Die Stadt und ihr Gedächtnis. Zur Zukunft der Stadtmuseen

Die Stadt und ihr Gedächtnis. Zur Zukunft der Stadtmuseen

Organisatoren
Berliner Stadtmuseum
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.04.2009 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Ronald Kaduk, Berlin

Die deutschen Stadtmuseen befinden sich, wenn nicht in einer Krise, so doch an einem Scheideweg. Bereits seit Jahren ist ihnen klar, dass sie sich neu erfinden müssen, um nicht vollends marginalisiert zu werden. Zu groß ist die Konkurrenz der Freizeitangebote, besonders in den Großstädten. Und zu klein die Zahl der Menschen, die etwa in Berlin nach Besichtigung des Pergamonaltars und der Nofretete auch noch den Weg in das historische Museum der Stadt finden. Erstaunlich viele – nämlich 150 Fachleute aus ganz Deutschland – fanden allerdings den Weg in das Märkische Museum, das Stammhaus der Stiftung Stadtmuseum Berlin, anlässlich der Fachtagung „Die Stadt und ihr Gedächtnis. Zur Zukunft der Stadtmuseen“.

Bereits der Begrüßungsvortrag der Direktorin des Berliner Stadtmuseums, FRANZISKA NENTWIG, benannte die zentralen Probleme, mit denen sich ein per definitionem auf das Lokale konzentrierende Museum heute konfrontiert sieht. Ins Leben gerufen von jenem so oft glorifizierten, optimistisch in die Zukunft und nostalgisch in die Vergangenheit blickenden Bürgertum, war es für dieses vor allem ein Ort der Selbstvergewisserung und Identitätsstiftung. Diese Zielgruppe scheint genauso verschwunden, wie die damit verbundene Aufgabe. Umso schwerer fällt es vielen Stadtmuseen, selbstbewusst eine neue Rolle einzunehmen. Zu gegensätzlich ist der von den verschiedenen Interessengruppen an sie herangetragene Anforderungskatalog.

„Wie sieht die Zukunft der Stadtmuseen aus angesichts der deutlichen Veränderungen der Städte und des Publikums?“ lautete die zentrale Frage des Symposiums. Die Veranstaltung, konzipiert von CLAUDIA GEMMEKE, Leiterin des Forums des Stadtmuseums Berlin und mit Unterstützung der Bundeszentrale für Politische Bildung realisiert, verzichtete bewusst auf die Präsentation von Best-Practice-Beispielen als Antwortkatalog. Stattdessen sollten Fachleute aus anderen Disziplinen zu Wort kommen. Denn Sichten von außen versprächen Impulse.

Die stärkste dieser Interessengruppen ist nach wie vor die Politik. Die Vorträge der Vorsitzenden des Kulturausschusses des Abgeordnetenhauses von Berlin, ALICE STRÖVER, und des Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, THOMAS KRÜGER, machten vor allem eines deutlich: Ein erfolgreich agierendes Stadtmuseum muss von der öffentlichen Hand angemessen ausgestattet werden und sollte sich trotz seiner Abhängigkeit von öffentlichen Geldern jedem Versuch inhaltlicher Einflussnahme durch die Politik widersetzen. In welcher Form sie ihre allgemeinen Aufgaben (Sammeln, Bewahren, Forschen, Präsentieren) erfüllen, sollte ihnen weitestgehend selbst überlassen bleiben. Die Forderung Thomas Krügers, durch einen Museumsbesuch die gesellschaftliche Kompetenz junger Besucher nachhaltig zu stärken, blieb zunächst als starker Appell und als Herausforderung an die Museen adressiert.

Der Berliner Ethnologe WOLFGANG KASCHUBA diagnostizierte in seinem Vortrag ein verbreitetes Unbehagen vieler Stadtmuseen mit ihrer eigenen Identität. Keine Stadt (und kein Stadtmuseum) wolle klein und provinziell wirken. Viele suchten daher ihre „Beheimatung im Großen“, Weltoffenen, Metropolenhaften. Einen Ausweg aus diesem Dilemma sah er für die Stadtmuseen darin, den Paradigmenwechsel von der lokalen zur offenen Stadt, zur Urbanität, mit zu vollziehen. Kaschuba plädierte dafür, den Stadtbürgermythos, der real nicht mehr unterfüttert sei, nicht mehr zu bedienen und sich vielmehr mit den Angeboten an dem zu orientieren, was Stadt heute schon ist - offen, migrantisch, szenig, authentisch – und durch diese Angebote an der imaginativen Stadtbildung und Identitätsbildung zu arbeiten.

