Migration – Integration – Desintegration. 1. Workshop des DFG-geförderten Netzwerks „Integration und Desintegration: Sozial- und Kulturgeschichte des osteuropäischen Sports im internationalen Vergleich“

Migration – Integration – Desintegration. 1. Workshop des DFG-geförderten Netzwerks „Integration und Desintegration: Sozial- und Kulturgeschichte des osteuropäischen Sports im internationalen Vergleich“

Organisatoren
DFG-gefördertes Netzwerk „Integration und Desintegration: Sozial- und Kulturgeschichte des osteuropäischen Sports im internationalen Vergleich“
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.06.2009 - 27.06.2009
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Von
Stefan Wiederkehr, Deutsches Historisches Institut Warschau / Niemiecki Instytut Historyczny w Warszawie

Vom 25. bis 27. Juni 2009 fand in den Räumlichkeiten der Deutschen Sporthochschule Köln der erste Workshop des DFG-geförderten Netzwerks „Integration und Desintegration: Sozial- und Kulturgeschichte des osteuropäischen Sports im internationalen Vergleich“ statt. In ihrer Einführung formulierte die Initiatorin des Netzwerks, Anke Hilbrenner (Bonn), als sein wesentliches Ziel, einen Rahmen für den Austausch der Experten und Nachwuchswissenschaftler mit sporthistorischen Projekten zu schaffen und Sporthistorikern sowie Vertretern anderer historischer Teildisziplinen aus dem In- und Ausland – dabei insbesondere aus dem östlichen Europa – die Erarbeitung einer gemeinsamen Agenda für die Sportgeschichtsschreibung der Zukunft zu ermöglichen. Gerade für Osteuropa mit seinen komplex komponierten Gesellschaften seien die innovativen sozial- und kulturhistorischen Fragestellungen der jüngeren Sporthistoriographie von Relevanz. Das integrative oder trennende Potential des Sports in Bezug auf ethnische, nationale, religiöse, soziale, politische oder auch Geschlechtergruppen, die propagandistische Indienstnahme des Sports durch politische Regime unterschiedlicher Couleur, aber auch Fragen von Transfer, Akkulturation und Differenz ließen sich in diesem Raum empirisch besonders gut fassen und in einen globalen Rahmen stellen. Als unmittelbar greifbares Ergebnis der zunächst auf drei Jahre angelegten Arbeit des Netzwerks soll ein Digitales Handbuch zur Geschichte des Sports in Osteuropa entstehen.

Im Hinblick auf die geplante elektronische Publikation stellte GABI LANGEN (Köln) das im Aufbau befindliche „Virtuelle Museum / Kölner Sport“1, das als lokalhistorische Ergänzung zum Deutschen Sport- und Olympiamuseum konzipiert ist, und dessen Pilotprojekt „Cybersneaker“2 vor. Da ein virtuelles Museum die sinnliche Wahrnehmung authentischer Objekte nicht zulässt, stellt für die Ausstellungsmacher die Verbindung zwischen historischen Fakten, visueller Kommunikation und emotionalem Erleben die größte Herausforderung dar. HERMANN BEYER-THOMA (Regensburg) präsentierte die digitalen Publikationsmöglichkeiten im kürzlich von der DFG bewilligten Fachrepositorium für Osteuropastudien „OstDok“.3 Die Attraktivität dieser Plattform besteht, wie auch HERBERT SPILLE (Köln) als Vertreter der ViFa Sport4 und die anschließende Diskussion bekräftigten, nicht zuletzt darin, dass sie große, stabile Partner wie insbesondere die Bayerische Staatsbibliothek im Rücken hat und auf im Rahmen der ViFaOst5 über lange Jahre aufgebautes Know-how zurückgreifen kann. Daher können Langzeitarchivierung, Visibilität durch Einspeisen der bibliographischen Daten in die einschlägigen Kataloge und Datenbanken, attraktive Bildschirmdarstellung der Texte und professionelle Redaktion glaubhaft in Aussicht gestellt werden. Zur Sicherung der wissenschaftlichen Qualität wird ein mehrstufiges Review-Verfahren gefordert. Als weiteren Vorteil des Konzepts von OstDok hob Beyer-Thoma hervor, dass einerseits Texte nach ihrer digitalen Veröffentlichung aufgrund von Reaktionen aus der Fachwelt noch verbessert werden können, andererseits die Möglichkeit besteht, den digitalen Band nach seiner Fertigstellung auch als Book-on-Demand verfügbar zu machen.

