The Experience of War in a Border Region: Belgium, Luxemburg, the Netherlands and Germany 1914-45

The Experience of War in a Border Region: Belgium, Luxemburg, the Netherlands and Germany 1914-45

Organisatoren
RWTH Aachen; Lehr- und Forschungsgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Gesellschaft für Interdisziplinäre Praxis e. V. Konejung Stiftung: Kultur; NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Ort
Aachen
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.03.2009 - 13.03.2009
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Von
Patrick Hahne, RWTH Aachen

Wie veränderten die Kriege des 20. Jahrhunderts das Grenzgebiet im Westen Europas, wo Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Deutschland aneinander stoßen? Was bedeutet Krieg für das Regionalbewusstsein? Welche kulturellen, ökonomischen und sozialen Konsequenzen brachten Kriege mit sich, wie veränderten sie die Landschaft? In welcher Weise unterscheiden sich nationale und lokale Erinnerungen, und wie gehen die Bewohner der Grenzgebiete heute, in einem vereinigten Europa mit den eigenen Erinnerungen und denen ihrer Nachbarn um?

Dieser Fragestellung widmeten sich am 12. und 13. März 2009 Historikerinnen und Historiker im Rahmen der Konferenz „The Experience of War in a Border Region: Belgium, Luxemburg, the Netherlands and Germany 1914-1945“ an der RWTH Aachen. Gemeinsam mit dem Lehr- und Forschungsgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte, vertreten durch Christoph Rass, zählten Frank Möller von der Gesellschaft für Interdisziplinäre Praxis e. V., Achim Konejung von der Konejung Stiftung: Kultur sowie die stellvertretende Direktorin des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Karola Fings, zu den Veranstaltern. Die Leitung einzelner Sektionen übernahmen ferner Professor Jost Dülffer von der Universität zu Köln sowie Professor Ad Knotter von der Universität Maastricht.

Nach Eröffnung der Tagung durch PAUL THOMES (Aachen), der einleitend in erweiterter chronologischer Perspektive die wechselvolle Rolle der Grenze für die Entwicklung des Erinnerns hervorhob, konzentrierte sich der einführende Vortrag von CHRISTOPH RASS (Aachen) auf die grundlegenden Herausforderungen, denen sich die Aufarbeitung der Kriege des 20. Jahrhunderts für eine Grenzregion gegenüber gestellt sieht. Als drängendes Problem stellte er dabei die mangelnde horizontale bzw. vertikale Vernetzung unterschiedlicher Arbeitsebenen heraus. So arbeiteten auf deutscher Seite vielfach die „Geschichtsschreibung von unten“ und die lokalen musealen Einrichtungen, die in ihrer Arbeit häufig nicht an wissenschaftlichen Standards orientiert seien, und die wissenschaftliche Regionalforschung eher neben- als miteinander. Gleichzeitig, so betonte Rass, könnte die regionalhistorische Forschung von einer systematischen Verdichtung der grenzüberschreitenden Kontakte in hohem Maß profitieren. Schließlich gelte es, auch regionale Geschichte in Grenzräumen in „größere“ historische Zusammenhänge einzubetten. Ebenso sei es notwendig, sie stärker im Bewusstsein der wissenschaftlichen Forschung zu verankern. Dies nicht zuletzt, weil Grenzregionen aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft bisweilen periphere Räume seien und infolge dessen nur eine marginale Rolle spielten. Das erklärte Ziel des Workshops sah Rass deshalb nicht nur in der Verschränkung der Analyse regionaler Geschichtswahrnehmungen und -deutungen, die in Grenzregionen aufeinander treffen, sondern insbesondere auch in der Nachzeichnung ihrer Entwicklung über längere Zeiträume hinweg. Besonderes Augenmerk solle dabei den spezifischen Bedingungen von Erfahrung und Erinnerung in Grenzregionen zukommen, die beispielsweise in der direkten Nachbarschaft ehemaliger und künftiger Kriegsgegner, dem Nationalitätswechseln einzelner Gebiete infolge von Okkupation oder Annektion, den nicht selten besonders erbitterten Kämpfen um Grenzräume sowie der räumlichen Nähe unterschiedlicher nationaler Erinnerungskulturen liegen.

