Universitäre Lehre im Fach Geschichte im historischen Vergleich

Universitäre Lehre im Fach Geschichte im historischen Vergleich

Organisatoren
Andreas Gestrich, Gabriele Lingelbach, Lutz Raphael (Universität Trier)
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.06.2003 - 14.06.2003
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Von
Olaf Blaschke, Neuere und Neueste Geschichte, Universität Trier

Symposium: Universitäre Lehre im Fach Geschichte im historischen Vergleich

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Nikolaus Koch Stiftung

Mit der Diskussion über die Universitätsreform ist auch die real existierende Lehre ins Visier der Reformer geraten. Die Reiz- und Schlüsselwörter sind bekannt: Studiengebühren, Evaluationen, Prämien und Leistungsbesoldung gemäß der Qualität und Quantität der Lehre, Schnellkurse und Rückfall in eine positivistische Wissensvermittlung, verordnete Repetitorien, Kanonisierungen, Studienordnungen für BA und MA etc. Von all’ dem ist auch die Geschichtswissenschaft betroffen. In manchen Fächern sind bereits die Vorlesungen abgeschafft worden, weil sie unzeitgemäß seien. Andere halten bei diesem didaktischen Wettabrüsten mit, indem sie erwägen, das Seminar aufzulösen, da es angesichts der Massenuniversität anachronistisch anmute. Wieder andere wollen gar nichts ändern, klammern sich an überkommene Lehrmethoden und Lerninhalte, als könnten sie als Berufshistoriker die Zeit anhalten. Verblüffenderweise geraten bei allem Verbesserungseifer und bei allem Widerstand gegen Veränderungen jedoch zwei Zusammenhänge leicht in Vergessenheit:

Auf Seiten der Reformer wird häufig übersehen, dass je spezifische nationalhistorische Rahmenbedingungen zu jeweils unterschiedlichen Profilen von Forschung und Lehre in der Universität führten und die Funktionszuweisungen an den Geschichtsunterricht von komplexen strukturellen Gegebenheiten abhingen. Abweichende nationale Bildungsideologien dürfen nicht ignoriert werden, außerdem macht es einen enormen Unterschied, ob ein System sich auf private oder auf staatliche Förderung stützt, ob eine zentrale oder föderale Wissenschaftslandschaft vorliegt. Aufgrund solcher nationaler Pfadabhängigkeiten und abweichender Kontexte ist es höchst fraglich, ob man gleich einem Touristen, der sein Souvenir als Trophäe im heimischen Schaukasten ausstellt, einzelne Elemente aus anderen Wissenschaftssystemen einfach isolieren, exportieren und zuhause implantieren kann.

Auf Seiten der Besitzstandswahrer wiederum, die sich jeglichen Reformen entgegen stemmen, weil nach ihrem Erfahrungshorizont die gegenwärtige Ordnung der Lehre gut und vor allem schon immer so gewesen sei, verschließt man die Augen vor dem internationalen Vergleich, aus dem sich durchaus lernen ließe. Mehr noch, manche weigern sich geradezu, die gegenwärtige Lehr- und Lernpraxis zu historisieren, ein Versäumnis, das unter Dozierenden des Faches Geschichte um so schwerer wiegt. Das ist nur insofern verzeihlich, als wir - jenseits zeitgenössischer Akklamationen und Normen (z. B. aus Lehrbüchern) - wenig über die Genese und wirkliche Praxis des universitären Geschichtsunterrichts wissen.

