem kulturellem, sozialem, religiösem und politischem Hintergrund vereinigte, stand sie stets vor der Herausforderung einer ganz eigenen Identitätspolitik. Wenn man sie als einen transkulturellen Erfahrungsraum begreift, wird deutlich, dass die Fremdenlegion durch eine Homogenisierung zusammenwuchs. Sie fand einen neuen identitären Fokus, der auf der Traditionspflege und dem Einschwören auf das gemeinsame Vaterland ohne nähere Kennzeichnung beruhte. Die Legionäre transformierten innerhalb der Legion ihre nationale und soziale Herkunft in eine gemeinsame, verbindende Erfahrung.

ECKARD MICHELS (London) referierte über das ostasiatische Expeditionskorps des Deutschen Reichs in China während des Boxeraufstandes 1900/1901. Die Entsendung von etwa 20.000 Soldaten stellte den ersten überseeischen Militäreinsatz in der deutschen Militärgeschichte dar. Das deutsche Expeditionsheer wollte sich dabei profilieren, war aber auf das Führen eines asymmetrischen Krieges in einer solchen Region kaum eingestellt. Mängel in Technik und Ausrüstung erschwerten den Einsatz, der sich zunehmend gewaltsam radikalisierte. Es kam zu Exzessen gegenüber der Zivilbevölkerung, die erst spät unterbunden und in ihrer spezifischen Dynamik nicht erkannt wurden. Die Führung selbst lernte aus dem Einsatz wenig, hauptsächlich auf taktischer und logistischer Ebene, jedoch kaum etwas über die Gefahren einer radikalen Dynamisierung asymmetrischer Kriege.

HEIKO HEROLD (Köln) sprach über die Herausforderungen der Kaiserlichen Marine durch Bismarcks Kolonialpolitik seit den 1880er-Jahren. Um den stetig wachsenden Anforderungen in Übersee gerecht zu werden, entschloss sich die Admiralität 1886 ein fliegendes Kreuzergeschwader einzurichten, welches für Einsätze in den Kolonien ständig verfügbar sein sollte. Das Reich war damit zum ersten Mal mit einem schlagkräftigen Instrument in der Lage seine Interessen in Übersee zu wahren und durchzusetzen. Aus diesem Grund wurde das Geschwader bis 1893 auch in zahlreichen Fällen als „Kolonialpolizei“ eingesetzt.

Zwei Vorträge analysierten aus unterschiedlichen Perspektiven die Kriege in Afrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Während sich MATTHIAS HÄUSLER (Siegen) der indigenen Seite zuwandte und die Logik der Kriegsführung der Herero in vor- und frühkolonialer Zeit beschrieb, referierte TANJA BÜHRER (Bern) über die deutsche Kolonialkriegsführung in Ostafrika. Im Afrika des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatten sich bereits vor der europäischen Expansion Modernisierungsprozesse in Gang gesetzt, die auch eine Veränderung in der Kriegsführung mit sich brachten. Trotzdem wurde die Expansion der westlichen Mächte als großer Umbruch wahrgenommen. Auch wenn einzelne Erfolge gegen die Kolonialtruppen Erfolg hatten, zeigte sich doch, dass die neue Qualität des Kolonialkriegs in den meisten Fällen den militärischen Erfahrungshorizont der Indigenen bei weitem überstieg und deren Widerstand schlussendlich scheiterte. Allerdings war ein Sieg im kolonialen Krieg zumeist nur durch die radikale Einbeziehung der gesamten indigenen Bevölkerung in die Kriegsanstrengungen zu erreichen. Imperialkriege tendierten aus diesem Grund stets zu extremer Gewaltsamkeit.

An der Podiumsdiskussion „Imperialkriege – gestern und heute“ nahmen der Bundestagsabgeordnete und Sicherheitsexperte WINFRIED NACHTWEI (Berlin), General a.D. KLAUS REINHARDT (Starnberg) und die Historiker STIG FÖRSTER (Bern) und RAINER POMMERIN (Dresden) teil. Die kontroverse Diskussion fokussierte auf die Auswirkungen imperialer Kriege in der heutigen Zeit. Mehrmals fühlten sich die Historiker auf dem Podium herausgefordert, die historische Perspektive des Sachverhaltes „Imperialkriege“ stärker zu machen. Die äußerst anregende und lebendige Diskussion zeigte aber eines klar: Das Thema ist Teil einer wichtigen aktuellen Debatte und wird weiterhin für kontroverse Diskussionen sorgen.

