Männlichkeit und Arbeit – Männlichkeit ohne Arbeit? 6. Fachtagung des Arbeitskreises für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung – Kultur-, Geschichts- und Sozialwissenschaften (AIM Gender)

Männlichkeit und Arbeit – Männlichkeit ohne Arbeit? 6. Fachtagung des Arbeitskreises für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung – Kultur-, Geschichts- und Sozialwissenschaften (AIM Gender)

Organisatoren
Arbeitskreis für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung – Kultur-, Geschichts- und Sozialwissenschaften (AIM Gender)
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.04.2009 - 04.04.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Sebastian Knoll-Jung, Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart

Das Thema Männlichkeit erfreut sich zurzeit in der Öffentlichkeit einer fragwürdigen Popularität. Dies geht soweit, dass ein bekannter Burgerbrater seine Werbebotschaften mittels einer sogenannten „Manacademy“ im wahrsten Sinne des Wortes „an den Mann zu bringen“ versucht. Eine langjährige wissenschaftliche Tradition in der Behandlung dieser Thematik hingegen hat der Arbeitskreis für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung – Kultur-, Geschichts- und Sozialwissenschaften (AIM), der vom 2. bis 4. April 2009 bereits zu seiner sechsten Tagung in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Stuttgart-Hohenheim einlud. Das Motto der Tagung stellte die offene Frage „Männlichkeit und Arbeit – Männlichkeit ohne Arbeit?“ und näherte sich dieser durch Forschungsbeiträge aus den verschiedensten wissenschaftlichen Fachrichtungen an.

Zur Einführung begann MARTIN DINGES damit, die geschlechtsspezifische Markierung von Arbeit als männlich aus historischer Perspektive zu beleuchten. Er führte aus, dass auf das familiarisierte Arbeitsverhältnis der grundherrschaftlichen Kleinbauern seit dem Hochmittelalter bäuerliche Haushalte mit ihrer zwischen Mann und Frau geteilten Hausherrschaft folgte, die sich mit der Rezeption des römischen Rechtes nach der Reformation zugunsten der Männer verschob. Seitdem sich Arbeit in Städten stärker formal organisierte, wie etwa im spätmittelalterlichen Handwerk, wurden Frauen systematisch aus dem Arbeitsleben gedrängt. Dies führte zur Faustformel, dass je formalisierter die Arbeit, umso exklusiver war sie Männern vorbehalten. Das dichotome Bild der Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen war dabei weniger trennscharf als angenommen, was beispielsweise der Beruf des Krankenpflegers, männlicher Erziehungsarbeit und sich selbst bekochender Schiffsbesatzungen belegen. Formelle Arbeit ist demnach seit dem Spätmittelalter und in der Moderne männlich markiert, bis hin zur Genese des im Mittelpunkt dieser Tagung stehenden Normalarbeitsverhältnisses, das eng mit dem Modell des Haupt- und Familienernährers verknüpft ist. Zeitlich verortet er seine weitgehende Durchsetzung auf eigentlich nur drei Generationen zwischen 1871 und 1970.

Dem derzeitigen Strukturwandel der Erwerbsarbeit widmete sich MICHAEL MEUSER (Dortmund) aus soziologischer Sichtweise. Der Übergang von der Industriegesellschaft mit ihrer institutionalisierten hegemonialen Männlichkeit hin zur Informationsgesellschaft veränderte auch männliche Lebenslagen und Konstruktionen von Männlichkeit. Der auch mit der Chiffre der „Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses“ bezeichnete Strukturwandel, zeichnete sich durch verschiedene Dimensionen aus, der Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten und damit einhergehender Diskontinuität männlicher Erwerbsbiographien, der wachsenden Inklusion von Frauen auch in bisher männlich-homosozialen Berufswelten wie der Polizei, eine zunehmenden Anforderung von eher Frauen zugeschriebenen „soft skills“ und sozialen Kompetenzen und schließlich einer Entgrenzung von Arbeit und Leben im Sinne einer Auflösung der strikten Trennung von Beruflichem und Privatem, so in Form einer durch neue Kommunikationstechnologien gestützten Heimarbeit. Dies stelle die zentrale Basis traditioneller Männlichkeit in Frage und als Konsequenz erkannte Meuser, dass zum einen Männer in prekären Lagen eigentümlicherweise weiterhin stark an tradierten Männlichkeitsmustern festhielten und sich am eigentlich nicht mehr erreichbaren Normalarbeitsverhältnis orientierten. Auf der anderen Seite entstehe eine „transnational business masculinity“ als neues Muster hegemonialer Männlichkeit, die somit keineswegs als starres Gebilde zu sehen ist.

