Aspekte regionaler und kommunaler Herrschaft im Nationalsozialismus. Verwaltung, Finanzen, Kultur

Aspekte regionaler und kommunaler Herrschaft im Nationalsozialismus. Verwaltung, Finanzen, Kultur

Organisatoren
Universität Augsburg, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte
Ort
Augsburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.07.2003 - 05.07.2003
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Von
Bernhard Gotto, Augsburg

Zu einem Workshop „Aspekte regionaler und kommunaler Herrschaft im Nationalsozialismus. Verwaltung, Finanzen, Kultur“ kamen am 4. und 5. Juli 2003 in Augsburg rund 30 Doktorandinnen und Doktoranden, Archivmitarbeiter, Dozenten und interessierte Studierende zusammen. Gastgeber Andreas Wirsching, Professor für Neuere und Neueste Geschichte, nannte als Ziel der Veranstaltung den Vergleich von Forschungsergebnissen zur Praxis kommunaler Verwaltungen, denn trotz vielfältiger Forschungen zur Kommunalgeschichte im Nationalsozialismus wisse man noch wenig über die Rolle der Gemeinden im Herrschaftssystem und habe sie bislang als Akteure nur unzureichend wahrgenommen.

1. Sektion: Nationalsozialistische Verwaltung und „Arisierung“

Christiane Kuller (München) hob in ihrem Referat über die „Finanzverwaltung und die Verfolgung der Juden in Bayern“ hervor, diese sei nach eigener Aussage „im Kampf gegen das Judentum an vorderster Front eingesetzt“ worden. Am Beispiel Münchens gab Kuller einen Überblick über die vielfältigen Formen der staatlichen Bereicherung: Die Finanzbehörden verhinderten den Zugriff der Juden auf die mageren Erlöse der Zwangsverkäufe, verwalteten und verwerteten das Vermögen von Emigranten und Deportierten, sie räumten, schätzten, versteigerten und vermittelten Geschäfte – kurz, sie waren ein „mächtiger Akteur“ im großen Beutezug. Während die Bedeutung der Finanzbehörden im Verlauf der deutlich unterscheidbaren Radikalisierungsschübe jeweils zunahm, blieb der Eifer der ausführenden Beamten auf konstant hohem Niveau. Weder die regional variierende behördliche Organisationsstruktur der mit der Arisierung befassten Stellen noch die von Gau zu Gau unterschiedlich stark hasserfüllte Ausprägung des Antisemitismus förderte oder dämpfte die Arisierungspraxis in erkennbarem Maße. Verhängnisvoll wirkte sich für die Betroffenen aus, dass sich die behördlichen Schleusen für ein Kernanliegen der Partei öffneten, weil dergestalt antisemitische Zielsetzungen und das für sich genommen harmlose fiskalische Motiv zusammenflossen, möglichst viel Geld für den Staat abzuschöpfen. Insgesamt untermauerte der Vortrag, wie stark die Bürokratie unmittelbar und mittelbar auch die gesamte Gesellschaft als Akteure und Profiteure in die wirtschaftliche und fiskalische Verdrängung der Juden aus der deutschen Gesellschaft involviert waren.

Maren Janetzko (Bochum/Tübingen) beleuchtete „die Rolle der Stadtverwaltung bei der Arisierung in Augsburg und Memmingen“. Bis 1937 hatten die Kommunen verhältnismäßig große Handlungsspielräume, da erst ab 1938/39 gesetzliche Regelungen griffen und die Arisierungspraxis zentral in fixierte Bahnen lenkten. In der schwäbischen Kleinstadt Memmingen ging Oberbürgermeister Berndl ab 1935 gezielt gegen jüdische Viehhändler vor und setzte dabei den Hebel bei der Vergabe bzw. dem Entzug der Gewerbelizenz an. Offenbar arbeitete die Stadtverwaltung eng mit Partei, Gestapo und Kreisbauernschaft zusammen. Der an diesem Beispiel offenbarte antisemitische Grundzug im kommunalen Handeln sowie die Verflechtung mit wirtschaftlichen Interessen lassen sich für Augsburg aufgrund der Quellenlage nur vermuten. Erst in der Phase ab 1938/39 kristallisierten sich auch für die schwäbische Gauhauptstadt deutlichere antisemitische Handlungsmuster heraus. Am Beispiel von erzwungenen Grundstücksverkäufen, an denen die Stadtverwaltung wegen der Pläne zur Errichtung eines Gauforums ein besonderes Interesse hatte, zeigte Janetzko, wie erdrückend der Grundstücksreferent das administrative Instrumentarium einsetzte. Gegen das Übergewicht der behördlichen Machtmittel – die Stadt war sowohl Preisbehörde als auch Hüterin des Grundbuchs – hatten ihre jüdischen Bewohner keine Chance. Die unterschiedlichen Handlungsspielräume in Augsburg und Memmingen, so die Bilanz, änderten kaum etwas am Verfolgungsdruck, sondern nur an der Form, in der er sich konkret äußerte.

