Bausteine einer Soziologie vormoderner Architekturen

Bausteine einer Soziologie vormoderner Architekturen

Organisatoren
Peter Trebsche, Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität Wien; Nils Müller-Scheeßel, Römisch-Germanische Kommission, Frankfurt
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
04.02.2009 - 06.02.2009
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Von
Renate Ebersbach, Institut für prähistorische und naturwissenschaftliche Archäologie, Universität Basel

Der interdisziplinäre Charakter des Workshops kam schon durch die Zusammensetzung der Anwesenden klar zum Ausdruck: sie reichte von Prähistorikern mit verschiedenen Epocheschwerpunkten (Neolithikum, Eisenzeit, Frühmittelalter, Mittelalter) über Ethnologen, europäische Ethnologen, Soziologen und Architekten bis zu Architektursoziologen. Dass in diesem Workshop in erster Linie diskutiert und nur in zweiter Linie monologisiert werden sollte, kam nicht nur in der Sitzordnung zum Ausdruck, sondern auch in der Wahl der Eingeladenen: fast alle Zuhörenden waren auch Referierende. Positiv aufgefallen ist mir auch das ausgeglichene Geschlechterverhältnis der Anwesenden und besonders der Vortragenden (12 Männer und 10 Frauen).

Der Einführungsvortrag von BERNHARD SCHÄFERS führte den Teilnehmern gleich vor Augen, wie komplex das Zusammenspiel zwischen Architektur und soziologischen Fragestellungen ist und über wie viele Themen in den nächsten zweieinhalb Tagen zu diskutieren sein würde – über viele davon habe ich als Prähistorikerin noch nie zuvor nachgedacht. Schäfers spannte einen Bogen vom Beginn architektonischer Fragestellungen innerhalb des Fachgebietes der Soziologie bzw. Geschichte bis hin zum heutigen Status quo mit der absehbaren Etablierung der Architektursoziologie als eigenständigem Forschungsbereich. Architektur ist omnipräsent, niemand kann ihr entrinnen, allein schon deshalb hat Architektur zwangsläufig mit dem Sozialen zu tun. HERBERT SCHUBERT versuchte eine evolutionistische Entwicklungslinie der vormodernen Architektur und Raumplanung aufzuzeigen, die bei den anwesenden Prähistorikern und Ethnologen zu intensiven Diskussionen führte: lässt sich in der vor-mittelalterlichen Entwicklung der Architektur, der Raumplanung und der „Verhäuslichung“ tatsächlich ein kontinuierlicher Langzeitprozess von der „Urhütte“ zur modernen Architektur erkennen? Einen Überblick über die heute und in Zukunft wichtigen methodischen Ansätze und Fragestellungen in der Architektursoziologie referierte HEIKE DELITZ: In der Architekturtheorie wird Architektur als „Hülle“ oder Spiegel von Macht, sozialer Ungleichheit usw. gesehen. Fruchtbarer als diese „passive“ Wahrnehmung von Architektur wäre aber die Verwendung von Ansätzen aus der französischen Differentialphilosophie (etwa Cornelius Castoriadis), in denen nach dem Miteinander und Ineinander von Architektur und Sozialem gefragt werden kann: Was macht Architektur mit uns?