Um so gespannter durfte man also sein, wenn erstmals eine Tagung - konzipiert von Gabriele Lingelbach, Lutz Raphael und Andreas Gestrich - die Frage nach der Geschichte der universitären Lehre im Fach Geschichte systematisch in international vergleichender Perspektive stellte. Außer um West- und Ostdeutschland ging es dabei um die Schweiz und Österreich, um Frankreich, die USA und Lateinamerika, um die Niederlande, Polen und die Tschechoslowakei. Afrika (Andreas Eckert) fiel leider aus. Um es vorweg zu sagen: Der Vergleich wird ein wenig erschwert, wenn sich Referierende lediglich auf das von ihnen untersuchte Land oder auf ihre Region konzentrieren und nicht selber komparativ arbeiten, vor allem aber, wenn die Komposition einer Tagung sich streng an der Zeitachse orientiert: vom frühen 19. Jahrhundert, als sich die Geschichtswissenschaft, wie oft behauptet wird, von Deutschland ausgehend professionalisierte, über das 20. Jahrhundert bis heute mit Blick in die Zukunft. Der chronologische Zugriff ist an sich kein Problem, bloß weil er herkömmlich ist. Wie aber soll man den quellenorientierten Geschichtsunterricht in Zürich vor 1900 mit der klandestinen Lehre in Warschau unter deutscher Besatzung und dies wiederum mit der verschulten Geschichtsdidaktik der heutigen USA vergleichen? Eine Möglichkeit, des Problems diachroner Vergleichsperspektiven Herr zu werden, kristallisierte sich im Laufe der Tagung mehr und mehr heraus, da einige Ursprungslegenden und von vornherein von den Veranstaltern klug angesetzte Leitfragen wie ein roter Faden immer wieder auftauchten und Anlass für kontroverse Debatten boten. Drei Leitthemen - Genese, Form und Inhalt des Geschichtsunterrichts stachen dabei hervor:

1. Bei der Frage nach der Genese bestimmter Unterrichtspraktiken im Zuge der Professionalisierung des Faches wurde kontrovers diskutiert, ob internationale oder vielmehr innerfachliche Faktoren zur Ausprägung und Standardisierung nationaler Unterrichtsformen führten. Die meisten Historiker sind nach wie vor der Meinung, dass Deutschland mit seinem Seminarbetrieb und den Maximen “Freiheit der Wissenschaft” und “Einheit von Forschung und Lehre” international einflussreich und bis 1900 Exportland professioneller Standards sowie unterrichtspraktischer Modelle war. Dagegen betonen neuere Forschungen, dass die innerfachlichen Ausgangsbedingungen in den unterschiedlichen Gesellschaften entscheidend blieben. Wenn fachinterne Mechanismen zu gleichen oder unterschiedlichen Lehrformen führten, bleibt weiterhin zu klären, ob innovative Impulse von den Arrivierten oder von Außenseitern ausgingen.

2. In mehreren Vorträgen sowie in der Abschlussdiskussion ging es um die Vorzüge und Nachteile bestimmter Unterrichtsformen und Lehrmethoden (monologisch - dialogisch; Vorlesung - Seminar). Welche Lehren lassen sich aus der Vergangenheit für gezielte Reformvorschläge ziehen?

3. Schließlich blieb der Inhalt des Unterrichts ein Grundthema der Tagung. Blockiert die kategoriale Dreiteilung von Alter Geschichte, Mittelalter und Neuzeit moderne Zugangsweisen zur Geschichte? Wie sehr wurden fachspezifische Methoden und hilfswissenschaftliche Kompetenzen im Unterricht gelernt und was ist davon zu halten? Auch die Spannung von Überblickswissen und Spezialwissen, von universalistischem und exemplarischem Lernen wurde auf ihre Herkunft befragt.

Einleitend wies der Vizepräsident der Universität Trier, Georg Wöhrle, darauf hin, wie aktuell das Tagungsthema sei, indem er gegenwärtige Problemkonstellationen im Reformdiskurs sowie Umwälzungen benannte, darunter die umstrittene Einführung der Juniorprofessur und neue Formen der Lehre wie etwa Internetseminare. Tendenzen der Internationalisierung schlügen sich nieder, soweit Englisch auch außerhalb des anglo-amerikanischen Raumes zur Unterrichtssprache avanciere, in der Einführung des Bachelors und Masters, außerdem in der Übernahme bestimmter Evaluationsmethoden. Vor dem Hintergrund der Einsicht, dass Reformen der Lehre möglich, chancenreich sowie riskant sind, aber von einem gesicherten historischen Fundament aus diskutiert werden müssen, folgten die Einblicke in die Unterrichtswelt verschiedener Länder seit dem 19. Jahrhundert.