2. Sektion: Nationalsozialismus und städtische Verwaltung

In ihrem Referat über den „braunen Magistrat“ der Stadt Frankfurt am Main fragte Bettina Tüffers (Frankfurt/M.) danach, wer die Stadt im personalistisch geprägten Herrschaftssystem der Nationalsozialisten regiert habe. Insgesamt 69 Personen bildeten zwischen 1933 und 1945 den engeren Kreis der Stadtregierung, in der sich verschiedene Ebenen der formalen sowie der informellen Machtfülle voneinander abgrenzen lassen. Für alle diese Ebenen gilt, dass Gauleiter Sprenger seine Möglichkeiten intensiv nutzte, um die personelle Besetzung zu steuern. Obwohl er kraft seines Amtes als Parteibeauftragter für Frankfurt nach der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) systematisch seine Vertrauensleute in den Magistrat einschleuste, verblieben in der Riege der hauptamtlichen Beigeordneten zwei Nichtparteimitglieder und fünf Spitzenbeamte aus der Zeit vor der „Machtergreifung“. Möglich war dies wegen der Rückendeckung von Oberbürgermeister Krebs, dessen Verhältnis zum Gauleiter sich mit der Zeit immer stärker zerrüttete. Einmischungen der Partei in die Verwaltung sorgten permanent für Konflikte, in denen Sprenger die Oberhand behielt, wenn er seine Macht als Ministerpräsident ausspielte. Dieser Dauerkrach dürfe – so die Referentin – jedoch nicht davon ablenken, dass Krebs als überzeugter Nationalsozialist agierte. Für die Entscheidungsprozesse innerhalb des Magistrats spielte nicht nur die formale Rollenverteilung zwischen Stadtrat, Oberbürgermeister und Beigeordneten eine Rolle, sondern auch das faktische Machtgewicht. Durch eine Kombination von Partei- und kommunalem Ehrenamt konnten die Ratsherren als verlängerter Arm des Gauleiters Initiativen vorantreiben und Diskussionen vorstrukturieren.

Bernhard Gotto (Augsburg) gab einen Überblick über „Personal und Personalpolitik der Stadtverwaltung Augsburg 1933–1945“. Letztere verband NS-typische Methoden mit Flexibilität in der Anwendung. Allerdings fand etwa die Bereitschaft zur Einstellung „Alter Kämpfer“ – hierbei spielte Augsburg eine Vorreiterrolle in Bayern – seine Grenze in den finanziellen Möglichkeiten der Stadt. Sowohl Oberbürgermeister Mayr als auch sein Personalchef Kellner legten zudem Wert darauf, dass Leistungsvermögen und Qualifikationsniveau ihrer Führungskräfte nicht zugunsten der ideologischen Linientreue zurücktraten. Beides musste kein Gegensatz sein, wie auch die politischen Beurteilungen derart in die administrative Praxis eingebunden wurden, dass rechtsstaatliche Standards in den Augen Kellners gewahrt blieben: Beanstandete Beamte behielten ein Einsichts- und Widerspruchsrecht, obwohl namentlich das Gauamt für Beamte dagegen protestierte. Wie die Auswertung der Personalakten von 212 Führungskräften der Stadtverwaltung vom Oberbürgermeister bis zum Abteilungsleiter ergab, waren die leitenden Beamten und Angestellten zumeist nur recht oberflächlich nazifiziert. In der zweiten und dritten Reihe fand kein Elitenaustausch als Folge von „Futterkrippenwirtschaft“ statt. Anhand zahlreicher Beispiele für eine erfolgreiche Integration ehemaliger Gewerkschaftler und Funktionäre der Weimarer Parteien wurde allerdings deutlich, dass dies der Funktionstüchtigkeit der Stadtverwaltung im Dienste des NS-Regimes keinen Abbruch tat. Die übernommenen kommunalen Eliten setzten als „braune Amtsschimmel“ loyal und zum Teil überaus eifrig die neuen nationalsozialistischen Zielvorgaben in die Praxis um.

