Apocalypticism, Millenarianism and Prophecy: Eschatological Expectations between East-Central and Western Europe, 1560-1670

Apocalypticism, Millenarianism and Prophecy: Eschatological Expectations between East-Central and Western Europe, 1560-1670

Organisatoren
Philosophisches Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Prag; Modern European History Research Centre, University of Oxford
Ort
Prag
Land
Czech Republic
Vom - Bis
15.01.2009 - 16.01.2009
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Von
Petr Mat'a, Institut für Geschichte, Universität Wien

Als Auftakt zum zweijährigen internationalen Projekt Intellectual Networks in Central and Western Europe, 1560-1670, an dem die Universität Oxford, zwei akademische Institute in Budapest und Prag und die Polnische Akademie der Kunst und Wissenschaften in Krakau sich beteiligen, fand im Januar 2009 in Prag eine als Workshop bezeichnete Tagung statt, welche sich zum Ziel setzte, die Ausprägungen und Auswirkungen der protestantischen Eschatologie im frühmodernen Europa aus der Perspektive der intellectual history zu beleuchten. Die Fragestellung ergab sich aus der Zielsetzung des Gesamtvorhabens, das die gelehrten Netzwerke von Samuel Hartlib und Jan Amos Comenius, ihre Ideen hinsichtlich der Universalreform und schließlich Traditionen, aus welchen diese Netzwerke und Reformkonzepte herauswuchsen, näher beleuchten soll. Weitere drei Tagungen dieses durch die Andrew W. Mellon Foundation finanzierten Projekts werden Educational Reform, Philosophy and Irenicism (Krakau, Juli 2009), Encyclopaedism, Pansophia, and Universal Communication (Budapest, Januar 2010) und Universal Reformation (Oxford, Juli 2010) zum Thema haben.

Ins Zentrum der Aufmerksamkeit der ersten Tagung gerieten insbesondere der mitteleuropäische Raum (das Heilige Römische Reich, die böhmischen Länder, Polen, Ungarn und Siebenbürgen) in der Periode von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs und die reformierten und heterodoxen Netzwerke, wobei die Namen Alsted und Comenius besonders häufig als Referenzpunkte erwähnt wurden. Unter den Teilnehmenden waren vor allem englisch-, tschechisch- und ungarischsprachige Referentinnen und Referenten vertreten, darunter – insbesondere auf der tschechischen Seite – mehrere Nachwuchswissenschaftler, was auf gewisse Missverhältnisse im Stand der Forschung hinweist. Gastgeber war das Philosophische Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, eine Arbeitsstelle, welche dank der Tradition der Forschung über Comenius und dank der gegenwärtigen Forschungsaktivitäten ein enges Verhältnis zum Thema besitzt: Gerade hier wird die (auf englisch, deutsch und französisch erscheinende) Zeitschrift Acta Comeniana herausgeben, die sich in den letzten Jahren von einer Plattform der eng gefassten Comenius-Forschung zu einer exzellenten Revue für die Kulturgeschichte und intellectual history in der Frühen Neuzeit wandelte und zur Integration der Forschung im mitteleuropäischen Raum maßgeblich beiträgt.

HOWARD HOTSON (Oxford), gemeinsam mit Vladimír Urbánek spiritus agens des genannten Projekts und Mitveranstallter des Workshops, erhellte im einführenden Vortrag die Forschungsziele hinsichtlich der Tagung und des gesamten Projektes. Er plädierte für die Erweiterung des Forschungshorizonts und für eine Integration der in unterschiedlichen nationalen Kontexten betriebenen Forschung, welche die Kommunikationsweisen und Wirkungs- und Beobachtungsbereiche der frühmodernen gelehrten Netzwerke besser berücksichtigen müsse. So bleibt etwa die britische millenaristische Tradition erst im gesamteuropäischen Kontext verständlich, denn sie entstand nicht bloß als Reaktion auf regionale Krisen, sondern speiste sich durchaus aus kontinentalen Impulsen. Erst nach der Überwindung der nationalen Engführungen bei der Betrachtung der Einzelphänomene (als Beispiele wurden die marxistische und post-marxistische Auseinandersetzung mit dem Millenarismus in England und die tendenzielle Ausblendung der eschatologischen Akzente in Texten von Comenius seitens der tschechischen nationalen Meistererzählung erwähnt) liesse sich eine neue sachgerechte Konzeptualisierung des europäischen Millenarismus und der Apokalyptik in Angriff nehmen und ein größeres Bild zeichnen.

