American Modernism. Die Vereinigten Staaten auf dem Weg in multiple Modernen, 1900-1940

American Modernism. Die Vereinigten Staaten auf dem Weg in multiple Modernen, 1900-1940

Organisatoren
Thomas Welskopp, Historisches Kolleg
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.04.2009 - 18.04.2009
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Von
Bernhard Kleber, Historisches Kolleg

In Amerika gilt die Zwischenkriegszeit als eine „Ära ungebremster ‚Modernität‘ schlechthin“. Gewaltige Umwälzungen führten die USA in eine Zeit vielschichtiger Phänomene sowohl gesellschaftlicher wie kultureller und politischer Art. THOMAS WELSKOPP (Bielefeld/München) stellte die für das gesamte Kolloquium zentrale Frage, ob für Amerika eine einzige Moderne existiere, da seiner Meinung nach innerhalb der Moderne verschiedene Prozesse parallel verlaufen seien. Er wies daraufhin, dass es in der Forschung eine Tendenz dahingehend gebe, eine bestimmte Moderne zu suchen, dass aber aufgrund der Vielfalt der hinter dem Begriff Moderne stehenden Prozesse das Wesen der Moderne nicht eindeutig definierbar sei. Auf das Thema American Modernism kommend, sah der Initiator des Kolloquiums im frühen 20. Jahrhundert die Tendenz, Modernismus mit Amerikanismus gleichzusetzen. Dabei stelle sich die Frage, so Welskopp, was mit Amerikanismus eigentlich gemeint sei, und welche unterschiedlichen Ausprägungen Moderne und Amerikanismus auf dem Land und in der Stadt annehme.

ALAN LESSOFF (Normal, Ill.) erörterte in seinem Eröffnungsvortrag die Frage, welche transnationalen Einflüsse auf den amerikanischen Modernismus einwirkten und wie im Zusammenhang mit dem Begriff der Moderne der Terminus des „progress“ zu deuten sei. Lessoff wies darauf hin, dass Historiker sich darüber uneins seien, inwieweit Modernism von transnationalen Strömungen beeinflusst sei und ob „progress“ und „modernization“ synonym verwendet werden könnten.

Die sich an den Vortrag von Alan Lessoff anschließende Diskussion versuchte die Frage zu klären, ob Fortschritt immer Moderne bedeute und ob Moderne immer Fortschritt nach sich ziehe.

Die erste Sektion wurde von DANIEL SIEMENS (Bielefeld) eröffnet, der sich mit dem Phänomen der Eugenik im Amerika der 1920er-Jahre beschäftigte. Die Eugenik legitimierte sich anhand einer Neuauslegung von Bibelstellen und legte ihrem Leitbild ein rückwärtsgerichtetes Verständnis von Moderne zugrunde. Ziel war die Verantwortlichkeit eines jeden war, das Kollektiv zu verbessern, um Entwicklungen in der Gesellschaft entgegenzuwirken. Siemens wies damit auf die Pluralität des Begriffs der Moderne in Amerika zu Beginn des vorigen Jahrhunderts hin.

JÜRGEN MARTSCHUKAT (Erfurt) sprach in seinem Vortrag über die Naturwissenschaftlerin Catherine M. Blackford und deren Bewegung, den „man of bone and muscle“ zu kreieren. Blackford und ihre Bewegung verstanden den Sport als Grundlage einer Optimierung des Individuums. Dabei wurde der die sportliche Betätigung als Befriedigung und Freude gesehen, nicht als lästige Pflicht. Die nach Blackford als „useful work“ bezeichnete Optimierung des Körpers sollte ein „erfüllender Prozess“ sein. Auch bei Martschukat stand, wie schon bei Siemens, der weit gefasste Begriff der Moderne im Vordergrund.

Die Sektionsleiterin ANGELIKA EPPLE (Bielefeld) verwies in ihrem Kommentar auf die Bedeutung des Sports heutzutage, der dem Individuum Glücksmomente verschaffe. Gleichzeitig machte sie auf die Kontinuitäten innerhalb des Sportes und auf die Neuauflagen der Bücher von Blackford seit den 1990er-Jahren aufmerksam.

Die anschließende Diskussion kreiste um die Ausmaße der Blackford’schen Bewegung, die spezifische Rolle der Frau in diesem Zusammenhang, die Wirkungen des aufkommenden Berufssports auf die Bewegung und deren Einfluss auf die Entwicklung in Amerika.

RAINER PRÄTORIUS (Hamburg) lenkte in seinem Vortrag den Blick auf den Pluralismus der Religionen in den USA und den sich daraus ergebenden Diskurs zwischen säkularer und religiöser Welt. Er untersuchte die beiden Gruppen Clergy und Professoren, die für Prätorius „als Seismographen der Modernisierungskrise nach 1900“ gelten können.