Es folgte ein Block mit Beiträgen von Prähistorikern. PETER TREBSCHE griff in seinem Grundlagenvortrag nochmals die Fragestellungen des Workshops auf: Wie lassen sich archäologisch erfasste Bauformen vormoderner, meist schriftloser Gesellschaften mit soziologischen Fragestellungen verknüpfen und sogar zu deren Beantwortung heranziehen? Bisher verwendeten Archäologen meist „ad hoc“- Interpretationen von Baustrukturen und suchten anekdotisch nach „passenden“ Vergleichsbeispielen. Die Befunde und Fundverteilungen wurden oft auf der Achse „egalitär – stratifiziert“ interpretiert; komplexe Baustrukturen seien ein Hinweis auf stratifizierte Gesellschaften. Mit dem Ansatz von Gary Feinmann, Gesellschaften im Hinblick auf die Achse „Individualität – Korporation“ zu untersuchen, schlägt er eine systematischere und auch vielseitigere Herangehensweise an die Interpretation von gebauten Räumen in vorhistorischen Epochen vor. Mit einem Fallbeispiel aus dem Bereich der neolithischen Seeufersiedlungen konnte RENATE EBERSBACH aufzeigen, dass auch architektonisch wenig anspruchsvolle, gleichförmige Baustrukturen Aussagen zur Sozialstruktur erlauben, wenn man die zeitliche Dynamik der Haus- und Siedlungsentwicklungen berücksichtigt. Sie versuchte mithilfe des Paradigmas der „correspondence systems“ und „non-correspondence systems“ nach Hillier und Hanson aufzuzeigen, dass die in den jungsteinzeitlichen Seeufersiedlungen der Schweiz sichtbaren Muster von Zuzug und Wegzug sowie die Größe der gemeinsam handelnden Einheiten mit gesellschaftlichen Regeln und Vorstellungen verknüpft sind, die den „non-correspondence systems“ entsprechen. Auch im Tell von Okolište (Bosnien-Herzegowina) sind gleichförmige Bebauungsmuster vorhanden, wie NILS MÜLLER-SCHEESSEL vorführte. Seine Analysen zu Wegen, Zugänglichkeiten und Sichtbarkeiten lenkten den Blick auf den nicht überbauten Raum und die Frage, welchen Stellenwert er in unseren Überlegungen einnehmen sollte.

Die erste Hälfte des zweiten Tages wurde von den Ethnologen bestritten. ANDREAS DAFINGER analysierte und kritisierte das „space syntax“-Modell von Hillier und Hanson und schlug Erweiterungen und methodische Verbesserungen dieses inzwischen schon 25 Jahre alten strukturalistischen Ansatzes vor. Das „space syntax“-Modell ist ein gutes Analysewerkzeug für die mittlere Reichweite. Es eignet sich aber nicht zur Untersuchung des semantischen Gehaltes von Raum, zur Analyse von Dynamik und zeitlicher Veränderung, zur Auseinandersetzung mit hybriden Baustrukturen. Es ist nicht skalierbar, und die Akteurs-Perspektive fehlt. HANS-PETER HAHN präsentierte eine Fülle von ethnologischem Material, grundlegender Literatur und neutralen Begriffen, so wäre zum Beispiel „gebauter Raum“ für vormoderne Gesellschaften angemessener als der Begriff „Architektur“. Es gibt grundsätzlich eine Unterscheidung zwischen subhumaner und humaner Umwelt, die aber nicht unbedingt mit der Grenze zwischen bebautem und nicht bebautem Raum übereinstimmt, sondern im Gegenteil: In vielen Gesellschaften umfasst die humane Umwelt auch Landschaft, die kultische oder symbolische Bedeutung hat. Für die Untersuchung vormoderner Gesellschaften sind Themen wie Skalierungsebenen (Raum – Haus – Siedlung – Landschaft) und kognitive Karten (subjektive Wahrnehmung von Raum statt objektiver Beschreibung) seiner Ansicht nach besonders fruchtbar. Bauformen und deren Zusammenhang mit Funktionen, Ritualen und dem Bezug zum Land als Ressource diskutierte HERMANN MÜCKLER am Beispiel der stark stratifizierten Gesellschaft der Fijianer. Hierarchie äußert sich im gebauten Raum durch die Höhe des Podestes, auf dem das Haus der Familie steht, durch die Nähe des Gehöftes zum Versammlungshaus als Siedlungszentrum und durch die Sitzordnung in den Versammlungen.