Im ersten thematischen Beitrag analysierte BERND LIEMANN (Münster) die Kriegswahrnehmung der Zivilbevölkerung im deutsch-belgischen Grenzland zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Einleitend betonte er die aus 800-jähriger Tradition deutscher Zugehörigkeit rührende, konfessionelle und ökonomische Identität der Grenzstadt Eupen, welche erst durch den Wiener Kongress hundert Jahre zuvor der belgischen Grafschaft Limburg zugeschlagen worden war. Die Rezeption des deutschen Aufmarsches durch die Zivilbevölkerung bezeichnete er als ambivalentes Gemisch aus nationalen und transnationalen Elementen. Neben der Angst vor einer belgischen oder französischen Okkupation stehe dichotom Kriegsbegeisterung und -belastung. Der soziale Druck habe zwar für einen Wetteifer um Beteiligung an Freiwilligendiensten für die deutsche Armee gesorgt. Zugleich sei durch grenzübergreifende Netzwerke, wie familiäre und freundschaftliche Bindungen, die deutsche „Franctireur“-Propaganda einfach zu entlarven gewesen. Allerdings ließe sich diese ambivalente Haltung nur für den Kriegsbeginn belegen, später sei die Grenze „im Kopf“ schnell undurchlässiger geworden. Nach dem Ersten Weltkrieg erfuhr das regionale Geschichtsbild bedingt durch die Grenzverschiebungen 1918, 1940 und 1945 und den damit verbundenen Nationalitätswechseln der deutschen Grenzbewohner immer wieder eine Neuinterpretation.

DANIEL SEGESSER (Bern) arbeitete im zweiten Vortrag die in der Zwischenkriegszeit diskutierten belgischen Verteidigungskonzepte heraus. Der deutsche Vormarsch 1914, bei dem große Teile des belgischen Staatsgebietes okkupiert wurden, habe die belgische Öffentlichkeit ob ihrer Ohnmacht traumatisiert zurückgelassen. In der Folge seien daher totalere, das heißt die Zivilgesellschaft einbeziehende, Konzepte präferiert worden, unter denen die Optionen einer Verteidigung bereits an der Maas oder erst tiefer im Inland konkurrierten. Deutschland sei wegen der Rheinlandbesetzung nach dem Ersten Weltkrieg und der versteckten Aufrüstung lange nicht als Aggressor wahrgenommen worden, der Bau des Westwalls in den 1930er-Jahren habe das belgische Militär dann dazu verleitet, einen Stellungskrieg zu erwarten. Allerdings hätten sich Militär und Politik aus mangelnder Rüstungsbegeisterung der Bevölkerung nicht auf eine einheitliche diplomatische, ökonomische und militärische Strategie einigen können. Zur fehlenden zentralen Organisation seien Differenzen zwischen den Volksgruppen der Flamen und Wallonen gekommen. Zusätzlich hätten niederländisch-belgische Grenzstreitigkeiten die Koordination der Verteidigung erschwert, weshalb die Grenzbefestigungen Belgiens auch im Zweiten Weltkrieg für die Wehrmacht vergleichsweise leicht zu überrennen waren, nachdem der Festungsgürtel um Lüttich bei Eben-Emael durchbrochen war.

