Welt des Geistes, Welt der Politik. Interdependenzen, Schnittpunkte und Vermittler zwischen Gelehrtenrepublik und Staatenwelt in der Frühen Neuzeit

Welt des Geistes, Welt der Politik. Interdependenzen, Schnittpunkte und Vermittler zwischen Gelehrtenrepublik und Staatenwelt in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Sven Externbrink; in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Institut Paris; und der Universität Roma III
Ort
Rom
Land
Italy
Vom - Bis
14.05.2009 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Sven Externbrink, Deutsches Historisches Institut Rom/Istituto Storico Germanico di Roma

Auf dem von Sven Externbrink in Kooperation mit dem DHI Paris und der Universität Roma III organisierten Studientag wurden anhand von sieben Fallstudien Erscheinungsformen der Verflechtung zwischen Gelehrsamkeit und „Wissenschaft“ und „Politik“ untersucht.

Der Konzeption der Tagung zugrunde lag die Beobachtung, so SVEN EXTERNBRINK (Rom) in seiner Einführung, dass zwei „Fundamentalprozesse“ der europäischen Geschichte etwa zur selben Zeit im selben Raum – Italien – einsetzten, und zwar der frühneuzeitliche Staatsbildungsprozess und die Formierung eines europäischen Staatensystems einerseits, und die humanistische Bewegung andererseits. Der Humanismus habe als Katalysator für den Aufbruch Europas in eine „Neue Zeit“ gewirkt, theoretisch und praktisch verschiedene mittelalterliche Traditionen mit der Wiederentdeckung der Antike zu einem neuen Weltbild verschmolzen.

Beide Prozesse waren von Beginn an eng miteinander verflochten. Der frühneuzeitliche „Staat“ benötigte nicht nur humanistisch gebildete Juristen oder gelehrte Räte, die die Verschriftlichung und Verrechtlichung von Herrschaft vorantrieben, sondern bediente sich auch wesentlicher Inhalte des Renaissance-Humanismus, mit deren Hilfe er neue Formen der Repräsentation und Selbstdarstellung schuf. Dieser Bedarf entsprach dem letztlich praxisorientierten Ideal der humanistischen Bildungsbewegung. Mit ihren historischen Studien lieferten die Humanisten den aufstrebenden Herrschaften Gründungsmythen und Vorbilder, die es zu übertreffen galt. Eine neue säkulare Politik fand Verwendung für eine antikisch erneuerte Rhetorik, Humanisten schrieben und hielten „Reden“ im Dienste des „Staates“.

Die erste Sektion „Schnittpunkte“ eröffnete FRANCESCO SENATORE (Neapel) mit einem Einblick in das Laboratorium der Renaissance und damit in die Anfänge der einleitend skizzierten Prozesse. Am Beispiel der Kanzleien der Könige von Neapel in der Mitte des 15. Jahrhunderts konnte er zeigen, wie traditionelle Herrschaftsauffassungen und Mentalitäten und die politische Rhetorik des Humanismus zu einer neuen Form der politischen Sprache verschmolzen.

Im zweiten Vortrag der Sektion zeigte JÖRG ULBERT (Lorient) wie Ludwigs XIV. „Superminister“ Jean-Baptiste Colbert besonders in den 1660er-Jahren systematisch auf Angehörige der Gelehrtenrepublik nicht nur in Frankreich (prominentester Nichtfranzose auf der Gehaltsliste Colberts war zweifellos Hermann Conring) zur Verherrlichung des Sonnenkönigs zurückgriff. Bei der Auswahl der Empfänger von Pensionen ließ er sich anfangs vom Lyriker und Akademiemitglied Jean Chapelain, später vor allem von seinen Bibliothekaren, Pierre de Carcavy und Étienne Baluze, beraten. Ulbert illustrierte sowohl die Kosten dieses Systems als auch den Wandel in der Wahl der Propagandamittel während Colberts Amtszeit. Mit dem Beginn des Holländischen Krieges wurden die Zahlungen an ausländische Autoren, mit dem Tode Colberts wurden die Zahlungen auch an französische Gelehrte eingestellt.

Die Sektion „Instrumentalisierung“ eröffnete der Kunsthistoriker WILLIAM L. EISLER (Lausanne) mit einem Vortrag über die Bedeutung von Medaillen in Politik und Diplomatie der Frühen Neuzeit. Am Beispiel der Republik Genf am Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts zeigte er, wie sich aus der Ikonographie von Medaillen, die vor allem als Geschenk für Diplomaten verwendet wurden, die Außenpolitik der Republik Genf zwischen Spanischen Erbfolgekrieg und Régence in Frankreich rekonstruieren lässt. Verantwortlich für die Genfer Medaillenproduktion war Jean Dassier, der die Medaillenserien mit politischen Symbolen teils aus Privatinitiative, teils auf Veranlassung der Republik schlug. Bei der Auswahl und Gestaltung der Motive konnte Dassier zudem auf seine Kontakte innerhalb der Gelehrtenrepublik und des europäischen Gesandtschaftswesens zurückgreifen.