MICHAEL HOCHGESCHWENDER (München) zog den berühmten Scopes Monkey Trial für seinen Vortrag heran und interpretierte diesen nicht als Gegensatz von Stadt und Land, sondern als einen Gegensatz zweier unterschiedlich verstandener Arten von Moderne. Die Entscheidung des Gerichts wurde auf dem Land als Sieg des Konservativismus gefeiert, die spätere Annullierung des Urteils in der Stadt hingegen als Sieg des Liberalismus. Interessanterweise fänden sich die Fundamentalisten nicht im ländlich geprägten Süden, sondern im eher urbanen Norden wieder, befand Hochgeschwender.

Der Sektionsleiter KIRAN PATEL (San Domenico di Fiesole) stellte in seinem Kommentar die Frage, ob es für eine Gesellschaft nicht zwei Wege in die Moderne gebe. Er verwies dabei darauf, dass ein Begriff erst von den Menschen mit Inhalt gefüllt werden müsse, ehe er seine Bedeutung erhalte. Wichtig für ihn war auch, ob die Protestanten im Vergleich zu den Katholiken mit ihrer Haltung im Scopes Monkey Trial eine antimoderne Haltung eingenommen hätten. Desweiteren fragte er in diesem Kontext auch nach der Bedeutung des Monkey Trial für die Zeit nach 1930. Patel wies abschließend auf die Parallelentwicklungen im transnationalen Kontext hin und versuchte zu erörtern, ob die Debatte Americanism und Modernism eine inneramerikanische oder eine transatlantische gewesen sei.

In der anschließenden Diskussion wurden Fragen nach der Rolle der Theologie und des religiösen Lebens innerhalb des Weges in die Moderne gestellt. Geklärt werden müsse, in diesem Punkt herrschte Einigkeit, was die Begriffe Modernisierung und modernistisch in der Theologie bedeute; ebenso blieb offen, welche Wirkungen der Katholizismus auf die Entwicklungen in den USA gehabt habe. Aus dem religiös-politischen Verständnis des Protestantismus ergab sich für die Teilnehmer die Frage, warum es die linke antifaschistische Entwicklung in den USA nicht gegeben habe, wo doch diese europäische Bewegung aus dem Kulturprotestantismus hervorgegangen sei.

MANFRED BERG (Heidelberg) sprach zum Thema Lynchjustiz und deren Rolle im Prozess der Modernisierung. Berg hielt die Lynchjustiz für einen direkten Ausdruck von Volkszorn. Dass mit der Moderne das Ende des Lynchings kam, sah er jedoch nicht als deren Verdienst. Da die Menschen nicht wüssten, dass sie jetzt in der Moderne lebten und damit das Lynching hier keinen Platz mehr habe, müsse es andere Einflüsse gegeben haben, die das Verhalten der Individuen in Bezug auf das Lynching änderten. Er machte diese vor allem in dem stärkeren Vorgehen der staatlichen Ordnungskräfte gegen das Lynching aus und in der zunehmenden Anwendung der Todesstrafe. Das wirklich moderne daran sei, dass sich das staatliche Gewaltmonopol nun endlich durchgesetzt habe; die demokratische Forderung nach Volkssouveränität gelang durch die Einführung der Todesstrafe als Zeichen einer endgültigen und absoluten Volkssouveränität.

SILVAN NIEDERMEIER (Erfurt) zog den Fall Brown aus Mississippi für seine Ausführungen zur Akzeptanz der Folter in einer modernen Gesellschaft heran. Dieser zeige, dass anstelle eines öffentlichen Lynchings die nicht-öffentliche Folter in polizeilichen Untersuchungen geduldet, ja sogar akzeptiert wurde, wenn sie zur Aufklärung von Verbrechen diente. Bezeichnend sei, dass mit der Abnahme des Lynchings die Zahl der Fälle von Folter und Gewalt zur Verbrechensbekämpfung in den 1930er-Jahren zunahm. Vor allem die Gewaltanwendung bei schwarzen Tatverdächtigen prägte das Bild eines „rückständige[n] und unbelehrbare[n] Süden[s]“. Der „Norden kann sich [in der Folge] als Gegenpol zum Süden etablieren“, weil er anders als „die fremde Welt der Barbarei“ des Südens die moderne Strafjustiz anwendete.

