Von Halle nach Bologna – Hochschulreformen in historischer Perspektive

Von Halle nach Bologna – Hochschulreformen in historischer Perspektive

Organisatoren
Institut für deutsche Studentengeschichte; Universität Paderborn; Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte (GDS)
Ort
Paderborn
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.03.2009 - 12.03.2009
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Von
Stefanie Haupt, Universität Paderborn

Am 11. und 12. März 2009 fand in Paderborn die Tagung „Von Halle nach Bologna – Hochschulreformen in historischer Perspektive“ statt. Vor dem Hintergrund der aktuell geführten Debatten um den Bologna-Prozess von 1999 und seine Folgen für die deutsche Universitätslandschaft sollte ein Blick auf die Geschichte der Hochschulreformen geworfen, und unter anderem der zentralen Frage nachgegangen werden, welche Kontinuitäten und Brüche hierbei möglicherweise auszumachen sind. Veranstaltet wurde die Tagung vom Institut für deutsche Studentengeschichte in Zusammenarbeit mit der Universität Paderborn und der Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte (GDS).

Zu Beginn begrüßten Privatdozent RAINER PÖPPINGHEGE, Organisator der Veranstaltung, und DIETMAR KLENKE die mehr als 40 Teilnehmer/innen der Tagung. Klenke bezeichnete diese Veranstaltung als ein „Startereignis“ für eine zukünftig intensive Beschäftigung mit dem Thema der Hochschulgeschichte am Standort Paderborn. Basis für eine historische Forschung auf diesem Gebiet ist das zusammen mit der GDS neu gegründete Institut für deutsche Studentengeschichte mit Sitz im Stadtarchiv Paderborn.

FRIEDHELM GOLÜCKE stellte hierauf in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des GDS seinen Verein und die Arbeit des Instituts für deutsche Studentengeschichte kurz vor. Mit einer Vereinsstärke von 2000 Mitgliedern geht eine enorme Aktivität von ihm aus. So wurde zum Beispiel eine Stiftung deutscher Studentengeschichte gegründet, in bislang über 3500 freiwilligen Arbeitsstunden die Katalogisierung von 8000 Büchern und 2000 Kartons mit Archivalien begonnen und in regelmäßigen Abständen Publikationen von Büchern und Zeitschriften getätigt.

Als nächstes steckte Rainer Pöppinghege den thematischen Rahmen der Veranstaltung ab. Die grundsätzlichen Probleme, so Pöppinghege, seien nicht erst seit Bologna zu konstatieren. So seien die zu jeder Zeit existierenden Auseinandersetzungen über das Hochschulsystem Spiegel der gesellschaftlichen Ansprüche und des zeitgenössischen Wissenschaftsverständnisses.

Der erste Vortrag wurde von WOLFGANG LAMBRECHT (Chemnitz) unter dem programmatischen Titel „Die 'große Hochschulreform' – alles schon da gewesen?“ gehalten. Am Beispiel der Reformen der frühen BRD und der DDR in den 1960er- und 1970er-Jahren, sowie dem aktuellen Bologna-Prozess zeigte er Ähnlichkeiten und Unterschiede der verschiedenen Reformbestrebungen auf. Allen drei Reformen sei gemeinsam, dass sie sich von vorangegangenen Modellen abgrenzen und als besonders innovativ präsentieren wollten.

Lambrecht wies allerdings auch auf die vor allem historisch geschuldeten Unterschiede hin, wie zum Beispiel dass neben dem wissenschaftlichen Anspruch besonders auch der politisch-ideologische Hintergrund im Studienmodell der DDR zu berücksichtigen sei.

In der anschließenden Diskussion wurde besonders auf die Notwendigkeit einer stärkeren Herausarbeitung von Unterschieden der historischen Situationen, wie beispielsweise den Studentenrevolten oder das Aufkommen der Massenuniversitäten hingewiesen. Interessant sei darüber hinaus auch eine bereits seit dem 15. Jahrhundert einsetzende und unter dem Eindruck des Humanismus stehende Tendenz der Verkürzung von Studienzeiten im Gegensatz zur gängigen Annahme, es handele sich hierbei um ein neuartiges Phänomen.

Den Bogen in die Vormoderne spannte MATTHIAS ASCHE (Tübingen) mit seinem Vortrag. Er zeichnete den Schrumpfungs- und Konzentrationsprozess der Universitäten im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert im Zuge der Reformbestrebungen nach und legte Gründe für den teils erbitterten Widerstand an mittelgroßen und kleineren Hochschulen dar.