Der letzte Tagungstag wurde von MICHAEL BROERS (Oxford) eröffnet, der über die napoleonische Gendarmerie und ihren Einsatz in den Kolonien im Rahmen der Aufstandsbekämpfung sprach. Die napoleonische Gendarmerie war der Prototyp für jede Form von paramilitärischer Polizeitruppe der Moderne. Aufgestellt in den durch Napoleon annektierten Gebieten, war sie der militärische Arm einer Kolonisierung und als imperiales Werkzeug der napoleonischen Expansion ständig präsent.

GERHARD WIECHMANN (Oldenburg) präsentierte einen viel zu selten berücksichtigten Fall: Im Sertao wendete sich die Kriegsanstrengungen einer regulären peripheren Armee, gegen einen Feind, der sich seinerseits an der Peripherie der Peripherie befand. Die brasilianische Armee, die im Krieg gegen die Aufständischen fast zusammengebrochen wäre, kämpfte im Sertao nach europäischem Vorbild, aber ohne europäische Beteiligung, einen Imperialkrieg gegen eine asymmetrisch agierende Guerilla.

HEIKO BRENDEL (Bingen am Rhein) sprach über die österreichisch-ungarische Besatzung von Montenegro. Er stellte die Frage, ob man den Krieg der Habsburgermacht gegen Montenegro als Imperialkrieg bezeichnen könne. Anhand der Kriterien von Ungleichheit der Gegner, Ausweitung der Kriegsführung auf die gesamte Bevölkerung, Radikalisierung und Brutalisierung des Krieges und anderen beantworte er sie positiv. In Montenegro bildete sich bald nach der Besatzung eine Guerilla heraus, welche die habsburgische Imperialmacht immer wieder herausforderte und in einen asymmetrischen Konflikt zwang.

BERND LEMKE (Potsdam) fragte danach, ob man die Kolonialgeschichte als Vorbild für das moderne nation-building verstehen könne? Die Situation im Irak und Afghanistan heute kontrastierte Lemke dabei mit dem Beispiel der Pazifizierung der indigenen Stämme in Kurdistan und in der North-West Frontier Province durch das britische Empire zwischen 1918 und 1947. Die Briten agierten damals in der Region nicht nur militärisch, sondern betätigten sich auch auf dem zivilen Sektor, indem sie durch Aufbauarbeit versuchten, Aufstände zu unterbinden.

ANDREAS STUCKI (Bern) beleuchtete die Methode der Bevölkerungskontrolle als Mittel der Aufstandsbekämpfung am Beispiel der spanischen Antiguerilla-Kriegsführung auf Kuba. Dabei wurden Lager errichtet, in denen die Bewohner konzentriert und von den Aufständischen separiert wurden, aber zu Hunderten an miserablen Lebensbedingungen starben. Es scheint so, dass die Bekämpfung einer Guerilla immer wieder auf Kosten der einfachen Bevölkerung erfolgt – die Lager, wie später die „strategischen Wehrdörfer“ in Vietnam oder die „Camps de Regroupement“, stehen prominent dafür.

Über letztere sprach MORITZ FEICHTINGER (Berlin). Er beleuchtete die „Camps de Regroupement“ im Kontext der französischen Umsiedlungspolitik während des Algerienkrieges 1954 bis 1962. Die dabei entstandenen Dörfer wurden zu Modellorten einer französischen Modernisierung Algeriens. Dies führte zu solch paradoxen Situationen, dass viele der zahlreich Umgesiedelten die Dörfer nicht mehr verlassen wollten und das Konzept schließlich von den Sozialisten adaptiert wurde. Durch den öffentlichen Druck aufgrund der katastrophalen Zustände in den Lagern veränderte sich der anfangs rein militärische Charakter der Umsiedlung hin zu einem Entwicklungsprogramm für die gesamte Region.

Den Wissensaustausch über die „antisubversiven“ Kriege zwischen den großen imperialen Nationen nahm FABIAN KLOSE (München) in den Blick. Er zeigte zahlreiche Verflechtungen in Fragen der Militärdoktrin und allgemein militärischen Vorgehensweise in imperialen Antiguerillakriegen zwischen Großbritannien und Frankreich, später auch zwischen Großbritannien und den USA auf. In der Phase der Dekolonisierungskriege bestand ein reger Gedankentransfer zwischen den militärischen Denkern und Eliten, die sich mit den Problemen von Guerilla bzw. revolutionären Kriegen im Sinne Maos in der Dritten Welt konfrontiert sahen. Besonders zwischen Großbritannien und Frankreich war der Austausch sehr fruchtbar, während die Vereinigten Staaten die Gedanken lediglich rezipiert, aber nicht umgesetzt zu haben schienen.

