Roberto Michels e l’Italia. Aspetti di una identità transnazionale

Roberto Michels e l’Italia. Aspetti di una identità transnazionale

Organisatoren
Patrick Bernhard, Lutz Klinkhammer,Deutsches Historisches Institut Rom (DHI); Fondazione Lelio und Lisli Basso
Ort
Rom
Land
Italy
Vom - Bis
22.06.2009 -
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Von
Patrick Bredebach

Robert Michels ist einer der ambivalentesten Soziologen des 20. Jahrhunderts. Das liegt nicht zuletzt an seiner Affinität zum italienischen Faschismus, für den der in Italien lebende und lehrende Michels durchaus auch propagandistisch wirksam war. Grund genug für das Deutsche Historische Institut Rom, Michels einen eigenen Studientag zu widmen. Die Veranstaltung war der dritte Teil einer Vortragsserie des DHI zur Rezeption deutscher Soziologen in Italien; die beiden ersten Tagungen behandelten Max Weber und Werner Sombart. Der Studientag zu Michels fand am 22. Juni 2009 in den Räumen der mitveranstaltenden Fondazione Lelio und Lisli Basso in Rom statt. Maßgeblich verantwortlich für die Veranstaltung zeigten sich PATRICK BERNHARD und LUTZ KLINKHAMMER (DHI Rom).

Nach den einführenden Worten von MICHAEL MATHEUS (DHI Rom) stellte TIMM GENETT (Berlin) die theoretische Genese des Begriffes der nationalen Identität im Werk Michels dar. Danach werde die Nation über die soziale Interaktion geschaffen. Die Individuen schlössen einen Vertrag untereinander, womit die Wahl der Nationszugehörigkeit zu einem willentlichen Entschluss werden könne, den jeder selbst treffe. Diese freie Entscheidung verband dann Genett mit dem persönlichen Leben von Michels und dessen späterer Wahl Italiens als neuer Heimat. Dabei falle die Kontinuität auf, mit der Michels für Italien eingetreten sei, so schon für die italienische Bewegung im Trentino vor dem Ersten Weltkrieg. Michels habe jedoch immer um Anerkennung in Italien kämpfen müssen. Seine italienische Wahlidentität habe er stets als in Konkurrenz stehend zu der der einheimischen italienischen Bevölkerung empfunden. Es falle auf, so Genett, dass Michels keinen Beitrag für politische Regelungsmechanismen in ethnisch gemischten Gebieten wie der Habsburgermonarchie geleistet habe.

„Italiano per elezione o per (s)ventura?“, lautete die Leitfrage von FEDERICO TROCINI (Trient), der die Entwicklung des Patriotismusbegriffs bei Michels aus der Perspektive der beiden späten Werke „Italien von heute“ und „Prolegomena sul patriottismo“ von 1930 bzw. 1933 im Vergleich zu Werken der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erläuterte. Das erste als historisch und das zweite als theoretisch angelegte Werk seien geeignet, die These von der Konstanz bestimmter Argumentationsmuster bei Michels nachzuweisen und letztere mit dessen biographischer Entwicklung zu koppeln. So habe sich Michels schon 1905 mit dem Begriff des Patriotismus, hier verstanden als Kulturpatriotismus, beschäftigt und versucht, diesen mit dem Internationalismus zu verbinden. Dabei habe er festgestellt, dass sich beide nicht grundsätzlich, sondern nur graduell unterschieden und der Patriotismus ein „Surrogat“ des Internationalismus sei. Trocini beschrieb anschließend Michels Interesse und Eintreten für Italien, für die italienischen Minderheiten im Trentino und um Triest sowie seinen langen Kampf um die italienische Staatsbürgerschaft und seine italienische Identität. Michels sei sich lange Zeit hierüber unsicher gewesen. Vor allem der seit 1911 tobende Kolonialkrieg gegen Libyen habe ihn an der Richtigkeit seiner Entscheidung zugunsten der italienischen Staatsbürgerschaft zweifeln lassen. Doch schließlich habe der Erste Weltkrieg mit seinem Aufenthalt in Basel wie eine „Sattelzeit“ gewirkt: Für Michels bestand nun die Lösung der europäischen Konflikte in der Durchsetzung des nationalen Prinzips.