Der Folgevortrag, ein historisch-musikwissenschaftliches „Duett“ von GESA ZUR NIEDEN (Rom) und SVEN EXTERNBRINK, skizzierte in einem weiten Bogen einerseits den Beitrag musiktheoretischer Erörterungen des Humanismus und des frühen 17. Jahrhundert (unter anderem am Beispiel von Marin Mersennes „Harmonie universelle“, 1636) zur Entstehung der Oper und spezifischer musikalischer „Nationalstile“, andererseits die Instrumentalisierung des Gesamtkunstwerks Oper durch die höfische Gesellschaft. Letzteres wurde am Beispiel der Oper „Armide“ von Jean-Batiste Lully und Philippe Quinault, dem Modell der französischen „tragédie en musique“ schlechthin, illustriert. Die Aufführung der übersetzten „Armide“ in Rom im Jahre 1690, vor dem Hintergrund des Konflikts Frankreichs mit dem Papsttum durch die Vertreter des Sonnenkönigs an der Kurie scheiterte zweifach: Das Publikum wies sowohl den durch die „Armide“ transportierten kulturellen als auch den politischen Machtsanspruch entschieden ab.

Die dritte, den „Vermittlern“ gewidmete Sektion leitete ELISABETH STEIN (Wuppertal) mit einem Porträt des Historikers Paolo Giovio (1483 1552) ein. Zeitlebens bewegte sich Giovio als Klient der Medici an der Kurie, wo er Zugang auch zu engeren politischen Zirkeln hatte. Sein „Insiderwissen“, aber auch umfangreiche Quellenstudien flossen in seine historischen Werke ein, etwa in eine Biographie Leos X., die weniger ein Porträt des Papstes als eine Geschichte der Medici ist, und in die unvollendet gebliebene „Historia suo temporis, 1498-1547“. Die Tatsache, dass er in Latein schrieb und seine Darstellung mit Zitaten antiker Autoren überfrachtete, verhinderte eine intensive Rezeption seines Werkes, das durchaus mit den historischen Schriften seiner Zeitgenossen Machiavelli und Guicciardini vergleichbar ist. Entscheidend für den Gang der Geschichte war für Giovio, wie am Beispiel der Papst-Biographie gezeigt wurde, „Fortuna“, deren Wirken sich am Aufstieg und Fall der Medici illustrieren ließ. In der politischen Krise plädierte Giovio für die Auseinandersetzung mit dem Neuen und gegen ein starres Festhalten an der Tradition. Halt in Zeiten des Wandels jedoch gab ihm nur das Studium der „lettere“.

Mit Kaspar Schoppe (1576-1649) stellte KLAUS JAITNER (München) einen Grenzgänger zwischen Politik und Gelehrsamkeit im konfessionellen Zeitalter vor. Der aus der Oberpfalz stammende, lutherisch getaufte Schoppe konvertierte nach seinem Studium (Jura, später jedoch Hinwendung zur Philologie in Heidelberg, Altdorf und Ingolstadt) 1598 in Prag zum Katholizismus und trat in kaiserliche Dienste ein. Dies war der Beginn eines unsteten Wanderlebens, das ihn unter anderem mehrere Jahre nach Spanien, an den Hof Philipps III., und vor allem nach Italien, nach Mailand, Rom und Padua führte. Schoppe war in einer Grauzone kaiserlicher, spanischer und päpstlicher Diplomatie tätig und entwickelte zugleich eine große Produktivität als Polemiker innerhalb der Gelehrtenrepublik. Dabei deutet sich als einzige Konstante in Schoppes Leben oder als „Lebensmotto“ das Prinzip des Bruches und des Streites an. Schon die Konversion ist als Bruch mit dem Vater zu deuten, es folgten scharfe Angriffe gegen jene, die zeitweise ihm als Autoritäten gedient hatten und deren Werken er intensive Studien gewidmet hatte. Um nur ein Beispiel zu nennen: Nachdem er 1609-1611 als Sprachrohr der weltlichen Machtansprüche des Papsttum agiert hatte, plädierte er rund zehn Jahre später für die Rehabilitation Machiavellis und die Trennung von Religion und Politik.

OLAF ASBACHS (Hamburg) Vortrag über den „Wandel der Gelehrtenrepublik“ leitete zugleich die Schlussdiskussion ein. Er skizzierte in einem großen Überblick die Verwandlung der aus dem Humanismus entstandenen „Gelehrtenrepublik“ zur „République des lettres“ der Intellektuellen der Aufklärung. Dieser war zugleich „Konsequenz und einer der Faktoren der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationen“ Europas im 18. Jahrhundert. Illustriert wurde dies am Beispiel des Abbé de Saint-Pierre, der einerseits als Kritiker den politischen Wandel in Frankreich (von Ludwig XIV. zur Régence Philipps von Orléans) und in Europa (Entwurf einer Friedensordnung für das Staatensystem) begleitete, andererseits auch als Akteur, durch seine Tätigkeit in Pariser Akademien und in politischen und administrativen Kreisen daran teilnahm. Ein bedeutender Aspekt des theoretischen Wandels, für den Saint-Pierre steht, ist der Übergang von der philologischen Kritik zur philosophischen Kritik der Aufklärung. Saint-Pierre bezog in der „Querelle des anciens et des modernes“ entschieden Stellung für letztere: „Alter“ war ihm kein Beleg für Wahrheit, ebenso garantierte überkommene Autorität keine Wahrheit. Mit seiner Kritik der Rhetorik, einer der Wurzeln der humanistischen Bewegung, löste er sich endgültig von der Gelehrtenrepublik der Renaissance. In der Republik der „philosophes“ zählten von nun an Vernunft und Erfahrung als Königswege der Erkenntnis.