Obwohl nur wenige der Referate auf das Thema mit derartig globaler Draufsicht herangingen, wurde bei den meisten die Bereitschaft sichtbar, übliche Deutungsgrenzen zu überschreiten und Themen in größere Zusammenhänge einzuordnen. PÁL ÁCS (Budapest) machte auf die bis heute kaum untersuchten apokalyptischen Momenten in jenen Texten aufmerksam, die der deutsche Humanist Johann Löwenklau um 1590 über die osmanische Bedrohung verfasste und veröffentlichte, wobei er Löwenklaus Arbeitsmethode untersuchte und Erklärungen für eine schwierige Rezeption seiner Werke in Ungarn lieferte. Für eine stärkere Berücksichtigung der Textualität und der kommunikativen Praxis bei der Beschäftigung mit der protestantischen Eschatologie plädierte LUCIE STORCHOVÁ (Praha). Am Beispiel des Umgangs mit bestimmten Komponenten der Melanchtonschen Eschatologie (z. B. die schicksalhaften Jahre – anni fatales) an der Prager utraquistischen Universität am Anfang des 17. Jahrhundert führte sie vor Augen, inwiefern die Ausarbeitung von eschatologischen Themen im frühmodernen akademischen Kontext zum normierten Bestandteil der universitären Kurrikula (im Sinne von „rhetorical training“) werden konnte und wie sie sich als Mittel zur Legitimierung der Universität und zur Erlangung der Patronage instrumentalisieren und umfunktionieren ließen.

Aufgrund einer langjährigen Forschung und mit Hilfe des neu herangezogenen Quellenmaterials, darunter Traktate und Kommentare über die Apokalypse, beleuchtete MIHÁLY BALÁZS (Szeged) das vielfältige Verhältnis der siebenbürgischen Antitrinitarier zum Millenarismus im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. Zu konstatieren war eine enorme Verschiedenartigkeit und Plastizität der christlichen Theologie im siebenbürgischen Kontext. PAVLÍNA CERMANOVÁ (Praha) stellte die im 16. und 17. Jahrhundert im Druck erschienenen Sammlungen mittelalterlicher Prophezeiungen vor und präsentierte einige Betrachtungen über Kontexte und Strategien der Neuinterpretationen des mittelalterlichen Traditionsguts in der Frühen Neuzeit. Das enge Verhältnis zwischen der Alchemie und Prophezeiung wurde durch PETER FORSHAW (London) und RAFAŁ T. PRINKE (Poznań) an zwei konkreten Beispielen beleuchtet. Der Erstgenannte richtete seine Aufmerksamkeit auf die schillernde Figur des Arztes und Alchemisten Heinrich Khunrath während Prinke sich mit Michael Sendivogius und seiner (eigentlich nur in Ansätzen bekannten) Konzeption der vierten Monarchie und deren Beziehung zu Alsted und zum Sarmatismus beschäftigte. Beide Referenten verdeutlichten gleichzeitig Schwierigkeiten, die mit der Interpretation der z.T. absichtlich unklaren Äußerungen beider Gelehrter verbunden sind.

