.hist2003: "Connecting Historians" Academic Networking in International Perspective

.hist2003: "Connecting Historians" Academic Networking in International Perspective

Organisatoren
Kooperationsverbund Clio-online
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.04.2003 - 11.04.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Karsten Borgmann, Humboldt-Universität Berlin

Historikerinnen und Historiker sind keineswegs von Natur aus technikscheu - sie zeigen häufig eine überraschend schnelle Bereitschaft sich neuer Medien zu bedienen - wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen und die Technik einen unmittelbaren Nutzen für die praktische Arbeit aufweist. Eine Sektion auf der .hist2003 Tagung widmete sich ganz der Frage, wie in den letzen Jahren die Nutzung des Internets zu neuen Formen der "Fachkommunikation" in den historischen Wissenschaften verschiedener Länder geführt hat. Unter dem Titel "Connecting Historians" wurden Beispiele des praktischen wissenschaftlichen Austauschs vorgestellt, die, wie kaum anders zu erwarten, große Unterschiede abhängig von nationalen Gegebenheiten offenbar werden liessen.

Die USA gelten allgemein als das Geburtsland des Internet. Dort liegen auch die längsten Erfahrungen mit "Fachkommunikation" im akademischen Bereich vor. Die Sektion wurde deshalb durch Mark Kornbluh eröffnet, dem langjährigen Geschäftsführer von "Humanities and Social Sciences Online" eines amerikanischen Verbunds von thematischen Online Netzwerken an der Michigan State University, auch besser bekannt als "H-Net". Kornbluh präsentierte einen Rückblick auf 10 Jahre H-Net, die er selber als einer der ersten Mailinglisten-Editoren aktiv begleitet hatte. Er schilderte die stürmischen Anfangsjahre des Projekts, das 1993 durch einige engagierte Historikerinnen und Historiker an der University of Chicago ins Leben gerufen wurde, und das innerhalb kürzester Zeit zu der Organisation mit der nach wie vor größten Zahl von registrierten wissenschaftlichen Nutzern weltweit heranwuchs. H-Net entwickelte sich, wie Kornbluh ausführte, von den Rändern der Disziplinen her zu einem zentralen Werkzeug wissenschaftlicher Kommunikation in den USA. Für eine Generation amerikanischer Wissenschaftler, die überwiegend nicht der prestigeträchtigsten Liga akademischer Institutionen in den USA angehörten, bedeute die Mitwirkung an der Redaktion einer H-Net Liste die Chance, jenseits etablierter akademischer Kommunikationskanäle neue fachliche Foren aufzubauen. Die ersten Listenprojekte hatten dementsprechend auch einen geradezu revolutionär "interdisziplinären" Zuschnitt. "The disciplinary walls came down", so Kornbluh, und im erfolgreichsten Jahr der H-Net Geschichte 1994 sammelten die Netzwerke für "Womens-History" (H-Woman), "Urban-History" (H-Urban) und "Holocaust-Studies" (H-Holocaust) interessierte Forscher mit unterschiedlichster fachlicher Spezialisierung. Mittlerweile jedoch, so führte Kornbluh weiter aus, werden die meisten der Neuanträge auf Einrichtung eines Netzwerks von bestehenden Fachgesellschaften gestellt. Damit wird das Netz immer mehr zu einem Abbild des institutionellen Systems der amerikanischen Geisteswissenschaften, mit der Konsequenz eines wachsenden Partikularismus der Themen und Netzwerke.1