Die nächsten Beiträge erschlossen Beispiele aus der Mittelalterarchäologie. Zunächst referierte JANINE FRIES-KNOBLACH über den bajuwarischen Hausbau im Frühmittelalter und ging der Frage nach, ob wir archäologisch finden können, was aus Schriftquellen bekannt und deshalb als gebaut vorauszusetzen ist. Die archäologisch definierten Haustypen lassen sich nicht eindeutig den in den Schriftquellen genannten Hierarchiestufen zuordnen. Gerade im ländlichen Hausbau fehlt der eindeutige Nachweis von „Herrenhöfen“. Bajuwarische Herrscher drückten ihre Legitimation und ihren Status weniger im Gebäude selbst als vielmehr in dessen Ausstattung aus. CLAUDIA THEUNE beschäftigte sich mit der Ausbreitung von Neuerungen im Hausbau während des Mittelalters, besonders mit der plötzlich auftretenden und sich rasch ausbreitenden Innovation des Schwellenbaus anstelle des Pfostenbaus, dem Bauen in die Vertikale und dem Beginn des Steinbaus. In ihrem Vortrag wurde deutlich, zu welchen Erklärungsmustern Archäologen oft greifen, wenn Schriftquellen fehlen und man sich allein mit den gefundenen Strukturen auseinandersetzen muss: Warum setzt sich der Schwellenbau, eine mindestens seit der Bronzezeit bekannte Bauform, im Mittelalter so schnell und so umfassend durch? Die Erklärungsvorschläge von Claudia Theune umfassten klimatische, ökonomische, funktionale und soziale Faktoren. In einer fulminanten Verknüpfung von Bild- und Schriftquellen sowie archäologischen Zeugnissen konnte THOMAS KÜHTREIBER aufzeigen, dass der mittelalterlich-frühneuzeitliche Schloss-, Burgen- und Stadtmauern-Bau mehrere ideologische Konnotationen besitzt, die den Bauherren mehr oder weniger bewusst waren: Die Ikonografie von Turm, Mauer und Tor als Symbol für Burg bzw. befestigte Stadt nahm im Mittelalter den Platz eines Symbols ein. Darin verknüpft waren mehrere Bedeutungsebenen, unter anderem Wehrhaftigkeit, Bezug auf den antiken (Stadt-)Mauerbau als Traditionslinie, Bezug auf die himmlische Stadt Jerusalem. Die mittelalterliche Architektursymbolik ist keine Status-Symbolik, sondern sakral legitimiert.

Das Nachmittagsprogramm startete mit einer Dekonstruktion der traditionellen Interpretationen zur Lehmziegelmauer der Heuneburg, welche den Bau der Mauer der Leistung eines „Herren von Format“ bzw. „Fürsten“ zuschreiben. MATTHIAS JUNG präsentierte als Alternative die nordafrikanischen Ksour, Befestigungen, die unter der Leitung eines Rates aus Ältesten und Vornehmen von mehreren Gemeinschaften, also ohne herausragende Herrscherpersönlichkeit, errichtet wurden. SABINE REINHOLD stellte eine bisher unbekannte Form runder eisenzeitlicher Siedlungen aus dem Kaukasus vor, die vor allem durch Prospektion erfasst wurde. Sie diskutierte die mögliche Funktionalität der Räume und Siedlungen, deren Lebensdauer, Bauweise und die Frage nach den dahinter stehenden Gruppengrößen und deren Organisationsstrukturen.