Sabine Mecking (Münster) stellte als Teil ihrer jüngst erschienenen Dissertation die „Städtische Personalpolitik während des Krieges am Beispiel der westfälischen Gauhauptstadt Münster“ vor. Die kriegsbedingten Veränderungen erwiesen sich als kurzfristige Erscheinungen, die an längerfristig wirksamen Trends wie der Zunahme infolge des Ausbaus der Leistungsverwaltung nicht grundlegend zu rütteln vermochten. Der Funktionswandel änderte die Struktur der kommunalen Verwaltung stärker als die politischen Wechselfälle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kurzfristig stellte die Einberufung von knapp einem Viertel der städtischen „Gefolgschaft“ die Stadtverwaltung Münster vor gewaltige Probleme. Die Ausfälle wurden durch Hilfskräfte, unter denen die Frauen überwogen, sowie die Erhöhung der Wochen- und Lebensarbeitszeit zumindest nominell kompensiert. Qualitativ wirkte sich der Aderlass an Leistungsträgern zumindest nicht in der Weise aus, dass die Stadt ihre vermehrten Aufgaben im Krieg nicht zuverlässig erfüllt hätte. Dies gelang unter anderem deshalb, weil sich die politischen Kriterien zur Personalrekrutierung lockerten und die Stadt erfahrene Beamte wieder verwendete, die in den vorausgegangenen Jahren zum Beispiel durch das BBG (Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums) entfernt worden waren. Vor 1939 war dies nur unter der Voraussetzung möglich, dass der Betreffende die Behörde und in der Regel den Dienstort wechselte. Der Druck zur Linientreue ließ indessen nicht nach; dem Oberbürgermeister eröffnete sich durch die zahlreichen Personalabordnungen sogar die Möglichkeit, auf kaltem Wege den Verwaltungskörper von unzuverlässigen oder leistungsschwachen Kräften zu befreien. Gleichzeitig konnte sich für ehrgeizige Beamte durch eine Meldung die Chance eines Karrieresprungs eröffnen.

Rüdiger Fleiter (Hannover) referierte über „Das Städtische Gesundheitsamt Hannover und die Durchsetzung der nationalsozialistischen Erb- und Rassengesetzgebung“. Die 1935 ins Leben gerufene Dienststelle wurde rasch in die kommunale Verwaltungsstruktur und -praxis eingebunden. Unter der Leitung eines staatlichen Amtsarztes, der den Rang eines hauptamtlichen Beigeordneten bekleidete, entfaltete das Gesundheitsamt eine umfassende erbbiologische Kontrolle der Bevölkerung. In der zentralen Erbkartei wurde ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung systematisch und ohne Wissen der Betroffenen erfasst. Von überall her sammelte das Gesundheitsamt Informationen über Gesundheit, Sozialverhalten und Lebensgewohnheiten der Bevölkerung. Insbesondere die Tätigkeit der zum Teil aus dem Wohlfahrtsamt übernommenen Volkspflegerinnen machte das Gesundheitsamt zu einer Vorfeldorganisation der nationalsozialistischen „Ausmerze“. Allerdings beschränkte sich die Tätigkeit des Gesundheitsamtes nicht auf die Federführung beispielsweise der Ermittlungen für die Zwangssterilisationen. Der Leiter des Amtes war nämlich zugleich Mitglied des Erbgesundheitsgerichtes. Er stellte somit die Anträge selbst, über die er mitzuentscheiden hatte. Die routinemäßige Zusammenarbeit des Gesundheitsamtes mit dem Standesamt kannte zwar Reibereien; diesen lagen jedoch keineswegs grundsätzliche Differenzen zugrunde. Letzteres wollte lediglich nicht den Kopf dafür hinhalten, dass das Gesundheitsamt unermüdlich nach Ehehindernissen fahndete. Die Legitimität der Ehegesundheitsgesetzgebung stand nicht in Frage. An diesem grundsätzlich loyalen Vollzug der NS-Bevölkerungspolitik änderten auch personelle Wechsel nichts, die gegensätzliche Typen von Ärzten in die Leitung des Gesundheitsamtes brachten.