In einem dichtgedrängten Programm begann die erste Sektion mit dem Beitrag von EVA OCHS (Hagen), welcher die Bedeutung von Arbeit und Leistung für das Bürgertum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herausstellte. Das bürgerliche Arbeitsethos machte sie anhand männlicher Unternehmensnachfolge und der Arbeitseinstellung des Ingenieurs Max Eyth deutlich.

NINA MÖLLERS (Mannheim) zeichnete die Männlichkeitsideale des agrarischen Lebens in der Philosophie der Nashville Agrarians nach. Diese aus antimodernistischen Intellektuellen und keineswegs aus Agrariern bestehende Gruppe entwarf in den 1920er- und 1930er-Jahren eine ihrer südstaatlichen Identität entspringende Männlichkeitskonstruktion, die im Archetyp des Yeoman-Farmers und in der Landarbeit die Lösung für die Krise von Arbeit und Männlichkeit im amerikanischen Süden sah.

Der Fragestellung der zweiten Sektion, „Zum Mann werden durch Arbeit?“, näherte sich CHRISTIAN HAIN (Jena) anhand der Erziehungspraxis und Arbeitsvermittlung von männlichen Jugendlichen durch das Falksche Institut, eines Weimarer Waisenhauses des frühen 19. Jahrhunderts. Männlichkeitsvorstellungen wurden hier vor allem durch Arbeit konstituiert, zum einen in der Erziehungsabsicht zu „tugendhaften Männern“, zum anderen auch in der Bedeutung männlicher Vorbilder bei der Berufswahl. Zudem wurde die Übernahme der Ernährerrolle, in welcher die Waisen sich befanden, als legitimierte familialisierte Arbeit anerkannt.

Thematisch ähnlich, aber aus soziologischer Sicht thematisierten MECHTHILD BERESWILL (Kassel) und ANKE NEUBER (Kassel) gegenwärtige Probleme der Männlichkeitskonstruktionen im Aneignungsprozess von Arbeitsfähigkeit jugendlicher Straftäter. Sie beleuchteten die Schwierigkeiten der brüchigen fremdstrukturierten Aneignung von Arbeitsfähigkeit und einer faktischen Marginalisierung auf dem Arbeitsmarkt, die ihren Niederschlag in den hier vorliegenden „hoch diskontinuierlichen Biographien“ findet. Diese formierten sich im Spannungsfeld der spezifischen Männlichkeitserwartungen im Gefängnis, wie der subkulturellen Inszenierung von gewaltaffiner Hypermaskulinität, der eine institutionell geforderte Anpassung an männliche Normalbiographien entgegen stehe. Eine zunächst positive Identifikation mit den Erziehungszielen Arbeit und Ausbildung breche so nach der Haftzeit häufig zusammen. Die wohlfahrtsstaatlichen Interventionen wirkten dagegen nur ungenügend.

Die dritte Sektion warf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und dem Verlust von Männlichkeit auf. Dazu referierte SUSANNE HOFFMANN (Stuttgart) über die Arbeitslosigkeit in unveröffentlichten, popularen Männerautobiographien des 20. Jahrhunderts. Darin wurde die Arbeitslosigkeit im Alltagsdiskurs zwar nicht als Verlust von Männlichkeit wahrgenommen, allerdings überwiegen negative Deutungsmuster, die bis zum Suizidmotiv gehen können. Weiterhin stellte sie aufgrund der einseitigen Orientierung von Männern auf Erwerbsarbeit bei diesen eine höhere psychische und soziale Vulnerabilität fest.