HARALD POTEMPA (Potsdam) bestimmte die Beherrschung des konkreten Raumes als ein zentrales Problem in den Imperialkriegen. Untermauern konnte er dies mit Auszügen aus dem Militär-Wochenblatt, in welchem über den kleinen Krieg ausführlich reflektiert wurde. Es zeige sich dabei, dass die Fähigkeit oder eben auch Unfähigkeit zur Beherrschung des Raumes in all seinen Dimensionen meist über den Erfolg in Imperialkriegen entscheide.

Diese Beherrschung des Raumes war den Vereinigten Staaten in Vietnam zu keiner Zeit gelungen. ERIK FISCHER (Bochum) zeichnete in seinem Referat nach, dass es das amerikanische Militär aufgrund seines vorherrschenden Kriegsbildes, welches sich auf den konventionellen Großkrieg verengte, verpasste, Methoden der Aufstandsbekämpfung bzw. der counterinsurgency in Vietnam gegen die Guerilla anzuwenden. Nach dem Ende des Krieges kam es zu keinen wesentlichen Lerneffekten. Die Erfahrung „Vietnam“ wurde weit von sich geschoben und man konzentrierte sich auf die Verteidigung Europas. Die damit verpasste Aufarbeitung der Fehler in der Aufstandsbekämpfung trug letztlich mit dazu bei, dass die USA in Somalia, Afghanistan und dem Irak die Methoden der counterinsurgency nicht anwenden konnten bzw. erst wieder erlernen mussten.

Zum Abschluss der Tagung sprach PETER LIEB (Sandhurst) über die französische Theorie zur Aufstandsbekämpfung in Algerien. Sie ist bis heute eine der umfangreichsten militärischen Doktrinen zur Aufstandsbekämpfung geblieben. Aufbauend auf den Erfahrungen aus dem Indochinakrieg entwickelten Militärs vor Ort Methoden, um gegen die Befreiungsbewegung in Algerien bestehen zu können. Vor allem die psychologische Kriegsführung wie auch der Versuch, durch gezielte Aktionen die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen, waren zentral. Kampf und Entwicklungshilfe standen gleichberechtigt nebeneinander. Trotz des Scheiterns wirken viele der Theoretiker bis in die heutige Zeit nach.

Die Tagung gab Einblick in ein breites Forschungsgebiet. Der Begriff „Imperialkriege“ scheint eine gute Klammer zu sein, um periphere Kriege zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Regionen vergleichend zu betrachten. Einige immer wiederkehrende Muster ließen sich dabei herausarbeiten:

1) Westliche Staaten betrachteten Kriege an den Peripherien oftmals als Ausnahme und tun dies immer noch. Jedoch sind solche Kriege die bei weitem wichtigste Erscheinungsform des Krieges in der Neuzeit.

2) Westliche Staaten behalten im Krieg mit peripheren Ländern zumeist ihre alten Muster der Kriegsführung bei. Viele Staaten scheitern, denn die ungleiche Begegnung wirkte sich in bestimmten Konstellationen negativ für die westlichen Armeen aus, die es nicht gewohnt waren, gegen einen Gegner zu kämpfen, der sich ihrer Kampfweise verwehrte.

3) Viele Staaten brachten ihre Abscheu für die Art der Guerillakriegsführung zum Ausdruck, die sie für feige und unwürdig hielten. Spezialeinheiten der westlichen Staaten, die die Kriegsführung der Indigenen kopierten und gegen sie selbst wandten, hatten immer einen schweren Stand innerhalb des militärischen Gefüges der regulären Armeen.

4) Zuletzt gaben die Referate breite Auskunft darüber, dass periphere und asymmetrische Kriege fast immer die Zivilbevölkerung mit einbezogen, die unter dieser Art der Kriegsführung am meisten zu leiden hatte. Es scheint fast so, dass der militärische Imperativ des Imperialkrieges per se keinen Raum für humanitäre Überlegungen lässt.

Das Thema selbst, sowohl in inhaltlicher aber auch theoretischer Hinsicht, ist längst noch nicht erschöpfend bearbeitet. Auch der Begriff Imperialkriege bietet noch reichlich Raum für Diskussion, die sicherlich mit der Veröffentlichung des Tagungsbandes weiter geführt werden.