In der Abschlussdiskussion wurden aus den unterschiedlichen Themen des Tages zentrale Aspekte der Beziehung zwischen Gelehrtenrepublik und politischer Welt herausgearbeitet, die in allen Vorträgen in unterschiedlicher Intensität anklangen. Durchgehend, vom Hof der Aragon bis zur „Querelle des anciens et des modernes“ zur Zeit Saint-Pierres ist der Gegensatz von Tradition und Innovation bemerkbar, dem sich Gelehrsamkeit wie auch politisches Denken und Handeln zu stellen haben. Humanistische Bewegung und Politik gingen eine geradezu symbiotische Beziehung ein, bedingt dadurch, dass die Humanisten Antworten auf zentrale Fragen der Politik geben konnten: Konzeptionell zu Normen und Verfahren des politischen Handelns (Schoppe, Saint-Pierre), konkret in allen Fragen der Außendarstellung (Oper, Medaillen). Mehrfach wurde in diesem Kontext auf den Stellenwert der Geschichte hingewiesen. Historiker wie Giovio deuteten die Gegenwart aus der Erklärung der Krise der unmittelbaren Vergangenheit, Politiker wie Colbert bedienten sich der Historiker und setzten auf das historische Argument zur Propagierung des Ruhmes und der Ansprüche des Monarchen. Entwickelte die Geschichte sich im 17. Jahrhundert zu einer Form der Leitwissenschaft, gefördert und instrumentalisiert durch die zentralen Autoritäten, so verlor sie diesen Rang im 18. Jahrhundert an die Vernunft. Dies zeichnete sich bereits in den Projekten des Abbé de Saint-Pierre ab, der sich methodisch an den Innovationen der philosophischen und wissenschaftlichen Revolutionen des 17. Jahrhunderts orientierte und daraus Lösungsvorschläge zur Bewältigung des sich ankündigenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels entwickelte.

Mit der Aufklärung veränderte sich die Beziehung von Intellektualität und Politik: Die Philosophes gingen auf Distanz, emanzipierten sich vom Angewiesensein auf den staatlichen Mäzen. Ihr Wissen wurde nicht mehr instrumentalisiert, sondern sie distanzierten sich von staatlichen und kirchlichen Autoritäten und gingen über zur kritischen Prüfung aller Wirkungsbereiche der Politik. Im Gegenzug forderte der Staat von seinen „Beamten“ eine immer größere Loyalität und unbedingten Gehorsam. Diese Entwicklung hin zur Betonung des staatlichen Partikularismus bedrohte den Kosmopolitismus und den Universalismus, den schon die humanistische Bewegung geprägt hatte. Auch diese Konstellation begegnete mehrfach in den Beiträgen des Tages.

Abschließend lässt sich feststellen, dass der für die Tagung gewählte Zugriff, die Thematik an einem breiten Themenspektrum – von den Humanisten am Hofe der Aragon in Neapel bis zu Medaillenkünstlern – sich als ertragreich erwiesen hat. Die Interdependenzen zwischen Gelehrtenrepublik und Politik in der frühen Neuzeit bieten noch Raum für eine intensive und systematische Erforschung.

Konferenzübersicht:

Michael Matheus, Rom
Begrüßung

Sven Externbrink, Rom
Einführung

1. Punti di contatto – Schnittpunkte

Francesco Senatore (Neapel)
Umanesimo e reggimento dello stato: la corte aragonese di Napoli

Jörg Ulbert (Lorient)
Bibliotheken und Gelehrsamkeit im Dienste der Politik: Colbert, Étienne Baluze und die Propaganda Ludwigs XIV.

2. Instrumentalisierung – Insturmentalizzazione

William L. Eisler (Lausanne)
Medals, Politics and Diplomacy: The Eighteenth-Century Collections of the Public Library of Geneva

Gesa zur Nieden (Rom), Sven Externbrink (Rom)
Chantons, Chantons la paix. Instrumentalisierung von Musik in den Beziehungen zwischen Ludwig XIV. und der Kurie (1661–1715)

3. Vermittler – Mediatori

Elisabeth Stein (Wuppertal)
Porträt und Politik. Konzepte der Macht bei Paolo Giovio

Klaus Jaitner (München)
Kaspar Schoppe (1576 1647) – Politische Theorie und Praxis

Olaf Asbach (Hamburg)

Schlussdiskussion