Forderungen nach der Verbesserung der Lehre sind indes nichts Neues. Einen kurzen Überblick dazu bot Andreas Gestrich (Trier). Bereits um 1900 sei vehemente Kritik am gängigen Lehrbetrieb geäußert worden, wobei auch der deutsche Hochschullehrer in die Schusslinie geraten sei, der eher als Gelehrter denn als Lehrer gegolten habe. Karl Lamprecht habe nach einer Reise in die USA 1904 das Fazit gezogen, dass in Deutschland im Vergleich zu den USA (ein Lehrender auf sechs Studenten) eine ungünstige Dozenten-Studierenden-Relation festzustellen sei, man zur Verbesserung des universitären Unterrichts mithin die Zahl der Lehrkräfte aufstocken müsse. Ähnlich habe die 1910 gegründete Deutsche Gesellschaft für Hochschulpädagogik vorbildsuchend auf die Vereinigten Staaten geblickt. Versuche, sich am Ausland zu orientieren, habe es also damals schon gegeben, und das “deutsche Modell” sei spätestens um 1900 kein Exportartikel mehr gewesen. Andererseits, mahnte Gestrich, dürfe man bei solchen Anleihen nicht übersehen, dass Versatzstücke aus anderen Ausbildungssystemen nicht implementiert werden könnten, ohne die Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Dazu gehöre die Staatsnähe bzw. Staatsferne der Hochschule oder der unterschiedliche Zeitpunkt der Institutionalisierung der historischen Disziplin, die in Deutschland früh, in den USA spät erfolgt sei.

Daniela Saxer (Bielefeld) berichtete, wie der “Quellenblick” im Geschichtsunterricht an Hochschulen in Zürich und Wien (1850-1914) vermittelt wurde. Generell ließe sich beobachten, wie im 19. Jahrhundert Quellenarbeit zum Markenzeichen der Geschichtsforschung wurden. In Wien sei die Ausbildung anhand von Quellen allerdings nicht von der Universität ausgegangen, sondern vom Institut für Österreichische Geschichtsforschung. Spätestens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sei die Ausstrahlungskraft der Quellenarbeit jedoch so groß gewesen, dass sich an den Universitäten der Schweiz und Österreichs Quellenübungen etabliert und hilfswissenschaftliche Subdisziplinen ausdifferenziert hätten. Der Quellenlektürekurs sei für Privatdozenten zu einem wichtigen Distinktionsmerkmal bei Berufungsverhandlungen geworden.

Ob die drei deutschen Universitäten Berlin, Wien und Prag zwischen 1900 und 1930 einen “Nährboden fachlicher Innovation” bildeten, war die Leitfrage Pavel Kolars (Potsdam). Er ging gegen die These vor, die deutsche Geschichtswissenschaft sei nach dem Lamprechtstreit innovationsfeindlich gewesen und zeigte, dass sich in den Seminaren seit 1900 durchaus Neuerungen durchsetzen konnten: in der Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte, in der neuen Diplomatik sowie der Epigraphik. Es sei dabei primär denjenigen, die bereits eine starke Position im Feld innegehabt hätten, gelungen, Neuerungen durchzusetzen: Gustav Schmoller und Otto Hintze in Berlin, außerdem der Mediävist Theodor Mayer in Prag, die sich einer starken Akkumulation disziplinärer Macht sowie einer erfolgreichen Schulbildung erfreut hätten. Einen Bruch mit den Traditionen hätten die “arrivierten Häretiker” keineswegs angestrebt. Angesichts der innovativen Entwicklungen dürfe man nicht vorschnell von einem deutschen historiographiegeschichtlichen Sonderweg sprechen.