Konferenzübersicht:

Keynote: Imperialkriege (Dierk Walter, Hamburg)

Überblicke
Moderation: Benedikt Stuchtey, London

Chinas imperiale Kriege. Die militärische Expansion Chinas während der Qing-Dynastie 1644-1911 (Cord Eberspächer, Berlin)

Spanische Kolonialkriege zwischen Kontinuität und Wandel: Träger, Formen und Rechtfertigungen (Horst Pietschmann, Hamburg)

Kleiner Krieg – Guerilla – Imperialkrieg. Die Kriege des französischen „Imperiums“ im 19. Jahrhundert (Martin Rink, Potsdam)

Die russische Imperialexpansion in Asien (Kerstin Jobst, Hamburg)

Träger der Kriegführung I
Moderation: Dierk Walter, Hamburg

Händler, Söldner und Sepoys. Transkulturelle Kampfverbände auf den südasiatischen Schauplätzen des Siebenjährigen Krieges (Marian Füssel, Göttingen)

Rangers: Die Erfolgsgeschichte eines Konzepts in der Aufstandsbekämpfung - von 1676 bis zur Gegenwart (Stephan Maninger, Schwerin)

German Auxiliary Troops in Colonial Wars 1776-1808 (Chen Tzoref-Ashkenazi, Berlin)

Träger der Kriegführung II
Moderation: Dierk Walter, Hamburg

Die französische Fremdenlegion als transkultureller Erfahrungsraum (Christian Koller, Bangor)

Lernen für den Kolonialkrieg: Das „Ostasiatische Expeditionskorps“ des Deutschen Reiches in China 1900/1 (Eckard Michels, London)

Intervention und Kolonialpolitik: Die Rolle des fliegenden Kreuzergeschwaders als Instrument der deutschen Außenpolitik in Übersee, 1886-1893 (Heiko Herold, Köln)

Charakter der Kriegführung I
(Moderation: Rolf Dieter Müller, Potsdam)

Zur Logik der Kriegführung der Herero in vor- und frühkolonialer Zeit (Matthias Häußler, Siegen)

Deutsche Kolonialkriegführung in Ostafrika (Tanja Bührer, Bern)

Öffentliche Podiumsveranstaltung „Imperialkriege – gestern und heute?“
Moderation: Constanze Stelzenmüller (The German Marshall Fund of the United States, Berlin)

Charakter der Kriegführung II
Moderation: Michael Epkenhans, Potsdam

The Napoleonic Gendarmerie: An early exercise in colonial policing and counterinsurgency (Michael Broers, Oxford)

Der Krieg im Sertão 1896/97. Die „Brasilianische Vendée“ als asymmetrischer oder imperialer Konflikt? (Gerhard Wiechmann, Oldenburg)

Die österreichisch-ungarische Besatzung Montenegros im Ersten Weltkrieg als habsburgischer Imperialkrieg (Heiko Brendel, Bingen am Rhein)

Die Versuche des britischen Empire zur Pazifizierung der indigenen Stämme in Kurdistan und in der North-West Frontier Province 1918-1947 (Bernd Lemke, Potsdam)

Einbettung der Kriegführung
Moderation: Sönke Neitzel, Mainz

Bevölkerungskontrolle als Mittel der Counterinsurgency: Spanische Antiguerilla-Kriegführung auf Kuba, 1868-78, 1895-98 (Andreas Stucki, Bern)

Die Camps de Regroupement und die französische Umsiedlungspolitik im Algerienkrieg 1954-1962. Motive, Formen, Folgen (Moritz Feichtinger, Berlin)

„Antisubversiver Krieg“ – Bedeutung und Transfer von Militärdoktrin im Zeichen der Dekolonisierungskriege (Fabian Klose, München)

Theoretiker, Erfahrungen und Institutionen
(Moderation: Tanja Bührer, Bern)

Der Raum und seine tatsächliche Beherrschung als zentrales Problem von Imperialkriegen. Die Perzeption des Kleinen Krieges durch deutsche Streitkräfte im Zeitraum 1884 bis 1914 im Spiegel des Militär-Wochenblattes (Harald Potempa, Potsdam)

Von Suppen, Messern und dem Löffel. Die US-Streitkräfte als „lernende Institution“ und das Problem der Counterinsurgency (Erik Fischer, Bochum)

Guerre Révolutionnaire. Die französische Theorie zur Aufstandsbekämpfung in Algerien 1954 bis 1962 (Peter Lieb, Sandhurst)

Anmerkung:
[1] Vgl. <http://www.dierkwalter.de/imperialkrieg.htm> (05.07.2009). Ebenso: Dierk Walter, Asymmetrien in Imperialkriegen. Ein Beitrag zum Verständnis der Herkunft des Krieges, in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 17,1 (2008), S. 14-52.