Während es mit den Neugründungen von Universitäten wie Halle und Göttingen zur Förderung von neuen wissenschaftlichen Disziplinen, empirischer Forschung und innovativen Methoden kam, führten gerade die Bildungsanstalten in protestantischer oder katholischer Trägerschaft die Traditionen der Zwei- bzw. Vier-Fakultäten-Universität fort. Sie dienten fast ausschließlich der Tradierung und Weitergabe eines begrenzten Wissensbestandes statt der wissenschaftlichen Forschung und wiesen auch auf der Ebene der Personalpolitik lange Traditionslinien auf. Die neu entstandene aktive Berufungspolitik wurde von der lokalen gelehrten Oberschicht vehement abgelehnt, da sie sich in ihrem Bildungsmonopol bedroht sah. Durch die weiterbestehende Hausberufung, die geringe Studentenzahl und den starren Wissensbestand blieben diese Universitäten bis zum Ende des 17. Jahrhunderts weitestgehend in sich abgeschlossen und alten Bildungstraditionen verhaftet. Diese konnten erst mit der Anfang des 18. Jahrhunderts auslaufenden Schließungswelle beendet werden.

In der Diskussion stellte sich die Frage nach dem „Gegenwartstransfer“ der Ergebnisse besonders auf dem Gebiet der Lehrstuhlvergabe im Spannungsfeld zwischen staatlichem Gestaltungsanspruch und Autonomiewahrung der Universitäten. Hierbei würde häufig auch heute eine Lösung darin gesehen werden, Hochschulen neu zu gründen und sie nur noch mit eingeschränkten Rechten auszustatten.

Anschließend ging es weiter mit einem Beitrag von BERNHARD VOM BROCKE (Marburg). In vier Abschnitten skizzierte er die Grundzüge preußischer Hochschulpolitik, beschrieb die Modernisierungsmaßnahmen Friedrich Althoffs im preußischen Kultusministerium des Kaiserreichs sowie die Reformen in der Weimarer Republik und nannte abschließend Ursachen für die Entwicklung des deutschen Universitätsmodells zum „Exportschlager“.

Mit der Gründung der Universität in Berlin im Jahr 1810 manifestierte sich die von Wilhelm von Humboldt und anderen Reformern wie zum Beispiel Schelling, Fichte und Schleiermacher getragene Idee der Freiheit der Forschung und Einheit von Forschung und Lehre. Zwischen 1887 und1907 modernisierte Friedrich Althoff das Hochschulmodell. Mit starken Eingriffen von staatlicher Seite erreichte er unter anderem eine Vereinheitlichung des Universitätsrechts und führte Änderungen in der Personalpolitik durch. Friedrich Schmidt-Ott und Carl Heinrich Becker versuchten in Zeiten der Krise das Hochschulwesen zu stabilisieren.

Den Erfolg des Humboldtschen Modells und Voraussetzung für eine Übernahme im Ausland und besonders in den USA sei zunächst einmal in der Idee von Freiheit und Einheit der Forschung und Lehre zu suchen, sowie in der Gründung von Kultusministerien und Hochschulverwaltung als erste ihrer Art 1817 und Vorbild für nachfolgende staatliche Einrichtungen für kulturelle Belange. Des Weiteren sei der Grund für die wissenschaftliche Blüte zu dieser Zeit gerade die Konkurrenz um wissenschaftliche Vorreiterpositionen der deutschen Länder. Als vierten Grund für den Erfolg des preußischen Universitätsmodells sei der Stellenwert, den die Kulturpolitik in der allgemeinen Politik eingenommen und die Bereitwilligkeit, mit welcher der preußische Staat finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt hätte, zu nennen.

Erneut stand die Aktualität der historischen Hochschulreformen im Vordergrund der anschließenden Diskussion. Die spannende Frage, warum sich der staatliche Einfluss auf die Universitäten in der Zeit des Kaiserreichs positiv auf die Wissenschaft auswirkte und heute nicht, ließ sich jedoch nicht befriedigend beantworten. Eine tiefer gehende Betrachtung der jeweiligen Rahmenbedingungen würde sich daher lohnen.

KARIN ZACHMANN (München) referierte zum Thema Hochschulreformen und Frauenstudium. Sie fragte nach den Ursachen für den geringen Anteil von Frauen im Ingenieur-Studium und untersuchte die Selbstbilder des Ingenieurs im Kaiserreich sowie nach dem Ersten bzw. Zweiten Weltkrieg und welche Rolle sie bei der Ausgrenzung von Frauen spielten.