Mehrere Beiträge beschäftigten sich anschließend mit eisenzeitlichen Großsiedlungen. Anhand des Oppidums von Manching konnte SUSANNE SIEVERS zeigen, dass selbst bei gut ausgegrabenen Baustrukturen eine Interpretation der Funktionalität und Bedeutung innerhalb des Baukomplexes oder gar für die gesamte Siedlung schwierig bleibt. Einmal mehr führte dieser Beitrag zu der Frage, ob und wie gesellschaftliche Hierarchisierungen in Bauformen sichtbar sind. Ein keltisches Oppidum ist in erster Linie eine Agglomeration von schon vorher belegten ländlichen Einheiten, ergänzt durch neue Elemente wie eine Stadtmauer. Soziale Veränderungen in der Gesellschaft müssen während des Prozesses der Urbanisierung nicht zwingend angenommen werden. Neue Befunde aus dem spätkeltischen Oppidum von Bibracte stellten DOREEN MÖLDERS und RALF HOPPADIETZ vor. Welche Veränderungen in den Baustrukturen lassen sich unter dem Einfluss der Romanisierung fassen? In Bibracte wurden zwar römische Bauelemente in die indigene Bautradition integriert und das Zentrum wurde repräsentativ ausgebaut, aber Bibracte wurde nie eine römische Stadt. Mit der Frage der Urbanisierung und der Entstehung von Städten in keltischer Zeit beschäftigte sich SABINE RIECKHOFF. Die für die Archäologie anwendbaren Kriterien der Urbanisierung nach G. Simmel und L. Wirth lassen sich in Bibracte wieder finden. Aber auch das Prozesshafte, das Bauen an sich, die Zuweisung von Bedeutung zum gebauten Raum, das Handeln der Akteure sind wichtige Faktoren der keltischen Stadtgründungen. OTTO H. URBAN diskutierte anhand einer Fülle von Beispielen die Entwicklung der Urbanisierung in der Eisenzeit und die in der Archäologie verwendete Begrifflichkeit („Großdörfer“, „protourbane Zentren“ usw.). Ausführlich kam auch das Problem der archäologischen Nachweisbarkeit von architektonischen Statusymbolen wie Türmen, Freiflächen, Eingangsbereichen oder repräsentativen Sondergebäuden zur Sprache. Einen interessanten Ansatz, den ich als „typologisch-funktionalistisch“ im positivsten Sinn bezeichnen würde, verfolgte ERICH LEHNER, indem er naturräumlich-klimatische Anforderungen zweier sehr gegensätzlicher Landschaften (Samoa und die mongolische Steppe) mit den dort üblichen traditionellen Bauformen verglich unter der Fragestellung: Lassen sich die traditionellen Bauformen aus der Sicht eines externen Bauforschers optimieren oder sind sie bereits „optimal“? ANDREA RIEGER-JANDL beschäftigte sich mit der Frage der Identitätsstiftung von Bauformen und der Verschmelzung von lokalen Bauformen und -materialien mit globalen Einflüssen. Am Beispiel von Ladakh in Nordindien konnte sie aufzeigen, dass traditionelle Bauelemente aufgegeben, aneignend transformiert oder sogar weitgehend unangetastet weiterverwendet werden, Letzteres besonders im Kultbau. Für Gebäude von niedrigem Rang und ohne indigene Bautradition (zum Beispiel Schulen und Verwaltungsgebäude) werden dagegen globale Baustrukturen unreflektiert übernommen. Die Geschichte der Bauforschung und die heutige Haltung der europäischen Ethnologie zur vormodernen, vor allem ländlichen Architektur stellte KLARA LÖFFLER vor. In Österreich entstand die Bauforschung aus der Bauernhausforschung, getragen durch das Bildungsbürgertum auf der Suche nach dem nationalen Hausbau. Nach 1945 entwickelte sie sich weiter in Richtung einer Baukulturforschung mit Fokus auf den Prozess des Bauens als Handeln, die beteiligten Akteure und die Bedeutung einzelner Bauelemente, zum Beispiel Herdstellen.

Die Schlussdiskussion war geprägt von diversen Fragestellungen, die alle im Verlauf des Workshops bereits angesprochen und lebhaft diskutiert worden waren. Ausgehend vom Titel des Workshops stellte sich zunächst einmal die Frage: Gibt es überhaupt eine vormoderne „Architektur“? Erfordert der Begriff der Architektur nicht zwingend den Begriff des „Architekten“ als Planer? Und ist es sinnvoll bzw. überhaupt möglich, in prähistorischen Epochen nach Architekten zu fragen bzw. zwischen Auftraggeber, Architekt (als Planer) und Baumeister (als Ausführendem) zu unterscheiden? Hier kristallisierten sich bei den Teilnehmern zwei verschiedene Positionen heraus: Die einen waren der Ansicht, dass der Begriff „Architektur“ nicht verwendet werden sollte, wenn nicht der Begriff „Architekt“ mitgedacht wird, der wiederum zeitspezifisch ist und eine Berufsgruppe beschreibt. Daher kann in vormodernen Gesellschaften (prähistorischen wie ethnologischen) nicht nach „Architektur“ und „Architekten“ gefragt werden. Die Baumeister-Perspektive ist nicht relevant und sollte bzw. kann nicht im Mittelpunkt der Forschung stehen. Auf der anderen Seite stand eine sehr weit gefasste Definition, die Architektur als jede gebaute Umwelt versteht, als einen Prozess, nicht nur ein Produkt, als eine unentrinnbare Konstante im menschlichen Leben, als ein Medium zum bewussten oder unbewussten Transport von Botschaften in vielen Bereichen einer Gesellschaft (zum Beispiel Gender, Macht, Ökonomie). Bei diesem Verständnis von Architektur ist ein Spezialist (der Architekt oder Baumeister) nicht notwendig, weshalb sich der Begriff „Architektur“ dann auch problemlos für vormoderne Bauformen verwenden lässt.

