Archive und Medien. 69. Südwestdeutscher Archivtag

Archive und Medien. 69. Südwestdeutscher Archivtag

Organisatoren
Edgar Lersch, Historisches Archiv des SWR, Stuttgart; Peter Müller, Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Ludwigsburg; Steffen Dirschka, Stadtarchiv Münsingen
Ort
Münsingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.06.2009 - 20.06.2009
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Von
Andreas Neuburger, Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart; Peter Müller, Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Ludwigsburg

Die gegenwärtige Konjunktur historischer Themen in den Medien, etwa in Form verschiedener Geschichtsformate im Fernsehen, belegt das wachsende Interesse breiter Bevölkerungskreise an Geschichte. Die Archive mit ihrem Angebot an historischen Informationen und Dokumenten aller Art werden in diesem Zusammenhang für die Medien immer interessanter. Parallel zum verstärkten Auftreten von Medienvertretern als Archivbenutzern bemühen sich die Archive selbst seit einiger Zeit verstärkt an die Öffentlichkeit zu treten und nutzen die Medien im Rahmen einer professionalisierten Öffentlichkeitsarbeit zur Vermittlung archivspezifischer Inhalte.

Bereits die an den Beginn der Tagung gestellte Podiumsdiskussion mit dem Journalisten SVEN-FELIX KELLERHOFF (Berliner Morgenpost/Die Welt) steckte die Spannweite der Beziehungen zwischen Archiven und Medien ab und definierte am Beispiel des Geschichtsfernsehens die Kriterien „sachgerecht, mediengerecht und publikumsgerecht“ als Prüfsteine einer für beide Seiten gewinnbringenden Kooperation. Deutlich wurde, dass für die Medien eine individualisierte, an Einzelschicksalen orientierte Behandlung historischer Themen von besonderem Interesse ist. Biographisch und familiengeschichtlich interessierte Forscher sind gleichzeitig die am stärksten wachsende Zielgruppe der Archive. Insoweit bedienen die Medien Trends, die auch den Archiven zugute kommen können. Thematisiert wurden in dem Podiumsgespräch auch mögliche Interessenskollisionen zwischen den wirtschaftlichen Interessen der Medien – Stichwort Quote – und dem Bedürfnis der Archive, auch sperrigere Themen einem breiteren Publikum zu vermitteln. Allgemein befürwortet wurde eine bessere Fortbildung von Journalisten auf dem Feld der Archivrecherche.

Die anschließenden Tagungsvorträge gliederten sich in zwei Teilbereiche. Am Anfang stand eine Reihe theoretischer Überlegungen, welche die Rahmenbedingungen des Umgangs von Archiven und Medien zu umreißen versuchten. Zunächst skizzierte NORBERT SCHNEIDER (Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen) die Folgen der digitalen Revolution für Medien und Archive. Er konstatierte die schrittweise Auflösung der Druckschriftlichkeit als Kennzeichen der Medienrevolution, bei der die Bedeutung der Schrift in ihrer Funktion als „Speicher- und Funktionsgedächtnis“ nachlasse und gleichzeitig eine Dynamisierung von Texten stattfinde. Die zunehmende Digitalisierung könne vor diesem Hintergrund mit der Einführung eines neuen Alphabets verglichen werden, das nur noch aus 1 und 0 besteht und dem langfristigen Ziel dient, in der digitalen Welt jede Form von Information jederzeit und überall verfügbar zu machen. Mit Blick auf die Archive wirft dies eine Reihe von Fragen auf, etwa auf welche Weise mit den hierdurch entstehenden Datenmengen umzugehen ist und was und wie viel davon gespeichert werden muss. Neue Probleme entstehen zudem bei der Bestimmung des Ursprungsorts von Daten und den wachsenden Schwierigkeiten bei der Bestimmung von Original und Kopie.