Ein vehementes Plädoyer für die Vorlesung hielt Ernst Schulin (Freiburg) in seinem Abendvortrag. Vorlesungen hätten im 19. Jahrhundert den Hauptlehraufwand ausgemacht und seien in Deutschland nach 1945 wieder wichtig geworden, weil von Professoren wie etwa Hermann Heimpel eine gewisse Ausstrahlung ausgegangen sei, mithin auch außerwissenschaftliche Kriterien wie “Persönlichkeit” durchaus eine Rolle gespielt hätten. Vorlesungen böten einen vorzüglichen Ort, um eine zusammenhängende Meistererzählung zu präsentieren. Ernst Schulin wollte die Bedeutung des historischen Seminars keineswegs schmälern, doch das in Vorlesungen gebotene Überblickswissen sei propädeutisch durchaus notwendig, zumal Vorlesungen heute schon lange nicht mehr der nationalen Erbauung dienten, vielmehr transnational angelegt sein sollten.

Gabriele Lingelbach räumte mit der Legende von Deutschland als Mutterland aller fachinternen Innovationen auf, indem sie den Geschichtsunterricht an französischen und US-amerikanischen Universitäten im 19. Jahrhundert miteinander verglich und die Veränderungen auf national endogene, ja universitäre Rahmenbedingungen allein zurückführte. Die Unterschiede, die es zwischen den Formen des universitären Geschichtsunterrichts in Frankreich und Nordamerika gegeben habe, seien groß gewesen, sie hätten sich zwar in den 1860er und 1870er Jahren durch Reformen gemindert, bestünden aber zum Teil bis heute. Während in Frankreich an den verschiedenen Institutionen sehr unterschiedliche Lehrformen vorgeherrscht und sich das Seminar keineswegs überall habe durchsetzen können, habe man in den USA zwar an fast allen Universitäten Seminare eingeführt, gleichzeitig aber auch an älteren Unterrichtssformen wie etwa den quizzes, den recitations und dem berüchtigten textbook festgehalten. Während in Frankreich, verkürzt gesagt, in der Vorlesung eher das Wie (die Ästhetik des Vortrags) wichtig gewesen sei, habe in den USA eher das Was (der Prüfungsstoff) gezählt. Die Ursachen für die unterschiedlichen Entwicklungspfade seien vielfältig. In Frankreich sei die staatlich gelenkte Universität eng an die Sekundarschule, für die sie ausbildete, gebunden gewesen (bis heute muss ein Geschichtsdozent die für die Schullaufbahn vorgesehene Agrégation ableisten), während diese Verknüpfung in den autonomeren Universitäten der USA lockerer geblieben sei.

Christoph Strupp (Washington, DC) überraschte den Unkundigen mit der Geschichte der verspäteten Professionalisierung des Faches in den Niederlanden. Zwar habe es in den Universitäten Leiden, Groningen und Utrecht schon im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Geschichtsunterricht gegeben, bald gefolgt von Amsterdam, Rotterdam und Nijmwegen. Doch zum selbständigen Studienfach sei Geschichte erst 1921 avanciert. Der wohl bekannteste niederländische Historiker, Johan Huizinga, dem 1905 ein Lehrstuhl in Groningen zufiel, habe zunächst in erster Linie Vorlesungen gehalten, sich dann aber interaktiven Veranstaltungen sowie dem Seminar zugewendet. Der Deutsche Otto Oppermann habe in Utrecht das wissenschaftliche Studium des Mittelalters eingeführt, Urkunden analysieren lassen und das einzige historische Seminar für mittelalterliche Geschichte in den Niederlanden bis in die 1940er Jahre geführt. Allerdings habe es auch Widerstände gegen die seminaristische Unterrichtsform gegeben: Die Studenten hätten eine schlechte Schulausbildung mitgebracht, Innovationen ausgebremst und Geschichte lieber wie zuvor üblich diktiert bekommen wollen. Die niederländische Geschichtswissenschaft sei personell dünn ausgestattet gewesen, habe daher keine Schulen bilden können und lasse sich folglich wissenschaftshistorisch auch kaum anders als personalistisch untersuchen.