Einen besonders anregenden Teil der Konferenz boten die Vorträge und Diskussionen zum Stadtmuseum als „Sammlungshort, Bürger-Forum oder Erlebnisort“. GOTTFRIED KORFF (Tübingen), nicht nur als Kurator und Theoretiker längst eine Museumsinstanz, wusste dabei immer wieder gekonnt zu provozieren. Frei nach Peter Sloterdijk beschrieb er Stadtmuseen als Auslaufmodelle und Endlager für schwach strahlende Dinge; schob jedoch zur Erleichterung des Fachpublikums nach, dass es erste Anzeichen eines neuen Aufschwungs gäbe. Ähnlich wie Wolfgang Kaschuba sah auch er die zukünftige Rolle des Stadtmuseums als einen Ort, in dem sich das Fremde und das Eigene begegnen und in einen „intelligenten Grenzverkehr“ treten sollten. Er verwandte dafür das schöne Bild eines musealen GPS, das uns zeige wo wir standen und stehen und die dazu passenden Images liefere.

LEONTINE MEIJER-VAN MENSCH, Dozentin für Theoretische Museologie an der Amsterdamer Reinwardt Akademie, gelang etwas, was Museen oft vergeblich versuchen: Sowohl emotional als auch intellektuell anregend zu sein. Am Beispiel der holländischen Kleinstadt Zoetermeer plädierte sie dafür, den Besucher zum Kurator zu machen. Ihr Museum 2.0 orientiert sich am Konzept des Internets. Die Besucher sind nicht mehr nur passive Konsumenten, sondern kreieren den Inhalt selbst. Dieses auf Mitbestimmung und Mitverantwortung bauende Modell ist zwar nicht so neu und revolutionär wie es klingt, hat aber nichts von seinem Reiz verloren. Es beinhaltet das Versprechen nach einer Einbeziehung der Bürger, nach einer neuen Form von Partizipation, wie damals vor 100 Jahren. Wer wollte sich einer solchen Öffnung des Museums entziehen?

Erstaunlich viele. So warnte UDO GRÖßWALD, seit 25 Jahren Leiter des Berliner Bezirksmuseums Neukölln, vehement davor, Laien zu Kuratoren zu machen. Für ihn bedeute dies nicht nur eine unnötige Amateurisierung, sondern auch eine Entwertung der Museumsarbeit. Mit dieser Meinung war er nicht allein. Die pathetische, kirchenähnliche Große Halle des Märkischen Museums wurde nun Zeuge einer lebhaften und leider viel zu kurzen Diskussion, die am Kern moderner Museumsarbeit rüttelte. Der straffe Zeitplan ließ diesem in vielerlei Hinsicht spannenden Moment der Konferenz bedauerlicherweise nicht genug Raum. Genau an dieser Stelle sollte die Nachfolgekonferenz anknüpfen, so planen die Veranstalter.

Es folgten die Vorträge dreier Museumsarchitekten: UWE BRÜCKNER, RUEDI BAUR und MARTIN KOHLBAUER gingen der Frage nach, wie Erinnerung am besten zu präsentieren oder inszenieren sei. Hier offenbarte sich einmal mehr eines der Ur-Probleme der Museen: Möglichst viel, möglichst eindrucksvoll ausstellen zu wollen. Welcher Museumsdirektor möchte nicht all seine Schätze sichtbar machen? Die Präsentationen der Architekten und Szenografen hingegen beruhen oftmals auf radikaler Reduktion – bis hin zu einem einzelnen Exponat, das einen ganzen Raum dominiert. „Pointierung“ und „Konzentration auf das Wesentliche“ sind für einige Museumswissenschaftler schlichtweg Verschwendung von Räumen oder gar eine Bedeutungsverschiebung vom Objekt zum Raum, bzw. dem Inhalt zur Form.