Im Anschluss widmete sich ARND VOLLMER (Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden) den juristischen Aspekten bei der Nutzung von Archiven durch Medien. In einem ersten Schritt ging er der Frage nach, ob Medien vor dem Hintergrund der in Art. 5 GG bestimmten Pressefreiheit sowie der Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und mehrerer Länder juristisch als besonders zu behandelnde Nutzergruppe gelten müssen. Dabei ergab sich der Befund, dass die einzelnen Archivgesetze die presserechtlichen Auskunftsansprüche überlagern und somit aus archivrechtlicher Sicht den Medien grundsätzlich kein Sonderstatus einzuräumen ist. Allerdings sei bei der Entscheidung über Anträge auf eine Verkürzung von Sperrfristen bei Medienvertretern das grundgesetzlich garantierte Recht der Pressefreiheit bei der Abwägung gegenüber anderen Interessen besonders zu berücksichtigen. Darüber hinaus wurden weitere Problemfelder thematisiert, so das Gebot der Gleichbehandlung von ökonomisch miteinander konkurrierenden Medien im Fall identischer oder sehr ähnlicher Nutzungsvorhaben.

Der zweite Block der Tagung bot eine Reihe konkreter Beispiele, bei denen sehr unterschiedliche Formen der Kooperation zwischen Archiven und Medien vorgestellt wurden. Eine Folge der MDR-Produktion „Die Spur der Ahnen“ 1 bot Einblick in eine Variante der Zusammenarbeit mit Archiven im Rahmen des Geschichtsfernsehens. Im Verlauf der überwiegend kritischen Diskussion wurde problematisiert, dass Archive kaum Einflussmöglichkeiten auf die endgültige Form von Fernseh- und Rundfunkproduktionen ausüben können. Interessenskonflikte können entstehen, wenn Archive sich einerseits verstärkt bemühen, Ihre Arbeit einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, Massenmedien wie das Fernsehen aber andererseits archivische Arbeit und Forschungen im Archiv in ein oft irreführendes, wenn nicht gar falsches Licht rücken oder eine angemessene Darstellung historischer Themen durch ein Übermaß an Inszenierung bis hin zum Voyeurismus verhindern.

Ein innovatives Beispiel für die Zusammenarbeit von Archiv und Zeitung präsentierten THOMAS FALTIN (Stuttgarter Zeitung) und JÜRGEN LOTTERER (Stadtarchiv Stuttgart). Sie stellten das Online-Portal „Von Zeit zu Zeit“ 2 vor, bei dem Leser aufgefordert waren, vor allem Bilder zur Geschichte der Stadt Stuttgart direkt ins Internet hochzuladen und mit Beschreibungen zu versehen. Unterstützt durch eine regelmäßige Berichterstattung in der Printversion, entstand auf der Homepage der Stuttgarter Zeitung im Laufe eines knappen Jahres eine mehr als 7.000 Bilder umfassende Datenbank von Bildern und Zeitzeugenberichten, die etwa 430.000 Zugriffe im Monat verzeichnen kann. Nach Abschluss des Projekts soll die so entstandene Sammlung vom Stadtarchiv Stuttgart in elektronischer Form als eigener Bestand zur Archivierung übernommen und weiter verwaltet werden. Beide Seiten zogen eine eindeutig positive Bilanz der Kooperation, deren offensichtlicher Nutzen auch für das kooperierende Archiv gewisse juristische Probleme (vor allem bei Fragen des Urheberrechts und des Rechts am eigenen Bild) sowie die Inkaufnahme vereinzelter archivfachlicher Defizite bei der Einordnung und Beschreibung der Bilder durch die Zeitungsleser bei weitem übertraf.

Über die Kooperation des Bundesarchivs mit der Onlineenzyklopädie Wikipedia berichtete OLIVER SANDER (Bundesarchiv Koblenz). Ziel des Projekts war es, Teile der Fotosammlung des Bundesarchivs unter einer sogenannten Creative-Common-Lizenz auf den Seiten von Wikipedia verfügbar und über die direkte Verbindung mit Wikipedia-Artikeln schneller und komfortabler nutzbar zu machen.3 Auch hier trat der erhoffte Effekt ein, indem die Zahl der Zugriffe und Anfragen beim Bildarchiv des Bundesarchivs insgesamt enorm anwuchs. Neben einer Effizienzsteigerung und einem besseren Nutzerservice verspricht sich das Bundesarchiv zudem, über das Spezialwissen von Wikipedia-Nutzern (etwa im Bereich der Technikgeschichte) die Beschreibung von Bildern zu verbessern, unbekannte Personen, Orte etc. zu identifizieren und so die Erschließung des Bildarchivs zu verbessern.