Die Ausprägungen des eschatologischen Denkens im böhmischen protestantischen Exil während des Dreißigjährigen Krieges, ein langjähriges Forschungsdesiderat, wurden in vier Referaten veranschaulicht. Zunächst versuchte JANA HUBKOVÁ (Ústí nad Labem), von ihrer jüngsten umfassenden Beschäftigung mit Flugblättern aus der Zeit des pfälzischen Gegenkönigtums in Böhmen und der pfälzischen Krieges ausgehend, die berühmten Prophezeiungen Christoph Kotters neu zu interpretieren. Sie zeigte dabei exemplarisch, wie sich die in der pfälzischen Propaganda verwendete Ikonografie auf die Imagination des analphabetischen Gerbers aus der Lausitz auswirkte. PAVEL HEŘMÁNEK (Praha) stellte sein Dissertationsprojekt über die Prophezeiungen von Christina Poniatowska und deren Bearbeitung durch Comenius vor. Anhand der eingehenden Detailanalyse bürgerlicher Kalenderaufzeichnungen aus dem Umkreis der böhmischen Exilgemeinde im sächsischen Pirna untersuchte MARTINA LISÁ (Leipzig) die wandelnde Rezeptivität der böhmischen Exilkreisen hinsichtlich der Wunderzeichen und Prophezeiungen in den 1620er und 1630er Jahren. VLADIMÍR URBÁNEK (Praha), schließlich, aufgrund seiner unlängst veröffentlichten Studie über das eschatologische Denken der böhmischen Exilgelehrten, veranschaulichte die unterschiedliche Verarbeitung Alsteds Eschatologie durch die böhmischen Exulanten, wobei er für eine sorgfältigen Unterscheidung verschiedener Ebenen der literarischen Produktion plädierte. Während die in der Literatur bekannte Verarbeitung von Alsteds Gedankengut durch Comenius sich bei näherer Betrachtung als weniger geradlinig erweist, als man früher vorausgesetzt hatte, wurden Beispiele direkter Beeinflussung der böhmischen Exilgelehrten durch Alsted seitens der Geschichtsschreibung lange ausgeblendet.

Im Folgenden wurden zwei weniger bekannte, aber durchaus bemerkenswerte heterodoxe Netzwerke im Heiligen Römischen Reich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nahegebracht. NOÉMI VISKOLCZ (Szeged) befasste sich mit dem aus Österreich stammenden Johann Permeier und mit seinem nach konfessioneller Versöhnung strebenden und in eine virtuelle Societas Regalis Jesu Christi gruppierten Umkreis. Sie legte exemplarisch nahe, wie das millenaristische Wissen durch die Lektüre rezipiert und mittels des Briefwechsels vermittelt wurde. Ein anderes Beispiel der religiösen Subkultur und des chiliastischen Dissidententums stellte LEIGH PENMAN (Melbourne) vor. Im Zentrum seines Vortrags stand der Astrologe Paul Nagel, und Penman ging insbesondere auf die Strategien der Verbreitung von Texten und auf Ursachen der schnellen Abnahme der chiliastischen Aktivität seit der Mitte der 1620er Jahre ein. BRANDON MARRIOTT (Oxford) kehrte mit der Vorstellung seines Dissertationsprojekts zur globalen Perspektive zurück, indem er die Bedeutung von jüdischen Handelsnetzwerken für die Vermittlung der messianistischen und apokalyptischen Botschaften im transnationalen, transkontinentalen und transkonfessionellen Rahmen hervorhob und seine sich auf die Netzwerkanalyse anlehnende Forschungsstrategie zur Diskussion stellte.

In der durch die abschließenden Bemerkungen von NICOLETTE MOUT (Leiden) eingeleiteten Schlussdiskussion wurden einige venachlässigte Aspekte und Dimensionen der Thematik diskutiert, u.a. die Auswirkung der Entdeckung der Neuen Welt auf die Verbreitung der messianistischen Ideen oder die Frage der Kontinuitäten der mittelalterlichen Eschatologie. Dabei wurden die Vielfalt des eschatologischen Gedankengutes, das Reichtum der Traditionen und die enge Verflechtung der eschatologischen Ideen mit der reformatorischen Glaubensströmungen vor Augen geführt. Hervorgehoben wurde nochmals die besondere Bedeutung von Alsted für die Umwandlung eines vielgestaltigen und vielfach suspekten Traditionsgutes in einen für den Gelehrtendiskurs vertrauenswürdigen Gedankenkomplex. Unberührt blieb die Frage, ob im Rahmen der posttridentinischen Kirche bzw. der katholischen Gesellschaft sich Freiräume für die Entfaltung von eschatologischen – möglicherweise ganz unterschiedlich gestalteten – Gedanken und Erwartungen öffneten bzw. wie die katholische Welt auf die Verbreitung der millenaristischen Schwärmerei reagierte.

