Wissenschaftsgeschichte der Archäologie: Ansätze, Methoden, Erkenntnispotenziale

Wissenschaftsgeschichte der Archäologie: Ansätze, Methoden, Erkenntnispotenziale

Organisatoren
Jahrestagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumskunde
Ort
Greifswald
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.03.2009 - 26.03.2009
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Von
Marie Vigener, Deutsches Archäologisches Institut, Berlin

Die Jahrestagung der Theorie-AG, einer Vereinigung theoretisch interessierter Archäologen und Archäologinnen, diente der Bestandsaufnahme und kritischen Auseinandersetzung mit den methodischen Grundlagen einer Wissenschaftsgeschichte der Archäologie. In den letzten Jahren sind verstärkt Arbeiten zur Geschichte der Prähistorie erschienen, die Klassische Archäologie folgt gerade nach.1 Ausgangspunkt dieser neueren Arbeiten war und ist zumeist die Frage nach der Fachgeschichte während des Nationalsozialismus. Ältere Arbeiten fokussierten wenig kritisch die wissenschaftsimmanente Entwicklung. Eine übergreifende Arbeit zur Geschichte der prähistorischen Archäologie in Deutschland stehe – entgegen bislang bearbeiteter Einzelaspekte –, noch aus, wie die Veranstalterinnen Karin Reichenbach (Leipzig) und Wiebke Rohrer (Marburg) im Einführungsvortrag kritisch bilanzierten.

Der erste der sechs Themenblöcke widmete sich den methodologischen Grundlagen. Der Beitrag von SUSANNE GRUNWALD (Leipzig) blickte auf die Geschichte der Wissenschaftsgeschichte als „kulturelle Form von Erinnerungspraxis“ zurück. Intention und Motivation der Erinnerungspraxis wandelte sich mit den politischen Systemen, die veröffentlichte Forschungsgeschichte diente der Selbstlegitimierung und unterschied sich teilweise deutlich von den fachintern tradierten Narrativen, so ihr Befund. ULRICH VEIT (Tübingen) plädierte für eine künftige Geschichte der Archäologie, die interne und externe Entwicklungen berücksichtigt: Ideengeschichte und archäologische Praktiken sollten in den Blick genommen und weitere Quellengattungen wie Grabungstagebücher, Modelle oder Fotografien erschlossen werden. Archäologiegeschichte würde so Teil einer allgemeinen Kulturgeschichte der Neuzeit. Nach DOREEN MÖLDERS’ (Leipzig) Beitrag, der am Beispiel der Forschungsgeschichte ökonomischer Strukturen der späten Eisenzeit eine teleologische Sichtweise und die historische Diskursanalyse gegenüberstellte, schloss DIETRICH HAKELBERG (Wolfenbüttel) den ersten Teil. Er nahm den wissenschaftsgeschichtlichen Kontext in den Blick. Am Beispiel der Grabungen in Ostdeutschland in der Frühen Neuzeit, die zunächst von Ärzten und Theologen unternommen wurden, zeigte er die unterschiedlichen Erkenntnisinteressen der beiden Gruppen auf.

Den zweiten Block zu Akteuren begann DIRK MAHSARSKI (Göttingen) mit Herbert Jankuhn, einem der schillerndsten Akteure prähistorischer Archäologie während der NS-Zeit und der frühen Bundesrepublik. In der Person des Haithabu-Ausgräbers und SS-Mannes überschneiden sich Biographie und Fachgeschichte, bei der Mahsarski auf einen breiten Quellenbestand zurückgreifen kann. Vielversprechend scheint sein Ansatz, Jankuhn auch mittels eines prosopographischen Vergleichs einzuordnen, war er doch einer der bekanntesten, aber keineswegs der einzige Archäologe mit engen SS-Kontakten in seiner Generation.2 Ähnlich wie Jankuhn konnte auch Wilhelm Unverzagt nach 1945 seine Karriere fortsetzen. TIMO SAALMANN (Jena) zeigte an der Person Unverzagts, der seine Karriere in der Weimarer Republik begann, im Nationalsozialismus und in der DDR fortsetzte, die enge Verflochtenheit von Staat, Akteuren und Institutionen. Während hier die politische Kulturgeschichte am Beispiel eines Akteurs im Vordergrund stand, beleuchtete NILS MÜLLER-SCHEESSEL (Frankfurt/Main) die Ausgrabungen eisenzeitlicher Grabhügel im 19. Jahrhundert in Zusammenhang mit der sich wandelnden sozialen Herkunft der Ausgräber. MARKUS C. BLAICH (Schladen) verfolgte am Beispiel der Pfalz Werla Kontinuitäten der Deutung vom Nationalsozialismus in die BRD.