Die stark divergierende Okkupationspraxis in den grenznahen Großstädten Maastricht und Lüttich war Gegenstand des Vortrags von PAUL BONZWAER (Maastricht). Während in den Niederlanden eine dünn besetzte Zivilverwaltung unter der Ägide von Reichskommissar Arthur Seyss-Inquart und seinen Generalkommissaren versuchen sollte, die Niederländer für die nationalsozialistische Idee zu gewinnen, herrschte in Belgien eine Militärverwaltung. Diese Konstellation bietet die Gelegenheit zum Vergleich zweier Herrschaftsmuster in einem engen regionalen Kontext. Laut Bonzwaer gelang es in Maastricht nach dem Rücktritt des deutsch-affinen Bürgermeisters von Kessenich zwischen 1941 und 1944 mehreren von den Deutschen eingesetzten Nachfolgern nicht, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Anders in Lüttich. Dort sei der Bürgermeister Boulogne von den Besatzern 1940 zunächst gezwungen worden, im Amt zu bleiben, weil er die starken sozialistischen Kräfte innerhalb des Großraumes kontrollieren konnte. Ab 1943 habe dann der neue Bürgermeister und überzeugte NS-Idealist Dargent, gestützt auf einen eigenen Nachrichtendienst und milizähnliche Verbände, einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung geführt. Das viel strengere Vorgehen in der Besatzungszeit in Belgien im Vergleich zu den Niederlanden spiegele sich auch in der Kriegserfahrung und -erinnerung der Region wider. Insgesamt sei Belgien viel stärker in seiner Staatlichkeit angegriffen worden, wegen der vorausgehenden Kriegserfahrung von 1914 bis 1918 habe die Bevölkerung jedoch auch schneller den Widerstand organisieren können.

Die Umsetzung und die Bedeutung der Abwehrkämpfe an der Westfront ab September 1944 bis zum März 1945 stellte ARMIN NOLZEN (Warburg) vor. Die Wehrmacht habe bei der Evakuierung der deutschen Bevölkerung in den westlichen Grenzgebieten das ARLZ-Prinzip (Auflockerung, Räumung, Lähmung, Zerstörung) angewandt. Die Koordination zwischen militärischen und zivilen Stellen bei den Abwehrkämpfen sei durch die Reichskanzlei erfolgt, insbesondere beim Stellungsbau seien Zwangsarbeiter/innen und Zivilisten zum Einsatz gekommen. Als letzte militärische Maßnahmen sei die „Volkssturm“-Miliz für Männer zwischen 16 und 60 im September 1944 mobilisiert worden, in der „Werwolf“-Organisation habe das Regime zudem fanatisierte Jugendliche ab 13 Jahren für Partisanen-Aktionen ausgebildet. Die ARLZ-Maßnahmen hätten sich bis weit nach Kriegsende in den Wiederaufbau hinein ausgewirkt, die erzwungene Migration habe zudem aufgrund des hohen Zerstörungsgrades im Grenzland nicht gänzlich rückgängig gemacht werden können. In der Nachkriegszeit sei es dann im Zuge des Rückstromes der Bevölkerung und der schleppenden Rekonstruktion der Infrastruktur zu Konflikten zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen bzw. Vertriebenen, die sich im Grenzgebiet ansiedelten, gekommen. Im Geschichtsbild wurden zugleich die Kämpfe im Grenzgebiet als Abwehr gesellschaftlich exkulpiert, „Volkssturm“ und „Werwolf“ hingegen als NS-Fanatiker dargestellt und so der hohe Grad militärischer Sozialisation der Gesamtbevölkerung und ihre Einbindung in die Endkämpfe verdrängt. Größtenteils unerforscht geblieben sei daher bisher das Verhalten dieser radikalisierten HJ-Generation in BRD und DDR.