Beim Bauen sind verschiedene „Akteure“ beteiligt, die in modernen Zeiten als Spezialisten eine eigens darauf abgestimmte Ausbildung erhalten. In vormodernen Zeiten bleibt zu fragen, ob diese Unterscheidungen möglich bzw. sinnvoll sind. Die „Akteure“ sind:
- der Bauherr/Auftraggeber
- der Architekt (als Planer) bzw. Baumeister (als Ausführender)
- die Rahmenbedingungen (zum Beispiel klimatische Bedingungen, kulturelle Standards, Zugänglichkeit zu Ressourcen etc.)
- die beim Bauen Beteiligten (Fachleute wie Handwerker, aber auch Handlanger und Mitarbeitende)
- die Nutzer

Methodische Werkzeuge zum Umgang mit Bauformen: Wie weit kommt man mit der bloßen Phänomenologie? Der strukturalistische Ansatz, Architektur als „Sprache“ zu verstehen („space syntax“ von Hillier und Hanson) bleibt ein gutes Werkzeug bei Fragen zur Zugänglichkeit von Gebäuden und Räumen, zum Layout von gebautem Raum (Axialität und Konvexität) und dem Zusammenhang zwischen Residenzgruppen und anderen sozialen Segmenten („correspondence versus non-correspondence systems“). Dieser Ansatz hat aber auch seine Lücken, so fehlen insbesondere Werkzeuge zur Untersuchung von zeitlicher Dynamik und zur Akteurs-Perspektive.

Grundlegend diskutiert und im Prinzip abgelehnt wurde auch die Frage nach einer evolutionistischen Entwicklung von der „Urhütte“ hin zur modernen Architektur. Die „Urhütte“ ist eine Utopie des 19. Jahrhunderts (Hahn) und widerspricht der heute bekannten archäologischen Evidenz. Evolutionistische Konzepte nach dem Muster „vom Einfachen zum Komplexen“ gelten in der Baugeschichte Europas sicher nicht und sind auch darüber hinaus in Frage zu stellen.

Wie kann nach vormodernen Bauformen gefragt werden? Bei der Untersuchung vormoderner Bauformen öffnet sich ein breites Spektrum an Fragestellungen zu verschiedenen sozialen Themen im weitesten Sinn:
- Persistenz/Kontinuität/Ortsbindung versus Flexibilität/Diskontinuität
- Homogenität versus Heterogenität
- Arbeitsleistungen, besonders bei Großbauten
- Erbauen versus Bewohnen (geplante versus gelebte Absicht/Funktionalität eines Raumes/Gebäudes)
- Segregation versus Konzentration, Zugänglichkeit von Räumen
- Entstehung von Nähe im gebauten Raum
- Demografische Faktoren
- Statisch versus Prozesshaft
- Individuell versus Kooperativ
- Bauen und Identität (Gender, Macht, Wohlstand/Reichtum)
- Bauen und Ressourcen (inkl. Baumaterial)

Was hat gefehlt? Wenn man die Perspektive des gebauten Raumes als Quelle für soziale Themen weiter ausbauen möchte, wäre der Einbezug weiterer Fragen möglich, wie zum Beispiel nach der Architektur der Lebenden im Vergleich zur Grabarchitektur, die Berücksichtigung von (kultischen/symbolischen) Landschaften und kognitiven Karten: Existiert der gebaute Raum real oder nur als Konstrukt in unserer Wahrnehmung?