Einen nachgeholten Professionalisierungsschub beobachtete für Lateinamerika auch Michael Riekenberg (Leipzig). In kleineren Nationen habe sich die Geschichtswissenschaft gar erst in den 1960er Jahren institutionalisiert. Es ließen sich jedoch drei Zentren herausstellen, die für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft wichtig gewesen seien: Buenos Aires, La Plata und Montevideo. In Argentinien sei das Geschichtsbewusstsein stets “militant” gewesen angesichts eines schwachen inneren Zusammenhanges der Einwanderergesellschaft. Geschichte habe mithin als soziales Disziplinierungs- und Integrationsmittel in einem starken Bündnis mit der Politik gedient. Historiker seien eher Angehörige anderer Berufe gewesen, Politiker etwa, Ärzte oder Juristen. So bestimmend sie für das Geschichtsbild gewesen seien, so desinteressiert seien sie an einer Professionalisierung gewesen. Dafür hätten neue Träger einstehen müssen. Erst auf dem Kongress für Sozialwissenschaften 1916 sei verstärkt über Methoden, Quellen und Archivarbeiten reflektiert worden. Die Quellenorientierung habe den Neuerern als Distinktionsmittel zu den beherrschenden Amateuren gedient. Wegen dieser spezifischen Konstellation sei es erst spät zur Einführung der Seminarausbildung gekommen, in Buenos Aires etwa erst 1920, beeinflußt durch den deutschtümelnden Historiker Ernesto Quesada.

Mit Blick auf die umstrittene Vorstellung, international habe sich das deutsche Modell durchgesetzt, startete Markus Krzoska (Mainz/Trier) sogleich offensiv und unterstrich, in Polen habe man sich in der Zwischenkriegszeit sehr wohl an deutschen Standards orientiert, insbesondere aber an Lamprecht. 1939 seien indes alle polnischen Universitäten zur Schließung gezwungen worden. Dagegen hätten sich Untergrundorganisationen durch nicht inhaftierte Lehrende und Studenten formiert. In Warschau etwa hätten über 1700 Studenten an solchen Geheimuniversitäten studiert. Bald nach dem Krieg sei die Autonomie der Universitäten erneut beschnitten worden, um im Sinne des Marxismus-Leninismus allein didaktische Aufgaben übernehmen zu können - die Forschung sei in andere Institutionen ausgelagert worden. Gleichwohl hätten die Universitäten trotz aller stalinistischen Disziplinierung einen gewissen Sonderstatus bewahren können.

Matthias Middell (Leipzig) machte bei seinem Vergleich des Geschichtsunterrichts in Frankreich, der DDR und der BRD auf die enormen methodischen Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens aufmerksam. Während man in Deutschland bequem Vorlesungsverzeichnisse auszählen könne - wobei fraglich sei, was sich hinter den Ankündigungen jeweils verberge - fänden sich in Frankreichs Archiven nur Plakatanschläge. In der DDR wiederum habe es keine Vorlesungsverzeichnisse, sondern staatliche Lehrvorgaben gegeben. Es folgte ein Plädoyer, von der DDR lernen oder wenigstens Module für den gegenwärtigen Reformbedarf übernehmen zu können. Immerhin sei dort schon 1950/52 eine Bildungsreform durchgesetzt worden, außerdem das unbezahlte Dasein der Privatdozenten abgeschafft worden, schließlich solle ehrliche Arbeit auch ehrlich entlohnt werden. Einschränkend führte Matthias Middell jedoch auch an, dass in der DDR ein positivistisches Wissenschaftsverständnis überwogen habe, ein holistisches Geschichtsbild, das gegen alle Innovationen resistent geblieben sei.