Den Abschluss der Tagung bildete ein Grundsatzreferat von PETER HABER (Universität Basel), der die Auswirkungen des Web 2.0 skizzierte und Überlegungen zu neuen Recherchegewohnheiten und –möglichkeiten der Internet-Nutzer und deren Auswirkungen auf die Archive anstellte. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Tendenz, dass bei der Durchführung von Recherchen die Bedeutung von Experten (etwa in Archiven und Bibliotheken) zunehmend durch den Einsatz von Suchmaschinen zurückgedrängt werde. Zudem vollziehe sich eine Entwicklung, bei der das Internet inzwischen oft früher Informationen und Unterlagen zur Nutzung anzubieten vermag als Archive und Bibliotheken. Auf der anderen Seite wurde festgestellt, dass die „digitale Revolution“ den Archiven auch neue Möglichkeiten und Chancen bietet, etwa indem Bilder, Filme und Töne über das Internet als Sammlungsgut an die Archive gelangen und von diesen daraus neue Bestände gebildet werden können.

Insgesamt bot die auch aus dem benachbarten Ausland besuchte Tagung ein breites Panorama möglicher Kooperations- und Überschneidungsfelder zwischen Archiven und Medien, selbst unter dem Gesichtspunkt der bewusst vollzogenen Ausklammerung der Rolle von Medienarchiven. Es wurde deutlich, dass die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Archiv und Medien weit über den zuletzt immer wichtiger gewordenen Aufgabenbereich der archivischen Öffentlichkeitsarbeit hinausgehen. Als zentrales Ergebnis bleibt festzuhalten, dass über gezielte Kooperationen vor allem im digitalen Bereich neue Überlieferungsformen entwickelt und so die Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses als Kernbereich des Archivwesens um neue und zugleich innovative Elemente bereichert werden kann. Der Schlüssel zum Erfolg scheint ein offener Umgang zwischen Archiven und Medien, der beiden Seiten die Möglichkeit bietet, ihrem Auftrag erfolgreich und effizient nachzukommen. Dabei dürfen sich die Archive nicht auf die passive Rolle des Anbieters von Informationen beschränken, sondern müssen auch ihrerseits Gelegenheiten suchen und nutzen, über die vielfältigen Kooperationsmöglichkeiten mit Medien ihrem Auftrag noch besser gerecht zu werden. Ein Tagungsband befindet sich in Vorbereitung.

Konferenzübersicht:

SVEN-FELIX KELLERHOFF (Berliner Morgenpost/Die Welt): Podiumsdiskussion

NORBERT SCHNEIDER: Die Entwicklung der Medienlandschaft in Deutschland. Tendenzen und Perspektiven

ARND VOLLER: Archiv- oder Presserecht? Probleme bei der Archivbenutzung durch Medien

PETER DRECKMANN (Leipzig): Spurensuche in Archiven. Ein neues Sendeformat im Geschichtsfernsehen (Vortrag abgesagt; stattdessen Diskussion der MDR-Reihe "Die Spur der Ahnen")

THOMAS FALTIN / JÜRGEN LOTTERER: „Von Zeit zu Zeit“. Ein Kooperationsprojekt zwischen der Stuttgarter Zeitung und dem Stadtarchiv Stuttgart

OLIVER SANDER: Das Bundesarchiv und Wikipedia. Neue Kooperationsmodelle im Web 2.0

PETER HABER: Das Web 2.0 und die Archive. Anmerkungen aus der Sicht eines Historikers

Anmerkungem:
1 <http://www.mdr.de/ahnen/> (30.07.2009).
2 <http://www.von-zeit-zu-zeit.de/> (30.07.2009).
3 <http://www.bild.bundesarchiv.de/> (30.07.2009).