3. Sektion: Kommunale Finanzen und Finanzpolitik im NS-Regime

Manfred Köhler (Bochum) stellte in seinem Überblick über die „Kommunale Finanzpolitik in Bochum und Münster“ die längerfristigen Tendenzen für den finanziellen Handlungsspielraum der Gemeinden seit dem Kaiserreich heraus. Bereits während der Weimarer Republik verkleinerten sich die Möglichkeiten der Gemeinden drastisch, ihre Haupteinnahmequellen zu steuern. Zu den Restriktionen im Zuge der Erzbergerschen Finanzreform (Finanzausgleich von oben nach unten mit fester Mittelzuweisung) kamen nach Ausbruch der Wirtschaftskrise Erschwernisse der Schuldenaufnahme. Weil die Gemeinden in den vorangegangenen Jahren kräftig investiert, Schulden aufgenommen und Steuersätze nach Möglichkeit angehoben hatten, ließen sich bei explodierenden Ausgaben die Einnahmen nicht weiter erhöhen. Eine Erleichterung brachte die wirtschaftliche Erholung, die kurz vor der nationalsozialistischen Machtübernahme einsetzte, sowie eine groß angelegte Umschuldungsaktion, in der das Reich kurzfristige in langfristige Kredite umschichtete und damit Zins- und Tilgungslasten wieder kalkulierbar machte. Am einsetzenden Wirtschaftswachstum hingegen beteiligte es die Gemeinden nicht. Durch den Ausbau des Finanzausgleichs sowie einen faktischen Ausschluss vom Geldmarkt stagnierten ihre Einnahmen, und sie mussten sogar immer höhere Rücklagen bilden. Aus Sicht des Reiches war dies eine vernünftige Strategie, um die vorhandene Finanzkraft ganz in den Dienst der Aufrüstung zu stellen. Den Kommunen verblieb das, was sie zum Leben brauchten. Ab 1939 schloss dies auch die Aufwendungen der Kriegsfürsorge ein; im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg wurden diese vom Reich vorfinanziert. Für Kanonen und für die Heimatfront sollte es an nichts fehlen; demgegenüber standen traditionelle Investitionen wie etwa der Bau von Schulhäusern zurück.

Einen Teil der schrumpfenden Einnahmequellen nahm Katrin Bortenschlager (Augsburg) in den Blick: „Steuereinnahmen und kommunale Handlungsspielräume 1930–1945 in Augsburg und Memmingen“. Gemeindesteuern und örtliche Abgaben konnten neu eingeführt und wieder abgeschafft werden; vor allem jedoch bildeten die Hebesätze, d.h. der örtliche Multiplikator von Reichs- oder Landessteuern eine Stellschraube, mit denen die Kommunen den Geldfluss in das Stadtsäckel regulieren konnten. Während der Wirtschaftskrise schnellten diese Steuern – vor allem die Bürger- und die Biersteuer – in beiden Städten in die Höhe. Treibende Kraft war jedoch nicht der Gemeinderat, sondern die um einen Haushaltsausgleich besorgte Kreisregierung. Die Staatsaufsicht griff mehr und mehr in die Haushaltsführung ein, anstatt sich wie früher mit der Genehmigung des Entwurfs zu begnügen. Die enorm angespannten Steuersätze blieben zwischen 1932 und 1936 nahezu unverändert, weil die Sanierung der finanziell ausgebluteten Städte kurzfristig nicht zu bewerkstelligen war. Ab 1937 verstetigte die Realsteuerreform die kommunalen Einnahmen, schrieb jedoch auch einen Abbau der lokalen Steuern vor. Im Krieg waren Steuererhöhungen faktisch unmöglich, aber auch nicht nötig. Weil den Gemeinden die Möglichkeiten fehlten, durchaus vorhandene Mittel auszugeben, konnten die kriegsbedingten Mehrausgaben bewältigt werden. In Augsburg und Memmingen änderten sich die Steuersätze nicht mehr, als Maßnahme zur Verwaltungsvereinfachung wurden die Steuern von den Finanzämtern direkt eingetrieben. Damit fiel eines der letzten Mittel der gemeindlichen Steuerpolitik weg, nämlich die Möglichkeit, auf Eingaben und Gesuche der Steuerpflichtigen zu reagieren.