Sehr eindringlich beschrieb VERENA LOBERT (Hildesheim) die Inszenierung des Themas Arbeitslosigkeit im Dokumentartheater mit „Alltagsexperten“. Anhand der Stücke „Sabenation – go home and follow the news“ (2004) des Regiekollektivs Rimini Protokoll über das Schicksal ehemaliger Beschäftigter der belgischen Fluglinie und des Projekts „ArbeitEnde: Gestern“ aus Nürnberg, das sich aus ehemaligen AEG-Angestellten zusammensetzt, wurde das Zusammenspiel von Arbeitslosigkeit und Männlichkeit auf der Theaterbühne veranschaulicht.

Ausgehend von den Arbeits- und Männlichkeitsvorstellungen der Teilnehmenden einer Gruppenwerkstatt für „Ein-Euro-Jobber“ im ländlichen Brandenburg unternahmen GERKO EGERT (Berlin) und STEPHAN TRINKAUS (Düsseldorf) einen Spagat zwischen der Empirie und einem theoretischen Modell um die Begriffe „Nichtmännlichkeit“ und „Nichtarbeit“, um so zu versuchen, die Paradoxie des Arbeitsbegriffs und der gesellschaftlichen Institution Erwerbsarbeit zu erklären.

Den Umbruchssituationen von Berufsmännlichkeit widmete sich die vierte Sektion mit einem Blick auf verschiedene Berufsgruppen aus Sicht unterschiedlicher Disziplinen. Zunächst stellte DENIS HÄNZI (Bern) die vergeschlechtlichte Dimension des Regieberufs vor und präsentierte dieses Feld der Kulturproduktion als eine regelrechte Männerdomäne. Die hier bestehenden normativen Männlichkeitsmuster gab die historische Entwicklung des Berufsfelds ebenso wieder, wie die Fallbeispiele, die von einer Mentorbeziehung bis zum Protest und „regisseurialen Vatermord“ reichten.

Den Politikerberuf griff ANDREAS HEILMANN (Berlin) auf, indem er die Konstruktion von Männlichkeit in der Mediendemokratie untersuchte. Dabei beschrieb er die Entwicklung ausgehend von der sozialen Konstruktion des männlichen „Berufspolitikers“ bei Max Weber, über die Öffnungstendenzen des politischen Feldes für Frauen, bis zu den heutigen medialen Selbstinszenierungen männlicher Politiker, die nun auch zu expliziten Männlichkeitsinszenierungen werden könnten.

FALKO SCHNICKE (Hamburg) zeigte den Wandel im Berufsfeld des Historikers mittels des Vergleichs der historistischen Position Johann Gustav Droysens, der er die sozialgeschichtliche Hans-Ulrich Wehlers gegenüberstellte. Er analysierte deren Wahrnehmung von Männlichkeit bei der Deutung deutscher Geschichte. Dass bei ersterem die Geschichte vor allem als Herrschaft großer Männer gesehen wird, sei bekannt. Entgegen sozialgeschichtlicher Tradition erkannte Schnicke auch bei Wehler eine Personenzentrierung in Form einer Herrschaft charismatischer Männer.

Die weiteren Sektionen beschäftigten sich mit der Neukonzeptionalisierung von Arbeit und Männlichkeit. Dazu berichtete JÜRGEN BUDDE (Halle) über seine Ergebnisse aus quantitativen Befragungen und Gruppendiskussion unter Studierenden und Schülern zum Thema Männlichkeit und soziale Arbeit. Den hier unverändert gering bleibenden Männeranteil von ungefähr 25 Prozent setzte er in Verbindung mit der Unkenntnis über das Berufsfeld, dem schlechten Image unter Jugendlichen und einer negativen gesellschaftlichen Vermittlung. Trotz durchaus bestehender Erfahrungen junger Männer mit sozialer Arbeit, etwa durch Vereinsarbeit oder Zivildienst trügen auch Geschlechterstereotype zum Desinteresse bei.