GISELA EBERHARDT (Berlin) lenkte nach den exemplarischen Akteuren und Orten den Blick auf die Methoden archäologischer Forschung, die sich im langen 19. Jahrhundert entwickelten. Professionelle Systematik wertete das Fach zur Wissenschaft auf und rückte zugleich den Befund statt des singulären Fundes in den Vordergrund. Der vernachlässigten Reflexion der archäologischen Begriffskategorien näherte sich GRETA CIVIS’ (Zossen) Beitrag über den Begriff des Handwerks. Eine internationale Perspektive auf die Grundlagen der Archäologie eröffneten MANUEL FERNÁNDEZ GÖTZ (Madrid) und FRANCISCO JOSÉ GARCÍA FERNÁNDEZ (Sevilla). Die ethnische Deutung archäologischer Befunde sei schon früh in Spanien rezipiert worden und habe zunächst die Idee eines pluralen Spaniens gestützt, während zu Francos Zeiten die Konstruktion der Einheit der spanischen Nation im Vordergrund gestanden habe. Ebenso auf der Höhe der wissenschaftshistorischen Diskussion befand sich FABIAN LINKS (Basel) Beitrag zur Burgenforschung. Für die national-konservativen Archäologen war der Nationalsozialismus durchaus anschlussfähig und hatte Rückwirkungen auf ihre Epistemologie. In Anlehnung an Ludwik Flecks Denkstile und der Mobilisierung von Ressourcen (Mitchell G. Ash) beleuchtete er die komplexen Beziehungen der Burgenforscher zum NS und bewies die Fruchtbarkeit interdisziplinärer Ansätze. Politik und Wissenschaft interpretierte er als Akteure mit symmetrischen Interessen, die voneinander profitierten.

TIM KERIG (Köln) zeigte anhand der Unterschiede in der Rezeption Grahame Clarks innerhalb der europäischen Archäologie, dass die deutsche Archäologie sich hier von einer internationalen Diskussion abkoppelte. STEFAN LEHMANNs (Halle) Beitrag zur Tagung Posthumanistische Archäologie 1999 warf ein Licht auf die jüngste Geschichte der Nachbardisziplin Klassische Archäologie. Die Tagung, als Impulsgeber für das Fach geplant, geriet schnell in Vergessenheit. Lehmann führte das unter anderem darauf zurück, dass keine Kommunikation zwischen der etablierten Fachwelt und den Nachwuchswissenschaftlern zu Stande kam – die Tagung steht damit exemplarisch für die Probleme einer Neuorientierung. STEFANIE SAMIDAs (Tübingen) Plädoyer für die Quellengattung Pressebericht bezog als einziger Beitrag die Öffentlichkeit als Akteur ein, ein Bereich, der bisher vernachlässigt wurde. Dabei war die Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnis im 19. Jahrhundert ein wichtiger Teil der bürgerlichen Kultur.3

Leider gestattete der Zeitmangel erst zum Abschluss der Tagung eine intensive Diskussion der vielfältigen methodischen Ansätze, Untersuchungsgegenstände und Quellengruppen. Nicht alle Vorträge konnten den Anspruch der Tagung nach methodischer Reflexion einlösen. Als besonders fruchtbar erwies sich der Einsatz geschichtswissenschaftlicher Methodik, ein Punkt, der bei der Schlussdiskussion denn auch nicht in Frage gestellt wurde. Umstrittener waren die Begrifflichkeiten: Sollte von Fachgeschichte oder Wissenschaftsgeschichte der Archäologie gesprochen werden? Am breitesten und anschlussfähigsten scheint der Begriff der Wissenschaftsgeschichte der Archäologie zu sein: Dieser könne ein Dach bieten, das die Vielfalt der Methoden, Quellen und Gegenständen versammelt und zugleich den wichtigen Vergleich mit anderen Disziplinen ermöglicht. In Abgrenzung davon wäre unter Forschungsgeschichte die Aufarbeitung einzelner Projekte zu verstehen, die en passant ebenfalls Interessantes zur Geschichte der Disziplin beitragen könnte. Allerdings wurden die Fallstricke einer zu exemplarischen Betrachtung deutlich, die Einzelaspekte ohne Blick auf Nachbardisziplinen und Einbettung in den wissenschaftsgeschichtlichen Diskurs behandelt. Noch liegt der Schwerpunkt gerade der Arbeiten, die das 20. Jahrhundert abdecken, auf Personen- und Institutionengeschichte. Diese lassen sich aufgrund der günstigen Quellenlage im 20. Jahrhundert gut erfassen und kontextualisieren. In der Diskussion kristallisierte sich heraus, dass hier weitere Arbeiten mit einer breiteren wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive wünschenswert sind. Diese sollten der Forderung nach einer historischen Epistemologie der Archäologie nachkommen, die Archäologie als historisch bedingtes Unternehmen mit Kontinuitäten und Brüchen verstehen.4 Das würde auch den Blick für Kontinuitäten und Entwicklungen im Fach vor 1933 und nach 1945 schärfen und die noch stark NS-zentrierte Perspektive erweitern.