Obwohl die institutionellen Barrieren für ein Frauenstudium abgeschafft wurden, sei es gerade das gesellschaftliche Selbstverständnis des praxiserprobten, soldatisch-heroischen Ingenieurs, das die Frauen weitestgehend aus diesem Studienzweig fern gehalten hätte.

Nach dem Ersten Weltkrieg hätte der Ingenieurstand für sich die Fähigkeit beansprucht, die Missstände der Nachkriegszeit beheben zu können. Durch dieses neue Selbstbewusstsein erfuhr das technische Studium eine Öffnung für Frauen. Trotzdem existierte immer noch das Bild vom Ingenieur als „Frontoffizier der Technik“, das sich auch in die kämpferisch-aggressive Ideologie der Nationalsozialisten integrieren ließ.

Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet das Selbstverständnis der Ingenieurszunft unter dem Eindruck der Ungeheuerlichkeit des Völkermordes ins Wanken. Während ein Teil der Ingenieure jegliche Verantwortung ablehnte und auf die angeblich „amoralische Technik“ beharrte, akzeptierte der andere Teil die Mitverantwortlichkeit und suchte nach Möglichkeiten, Studenten technischer Berufe ein ethisch-moralisches Bewusstsein zu vermitteln.

Im geteilten Deutschland begann der Wiederaufbau des Hochschulsystems unterschiedlich. Während die BRD eine Restauration nach dem Modell der Weimarer Republik anstrebte, wurde die akademische Ingenieursausbildung in der DDR grundlegend umgebaut. Die kritische Selbstreflexion des Berufsstandes falle gerade heute den zunehmenden Spezialisierungsbestrebungen und dem starken Anwendungsbezug des Studiums zum Opfer.

Der Vortrag von ROMAN KÖSTER (Glasgow) gab ein Fallbeispiel für die Umstrukturierung eines Studiengangs in Folge der Krise nach dem Ersten Weltkrieg. Hinter der damals stark kritisierten Einführung des Diplomexamens für Volkswirtschaftler 1923 standen unterschiedliche Entwicklungen in der Gesellschaft und der Hochschulen. Die schlechte wirtschaftliche Lage verlangte nach Erklärungen und Lösungen, welche die Jüngere Historische Schule nicht zu leisten im Stande gewesen sei. Deshalb wäre der Ruf nach praxiserfahrenen Nationalökonomen laut geworden. Hinzu kam der große Andrang von Studenten in die zum „Modefach“ avancierte Volkswirtschaftslehre. Eine Lösung habe man in der Neuorganisation des Studienganges gesehen. Es sollte mehr Praxisbezug in die Lehre eingebunden werden, es wurden genormte Regelveranstaltungen und neue Subdisziplinen etabliert und der angestrebte Abschluss sollte nunmehr anstelle der Promotion, das Diplom sein.

Besonders ältere Nationalökonomen wie Hermann Schumacher oder Werner Sombart kritisierten das neue Modell. Die Diskussion verdeutlichte erneut die Parallelen zu aktuellen Entwicklungen. So wurde beispielsweise darauf hingewiesen, dass auch heute der Massenandrang an den Hochschulen möglicherweise mit einer Entwertung der akademischen Abschlüsse einhergehen könnte.

Der letzte Vortrag an diesem Tag wurde von HELGE KLEIFELD (Köln) gehalten. Er referierte zur Hochschulpolitik als Arbeitsfeld studentischer Verbindungen. Nach einem kurzen Abriss zur Nachkriegssituation an den Universitäten unter Verwaltung der Alliierten Kontrollräte und weiteren Akteuren der Hochschulpolitik bis 1961, ging es um die Rolle der Studentenverbindungen. Der Kontrollrat wollte die Korporationen gesetzlich verbieten und so hätten sich diese zunächst heimlich gebildet. Als sich die Alliierten Anfang der 1950er-Jahre aus der Hochschulpolitik zurückzogen, hätten die Studentenverbindungen dann wieder versucht, sich als akzeptierte Organisationen an den Hochschulen zu etablieren. Dabei stießen sie jedoch auf eine allgemein ablehnende Haltung. Das sei vor allem auf die Außenwirkung der Verbindungen mit ihrem traditionellen Selbstbild zurück zuführen. So sei der Versuch einer Durchsetzung und gesellschaftlichen Anerkennung der Traditionen, wie dem Farbentragen und dem studentischen Fechten für die Korporationen wichtiger gewesen als tatsächliche inhaltliche Fragen der Hochschulpolitik.