WOLFGANG KNÖBL (Göttingen) hinterfragte die These, ob das Phänomen des Lynching wirklich die Forderung des Volkes nach Souveränität in Rechtsfragen sei, da es in den USA verschiedene Formen des Lynching gegeben hatte. Knöbl bemerkte weiter, dass es bisher „bitter vernachlässigt“ worden sei, einen internationalen Vergleich des Phänomen Lynching zu ziehen und verwies in diesem Zusammenhang auf das Justizwesen der Frontiergesellschaften in Südamerika.

Die Diskussion beschäftigte sich mit dem Charakter des Lynching und seinem Wert als Zeichen einer Art „Basisdemokratie“. Es wurde darauf hingewiesen, dass für den Süden in Bezug auf das Lynching gerade rassistische Momente das Wesen des Lynching stark beeinflussten.

In der dritten Sektion ergriff zunächst NORBERT FINZSCH (Köln) das Wort mit seinem Vortrag über die Harlem Renaissance. Mit den Einflussgrößen, die das Wesen der Harlem Renaissance ausmachten – Wanderung der Schwarzen in den Norden der USA, Teilnahme der Schwarzen am Ersten Weltkrieg, die Entstehung des Panafrican Congress und dem Umstand, dass schwarze Künstler vor weißem Publikum spielten – widerlegte Finzsch das Vorhandensein einer multiplen Moderne. Die Einflussgrößen der Harlem Renaissance führten seiner Meinung nach zu einer kulturellen Faltung, die eine Pluralität der Gesellschaft entstehen ließen. In seiner Darlegung orientierte sich Finzsch an dem Roman „Cane“ von Jean Toomer aus dem Jahr 1923 und – wie bereits einige seiner Vorredner – an den Theorien einer multiplen Moderne von Shmuel Noah Eisenstadt.

FRANK UEKÖTTER (München) setzte sich in seinem Referat mit den Fragen eines modernen Umweltmanagements in den USA auseinander. Neben der amerikanischen Mentalität des „capture“ sah Uekötter vor allem die geographischen Unterschiede innerhalb der USA als wichtiges Moment für eine Beurteilung und ein Verständnis der amerikanischen Umweltpolitik. Uekötter kategorisierte diese Unterschiede in vier Dimensionen: 1. Stadt-Land Gegensätze; 2. dicht-besiedelte und dünn-besiedelte Regionen; 3. Monokulturen und Wassermangel im Hinterland der Städte; 4. Konfliktherd Städte-Bundesstaaten. Ohne die Beachtung dieser Beziehungsstrukturen dürfe die amerikanische Umweltpolitik nicht beurteilt werden, so Uekötter.

Sektionsleiter CHRISTOF MAUCH (München) versuchte in seinem Kommentar zu erörtern, inwieweit der Begriff „conservation“ als modernisierend begriffen werden müsse. Interessant sei die gleichzeitige Entstehung der Begriffe „preservation“ und „conservation“, dass sich aber in der Folge der Ausdruck des „conservation“ durchgesetzt habe. Bezüglich eines Sonderweges der USA in umweltgeschichtlicher Hinsicht verwies Mauch auf Uekötters vier Dimensionen und typisierte den Begriff des „conservation“ als vollkommen unamerikanisch, wenn man die Mentalität des „capture“ bedenke. In Bezug auf die Harlem Renaissance fragte Mauch, ob es nicht eine Kontinuität der Harlem Renaissance bis heute gebe und verwies dabei auf die HipHop-Bewegung, die in den 1990er-Jahren prägend gewesen sei.

Die Diskussion nahm den Kommentar von Mauch auf und stellte fest, dass Untersuchungen zur Bewegung der Harlem Renaissance nicht allein auf New York beschränkt werden dürften, da auch in anderen Gegenden der USA ähnliche Bewegungen existiert hätten. Wichtig für die Teilnehmer bezüglich eines möglichen umweltpolitischen Sonderweges der USA war, dass der ungeheure, politisch geeinte geographische Raum in die vergleichenden Untersuchungen zwischen Amerika und Europa mit einbezogen werden sollten.

Thomas Welskopp referierte über die Organisationen der Anti-Saloon League und des Ku Klux Klan und ihrer Rolle in der Entwicklung eines modernen Amerika. Er stellte die These auf, dass die Anti-Saloon League und der Ku Klux Klan vorübergehend einen neuen Politikstil als Teil der Moderne begründet hätten. Beide Gruppen hätten durch publikumswirksame Veranstaltungen Kapital generiert, das sie wiederum in ihren politischen Aufstieg investiert hätten. Betrachtet man heute Redeveranstaltungen etwa von Barack Obama, gebe es durchaus Kontinuitäten dieses Politikstils, so Welskopp. Die Werbung der Anti-Saloon League sei dabei deutlich erfolgreicher gewesen als die des Ku Klux Klan, was ihr zur Stellung als führende politische Einflussgröße der frühen 1920er-Jahre verholfen habe. Ihr Abstieg begann erst, als sich die Anti-Saloon League innerlich gewandelt habe. Das politische Ende des Ku Klux Klan sei dagegen gekommen, als sich führende Klanmitglieder in zwielichtige Geschäfte verstrickt hätten.