MARC GÄRTNER (Berlin) behandelte die Schwierigkeiten, die bei der Anwendung verschiedener Teilzeit-Modelle von Männern in Großunternehmen entstehen. Eine qualitative Interviewstudie zeigte, dass einerseits aus Protest gegen eine hegemoniale Betriebskultur eine positive Selbstwahrnehmung entstehen kann, andererseits aber vor allem negative Reaktionen die innerbetriebliche Auseinandersetzung beherrschen, die durch eine „Verfügbarkeits-Kultur“, Rechtfertigungsdruck des Ausnahmestatus und Ablehnung wegen Abweichens von der „Normalität“ geprägt ist.

Einen Überblick über den soziologischen Forschungstand zu Männern in Normalarbeitsverhältnissen gab DIANA LENGERSDORF (Dortmund). In Verbindung mit dem Alleinernährermodell bilde es die zentrale Normalitätsfolie männlicher Erwerbsarbeit. Sie kam zu der Erkenntnis, dass Merkmale und Regelungen des Normalarbeitsverhältnisses keineswegs fixiert sind und dass es für Männer darin stets neue Möglichkeiten und Notwendigkeiten gibt sich zu positionieren.

Eine Krise und Restauration der androzentrischen Arbeitsgesellschaft konstatierte MICHAEL HIRSCH (München) und stellte Überlegungen zu deren Überwindung an. Den Ursprung der Norm männlicher Erwerbsarbeit erkannte er in dem metaphysischen Prinzip der sozialen Arbeitsteilung des Platonismus, wonach jedem Menschen ein ganz besonderer Platz in der Gesellschaft zugewiesen ist. Seine These zur Restauration der Arbeitsgesellschaft war, dass der Neoliberalismus die Hegemonie männlicher Erwerbsarbeit auf die Frauen ausdehnte und sie unter diese unterwerfe. Er stellte alternative Denkmodelle zur Überwindung der bürgerlichen Arbeitsgesellschaft, wie das bedingungslose Grundeinkommen, vor.

Der letzte Tag begann mit einem Gastvortrag von CHRISTIANE KULLER (München) über Geschlechterarrangements und Sozialpolitik am Beispiel der Rentenversicherung in Deutschland und Großbritannien in der Reformphase der 1960er- und 1970er-Jahre aus vergleichender Sicht. In beiden Ländern bestanden unterschiedliche Leistungsniveaus, in der Bundesrepublik war die Rente an das Einkommen gebunden, in Großbritannien dagegen bestand eine sehr niedrige Grundsicherung. Sie führte aus, dass das egalitäre britische Grundrentensystem keineswegs eine größere Geschlechtergerechtigkeit erzeugte. Eine Geschlechterungleichheit entstand hier beispielsweise dadurch, dass für Frauen bis Mitte der 1970er-Jahre keine Möglichkeit einer individuellen privaten Zusatzrente bestand. Das konservative deutsche Sozialstaatsmodell war stark auf Erwerbsarbeit ausgerichtet. Die häufig erwerbsfernen Frauen wurden so benachteiligt, in Teilzeitarbeit wurde ihnen der Zugang zum Sozialversicherungssystem dagegen ermöglicht. Die Gegenüberstellung der beiden Systeme zeigte, dass die Kategorie Geschlecht ein wichtiger Faktor für den Zugang zur Sozialleistungen war, was in beiden Ländern durch ein Festhalten an dem „strong male breadwinner“-Modell und der Stabilisierung der Normalfamilie gekennzeichnet war. Auch in der anschließenden Diskussion wurde offenbar, dass die einflussreiche Sozialstaats-Typologisierung von Gosta Esping-Andersen selbst nur an der Erwerbsarbeit ausgerichtet ist und Geschlechterarrangements nicht in genügendem Maße berücksichtigt.