Im direkten Anschluss an Kornbluhs Vortrag präsentierte der Autor dieses Berichts seine Überlegungen zu einem Vergleich der Entwicklung von Mailinglisten als Medien der Fachkommunikation in Deutschland und den USA. Die deutsche H-Net Mailingliste H-Soz-u-Kult, 1996 gegründet, durchlief eine ähnliche Entwicklung wie die ersten frühen H-Net Netzwerke. H-Soz-u-Kult sammelte übergreifend Historikerinnen und Historiker mit unterschiedlichen fachlichen Spezialisierungen und institutionellen Zugehörigkeiten im gesamten deutschsprachigen Raum. Anders aber als im Falle des amerikanischen H-Nets war die Entwicklung von H-Soz-u-Kult in Deutschland nicht durch die Entstehung weiterer, stärker spezialisierter Netzwerke und Foren begleitet. Während innerhalb des H-Nets immer neue Listen für spezialisierten Themen auflegt wurden war die Entwicklung von H-Soz-u-Kult eher integrativ und an übergreifend akzeptablen Standards der historischen Disziplin orientiert. Somit stand gegenüber einer Vielfalt redaktioneller Freiheiten, die sich einzelne H-Net Listen mit ihren kleinen und spezialisierten Fachgemeinschaft erlauben konnten, in der Arbeit der H-Soz-u-Kult Redaktion stets die Konzentration auf wenige, auch übergreifend anerkannte Rubriken und Formate im Vordergrund. Überspitzt könnte man also behaupten, dass das H-Net in den USA seine disziplinäre Akzeptanz durch die Anpassung an partikulare Fachkommunikationsformen in einzelnen, speziellen Arbeitsbereichen erlangte, während H-Soz-u-Kult eher die universell gültigen gemeinsamen Fachkommunikationsstandards für die neuen Medien "Webserver" und "Mailingliste" gesucht hat.

In welchem Maße bestehende institutionelle Gegebenheiten und nationale Traditionen für die Nutzung der neuen Medien im Bereich historischer Fachkommunikation entscheidend sein können, stellte Pierre Yves Saunier vom Centre National de la Recherche Scientifique in seinem Beitrag über den französischen Fall vor. Folgt man Saunier, so erweist sich die akademische Welt in Frankreich weitesgehend inkompatibel zu den in USA und Deutschland bereits etablierten neuen Medien der Fachkommunikation. "On the Internet nobody knows you're a dog" dieses Bild eines munter im Internet kommunizierenden Haustiers aus einem Cartoon des "New Yorker"2 verwendete Saunier, um das Kernproblem zu verdeutlichen. Mailinglisten unterlaufen die gewohnten Kommunikationswege von "peers" in Frankreich: Universitätslehrer zu Universitätslehrer, Doktorand zu Doktorand oder Student zu Student. Dies schaffe eine Unsicherheit über die Identität des Gegenübers und des Publikums eines Diskussionsbeitrags, der französischen Akademikern zutiefst unangenehm sei. Saunier, der sich selbst als Wissenschaftler ausdrücklich zur Peripherie der Disziplin in Frankreich zählte, und der als langjähriger Rezensionsredakteur des H-Net Netzwerks H-Urban einschlägige Erfahrungen mit der Akzeptanz des Mediums in Frankreich sammeln konnte, malte ein sehr pessimistisches Bild vom dortigen Stand der "Fachkommunikation". Die Nutzung des Internets für wissenschaftliche Belange verschärfe lediglich die scharfen institutionellen Barrieren und Hierarchien, die der Disziplin in Frankreich eigen sein. Die Teilnahme an, und die Veröffentlichung in einer Diskussionsliste disqualifiziere sowohl den Beitrag als auch den Teilnehmenden, ein Grund für die geringe Präsenz, Aktivität und auch Interesse unter französischen Wissenschaftlern an dieser Form des wissenschaftlichen Austauschs. Es sei kennzeichnend, dass H-Francais, die wohl bekannteste französischsprachige Mailingliste für Historikerinnen und Historiker, fast ausschließlich von Schullehrern der Gymnasialstufe zum Austausch über praktische Fragen der täglichen Arbeit genutzt wird.