4. Sektion: Nationalsozialismus und regionale „Identität“

Aus dem Kontext seiner Habilitationsschrift berichtete Thomas Scharschmidt (Leipzig) über „Nationalsozialismus und Regionalkultur im Gau Sachsen“. Mit der Zentralisierung der Kulturarbeit fand die NSDAP ein nach der Machtergreifung dringend benötigtes neues Betätigungsfeld. Allerdings konnte von einer Vereinheitlichung des kulturellen Lebens auch nach der Errichtung des „Heimatwerks Sachsen“ 1936 nur vordergründig die Rede sein. Trotz dessen von einer wahren Organisationswut aufgeblähter Struktur waren weder alle wichtigen Institutionen eingebunden, noch hatten die zähen Konkurrenzkämpfe vor allem zwischen der NS-Kulturgemeinde und der KdF ein Ende. Inhaltlich nahm das Heimatwerk ältere Tradition auf und versuchte sie mit NS-Ideologemen zu verbinden. Völkische Einschläge der Heimatbewegung schlugen eine Brücke zur Grenzland-Ideologie. Unter der Rubrik „Erzgebirge“ sollte der Heimatbegriff die soziale Diversität in der „Volksgemeinschaft“ verschleiern und als Träger des Nationalgefühls dienen. Vor allem ging es Gauleiter Mutschmann, der das Heimatwerk zur Chefsache erklärt hatte, um eine Neudefinition des Sachsenbildes im Reich. Denn dessen wirkliche oder vermeintliche Konnotationen machte er für seine wenig berauschende persönliche Reputation verantwortlich; Eintragungen in Goebbels Tagebüchern legen allerdings den Umkehrschluss nahe. Der Erfolg der teils skurrilen Bemühungen etwa im Kampf gegen die Sachsen-Komiker oder auf dem Feld der Sprecherziehung dürfte mager ausgefallen sein. Doch das minderte den Ernst nicht, mit dem die NSDAP daran ging, regionalkulturelle Traditionen zu instrumentalisieren.

Martina Steber (Augsburg) unterstrich in ihrem Vortrag über „’Die Totalität des Schwabentums’ – Nationalsozialismus und Region im Gau Schwaben“ die politische Dimension der Versuche, eine bayerisch-schwäbische Identität zu formieren. Im Zuge der Reichsreformdiskussion tauchten verschiedene Pläne eines „Großschwaben“ auf, die nicht nur von Gauleiter Wahl getragen wurden, der um die Basis seiner politischen Stellung fürchtete. Heimatpfleger, der Vorsitzende des schwäbischen Kreistags und andere Träger der bereits vor 1933 organisatorisch ausdifferenzierten Kulturarbeit bereiteten einer völkischen Vertiefung des Schwaben-Gedankens den Boden. Das Profil dieser nach nationalsozialistischen Vorstellungen umkonstruierten Identität verband traditionelle Elemente mit genuin rassenideologischen Merkmalen. Außerdem gab es sich auffällig christlich und bot somit auch der Zusammenarbeit mit Kirchenkreisen eine Plattform. Unter den Heimatpflegern befanden sich viele Pfarrer, und das Verhältnis des Gauleiters zum hohen Klerus war ungetrübt. Auch wenn viele nationalsozialistische Initiativen von der Bevölkerung als folkloristische Attitüde durchschaut wurden, war die „Region“ Schwaben zwischen 1933 und 1945 nicht eine bloße Hülle. Vielmehr erfüllte die regionale Identitätsstiftung zahlreiche Funktionen wie Integration in eine christlich bemäntelte „Volksgemeinschaft“, Öffnung des Heimatbegriffs für völkische und antisemitische Aufladungen, Nationalisierung und Egalisierung, Vermittlung und Abfederung der Modernisierung sowie nicht zuletzt Herrschaftsstabilisierung.

Auf eine eingehende Würdigung der fruchtbaren Diskussionen wird an dieser Stelle verzichtet. Wiederkehrende Themen waren unter anderem die analytische Brauchbarkeit der Kategorien „Normen-“ und „Maßnahmenstaat“, die Verquickung von „normalen“ behördlichen Interessen mit genuin nationalsozialistischen Triebfedern für das kommunale Handeln sowie die Frage, in welcher Art sich der gemeindliche Handlungskreis eigentlich veränderte. Allerdings zeigte die lebhafte Beteiligung deutlich, dass es bislang an brauchbaren Synthesen der notgedrungen kleinräumig angelegten Studien fehlt, um deren Erkenntnispotenzial auch für weitere Fragehorizonte ausschöpfen zu können. Gerade deshalb erfüllte die Tagung die in sie gesetzten Hoffnungen, denn neben den zahlreichen regionalen und lokalen Abweichungen schienen immer wieder Gemeinsamkeiten zwischen den besprochenen Entwicklungen auf.

Kontakt

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Prof. Dr. Andreas Wirsching
Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte
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Tel. +49 821/598-2498 (Sekretärin -2496)
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E-Mail: andreas.wirsching@phil.uni-augsburg.de


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