Der niederländische Filmemacher ALBERT ELLINGS (Amsterdam) hielt anschließend einen Vortrag über die „Akkers von Margraten“, eine Dokumentation über den einzigen amerikanischen Kriegsfriedhof auf niederländischem Boden. In dem südlimburgischen 1.200-Einwohner-Ort wurden ab dem November 1944 insgesamt 22.000 Soldaten bestattet. Ursprünglich sei die Anlage als Friedhof für die 9. US-Armee entstanden, die den Standort als zentrale Begräbnisstätte zwischen Aachen und Maastricht gewählt hatte. Erst um 1960 habe dann mit dem Bau einer Gedenkstätte die politische Instrumentalisierung des Friedhofs begonnen, der zu einem Symbol für die Befreiung der Niederlande umgedeutet wurde. Der Dokumentarfilm über die Bedeutung des Friedhofs für die Stadt Margraten, welcher auf Interviews mit 40 Niederländern und zwölf Amerikanern basiert, werde im Rahmen des vom niederländischen Staat geförderten Projekts „Erfgoed van de Oorlog“ (Das Erbe des Krieges) realisiert. Die Berichte der Grenzlandbewohner zeugten davon, wie die Normalität des nachbarschaftlichen Miteinanders durch den Krieg selbst im Falle von Familienbanden zur Ausnahme werde. Der „visual turn“ zu einer Verbindung von Oral History mit bildmedialer Erinnerung sei dabei durchaus kritisch zu hinterfragen, wenn der Subjektivität der Zeitzeugen keine wissenschaftlich fundierte Kontextualisierung an die Seite gestellt werde.

Einen ähnlichen Standpunkt vertrat auch JENS LOHMEIER (Aachen) im letzten Vortrag des ersten Konferenztages. Sein Bericht über den Umgang mit den „Gefallenen“ der Schlacht im Hürtgenwald konzentrierte sich vor allem auf die Entkontextualisierung der deutschen Soldatenfriedhöfe in der Region und auch des Westwalls. Gräberfelder könnten als Orte des Gedächtnisses Signale aussenden, im Falle der deutschen Anlagen seien diese jedoch undifferenziert. So hätten die Friedhöfe Vossenack und Hürtgen lange die Vereinnahmung durch rechte Gruppen toleriert und einem unkritischen Geschichtsbild Vorschub geleistet, erkennbar etwa an der Gedächtnisstätte der 116. Panzerdivision oder dem Umgang mit den umgebetteten Überresten Generalfeldmarschall Models. Aufgebrochen werden könne diese Entwicklung nur durch weitere wissenschaftliche Arbeit und ihre Einbindung in den gesellschaftlichen Diskurs. Ziel müsse es sein, die Ereignisse in der Region während der Endphase des Krieges überregional bekannter zu machen und auch über die Grenzen hinweg mit den Nachbarn zu diskutieren. Dabei sei insbesondere die Einordnung der lokalen Erinnerungen in den weiteren Kontext des Zweiten Weltkrieges und seines verbrecherischen Charakters notwendig.

Den Auftakt des zweiten Tages bildete der Vortrag von RENÉE WAGENER (Luxemburg) über das Interview-Projekt „Expériences collectives, mémoires intergénérationelle et constructions identitaire: Témoins de la Seconde Guerre mondiale, mondes paysan et ouvrier, immigrants au Luxembourg“. Im Rahmen des Projekts wurden Familien zur Genese von Erinnerungen und Identitäten befragt. Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen dem offiziellen Diktum einer nationalen Solidarität der Luxemburger während der deutschen Okkupation und den heterogenen familiären Kriegserinnerungen. Einig seien sich die Befragten, gleich ob Widerständler, Kollaborateure oder als Juden Stigmatisierte, zwar in ihrer Einstellung zum Krieg. Gesellschaftspolitisch schwierig gestalte sich dagegen nach 1945 der Konflikt zwischen den im Krieg für die Wehrmacht zwangsrekrutierten luxemburgischen Männern und jenen, die Widerstand leisteten. Während schließlich eine politische Instrumentalisierung der Zwangsrekrutierten als Opfer stattgefunden habe, sei die Kriegsverarbeitung individuell und heterogen geblieben. Luxemburg hinke in der Aufarbeitung des Krieges im EU-Vergleich zehn Jahre hinterher, das nationale Gedächtnis sei unkritisch und habe den Zweiten Weltkrieg zur Feuerprobe der staatlichen Selbstständigkeit stilisiert.