Schwächen und Stärken des nordamerikanischen Lehrbetriebs führte Konrad Jarausch, gestützt auf eigene Erfahrungen, vor. Die USA sei nicht das akademische Schlaraffenland, an dem man sich notwendig orientieren müsse. Zwar würden Assistenten für die Lehre ausgebildet und gute Lehre werde prämiert. Die Studiengebühren führten dazu, dass Studierende die Universität als Dienstleister ansähen und umgekehrt, die Fakultät meine, sie schulde den Studierenden etwas. Andererseits sei das Studium stärker verschult und von etlichen Prüfungen begleitet. Die Geschichte der USA werde zudem nach wie vor als Erfolgsgeschichte, als whig-history dargeboten. Für manche sei die Lehrbelastung derart hoch, dass sie überhaupt nicht mehr zur Forschung kämen. Kurz: Man müsse genau hinsehen, ehe man sich dort isolierte Module ausleihe.

Einen Bericht über die Herausforderung, Weltgeschichte zu lehren, gaben Frank Biess (San Diego, California) und Ulrike Strasser (Irvine, California). Der bekannte Standardkurs Western Civilization (“From Plato to NATO“) werde zunehmend als zu weiß, zu männlich, zu protestantisch angesehen. Doch der Anspruch, Universalgeschichte zu präsentieren, ohne irgend jemanden auszugrenzen, sei schwer einzulösen. Könnte mit einer neuen, dezentralisierten Meistergeschichte nicht eine neue, trügerische Universalgeschichte mit neuen Exklusionen entstehen? Das vorgestellte und praxiserprobte Unterrichtskonzept (am UC-Irvine bzw. UC-San Diego) orientierte sich an der Kategorie Gender, die nicht nur bei der Analyse von Familie und Alltag tragfähig sei, sondern auch als zentrales Merkmal von Politik und Macht erlernt werden könne. Doch, fragten Frank Biess und Ulrike Strasser, überträgt der Gender-Ansatz nicht selber westliche Kategorien auf nicht-westliche Länder? Die beiden Referierenden zeigten, wie schwierig es ist, die Pfade konventioneller Unterrichtsinhalte kreativ zu erweitern und stellten zur Diskussion, ob solche nicht-euro-zentrischen Ansätze die universitäre Lehre in Deutschland bereichern könnten.

Bei der abschließenden Diskussion mit dem Podium, auf dem Andreas Gestich, Konrad Jarausch, Gabriele Lingelbach, Mattias Middell, Lutz Raphael, Winfried Schulze und Irmline Veit-Brause saßen, wurden einige grundsätzliche Fragen erneut aufgenommen und weitere Perspektiven entworfen. Zum Problem der Internationalisierung merkte Konrad Jarausch an, dass ihr die deutsche Chronologie (Alte, Mittlere, Neue Geschichte) im Weg stünde. Wie solle man angesichts dessen eine Weltgeschichte lehren? Matthias Middell brach eine Lanze für das exemplarische Lernen, gegen den weltgeschichtlichen Überblick. Reformen, die durchaus nötig wären, gingen oft nicht von oben, sondern von einzelnen innovativen Orten aus. Lutz Raphael betonte, dass noch immer die nationale Bildungskomponente die Oberhand habe, darüber hinaus ein Trivialpositivismus im Fach dominiere, der weit hinter den sozialkonstruktivistischen Erkenntnissen hinterherhinke. Das Seminar werde aus Traditionalismus weiter geschleppt, sei geradezu zum Mythos aufgebläht. Winfried Schulze wies darauf hin, dass die Betreuungskapazität angesichts knapper Kassen kaum verbessert werden könne, was auf die generelle Frage verwies, inwieweit Reformen in Zeiten finanzieller Einschnitte überhaupt durchführbar seien. Was die Inhalte betrifft, zweifelte Konrad Jarausch daran, dass nationale Meistererzählungen kurzerhand abgeschafft werden könnten. Immerhin gebe es eine Koinzidenz zwischen der Entstehung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert und der Meistererzählung sowie der Entwicklung der Disziplin. In den nationalen Leidensgeschichten sei auch das Leiden, das man anderen zugefügt habe, eingebaut. Gabriele Lingelbach resümierte als Konsens, dass - gegen die konservativen Aussitzer - ein Reformwille vorhanden sei, dass jedoch die konkrete Umsetzung mit Fingerspitzengefühl erfolgen müsse und die jeweiligen historischen Bedingungskonstellationen nicht außer Acht lassen dürfe.