Insgesamt bot die Tagung eine stimulierende Schau jüngster Forschungsergebnisse wie auch vielfältiger Herangehensweisen zur Erforschung dieses auf der Schnittstelle der Theologie, des Gelehrtendiskurses, der politischen Propaganda und der populären Frömmigkeit verankerten Themenkomplexes. Um das abschließende Bonmot von Nicolette Mout zu wiederholen: Vor dem Hintergrund der zweitägigen Beschäftigung mit Erwartungen, die sich nicht erfüllten, war diese anregende Tagung die einzige, aber ziemlich eindeutige Ausnahme.

Programm

Thursday, 15 January

9:00–9:15
Introduction

9:15–12:30
Chair: Nicolette Mout
Howard Hotson (Faculty of History, University of Oxford, Oxford): Intellectual Networks, Universal Reformation, and Early Modern Millenarianism: The status quaestionis
Pál Ács (Institute of Literary Studies, Hungarian Academy of Sciences, Budapest): Humanist Historical Research and Apocalypticism: Hungarian Relations in Johannes Löwenklau’s Historia Musulmanae Turcorum (1591)
Lucie Storchová (Institute of Philosophy, Czech Academy of Sciences, Prague): Eschatological Discourses and Humanism at the University of Prague

14:00–18:15
Chair: Pál Ács
Mihály Balázs (Department of Early Hungarian Literature, University of Szeged, Szeged): Unitarian Millenarianism in Transylvania
Pavlína Cermanová (Centre for Medieval Studies, Institute of Philosophy, Czech Academy of Sciences, Prague, and University of Konstanz, Konstanz): "Un édifice déja construit?": Medieval Prophecy in Reformed Apocalyptic Discourse in the 17th Century
Peter Forshaw (School of English and Humanities, Birkbeck College, University of London, London): Paracelsian Apocalypse: Alchemy and Prophecy in Early Modern Central Europe
Rafał T. Prinke (Akademia Wychowania Fizycznego, Poznań): "Heliocantharus Borealis": The Alchemist Michael Sendivogius and Fourth Monarchy Millenarianism

Friday, 16 January

9:00–12:15
Chair: Vladimír Urbánek
Jana Hubková (Municipal Museum, Ústí nad Labem): The Early Versions of Christoph Kotter’s Prophecies: Their Sources, Symbols and Relationship topro-Palatine Pamphlets
Pavel Heřmánek (Evangelical Theological Faculty, Charles University, Prague): J. A. Comenius and Christina Poniatowska: Prophetic Revelations and Theology
Martina Lisá (University of Leipzig, Leipzig): The Perception of Prophecies in Bohemian Emigré Circles: The Case of Pirna

14:00–18:45
Chair: Prof. Howard Hotson
Vladimír Urbánek (Institute of Philosophy, Czech Academy of Sciences, Prague): The Reception of Alsted’s Eschatology among Bohemian Exiles: Partlicius, Skála and Comenius15:00–16:00
Noémi Viskolcz (University of Szeged, Szeged): Millenarianism in Theory and Practice in Mid-17th Century: Johann Permeier’s Circle
Leigh Penman (University of Melbourne, Melbourne): Schola Spiritus Sancti:The Chiliastic Underground in the Holy Roman Empire, 1600–1630

Brandon Marriott (University of Oxford, Oxford): Jewish Mercantile Networks as Intermediaries in the Communication of Apocalyptic Expectations between England and the Levant
Nicolette Mout (Research Institute for History, University of Leiden, Leiden): Closing remarks

Kontakt

Petr Maťa
Universität Wien
Institut für Geschichte
E-Mail: <petr.mata@univie.ac.at>


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