Im Finale der Tagung wurden abschließende Antworten auf eine der zentralen Fragen der Tagung gesucht: Welches Stadtmuseum braucht die Stadt der Zukunft? Das kompetent besetzte Podium und die wunderbar provokativen und direkten Fragen des Moderators BERNHARD GRAF, Leiter des Instituts für Museumsforschung, Berlin, boten eine fulminante Schlussdebatte. Die Antworten mussten allerdings eine finale Lösung schuldig bleiben, das war nicht anders zu erwarten. Die Debatte hatte jedoch eine Vielzahl von Fragen aufgeworfen, unerwartete Aspekte aufgezeigt und Impulse gegeben. Die bis zuletzt angeregte Diskussion offenbarte schließlich eine merkwürdige Skepsis gegenüber dem „Objekt“ – vor allem als Sammlungsgegenstand. Allein in den Depots des Berliner Stadtmuseums befinden sich rund 4,5 Millionen Objekte. Nur die wenigsten davon werden in den nächsten Jahren von neugierigen Besucheraugen gemustert werden. Der Anregung, mit multimedialen Mitteln die jugendlichen „Medienprofis“ ins Museum zu holen, kann man so manches entgegensetzen. Sollte es nicht vielmehr Aufgabe der in den Museen beschäftigten „Objektprofis“ sein, genau diese wieder in den Mittelpunkt zu rücken? Könnten die jungen Besucher im Museum nicht das wiederentdecken, was in ihrem Bildschirm-Alltag immer mehr verschwindet: Die Struktur, die Haptik und der Geruch von Dingen? Aber: schließt das eine das andere aus? DEN Weg für die Zukunft der Stadtmuseen wird es nicht geben. Das Berliner Stadtmuseum im Märkischen Museum, ab 2012 noch ergänzt durch einen Neubau gegenüber, bietet ein ideales Experimentierfeld.

Konferenzübersicht:

Begrüßung: Barbara Kisseler, Staatssekretärin, Chefin der Senatskanzlei Berlin

Keynote Lecture: David Spence, Direktor des Museum of London Docklands (Vortrag in englischer Sprache)

Begrüßung: Franziska Nentwig, Generaldirektorin Stadtmuseum Berlin

Die Stadt als sozialer und politischer Raum – Herausforderungen für das Stadtmuseum der Zukunft
Moderation: Harald Asel, Forum-Redakteur Inforadio (rbb)

Alice Ströver, Vorsitzende des Kulturausschusses des Abgeordnetenhauses von Berlin
„Zwischen Geld und guten Worten – Politische Verantwortung für stadtgeschichtliche Museen“

Volker Kirchberg, Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Kulturtheorie, Kulturforschung und Künste
„Museen in der Stadt – Stadtmuseen – eine Gegenüberstellung“

Wolfgang Kaschuba, Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für Europäische Ethnologie
„Urbane Narrative – oder: Wem gehört die Stadt?“

Thomas Krüger, Präsident, Bundeszentrale für politische Bildung
„Was macht Stadtmuseen attraktiv für die kulturelle und politische Bildung?“

Anne Schmidt, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin
„Geschichte, Gefühle, Museen“

Sammlungshort, Bürger-Forum oder Erlebnisort?
Moderation: Claudia Gemmeke, Abteilungsdirektorin Forum, Stadtmuseum Berlin

Gottfried Korff, Berlin
„Die Dynamik des Stillgestellten – Überlegungen zu einem neuen Trend der Stadtmusealisierung“

Léontine Meijer-van Mensch, Reinwardt Academie, Amsterdam
„Stadtmuseen und "Social Inclusion" – Die Positionierung des Stadtmuseums aus der Perspektive der New Museology“

Inszenierung der Erinnerung
Moderation: Claudia Gemmeke

Uwe Brückner, Atelier Brückner, Stuttgart
„Das Stadtmuseum als Ort der Selbstinszenierung“

Ruedi Baur, Architektur und Design, Zürich
„Welche Geschichte soll die Stadt wo und wie lesbar machen?“

Martin Kohlbauer, Architektur und Gestaltung, Wien
„WerkStadt stattMUSEUM / Infragestellen – Ausstellen“

Welches Stadtmuseum braucht die Stadt der Zukunft?
Moderation: Bernhard Graf, Leiter des Instituts für Museumsforschung, Berlin

Podiumsdiskussion:
Uwe Brückner, Atelier Brückner, Stuttgart
Wolfgang Kaschuba, Institut für Europäische Ethnologie, HU Berlin
Gottfried Korff, Berlin
Franziska Nentwig, Generaldirektorin Stadtmuseum Berlin
Günter Piening, Der Beauftragte für Integration und Migration, Berlin


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