Die Tagung machte ein Fass auf, von dem wir bislang kaum wussten, was darin ist. Die Geschichte der Geschichtswissenschaft befindet sich in einer Expansionsphase: Biographien über einzelne Historiker und ihre Schulen werden vorgelegt, über die Mitwirkung von Historikern am Nationalsozialismus wird diskutiert, über die Wurzeln der Sozialgeschichte, über Methoden, Konzepte und inhaltliche Wandlungsprozesse im 19. und 20. Jahrhundert. Die meisten Studien konzentrieren sich jedoch auf die veröffentlichten Texte, präsentieren eine “Errungenschaftsgeschichtsschreibung” (Ute Daniel) oder Ideen- und Meinungsgeschichte. Archivquellen bilden weit seltener das Fundament der Recherchen, und der Geschichtsunterricht in der Universität kommt bei allem am kürzesten. Gerade deshalb war es notwendig, sich diesem Thema zu stellen. Die Tagung hat für diese empirisch oft schwierig zu erforschende Ebene der Geschichte der Geschichtswissenschaft ein erstes Fundament gelegt. Gleichwohl hinterlassen einige Befunde den Eindruck, dasselbe könnte auch, wie üblich, anhand der geschriebenen Texte gesagt werden: Ob Geschichte nationale Identität stiftet, wozu Meistererzählungen dienen, welche Narration Minderheiten ausgrenzt, welche Forschungskontroversen bedient wurden, welche nationale Tradition welche andere beeinflusst hat - das alles ist schon diskutiert worden und scheint, wenn man auf diese Weise die Unterrichtspraxis eruiert, keine neuen Funken zu schlagen.

Gerade deshalb war es so wichtig, die konkrete universitäre Unterrichtspraxis in ihrer Genese, Form und inhaltlichen Ausprägung in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und ihr eine international ausgerichtete Tagung zu widmen. Die fruchtbaren und durchaus kontroversen Diskussionen machten deutlich, wie notwendig eine quellengestützte Grundlagenforschung zu diesen wieder aktuellen Fragen ist.

Was die historische Entwicklung der Unterrichtspraxis betrifft, wurde zum einen der deutsche Einfluss auf andere Länder in mehreren Referaten verteidigt und danach in Frage gestellt. Gabriele Lingelbach warnte davor, sich einen einfachen Transport deutscher Konzepte vorzustellen. Vielmehr durchlaufe die eventuelle Aneignung stets drei Filter: die Perzeption (was kann man, selbst bei einem Studienaufenthalt in Deutschland, überhaupt wahrnehmen?), die Rezeption (was nimmt man mit?) und der Einbau im eigenen Lande (was ist möglich?). Zum anderen aber ging es um die binnendisziplinären Entwicklungsmechanismen. Gabriele Lingelbach wollte schärfer unterschieden wissen zwischen zwei Innovationsstrategien, den von Außenseitern und den von im Felde Mächtigen. Ferner wurde diskutiert, ob die öffentliche Quellenautopsie im 19. Jahrhundert vielleicht nach dem Vorbild der Naturwissenschaften erfolgte, wo im Vorlesungssaal Experimente oder Operationen vorgeführt wurden. Inwieweit dienten die neuen Praktiken der Reputation des Faches und der Akteure? Tatsächlich, bestätigte Daniela Saxer, ging es auch um Prestige: Manche Hilfswissenschaftler verglichen sich durchaus mit Naturwissenschaftlern, um von deren Reputation zu profitieren.