Eine systematische Analyse der pro-faschistischen Tätigkeit Michels in Deutschland nahm im Anschluss WOLFGANG SCHIEDER (Köln) unter dem Titel „Robert Michels propagandista del fascismo italiano“ vor. Schieder verortet Michels dabei in ein faschismusinteressiertes Meinungsklima der Weimarer Republik, das von unterschiedlichen Publizisten geschaffen worden sei. Er unterteilte die publizistische Beschäftigung mit dem Faschismus in Weimar in vier Kategorien: erstens eine kritische Auseinandersetzung mit dem Faschismus, der aber gleichzeitig unterschätzt worden sei, zweitens den Ansatz zu einer objektiven Beschreibung, die vor allem die bedeutenden unabhängigen Zeitungen versucht hätten. Als eine dritte Gruppe nannte Schieder die vom Faschismus faszinierten Enthusiasten, die jedoch nicht davon überzeugt gewesen seien, dass die neue Staats- und Gesellschaftsordnung auf andere Staaten übertragbar sei. Als vierte Gruppe machte er die Propagandisten aus, die den Faschismus als Modell für Deutschland gesehen und diesen auch propagiert hätten. Schieder stellte fest, dass Michels nur ein Enthusiast gewesen sei, aber kein Propagandist. Der Referent machte dies an unterschiedlichen Argumenten fest: Die späte Berufung Michels auf den Lehrstuhl nach Perugia 1928, die relativ wenigen Audienzen bei Mussolini, die Tatsache, dass er überhaupt der Audienzen bedurfte, um den „Duce“ zu sprechen, woraus sich schließen lasse, dass Michels kein Berater desselben gewesen sei. Ebenso seien verschiedene seiner Vorworte, insbesondere 1924 nach der Ermordung des Sozialistenführers Giacomo Matteotti durch Faschisten, relativ kritisch gewesen. Michels sei ein politischer Opportunist gewesen, der – neben dem Lob vor allem für die faschistische Wirtschaftspolitik – von Mussolini als politischem Führer begeistert gewesen sei.

FRANCESCO TUCCARI (Turin) beleuchtete ausgehend von der Rezeption des Soziologen nach dem Zweiten Weltkrieg „Michels als Theoretiker des Faschismus und des Mussolinismus“. Tuccari betonte, dass Michels als Idealist ein Faschist geworden sei. Dabei habe Michels immer wieder im Rückbezug auf seine frühen Werke und theoretischen Überlegungen gehandelt. Daran anknüpfend stellte Tuccari die These auf, wonach es vor allem zwei große Kontinuitätslinien zum bedeutendsten Werk von Michels, der „Parteiensoziologie“ von 1911, gebe. Hier habe Michels die SPD auf oligarchische Strukturen untersucht, wobei er sich an die Theorie der Elitenbildung nach Pareto und Mosca angelehnt habe. Elitenbildung sei demnach einerseits organisationsimmanent, andererseits gebe es bei einfachen Mitgliedern der Partei ein Bedürfnis nach einer Führungspersönlichkeit. Genau dies habe Michels bei der SPD nachgewiesen. Zweitens sei diese undemokratische Struktur von Michels erkannt, aber als „für nicht aussprechbar“ gehalten worden. Michels habe sich also schon 1911 ein Weltbild angeeignet, wonach leadership notwendig sei. Dies habe er 1927 bei seiner Ablehnung der Demokratie sowie in seiner Kritik an Mehrheitsbeschlüssen und dem Pluralismus angewandt. Hieraus sei von ihm die Theorie der Führerschaft entwickelt worden, der Mussolini dann entsprochen habe. In solchen Systemen würden Wahlen durch die öffentliche Meinung ersetzt, die der Führer als guter Interpret richtig zu deuten wisse. Das vermeintlich authentische Aufeinandertreffen von Volk und Führer habe Michels somit der liberalen Demokratie entgegengesetzt.