In der folgenden Sektion zu Arbeit, Männlichkeit und Familie legte MAXIMILIAN SCHOCHOW (Leipzig) dar, wie die unterschiedliche Familienpolitik in Ost- und Westdeutschland die Konstruktion von Männlichkeit beeinflusste. Er verglich das Anfang 1986 in der Bundesrepublik in Kraft getretene Bundeserziehungsgeldgesetz mit der kurz darauf in der DDR erlassenen „Verordnung über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Familien mit Kindern“. Die zunächst naheliegende Annahme, dass es sich dabei um einen Fall deutscher Systemkonkurrenz handelte, bestätigte sich nicht. Vielmehr sah der Referent eine parallel verlaufende Entwicklung, die auf bundesrepublikanischer Seite mit Gleichstellungsdiskursen begründet wurde, in der DDR jedoch demographische Hintergründe hatte.

Aus einer literaturwissenschaftlichen Sichtweise beschrieb TONI THOLEN (Hildesheim) in seinem Vortrag die literarische Verarbeitung des Verhältnisses von Familienmännlichkeit und schriftstellerischer Arbeit männlicher Autoren. Die Problematik der Vereinbarkeit von Familie und der meist zuhause stattfindenden Tätigkeit der Schriftsteller erläuterte er anhand zweier literarischer Texte, Peter Handkes ‚Kindergeschichte‘ und an Hanns-Josef Ortheils ‚Lo und Lu. Roman eines Vaters‘. Für die Lebensgestaltung literarisch Schreibender konstatierte er so auch eine durch die neue Situation bedingte Veränderung eines männlichen Selbstverständnisses.

Zuletzt resümierte SYLKA SCHOLZ (Dresden), dass gerade die Erwerbsarbeit weiterhin den zentralen Bezugspunkt für männliche Lebensentwürfe und Identitätskonstruktionen bildet. Der Zählebigkeit industriegesellschaftlicher Männlichkeitskonstruktion liege eine strukturelle und kulturell-symbolische Verknüpfung von Männlichkeit mit Erwerbsarbeit zugrunde. Die Erosion der industriegesellschaftlichen Männlichkeitskonstruktion und die globale Neuaufforderung von Männlichkeit führten allerdings zu einer Verunsicherung von Männlichkeit, so durch Abkehr vom Normalarbeitsverhältnis. Insgesamt könne von einer durchgängigen „Krise der Männlichkeit“ nicht gesprochen werden, vielmehr läge eine teilweise Verunsicherung vor. Es bilden sich aber zugleich neue Konstruktionen von Männlichkeit heraus.

Zusammenfassend wurde die Tagung dem Anspruch der Interdisziplinarität voll und ganz gerecht. Es fand ein reger Wissensaustausch zwischen den Disziplinen statt. Auch wurden die ausgewählten Tagungsgegenstände Männlichkeit und Arbeit aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und zahlreiche interessante Facetten offengelegt. Die Einzelbeiträge und Diskussionen haben gezeigt, wie eng beide miteinander verwoben sind. Schließlich wurde deutlich, welch starken Einfluss Erwerbsarbeit auf Männlichkeitskonstruktionen hat, und welche Herausforderungen gerade hier durch Veränderungen der Arbeitswelt entstehen. Die meist in Frageform gehaltenen Sektionsbezeichnungen konnten auf befriedigende Weise beantwortet werden, zeigen aber zugleich, welcher Forschungsbedarf darüber hinaus besteht.