Zum lebhaften Austausch kam es auch hinsichtlich der Unterrichtsformen. Nicht alle Teilnehmenden ließen sich von dem Charme der Vorlesung einnehmen. Dem Bekenntnis zu ihr standen teils dunkle, teils erheiternde Erinnerungen an sie gegenüber. Winfried Schulze stellte Vorlesungen als höchst fragwürdig dar und riet dazu, neue Formen der Lehre zu finden. Gabriele Lingelbach zeigte die praktischen Grenzen transnationaler Überblicksvorlesungen auf, für die man viel Zeit, Sprachkenntnisse und eine gewisse Nachfrage brauche. Lutz Raphael wies auf die fehlende Brücke zwischen der Spezialisierung und der für Universalgeschichte nötigen Generalistenfähigkeit hin, die im disziplinären Betrieb nicht gestützt würde. Diese Debatte war eng verknüpft mit Fragen nach den Inhalten der Lehre. Bevor man die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts geschlechtergeschichtlich differenzieren könne, merkte Ernst Schulin an, und damit herkömmliche Zugänge auf den Kopf stelle, müssten die Studierenden doch erst einmal wissen, was herkömmliche Weltgeschichte bedeute, um sich davon abgrenzen zu können. Auch Konrad Jarausch fragte, was bei den Studierenden bei solch einem Zugang hängen bleibe. Die Spannung zwischen traditionellen und progressiven Ansätzen, generellen und speziellen Inhalten erweist sich als schwer neutralisierbar.

Was wenig erörtert wurde, war die Frage nach dem Interesse, mit dem Historiker und Historikerinnen ihre Lehre betreiben. Wenn, wie in Deutschland, gute Lehre nicht honoriert, sondern geradezu bestraft wird, weil sie auf Kosten der Forschung geschieht, stellt sich die Frage nach den disziplininternen Reputationsmechanismen. Ferner sollte empirisch erkundet werden, welche Tendenz sich in den letzten Jahren tatsächlich herausschält: Einerseits wird der Lehre zunehmend mehr Gewicht eingeräumt. Andererseits wird der Forschung, die in Publikationen mehr quantitativ als qualitativ (citation index, research assessments, publish or perish) gemessen wird, entscheidende Wichtigkeit zugeschrieben. Eine Investition in das eine gelingt aber nur auf Kosten des anderen. Doch während die Veröffentlichungslisten immer länger werden, soll die Lehre trotz steigender Studierendenzahlen immer besser werden. Zeichnet sich eine Spaltung zwischen Forschenden und für die Lehre Zuständigen ab, die vielleicht auf dem Rücken der Juniorprofessoren ausgetragen wird? Es bleibt zu untersuchen, welche Prämien im Feld für gute und innovative Lehre vergeben wurden, etwa anhand der Akten von Berufungsverhandlungen.

Insgesamt wurde bei dieser richtungsweisenden Tagung deutlich, dass die universitäre Lehre ein eklatantes Forschungsdesiderat ist, dass erste Impulse gesetzt werden konnten, vor allem jedoch, dass vorschnelle Anleihen bei fremden Wissenschaftskulturen im reformerischen Übereifer nicht dazu führend dürfen, die historisch gewachsenen, national je spezifischen Bedingungskonstellationen zu missachten. Es wäre höchst wünschenswert und angesichts gegenwärtiger politischer Entscheidungsprozesse dringend notwendig, dass die Ergebnisse und Diskussionserträge in einem Tagungsband publiziert werden.