FLORIAN WÖLTERING (Aachen) stellte in seinem Vortrag das Phänomen „Dark Tourism“ vor. Die Anziehungskraft von Schauplätzen, Attraktionen und Ausstellungen, die Tod, Leid oder Makaberes darstellen, sei auch für die Grenzregion relevant. Neben dem Schlachtfeldtourismus als Unterkategorie des „Dark Tourism“ entwickelten sich die Kriegsfriedhöfe ebenfalls zu immer beliebteren Reisezielen. Die ersten Besucher nach dem Krieg, so genannte „Pilgertouristen“, hätten meist eine persönliche Beziehung zum Ort gehabt. Das Interesse verflache jedoch nach einiger Zeit, von Jahrestagen und persönlichen Lebensphasen abgesehen. Danach sei ein Anstieg der Besucherzahlen durch „Freizeittouristen“ ohne persönliche Verbindung zu beobachten. In der Euregio liege schon heute ein touristischer Schwerpunkt auf den Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs, dabei seien aus wirtschaftsgeographischer Sicht sechs Cluster zu identifizieren: In Utrecht, Namur, Arnhem, Lüttich, den Ardennen und der Eifel gebe es jeweils mehrere entsprechende Besucherziele. Während in den Benelux-Ländern eine aktive und zumeist wissenschaftlich-kritisch begleitete Erinnerungskultur mit gut ausgebauter Infrastruktur vorhanden sei, hinke man in der Region auf deutscher Seite einige Jahre hinterher. Der Schwerpunkt des Erinnerungstourismus liege in den Niederlanden auf der „Operation Market Garden“, in Belgien auf der Ardennenschlacht und in Deutschland auf der Zurschaustellung der nationalsozialistischen Architektur und des Schlachtfeldes Hürtgenwald. Eine Chance für die Nutzbarmachung dieses Potenzials bestünde in der Musealisierung der Grenzregion als Schauplatz von Konflikten und Integration, problematisch sei dabei die Koordination der unterschiedlichen Akteursgruppen, zum Beispiel zwischen professionell und privat betreuten Einrichtungen. Laut einer im Rahmen der Euregionale 2008 entstandenen Studie rechne sich die Restaurierung und eindimensional-technische Präsentation des Westwalls nicht, denn es zeichne sich bei den Besuchern ein Paradigmenwechsel hin zu einer kritischen Erfahrungs-Bildung ab, dem die Anbieter Rechnung tragen müssten.

Im letzten Beitrag des zweiten Konferenztages zeigte die Kunsthistorikerin CHRISTIANE KEIM (Berlin) den kreativen Umgang mit Kriegsrelikten auf. Das Projekt „Erinnerungsräume. Architekturen des Krieges in Trier und der Großregion“ brachte Studenten aus Metz, Lüttich und Trier zusammen auf der Suche nach einem künstlerischen Zugang mit den kontroversen kulturellen Vermächtnissen des Zweiten Weltkrieges, speziell dem Westwall, der Maginot-Linie und den belgischen Forts um Lüttich. Das transnationale kunstpädagogische Vorhaben sollte die Räumlichkeit der Architektur und die Bedeutung der Grenzanlagen für die Erinnerungsbildung darstellen. So sei die Gruppe der Universität Trier 140 Kilometer entlang des Westwalls gewandert, habe Interviews mit verschiedenen Generationen von Anwohnern über den Umgang mit den Kriegsrelikten geführt und die Ergebnisse in einer interaktiven Präsentation aufgearbeitet. Ein Ziel sei es gewesen, die Aufmerksamkeit der Post-post-Kriegs-Generation zu wecken und das medienvermittelte Bild vom Zweiten Weltkrieg mit der Realität der Relikte abzugleichen. Diese böten Möglichkeiten für „Land Art“ und der Visualisierung des Krieges zur Vermittlung an Schulen. Konfliktpunkte hätten sich aus der Angst der Künstler ergeben, zuviel Hintergrundinformation schränke die Kreativität ein, wohingegen die Fachwissenschaft eben diese Einbettung einfordere.