Als Schwäche bleibt festzuhalten, dass bis auf wenige Ausnahmen die Beiträge ihren Fokus auf deutsche Sachverhalte legten und so international vergleichende oder gar globale Gesichtspunkte nur unzureichend erörtert werden konnten. Dies ist weniger als Kritik, sondern als Aufforderung an die Regionalwissenschaften zu sehen, sich ebenfalls mit diesem Thema auseinander zu setzen. Als Gegenstand der nächsten Tagung im Dezember 2010 ist „Männer und Gefühle/Männlichkeiten und Emotionen“ geplant.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung (Martin Dinges, Michael Meuser)

Sektion 1: Erwerbsarbeit konstitutiv für Männlichkeit? (Martin Dinges)

Beruf als Berufung? – Die Arbeitswelt bürgerlicher Männer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Eva Ochs, Hagen)
“Working Like a True Man”: Arbeit und Männlichkeitskonstruktionen der Nashville Agrarians. (Nina Möllers, Mannheim)

Sektion 2: Zum Mann werden durch Arbeit? (Sylka Scholz):

“Der Junge möchte gern in seines Vaters Fußstapfen treten und Barbier werden…” Arbeit im Falkschen Institut (1813-1829) – zwischen Existenzsicherung und Berufswahl. (Christian Hain, Jena)
Normalarbeitsverhältnis und Männlichkeit – wessen Norm und Normalität? Die Entwicklung von Arbeitsfähigkeit und die biographische Bedeutung von Arbeit am Beispiel sozial randständiger junger Männer. (Mechthild Bereswill, Kassel / Anke Neuber, Kassel)

Sektion 3: Arbeitslosigkeit – Verlust von Männlichkeit? (Martin Dinges):

“Freude und Erfolg im Beruf sind das A und O jeden Mannes!”: Arbeitslosigkeit im 20. Jahrhundert in Männerautobiographien. (Susanne Hoffmann, Stuttgart)
Beunruhigte Männlichkeiten: Erzählungen von Arbeitslosigkeit in dokumentarischen Theaterinszenierungen mit “Alltagsexperten”. (Verena Lobert, Hildesheim)
Nichtmännlichkeit und Nichtarbeit. Prekär-Werden des Männlichen im ländlichen Raum Brandenburgs. (Stephan Trinkaus, Düsseldorf / Gerko Egert, Berlin)

Sektion 4: Berufsmännlichkeiten im Umbruch? (Toni Tholen):

Theatermänner. Zur vergeschlechtlichten Dimension des Regieberufs. (Denis Hänzi, Bern)
Politik als Beruf heute: Die Konstruktion von Männlichkeit im politischen Feld unter den Bedingungen der Mediendemokratie. (Andreas Heilmann, Berlin)
Histor(iograph)ische Arbeit. Perzeptionen geschichtswirksamer Männlichkeiten im 19. und 20. Jahrhundert. (Falko Schnicke, Hamburg)

Sektion 5: Neukonzeptualisierung von Arbeit und Männlichkeit? I (Michael Meuser):

Männlichkeit und soziale Arbeit? (Jürgen Budde, Halle)
Organisationslogiken, Arbeitskulturen und hegemoniale Männlichkeit. (Marc Gärtner, Berlin)

Sektion 6: Neukonzeptualisierung von Arbeit und Männlichkeit? II (Michael Meuser):

Sich neu in Position bringen - Männer und normale Arbeitsverhältnisse. (Diana Lengersdorf, Dortmund)
Krise, Restauration oder Überwindung der androzentrischen Arbeitsgesellschaft Überlegungen zu einem neuen Modell sozialer Arbeitsteilung. (Michael Hirsch, München)

Gastvortrag:
Geschlechterarrangements und Sozialpolitik. Deutschland und Großbritannien in den 1960er- und 1970er-Jahren im Vergleich (Christiane Kuller, München)

Sektion 7: Arbeit, Männlichkeit und Familie (Mechthild Bereswill):

Eine Parallelgeschichte? Zur Konstruktion von Männlichkeiten in Ost- und Westdeutschland. (Maximilian Schochow, Leipzig)
Familienmännlichkeit und künstlerisch-literarische Arbeit. (Toni Tholen, Hildesheim)
Männer und Männlichkeiten im Spannungsverhältnis von Erwerbsarbeit und Familie. (Sylka Scholz, Berlin)