Im Zentrum der Diskussion stand die Frage, in welchem Verhältnis politischer Inhalt und Geselligkeit bei dem Anliegen der Studentenverbindungen in der Nachkriegszeit zueinander gestanden hätte. Es wurde darauf hingewiesen, dass eventuell eine Ausdifferenzierung der politischen Strömungen innerhalb der Verbindungen nötig sei. Man könne jedoch sagen, dass trotz möglicher Unterschiede innerhalb der Korporationen, die allgemeine Außenwirkung, beispielsweise durch das in den Bräuchen transportierte elitäre Selbstverständnis, eher abschreckend gewirkt haben muss (und bis heute wirkt).

In der Podiumsdiskussion kamen der von 1986–1989 als Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin tätige GEORGE TURNER (Hohenheim), DANIEL BECKER (Rostock) und DIETMAR KLENKE (Paderborn) zu Wort.

Im Fokus stand zunächst die Frage nach der scheinbar nicht endenden Reformbedürftigkeit der Universitäten und der aktuellen Krise im Zuge von Bologna. Turner befürwortete das Bologna-Modell und wies darauf hin, dass schon deshalb kein Ende der Hochschulreformen in Sicht sei, da unentwegt die Interessen verschiedenster Gruppen aufeinander treffen würden, die darüber hinaus mit der personellen Neubesetzung von Stellen stetig im Wandel begriffen sei.

Auch Becker, der eine Umfrage zur Studierbarkeit der neuen Modelle an der Humboldt-Universität in Berlin durchgeführt hat, hält die Idee hinter dem Bologna-Prozess und der Aufteilung in Bachelor- und Masterstudiengänge für grundsätzlich richtig, sah aber die Fehler und Widersprüche in der brachialen Realisierung an den deutschen Hochschulen. Die Umsetzung sei völlig an der Lebensrealität der Studierenden vorbei gegangen, unter anderem habe der Studienverlauf jegliche Flexibilität eingebüßt.

Aus Sicht der Dozenten beklagte Klenke die beschnittene Autonomie der Hochschulen. Heute nehme unter dem „Deckmantel der globalen Selbstbehauptung“ die Wirtschaft immer stärker Einfluss auf die Hochschulpolitik. Er warnte vor extern gesteuerten, „aufpolierten“ Forschungsergebnissen, die sich gerade die Gesellschaftswissenschaften nicht gefallen lassen dürften.

Dass ein gestuftes Studienprinzip grundsätzlich die richtige Idee sei, betonte Turner noch einmal. Allerdings halte er den Ausbau der Universitäten anstelle der Fachhochschulen für die falsche Entscheidung. Dies beruhe immer noch auf dem Verständnis der Hochschulen als die „besseren“ Bildungsanstalten.

In der Öffnung der Diskussion wurde dieses Problem noch ergänzt durch den Hinweis auf die gegenläufige Aufgabenstellung an den Hochschulen, die einerseits dazu aufgerufen seien, gleichzeitig Profil zu bilden und schneller auszubilden, um dem Massenandrang gerecht zu werden. Außerdem habe man im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern die Vorgaben von Bologna in Deutschland viel zu eng abgesteckt.

Den ersten Vortrag am zweiten Veranstaltungstag hielt KONSTANTIN FREYTAG-LORINGHOVEN (Berlin) zum Thema gescheiterte Reformbestrebungen. Hierbei legte er den Schwerpunkt auf die Kollegienhäuser, die im Rahmen des Studium Generale schon kurz nach dem Krieg errichtet wurden, aber schon Ende der 1950er-Jahre wieder an Zuspruch verloren hätten.