LINARDS UDRIS (Zürich) stellte mit seinem Vortrag über die amerikanische Medienlandschaft der 1920er-Jahre die These auf, dass sich demokratische Gesellschaften öffentlich diskutieren müssten. Anhand einer Auswertung von Artikeln der US-amerikanischen Presse zur Prohibition versuchte er den Einfluss der Presse auf das politische Geschehen der 1920/30er-Jahre nachzuweisen. Vor allem mittels der Hearst-Presse versuchte Udris den Einfluss der Presse auf die politische Meinungsbildung dieser Zeit zu demonstrieren.

ANDREAS ETGES (Zürich) kommentierte die beiden Vorträge von Udris und Welskopp und bezweifelte, ob in den 1920/30er-Jahren die Presse wirklich die Meinung und das Denken von Volk und Politik widergespiegelt hätte und ob die Prohibition wirklich 1932 – wie von Udris behauptet wurde – diese zentrale Rolle in der Presse eingenommen hätte. In diesem Zusammenhang warf er die Frage auf, welche Rolle das zunehmend weiter verbreitete Radio gespielt habe. Bezüglich der beiden Organisationen Ku Klux Klan und Anti-Saloon League interessierte sich Etges für die Anknüpfungspunkte dieser kollektiven Events und etwaiger Traditionen.

Die Diskussion lenkte den Blick auf die Zusammensetzung der beiden radikalen Organisationen, besonders für den Ku Klux Klan standen die Fragen nach seiner sozialen Struktur, der Rolle der Frau innerhalb des Klan und nach der Bedeutung des Nationalismus für den Klan im Vordergrund. Die Presseberichterstattung zur Prohibition betreffend, müsse die Bedeutung des Reader’s Digest für die 1920er- und 1930er-Jahre untersucht werden, so die Teilnehmer.

Die Schlussdiskussion lenkte noch einmal den Blick darauf, ob für die USA eine oder mehrere Modernen existiert hätten. Die Teilnehmer waren sich darin einig, dass die Moderne nicht durch ein Phänomen eindeutig definiert werden könne, da ihr Wesen vielschichtig sei. Anstelle von einer multiplen Moderne zu sprechen, müsse besser von einer fragmentarischen und gebrochenen Moderne gesprochen werden. Dies sei erforderlich, wenn man die einzelnen Einflussgrößen gebührend berücksichtigen wollte, die auf die Entwicklung einer sogenannten Moderne in den USA eingewirkt hätten. Ebenso wichtig betrachteten die Teilnehmer das Moment des geographischen Raumes hierbei und plädierten für seine Aufnahme in die Untersuchungen zur Moderne.

Konferenzübersicht:

Thomas Welskopp (Bielefeld/München): Begrüßung

Alan Lessoff (Normal, Ill.): Transnational Perspectives on Understanding American Progressivism

Daniel Siemens (Bielefeld): Der Kult des Lebens. Einige Bemerkungen zu Individualität, Glück und Moral in den USA und Deutschland zwischen 1900 und 1940

Jürgen Martschukat (Erfurt): Sport und das moderne Subjekt

Angelika Epple (Bielefeld): Kommentar

Rainer Prätorius (Hamburg): Pragmatismus und Pluralismus als Modernisierungs-Kitt: Public Intellectuals am Vorabend des New Deal (z.B. Lippmann)

Michael Hochgeschwender (München): Scopes Trial und die Hintergründe des Stadt-Land-Gegensatzes in den 1920er Jahren

Kiran Patel (San Domenico di Fiesole): Kommentar

Manfred Berg (Heidelberg): Lynchjustiz

Silvan Niedermeier (Erfurt): Folter, Rassismus und Bürgerrechte in den amerikanischen Südstaaten (1930-1955)

Wolfgang Knöbl (Göttingen): Kommentar

Norbert Finzsch (Köln): Afroamerikanische Geschichte

Frank Uekötter (München): Conservation. Ein amerikanischer Sonderweg des modernen Umweltmanagements

Christof Mauch (München): Kommentar

Thomas Welskopp (Bielefeld/München): Anti-Saloon League und Ku Klux Klan: Die Stunde der „charismatischen Verbände“

Linards Udris (Zürich): Veränderungen in der amerikanischen Medienlandschaft in den 1920er-Jahren

Andreas Etges (Berlin): Kommentar


Redaktion
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