Behauptet sich also die französische Disziplin bislang erfolgreich der "Subversion" durch das Internet, so scheint es mit Blick auf Russland schwer, überhaupt klare disziplinäre Grenzen auszumachen, die in irgendeiner Weise unterlaufen werden könnten. Sabine Merten vom Osteuropa Institut der Universität München 3 stellte ein paar Beispiele aus der Vielfalt institutioneller und privater Angebote vor, die in Russland und über Russland für Historikerinnen und Historiker zur Verfügung stehen. Auffällig ist die Koexistenz von Websites, die sowohl von Fachwissenschaftlern als auch von Amateuren betreut werden. Nützliche Informationen, wie auch tendenziöse Geschichtsverfälschungen, findet man dabei auf allen Ebenen institutionell und privat verantworteter Websites. Wo in diesem Sinne die ordnende Kraft klarer professioneller oder auch disziplinärer Grenzen fehlt, macht auch die Suche nach einem gewohnten Bild von "'Fachkommunikation" wenig Sinn. Frau Merten wies darauf hin, daß die Mailingliste als Medium der Fachkommunikation zwischen Kolleginnen und Kollegen in Russland eher wenig verbreitet sei, sieht man von den großen, in den USA beheimateten H-Net Angeboten zur russischen Geschichte (H-Russia, H-Early-Slavic) ab. Auch wenn "etablierte" Forschungsinstitutionen Diskussionsforen für anbieten würden, so würden russische Wissenschaftlier dieser Form der administrativen Lenkung eines "freien" öffentlichen Austauschs aufgrund schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit skeptisch gegenüber stehen. Wenn jedoch Angebote, auch aus dem Ausland beständen, würden diese auch gerne genutzt. Frau Merten schloss ihren Beitrag mit der Vermutung, dass man wahrscheinlich eher die individuelle Veröffentlichung von Artikeln und Quellen im World Wide Web als die adäquate Form von "Fachkommunikation" in Russland bezeichnen können, eher auf jeden Fall als den Austausch von Beiträgen in Mailinglisten oder Webforen, die populäreren Formen der Beschäftigung mit der Vergangenheit vorbehalten blieben.

Als Bilanz der Sektion und auch der an einzelne Beiträge anschließenden Diskussionen ließe sich festhalten: Nach der "Internet Revolution" Mitte der neunziger Jahre ist man allerorten dabei, sich mit den bestehenden Formen und Wegen der Fachkommunikation in den verschiedenen Ländern zu arrangieren. Die Nutzung des Internets, so könnte man vermuten, hat dabei die bestehenden Kommunikationswege ergänzt aber im Wesentlichen nicht verändert. In den USA ist deutlich eine Rückorientierung des einst als universelle "Republic of letters" inititiierten H-Nets an den schon länger bestehenden Forschungsaktivitäten spezialisierter Fachgesellschaften zu beobachten. In Deutschland versucht H-Soz-u-Kult medienandäquate Standards der elektronischen Publikation per Mailingliste zu definieren, die kompatibel zu den etablierten Äußerungsformen der Disziplin sind. Auch hier beabsichtigt man, im Rahmen des Kooperationsprojekts Clio-online, bestehende Forschungsinstitutionen in den verschiedenen Spezialbereichen der Geschichtswissenschaft in die redaktionelle Arbeit einzubinden. In Russland werden, möglicherweise, nahe liegende ökonomische Gründe dazu führen, daß viele der herkömmlichen Publikationen anstatt mit teurem Papier, elektronisch erfolgen - letztendlich ein deutliches Signal, dass die bestehende Wissenschaftslandschaft sich dieses Medium aneignet. Allein in Frankreich scheint so etwas wie ein "Ancien régime" systematisch Berührungsängste mit dem Medium zu kultivieren. Vielleicht kündigt sich hier hier die erste tatsächliche "Internet Revolution" der Geschichte an?

Anmerkungen:
1 Vgl. http://members.aol.com/dann01/whatis.html
2http://www.unc.edu/depts/jomc/academics/dri/idog.html
3 Vgl. a. http://www.vifaost.de/


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