Bereits 1945 wurde in Heidelberg das erste Kollegienhaus, Collegium Academicum, von Karl Heinrich Bauer gegründet. So wie viele andere Befürworter, sah auch er darin die Möglichkeit, die Studenten mittels einer demokratischen Selbstverantwortung im Sinne der Vorgaben der Besatzungsmächte zu sozialisieren. Durch starkes Engagement hätten sich auch an anderen Universitätsstandorten Nachfolger für dieses Modell gefunden, doch man konnte die hoch gesteckten Ziele nicht immer realisieren. Das Interesse ließ schnell nach und die meisten Kollegienhäuser wurden zu einfachen Wohnheimen degradiert. Hierfür waren sowohl interne als auch externe Ursachen verantwortlich: so sei die Finanzierung nicht immer unproblematisch gewesen (zum Beispiel für Tutoren- und Leiterstellen) und gleichzeitig wären diese Einrichtungen auch immer nur einem geringen Anteil der Studierenden zugute gekommen. Letztendlich sei aber auch das Interesse der Professoren und Studenten selbst nicht mehr vorhanden gewesen. Gleichzeitig könne man auch eine innere Abkehr von den mit den Kollegienhäusern verbundenen Ideen konstatieren. Eine demokratische Sozialisation sollte eher in entsprechenden akademischen Veranstaltungen erfolgen. Letztlich hätten diese Faktoren dann zum Niedergang der Kollegienhäuser Ende der 1950er-Jahre geführt.

In der sich anschließenden Diskussion wurde vielfach die These der „Versandung der Kollegienhäuser“ relativiert. Es wurde herausgestellt, dass die dauerhaft etablierten Wohnheime meist in kirchlicher Trägerschaft waren. Eine interessante Anregung war der Hinweis auf das amerikanische Vorbild für das Modell: Möglicherweise seien die Erziehungsbestrebungen der Universitäten bei den deutschen Studenten auf Unverständnis gestoßen, weil diese im Gegensatz zu den amerikanischen Studierenden mit Studienbeginn bereits volljährig waren.

WILFRIED RUDLOFF (Kassel) referierte im Anschluss über Reform- und Studienvorstellungen der 1960er- und 1970er-Jahre. Hierbei kontrastierte er die Formen der neu gegründeten Hochschulen und entfaltete im Bezug auf die Reformunwilligkeit die These vom institutionellen-, mimetischen- und normativen Isomorphismus. Rudloff differenzierte zunächst zwischen zwei verschiedenen Typen der neu gegründeten Universitäten. Einerseits habe man neue Hochschulen wie zum Beispiel in Bielefeld oder Konstanz errichtet um bessere Forschungsmöglichkeiten zu schaffen. Andererseits hätte es auch Neugründungen mit dem Schwerpunkt der Optimierung von Studien- und Lehrbedingungen gegeben (Kassel und Bremen). Beiden Modellen ist gemein, dass sie heftig kritisiert worden seien. Um dies zu erklären bediente Rudloff sich des Modells des institutionellen Isomorphismus in Anlehnung an die Tendenz zu einer strukturellen Angleichung des Studiensystems. Die Reformbemühungen hätten zunächst den Effekt gehabt, unzählige Ideen zu produzieren, die sich dann in einem Prozess der Konzentration wieder auf wesentliche Aspekte zusammengezogen hätten. In Zeiten starker Verunsicherung habe man sich also an erfolgreichen Modellen orientiert. Dieses Phänomen sei als mimetischer Isomorphismus zu bezeichnen und erkläre die Reformunwilligkeit der akademischen Institutionen selbst. Schließlich läge auch noch eine dritte Komponente vor, nämlich der normative Isomorphismus, der die Studienmodelle in „Zentrum“ und „Peripherie“ einteile und zur Folge habe, dass neue Ideen als Randerscheinungen der Universitätslandschaft abgetan würden.

In der Diskussion ergab sich daraufhin die Vermutung, es habe bei den Reformversuchen in den 1960er- und 1970er-Jahren an einer „Leit-Uni“ gefehlt, ähnlich der Berliner Universität für die Reformen im19. Jahrhundert. Dies warf jedoch die grundsätzlichen Frage auf, ob das heutige Ziel ein homogenes, abgestimmtes Universitätssystem oder eher eine differenzierte, vielfältige Hochschullandschaft sein sollte.

Als nächster Redner an diesem Tag hielt OLAF BARTZ, Mitarbeiter beim Wissenschaftsrat, seinen Vortrag zum Thema studentische Reaktionen auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Studienreform 1966.
1966 – also zu einem Zeitpunkt, an dem die Debatte um eine Reform des Hochschulwesens längst auch in der allgemeinen Politik angekommen war, meldete sich der neu gegründete Wissenschaftsrat zu Wort mit den „Empfehlungen zur Neuordnung des Studiums an den wissenschaftlichen Hochschulen“. Die Idee dahinter: ein in Basis- und Aufbauphase gegliedertes Studium, das am Ende des ersten Abschnitts bereits einen Basisabschluss vorgesehen hätte.