Die folgenden Beitrage rückten das Schwerpunktthema des ersten Workshops „Migration – Integration – Desintegration“ ins Zentrum. In seiner Einführung in unterschiedliche Konzepte der Migrationsforschung problematisierte MARCEL BERLINGHOFF (Heidelberg/Essen) zunächst den Begriff der Migration, den er selber als „Verlagerung des Lebensmittelpunkts für einen längeren Zeitraum über eine gewisse Distanz“ definierte. In den Statistiken unterschiedlicher Staaten und Organisationen werden Phänomene wie Binnenmigration, Grenzverschiebungen (durch die Personen ohne Ortswechsel zu Bewohnern eines anderen Staates werden) oder seit mehreren Generationen ansässige Ausländer höchst unterschiedlich behandelt. Auch die Klassifizierung von Migranten nach dem Migrationszweck – traditionell wird unterschieden zwischen politisch, wirtschaftlich und sozial motivierter Migration, neuerdings werden auch Umwelt, Kultur und Bildung als Einflussfaktoren betrachtet – erweist sich empirisch als höchst komplex, da die nach außen kommunizierte Motivation der Migranten in der Regel in einem engen Zusammenhang mit den Immigrationsregeln der Zielregion steht. Weiter forderte er eine analytische Trennung der Phänomene Migration und Integration. Zu den neuen Trends in der Migrationsforschung zählte Berlinghoff unter anderem den interdisziplinären Zugang und die Frage nach transnationalen Räumen, die auch der Nutzung neuer Quellentypen wie Egodokumente und lokaler Polizeiarchive bedarf. Ansätze für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Migrationsforschung und Sportgeschichte sah Berlinghoff insbesondere auf der individuellen Ebene der Migranten (Sportlerwanderung), im Bereich der Kulturgeschichte (Wanderung von Sportarten), in den internationalen Beziehungen (Kulturkontakt bei Weltsportereignissen) sowie in der Interaktion von Migranten und Zielgesellschaft (Integration durch Sportvereine, Stars mit Migrationshintergrund).

CHRISTIAN KOLLER (Bangor) beleuchtete den vielgestaltigen Zusammenhang von Migration und Fußball in der Schweiz. Die Pionierphase des Fußballs vor dem Ersten Weltkrieg fiel zusammen mit einer liberalen Migrationspolitik der Schweiz, die damals für die Verbreitung des modernen Sports einen „Brückenkopf auf dem Kontinent“ bildete: Brachten britische Immigranten das Fußballspiel in die Schweiz, so trugen es temporäre Immigranten in die Schweiz bei ihrer Rückkehr weiter in ihre Heimatländer. Außerdem spielten schweizerische Emigranten eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Fußballs in Süd- und Südosteuropa. In der Zwischenkriegszeit waren internationale Profikarrieren nicht ungewöhnlich; in der schweizerischen Nationalmannschaft nahmen einzelne Spieler mit Migrationshintergrund tragende Rollen ein. Auch die Arbeitsmigration von Trainern, die die Schweizer Grenze in beide Richtungen überschritten, war üblich. Gleichzeitig traten in dieser Periode die ersten nicht-britischen ethnischen Klubs in der Schweiz auf. Diese Entwicklungen brachen durch den Zweiten Weltkrieg und das Verbot des Professionalismus in den 1930er-Jahren ab. Bis in die späten achtziger Jahre spielten wenige Schweizer erfolgreich im Ausland und die halbprofessionelle Nationalliga war in erster Linie für alternde Stars, die einen allmählichen Abschied von der Fußballbühne nehmen wollten, attraktiv. Die Zahl ethnischer Fußballvereine nahm hingegen sprunghaft zu, wobei die Gründungen im Einklang mit den verschiedenen Immigrationswellen erfolgten. Der hohe Mobilisierungsgrad insbesondere bei Migranten südosteuropäischer Herkunft führte langfristig auch dazu, dass es sich bei den Leistungsträgern der Nationalmannschaft vorwiegend um eingebürgerte Ausländer der zweiten Generation handelte. Dies stieß bei fremdenfeindlichen Politikern auf Widerspruch und diente diesen im politischen „Überfremdungs“-Diskurs als ausländerfeindliches Argument. In jüngster Zeit nutzen Migranten die Siege ihrer Mannschaften bei wichtigen Turnieren, um ihren Nationalstolz in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen. Bemerkenswerterweise folgten die spontanen Feiern der in Zürich ansässigen Kosovo-Albaner nach der Unabhängigkeitserklärung 2008 dem Drehbuch, mit dem Italiener, Griechen, Türken und andere in den Jahren zuvor die Erfolge ihrer Fußballteams gefeiert hatten.