Konferenzübersicht:

Karin Reichenbach/Wiebke Rohrer: Einführung

ALLGEMEIN

Susanne Grunwald: Die geschriebene und die ungeschriebene Geschichte der deutschen prähistorischen Archäologie

Ulrich Veit: Wie schreibt man heute eine Geschichte der Archäologie? Einige Denkanstöße

Doreen Mölders: Neuordnung des Wissens. Formen themenbezogener Wissenschaftsgeschichte

Dietrich Hakelberg: Fragen, Quellen und Thesen für eine Wissenschaftsgeschichte der Archäologie

AKTEURE

Dirk Mahsarski: Herbert Jankuhn – eine komplexe Biographie?

Timo Saalmann: Wilhelm Unverzagt und die politische Kulturgeschichte der prähistorischen Archäologie

Nils Müller-Scheeßel: „Forschungsgeschichte“ etwas anders: Ausgrabungen in eisenzeitlichen Grabhügeln Süddeutschlands und ihre Signifikanz für die historische Kontextualisierung des Faches „Archäologie“

ORTE

Markus C. Blaich: „Die Wiege des Deutschen Reiches“? – Zu den Ausgrabungen in der Pfalz Werla von 1936 bis 1939

TÄTIGKEITEN

Gisela Eberhardt: Historische Untersuchung von Ausgrabungsmethoden: wozu und womit

THEMENFELDER

Greta Civis: Archäologische Forschungen zum Handwerk

Manuel A. Fernández-Götz, Francisco José García Fernández: Die ethnische Fragestellung in der spanischen Archäologie: eine wissenschaftsgeschichtliche Perspektive

Fabian Link: Was ist Burgenforschung, was ist ‚Burgenwissen‘ im Nationalsozialismus? Erkenntnispotenziale wissenschaftssoziologischer Ansätze in der Geschichte der Burgenforschung im NS-Regime

INTERAKTION

Tim Kerig: Wer hat eigentlich Clark gelesen? Eine vergleichende Rezeptionsgeschichte

Stefan Lehmann: Mit dem Rücken zur Geschichte? Zum Verhältnis von Archäologie und Geschichte im Lichte der Berliner Konferenz „Posthumanistische Klassische Archäologie“ von 1999.

Stefanie Samida: Archäologische Berichterstattung in der Presse des 19. Jahrhunderts: Plädoyer für einen vernachlässigten Forschungszweig

Dietrich Hakelberg: Zusammenfassung und Schlussdiskussion

Anmerkungen:
1 Heiko Steuer (Hrsg.), Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, Berlin/New York 2001; Achim Leube / Morten Hegewisch (Hrsg.), Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933-1945, Heidelberg 2002; Uta Halle, »Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!« Prähistorische Archäologie im Dritten Reich, Bielefeld 2002. Auch die benachbarte Klassische Archäologie zieht nun nach: Ein Sammelwerk in zwei Bänden mit Biographien Klassicher Archäologen wird voraussichtlich 2010 erscheinen, und das Deutsche Archäologische Institut hat ein Projekt zur Erforschung der Institutsgeschichte ins Leben gerufen.
2 Weitere Beispiele sind Hans Schleif (geb. 1902) und Siegfried Fuchs (geb. 1903), die ebenfalls der politischen „Generation der Sachlichkeit“ angehören, die Ulrich Herbert beschreibt: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989, Bonn 1996.
3 Pionierstudien zur Popularisierung von Wissenschaft sind Andreas Daum, Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit, 1848-1914, München 1998, und Angela Schwarz, Der Schlüssel zur modernen Welt. Wissenschaftspopularisierung in Großbritannien und Deutschland im Übergang zur Moderne (ca. 1870–1914), Stuttgart 1999.
4 Zum Begriff der historischen Epistemologie siehe Hans-Jörg Rheinberger, Historische Epistemologie zur Einführung, Hamburg 2007.


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