Die Kritik an dieser „technokratischen Reform“ fiel sowohl auf Seiten der Studierenden als auch bei den Professoren vernichtend aus. Letztendlich wurden die Ideen des Wissenschaftsrates nicht durchgesetzt. Das Thema sei dennoch nicht nur bestimmend in der Hochschulpolitik, sondern gerade auch in der studentischen Protestbewegung geblieben. Bartz zeigte abschließend auf, dass die Reformdebatte jedoch in der Retrospektive als Teil der „Rebellion der Studenten“ von vielen Zeitzeugen nicht mehr erinnert würde. Themen wie zum Beispiel die nicht aufgearbeitete NS-Vergangenheit oder die Popkultur würden heute eine wesentlich größere Rolle spielen. Dies sei ein interessanter und noch zu untersuchender Umstand.

ANNE ROHSTOCK (München) schloss die Tagung mit ihrem Vortrag über Hochschulreform und Hochschulrevolte in Bayern und Hessen 1957–1976. Hier wurde die Seite der Studenten am Beispiel der beiden Bundesländer Bayern und Hessen näher beleuchtet und der Frage nachgegangen, welchen Einfluss sie auf die Entwicklung der Reformdebatten nahmen.

Die Revolte habe sich einerseits gegen das veraltete System der Ordinarienuniversität und andererseits gegen die geplanten Reformen gerichtet. Eines der Ziele sei die Demokratisierung der Universitäten mit einer paritätischen Mitwirkung der Studenten in der Hochschulpolitik gewesen. Rohstock konnte deutlich machen, dass wichtige Impulse hierfür von verschiedensten studentischen Gruppen abseits des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) schon sehr früh in den 1960er-Jahren gegeben wurden. Gleichzeitig zeigte sie auf, inwiefern auch radikal linke Gruppierungen indirekt zu einer Veränderung der Universitäten beitrugen, und entfaltete ihre These von der durch studentische Gruppierungen vorangetriebenen „Bewusstseinsrevolution“, die bis in die 1970er-Jahre hinein gewirkt und zu einer Demokratisierung und Pluralisierung der Hochschulen geführt hätte.

Anschließend wurde noch einmal über die Radikalität der linken Studentengruppen diskutiert. Es wurde auch das Konzept, das hinter dem Begriff der „Demokratisierung“ im Kontext der Studentenbewegung stand, näher beleuchtet.

In den zwei Tagen im Zeichen der Hochschulreformen wurde ein intensiver Blick auf die Vergangenheit des deutschen Universitätswesens geworfen. Gerade die Auseinandersetzung mit den Reformbestrebungen der 1960er- und 1970er-Jahre zeigte viele, bis heute anhaltende Kontinuitäten. Aber auch die Betrachtung der Reformbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts ließ immer wieder erkennen, welche Aktualität sie für die heutige Situation an den Universitäten besitzen.

Konferenzübersicht:

Wolfgang Lambrecht (Technische Universität Chemnitz), „Die 'große Hochschulreform' – alles schon da gewesen?“

Matthias Asche (Eberhard Karls Universität Tübingen), „'Jesuitenuniversitäten' und 'Göttinger Modell' – zu Reformbedürftigkeit und Reformfähigkeit deutscher Universitäten am Ende des 18. Jahrhunderts“

Bernhard vom Brocke (Philipps-Universität Marburg), den „'Exportschlager Humboldt?' Preußische Hochschulpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. Kaiserreich und Weimarer Republik“

Karin Zachmann (Technische Universität München), „Hochschulreformen und Frauenstudium – Frauen an Technischen Hochschulen im 20. Jahrhundert“

Roman Köster (Universität Glasgow), „Die deutsche Nationalökonomie in der Weimarer Republik und die Einführung des Diplomexamens“

Helge Kleifeld (Universität zu Köln), „Hochschulpolitik als Arbeitsfeld studentischer Verbindungen 1945 – 1961“

Konstantin Freytag-Loringhoven (Humboldt-Universität zu Berlin), „Gescheiterte Reformbestrebungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit“

Wilfried Rudloff, (Universität Kassel), „Reform und Studien. Vorstellungen in den alten und neuen Hochschulen der 60er und 70er Jahre“

Olaf Bartz (Wissenschaftsrat), „'Zweigeteilt niemals?!' Studentische Reaktionen auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Studienreform 1966“

Anne Rohstock (Ludwig-Maximilians-Universität München), „'Wartet nicht auf Veränderungen an der Uni, sondern macht sie selbst!'


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