Abschließend stellte AD KNOTTER (Maastricht) die Ergebnisse des Workshops zusammen und hob die Heterogenität der Befunde hervor. Das Phänomen Krieg sei mit Grenzen eng verbunden: als extreme Form von Interaktion zwischen Staaten könne es diese sprengen und verschieben. Grenzen könnten sowohl Kontakt- als auch Konfliktlinien sein, im Gegensatz zur modernen Praxis in der Europäischen Union seien sie im Zweiten Weltkrieg unter deutscher Okkupation allerdings nicht aufgehoben, sondern nur partiell verschoben und umgedeutet worden. Bei der Aufarbeitung ihrer Bedeutung für die Kriegserfahrung der Bevölkerung stünde die analytische Vorgehensweise der Historiker der individuellen und subjektiven Erinnerung der Zeitzeugen gegenüber. Die Bedeutung von regionalen oder nationalen Identitäten für die Kriegserfahrungsforschung sei bisher ebenso wenig untersucht worden wie die Bedeutung der (symbolischen) Grenzen für die Einstellungen zu Versöhnung und Gedenken oder die Diskrepanzen zwischen privaten und kollektiven Erinnerungskulturen zu ihren jeweiligen Geschichtsmythen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz waren sich daher einig, dass die Forschung über die Kriegswahrnehmung, gestützt auf einen grenzübergreifend-regionalen Ansatz, stärker transnational ausgerichtet werden müsse, um eventuell vorliegende Meta-Narrative herauszuarbeiten. Neben vielen Einzelstudien stehen bislang nur wenige (Länder-)Vergleiche bzw. länderübergreifende Arbeiten. Die individuelle Grenzerfahrung sei noch stark von nationalen Stereotypen geprägt, zum Beispiel sei in der deutschen Wissenschaft der Krieg in der Grenzregion lange vernachlässigt geblieben, wodurch es rechten Kreisen relativ einfach gelungen sei, das Thema zu besetzen. Wie es die Holocaust-Forschung bereits seit zehn Jahren betreibe, so Knotter, solle die Kriegserinnerungsforschung mentale, kulturelle und sprachliche Schranken überwinden, um zu einem multidimensionalen Ansatz zu gelangen.

Die Veranstalter planen, diesem ersten explorativen Workshop weitere Veranstaltungen unter dieser Fragestellung mit einer stärker fokussierten Ausrichtung in Belgien, den Niederlanden sowie in Luxemburg folgen zu lassen.

Konferenzübersicht:

Paul Thomes: Welcome Address
Christoph Rass: Opening Remarks

Section 1: The First World War and the Interwar Years

Bernard Liemann: „A Special Drama was presented to us.“ The Civil Experience of War in the German-Belgian Border Region at the Beginning of the First World War
Daniel Segesser: In the Shadow of Total War: Border Defence Concepts in the Military Debate of the Interwar Period in Belgium

Section 2: The Second World War and its (regional) Battlefields

Paul Bonzwaer: The Experience of War and Occupation in Maastricht and Liége
Armin Nolzen: Running Fights at the Western Front: Evacuation, Fortification, and Partisan Warfare September 1944-March 1945
Albert Elings: Akkers van Margraten (Fields of Margraten) – Netherlands
Jens Lohmeier: Rest in Peace – German War Cementeries in the Hürtgenforest

Section 3: War and Memory post 1945

Renée Wagener: National Community, Border Region and Transnational Mobility in Family Recollections of the Second World War
Florian Wöltering: War-Related Tourism in Germany and its Western Neighbours. Comparative Studies in Locatons, Concepts, Visitors and Chances
Christiane Keim: Dealing with Contested Legacies – Border Fortifications of the Second World War as Subjects of a Transnational Art-Educational Project

Section 4: Conclusions and Perspectives

Ad Knotter: War and Occupation as a Subject for Border Studies
Frank Möller / Achim Konejung: Concluding remarks and Discussion