Abschließend ist festzuhalten, dass vormoderne Bauformen keine Spezial- oder Sonderfälle darstellen, sondern eine unüberschaubare zeitliche und räumliche Komplexität und Differenziertheit aufweisen. Man könnte eher sagen, dass die moderne, eurozentrische Beschäftigung mit Architektur und die Herausbildung verschiedener Spezialisten und Fachrichtungen zu diesem Thema einen Spezialfall darstellen, der nur wenige Jahrhunderte zeitliche Tiefe und in seinen frühen Phasen der Entstehung auch nur eine begrenzte räumliche Ausdehnung (Europa) aufweist.

Die Publikation der Beiträge ist in der Reihe „Tübinger Archäologische Taschenbücher“ geplant. Gefördert wurde der Workshop durch die Gerda-Henkel Stiftung und das Österreichische Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung.

Konferenzübersicht:

Architektursoziologie: Theorien

Schäfers, Bernhard: Architektursoziologie. Grundlagen – theoretische Ansätze – empirische Beispiele

Schubert, Herbert: Architektur als Langzeitprozess – Eckpunkte für eine architektursoziologische Längsschnittempirie der Verhäuslichung

Delitz, Heike: Architektur als Medium des Sozialen. Zur sozialen Effektivität (vor )moderner Architekturen

Urgeschichte: Methodik/Neolithikum

Trebsche, Peter: Architektursoziologie und Prähistorische Archäologie: Methodische Überlegungen und Aussagepotenzial

Ebersbach, Renate: Soziale Einheiten zwischen „Haus“ und „Dorf“ – neue Erkenntnisse aus den Seeufersiedlungen

Müller-Scheeßel, Nils: Vom Gruben- zum Reihenhaus: Die Entwicklung des spätneolithischen Tells von Okolište/Bosnien-Herzegowina unter raumsoziologischen Gesichtspunkten

Ethnologie: Theorien

Dafinger, Andreas: „Die Durchlässigkeit des Raums.“ Potenzial und Grenzen des „Space Syntax“-Modells aus sozialanthropologischer Sicht

Hahn, Hans Peter: Gibt es eine “soziale Logik des Raumes”? Die kritische Revision eines Strukturparadigmas

Mückler, Hermann: Die Rolle des fijianischen Versammlungshauses als Ort der Identitätsfindung und Spiegel hierarchischer Strukturen

Mittelalterarchäologie

Fries-Knoblach, Janine: Bajuwarischer Hausbau als Quelle für soziale Gleichheit und Ungleichheit

Theune, Claudia: Städtischer und ländlicher Hausbau des Mittelalters im Vergleich: Innovation und Transfer
Kühtreiber, Thomas: Semiotische Aspekte der mittelalterlichen Burgenarchitektur

Urgeschichte: Eisenzeit

Jung, Matthias: Anmerkungen zur sozialhistorischen Interpretation der Lehmziegelmauer der Heuneburg

Reinhold, Sabine: Rund oder eckig? Überlegungen zu prähistorischen Siedlungen mit rundem Grundriss und zentralem Platz

Sievers, Susanne: Zur Architektur der keltischen Oppida: zwischen Tradition und Innovation

Hoppadietz, Ralf / Mölders, Doreen: „...what have the Romans ever done for us?“ Wandel der Architektur im spätlatènezeitlichen Oppidum Bibracte – Mont Beuvray, Frankreich

Rieckhoff, Sabine: Raumqualität und Raumgestaltung in der Späten Eisenzeit. Ein anderer Zugang zu den Oppida

Urban, Otto H.: Konstrukte architektonischer Statussymbolik und deren universelle Anwendung am Fallbeispiel eisenzeitlicher prä-/protourbaner Siedlungszentren

Ethnologie: Fallbeispiele

Lehner, Erich: Samoanisches Fale und mongolisches Ger: Eine Gegenüberstellung von Bautypologie und Gesellschaft in der Tradition von Sesshaften und Nomaden

Rieger-Jandl, Andrea: Identität im Wandel. Lokale Bauformen – überlokale Einflüsse (Feldbeispiel Ladakh)

Europäische Ethnologie

Löffler, Klara: Die Idee vormoderner Architektur in der Volkskunde und wie die Europäische Ethnologie heute damit umgeht


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