ANKE HILBRENNER hob in ihrem Beitrag zu Migranten in Bonner Sportvereinen nach 1945 die Besonderheiten Bonns als einer Stadt hervor, die traditionell wenig Industrie besaß, nach dem Zweiten Weltkrieg als Regierungssitz aber einen Aufschwung nahm. Vergleichsstudien, die zu stark industrialisierten Regionen existieren, sind daher schwer nutzbar. In Bonn nahmen südosteuropäische Immigranten in der Gastronomie eine zentrale Stellung ein. Aus diesem Milieu rekrutierte sich der Fußballverein NK Jedinstvo. Auch italienische, türkische und andere Immigranten gründeten ethnische Sportklubs nach deutschem Vereinsrecht; gleichzeitig traten Migranten aber auch in nicht-ethnischen Klubs in Erscheinung. Anders als die offizielle Politik und deren PR es darstellten, waren dem Sport als Integrationsmittel eher geringe Erfolge beschieden. Mit Blick auf die Geschichte des Sports in Osteuropa fällt auf, dass die Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion keine „russischen“ Vereine gründeten, sondern eher bestehende Klubs übernahmen. Dies dürfte einerseits damit zusammenhängen, dass die Welle der ethnischen Vereinsgründungen zum Zeitpunkt der Ankunft dieser Migrantengruppe generell vorbei war, andererseits damit, dass es sich um eine ethnonational heterogene Gruppe handelte, wobei insbesondere die Russlanddeutschen in der Fremdwahrnehmung vielleicht als „Russen“ galten, selber aber keine ethnische Abgrenzung von der deutschen Gesellschaft anstrebten.

Insgesamt brachten Vorträge und Diskussion deutlich zum Ausdruck, welches Potential der Breitensport und sein Vereinswesen für Mikrostudien zu Migration und Integration bieten. Die andere wesentliche Erkenntnis, die sich aus dem Workshop gewinnen ließ, besteht darin, dass der Leistungssport einen neuen Blick auf die ökonomisch motivierte Migration in einer sich globalisierenden Welt eröffnet.

Der zweite von insgesamt fünf Workshops, der dem Thema „Un-equal Bodies: Gender and Ethnicity“ gewidmet ist, findet vom 12. bis 14. November 2009 in Warschau statt.

Konferenzübersicht:

Anke Hilbrenner (Bonn): Quo vadis network? Planning of the next three years of mutual work within the network: Individual goals and common agenda

Section „Digital Handbook of Sport History in Eastern Europe“

Gabi Langen (Köln): Presentation of „Virtuelles Sportmuseum"
Hermann Beyer-Thoma (Regensburg): OstDok and Digital Publishing
Herbert Spille (Köln): Comment

Input Lecture

Marcel Berlinghoff (Heidelberg/Essen): New Trends in Migration Studies

Section „Migration and Sport History of Eastern Europe“

Christian Koller (Bangor): Football and Migration in Switzerland
Anke Hilbrenner (Bonn): Migration and Sports in Bonn: Ethnic sport clubs in the formation of multiple immigrant identities

Anmerkungen:
1 <http://mims03.gm.fh-koeln.de/wpmu/virtuelles_museum> (12.07.2009).
2 <http://www.cybersneaker.de> (12.07.2009).
3 Träger des Projekts sind die Bayerische Staatsbibliothek München, das Collegium Carolinum München, das Herder-Institut Marburg sowie das Osteuropa-Institut Regensburg. OstDok wird künftig unter <http://www.ostdok.de> (12.07.2009) und als Modul der ViFaOst erreichbar sein.
4 <http://www.vifasport.de> (12.07.2009).
5 <http://www.vifaost.de> (12.07.2009).