FRANK R. PFETSCH (Heidelberg) stellte seinen Vortrag unter die Fragestellung, wie sich Leben und Werk bei Michels, einem typischen Intellektuellen seiner Zeit, gegenseitig beeinflusst hätten. Dabei fand vor allem Michels Renegatentum beim Referenten großes Interesse. Michels’ Œuvre liefere noch heute jenseits der Parteiensoziologie interessante Ansatzpunkte. Bemerkenswert sei, dass Michels nicht das politische System untersucht, sondern sich der Partei als politischer Bewegung genähert, zugleich aber innerparteiliche Strömungen nicht erkannt habe. Gerade dieser Blick auf die Partei sei daher auch aufgrund seines eigenen Scheiterns in der SPD persönlich motiviert gewesen. Pfetsch stellte die Aspekte des Wandels in den Vordergrund der Biographie, wobei er vier Phasen ausmachte: Eine großbürgerliche Kölner Phase, eine radikaldemokratische sozialistische Phase, die Phase der positiven Adaption der Elitentheorie und schließlich die letzte Phase, in der Michels unverhohlen Sympathien für den „Duce“ bekundete. Die wissenschaftliche Thematisierung lasse sich ebenfalls in vier Phasen einteilen und korrespondiere mit biographischen Wechseln: Erst habe das radikaldemokratische Grundpostulat bei Michels geherrscht, dann widmete er sich der Organisationssoziologie und der Frage der Oligarchiebildung, dem die Frage nach dem voluntaristisch-individuellen Handeln als Voraussetzung für politischen Fortschritt folgte, wobei der einzelne Führer der Masse gegenübergestellt worden sei. Schließlich konstatierte Pfetsch eine faschistische Phase, in der sich Michels vor allem mit dem Cäsarismus nach der Demokratie auseinandergesetzt habe und somit nach einem Ausgleich zwischen dem Individuum und dem Kollektiv gesucht habe. Michels habe sein Handeln stets als Kontinuität aufgefasst, er sei von Bewegungen fasziniert gewesen, habe sich aber als Individuum in keiner Partei unterordnen können und sei so enttäuscht worden.

NICOLA TRANFAGLIA (Rom) ebnete dann mit seinem Kommentar zu den vorher gehörten Referaten den Weg für die Diskussion. Seiner Meinung nach sei es auch weiterhin schwierig, Michels richtig einzuschätzen. So spräche für seine Zuordnung als Realist dessen Beschäftigung mit der Analyse einer Partei, der SPD, während in seinen persönlichen Entscheidungen vor allem idealistische Züge zutage treten würden. Diese idealistischen Züge seien auch in der theoretischen Fundierung des Mussolinismus durch Michels zu erkennen, wobei bemerkenswert sei, dass Michels nicht eine Zeile zum „Partito unico“, das heißt der Faschistischen Partei geschrieben habe. Auch weiterhin bliebe die Frage nach Michels Einstellung zur Demokratie, zur Frage der Nationalität und nach seinem Agieren als Faschist von höchstem Interesse.

In der folgenden Diskussion stellte Schieder fest, dass Michels eine hohe destruktive Intelligenz an den Tag gelegt habe, ohne jedoch die Idee des Führerstaates konsistent entwickelt zu haben. Genett erklärte dies damit, dass Michels in den zwanziger Jahren in den Theorien der Vorkriegszeit verharrt sei, die die Natur der PNF nicht zu erklären vermochten; Michels musste zwangsläufig an der Oberfläche bleiben. Genett stellte fest, dass darüber hinaus Michels Rousseau erst 1908, also nach seiner persönlichen republikanischen Zeit, in seinen Werken zitiert habe, wobei dies dem Trend der Zeit entsprochen habe. Pfetsch betonte dann die Position von Michels zwischen Rousseau und Empirie und stellte fest, dass Michels die Freiheit als Preis für den Führerstaat verstanden habe. Er sah in Michels einen „Aufklärer“, denn Kritik sei für seinen Ansatz entscheidend gewesen. Tuccari hob hervor, dass Michels erst nach der Begegnung mit Mosca und Pareto Rousseau zitiert habe, womit Michels die Theorie der Führerschaft durch den Verweis auf die volonté générale stärker legitimieren wollte. Folglich verortet Tuccari hier den Beginn einer Radikalisierung des theoretischen Gebäudes Michels. Durch die unterschiedliche politische Gesinnung von Weber und Michels – der eine liberal, der andere radikal sozialistisch – lasse sich dann trotz ähnlicher Sprache die voneinander abweichende politische Entwicklung nach dem Weltkrieg erklären. Tuccari betonte die Ablehnung des Preußentums bei der Wahl Michels zugunsten von Italien und Frankreich. An der Frage Tranfaglia, weshalb Michels so unkritisch gegenüber dem Faschismus gewesen sei, entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. Durch die Ablehnung der Demokratie sei Michels das Vergleichsobjekt abhanden gekommen, wie Trocini formulierte. Das sei der Grund für die mangelnde Beschäftigung des Soziologen mit dem Faschismus gewesen. Nach Ansicht von Schieder habe Michels nie eine geeignete Definition von Regierung aufgestellt. Genett betonte Michels’ Rolle als Sprecher des faschistischen Regimes im Ausland, wobei Michels sich vor allem von ökonomischen Erfolgen des Faschismus begeistert gezeigt habe. Demokratie und Republikanismus hätten nun für Michels keine Rolle mehr gespielt. Klinkhammer unterstrich, dass es nach Genett der sich bei Michels verändernde theoretische Identitätsbegriff war, der auch den Soziologen selbst verändert habe, wohingegen Tuccari diese Änderung in der Abwendung vom Sozialismus gesehen habe. Pfetsch und Tuccari betonten abschließend Faktoren seiner Herkunft, insbesondere die persönlichen ökonomischen Verhältnisse als einen wichtigen Beweggrund für Michels Werdegang: Er habe sich in Köln gegen Preußen gewandt und sei deswegen erst philo-französisch, dann philo-italienisch geworden. Nur am Rande sei angemerkt, dass die sprachliche Expertise der Referenten eine zweisprachige Debatte auch ohne Rückgriff auf eine Simultanübersetzung oder Englisch als Mittlersprache erlaubt hat.

Robert Michels Leben und Werk wurde auf der Konferenz von ausgewiesenen Experten in seiner Eigenschaft als Grenzgänger zwischen Deutschland und Italien, im politischen Wechsel vom Sozialisten zum Befürworter des Faschismus, in der Interdependenz seines privaten Lebens und wissenschaftlichen Werdegangs in den Blick genommen. Letztendlich standen somit alle Vorträge unter der Prämisse, die Frage nach Kontinuität und Wandel sowohl in der privaten als auch in der wissenschaftlichen Biografie Michels auszuloten.

Konferenzübersicht:

Michael Matheus (DHI Rom): Einführung

Timm Genett (Berlin): Il problema dell'identità nazionale nella biografia e nella teoria di Robert Michels

Federico Trocini (Trient): Italiano per elezione o per (s)ventura? Un bilancio complessivo del rapporto tra Michels e l'Italia a partire da „Italien von heute“ (1930) e dai „Prolegomena sul pattriotismo“ (1933)

Wolfgang Schieder (Köln): Robert Michels propagandista del fascismo italiano

Francesco Tuccari (Turin): Michels teorico del fascismo e del mussolinismo

Frank R. Pfetsch (Heidelberg): La vita e l'opera di Roberto Michels: simultaneità e successività nella loro evoluzione di dissonanze

Nicola Tranfaglia (Rom): Commento


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