Religion am Rande des Imperiums. Erstes Güglinger Kolloquium zu provinzialrömischen Zivilsiedlungen rechts des Rheins

Religion am Rande des Imperiums. Erstes Güglinger Kolloquium zu provinzialrömischen Zivilsiedlungen rechts des Rheins

Organisatoren
Enrico De Gennaro, Römermuseum Güglingen; Leif Scheuermann, Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt; Ines Klenner, Institut für Vor- und Frühgeschichte, Universität Mainz
Ort
Güglingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.04.2009 - 05.04.2009
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Von
Ines Klenner, Institut für Vor- und Frühgeschichte, Universität Mainz

Am 4. und 5. April veranstaltete das Römermuseum Güglingen unter der Leitung von Enrico De Gennaro in Zusammenarbeit mit Leif Scheuermann vom Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt und Ines Klenner vom Institut für Vor- und Frühgeschichte der Universität Mainz ein erstes zweitägiges Kolloquium zur Religion am Mittleren Neckar in römischer Zeit. Die Veranstaltung bestand aus einer Reihe von kurzen Vorträgen, einem Abendvortrag sowie zwei Führungen und richtete sich gleichermaßen an Fachkollegen aus Wissenschaft, Museumswesen und Denkmalpflege wie an interessierte Laien.

Die Beiträge des ersten Tages boten einen Überblick über Religion und Archäologie der römischen Zeit allgemein sowie zu verschiedenen Typen antiker Heiligtümer aus dem Gebiet des Mittleren Neckars. Eingeleitet wurde die Tagung durch den Beitrag von PETER HAUPT (Universität Mainz), der einen Überblick zu Archäologie und Religion im 21. Jahrhundert bot und die Frage nach dem Nutzen von Religiosität und Opferhandlungen für den Bewohner der römischen Nordwestprovinzen in den Raum stellte. Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen zum Thema führte LEIF SCHEUERMANN (Universität Erfurt) mit seinem Vortrag zu römischer Religion am Mittleren Neckar näher an die Orte des Geschehens heran. Er bot einen Überblick über die Typen der römischen Heiligtümer in der Region und unterschied dabei im Wesentlichen nach ihrer Größe (große Zentralheiligtümer und kleinen Heiligtümern sowie offene Kultplätze) und nach ihrem Standort (militärischer Kontext oder ziviler Kontext).

Anschließend wurden zwei Beispiele für größere Heiligtümer aus der Region vorgestellt. SEBASTIAN GAIRHOS (Stadtarchäologie Augsburg) referierte über den Tempelbezirk von Rottenburg – Sumelocenna, dessen Charakteristikum mehrere der sonst in der Umgebung eher seltenen gallo-römischen Umgangstempel sind. Der zweite große Tempelbezirk in Neuenstadt am Kocher wird derzeit noch ausgegraben. Der Leiter dieser Ausgrabungen, KLAUS KORTÜM (Landesamt für Denkmalpflege Esslingen), konnte aber bereits die Ergebnisse der vorangegangenen Grabungskampagnen vorstellen. Demnach handelt es sich bei dem bisher bekannten Teil des Tempelbezirks um eine Mischform aus klassisch römischem Podiumstempel und einem gallo-römischen Umgangstempel. Dieser war nach einer seit längerem aus Neuenstadt bekannten Inschrift möglicherweise dem Heilgott Apollo-Grannus geweiht. Fragen wirft die kompakte Ziegelabdeckung eines freien Platzes auf. Dort wurden vorher nach Auskunft der Befunde Brandopfer dargebracht. Vielleicht diente diese Ziegelschicht als ein Schutz vor „Profanisierung“ des heiligen Bezirkes nach Abzug der dort ansässigen Bevölkerung in den 250er-Jahren.

Einen für die Nordwestprovinzen einmaligen und ganz außergewöhnlichen Befund stellte ERNST KÜNZL (ehem. Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz) vor. Am nördlichen Schwarzwaldrand wurden vor wenigen Jahren die Überreste einer Götterhalle bestehend aus den Zwölf Göttern des griechisch-römischen Pantheons in einem ummauerten Bezirk ausgegraben. Die übrige spärliche Bebauung wirft allerdings die Frage auf, in welchem Umfeld dieser Kultbezirk ehemals gestanden hat. Herr Künzl legte überzeugend dar, dass es sich aufgrund der ungewöhnlichen Götteransammlung und der Nähe zum Civitashauptort Rottenburg-Sumelocenna um den Sitz des Verwalters einer kaiserlichen Domäne gehandelt haben könnte. Die Anlage datiert in das zweite und dritte Jahrhundert und wäre zum Beispiel dem Verwalterpalast von Welschbillig an die Seite zu stellen. Anschließend gab es die Möglichkeit, geführt von Enrico De Gennaro, das Römermuseum Güglingen zu besichtigen. Der Abendvortrag wurde von RICHARD GORDON (Universität Erfurt) zum Thema „Das Ladenburger Kultmahlrelief: Mythos, Ritual und Jenseitsvorstellungen im Mithraskult“ bestritten. Neben einem forschungsgeschichtlichen Überblick über den Ursprung des Mithraskultes beleuchtete er die Hinweise auf Jenseitsvorstellungen im Spektrum der überlieferten Funde des Mithraskultes.

Was am Samstagabend bereits eingeleitet wurde, konnte am Sonntag in einer Reihe von Vorträgen zum Mithraskult vertieft werden. Grundsätzlich sollten verschiedene Aspekte des Mithraskultes interdisziplinär beleuchtet werden. Da am Tagungsort allerdings selbst zwei solcher Mithrastempel ausgegraben worden sind, stellte INES KLENNER (Universität Mainz) die Ausgrabungen zunächst vor. Es wurden zwischen 1999 und 2003 am Rande der römischen Zivilsiedlung von Güglingen zwei Tempel für den orientalischen Gott Mithras ausgegraben. Die Referentin präsentierte die beiden Heiligtümer mit ihrer baugeschichtlichen Entwicklung und ihrem Fundmaterial. Beide Gebäude wurden zumindest zeitweise gleichzeitig genutzt. Während das Mithräum I ein Steingebäude war, wurde Mithräum II in Fachwerktechnik gebaut. Dennoch erhielt sich in letzterem der ganze Altarbereich mit seinen Bildwerken und Inschriften besser, was bereits bei der Ausgrabung für Aufsehen sorgte. Damit wurde in Güglingen erstmals ein Mithrasheiligtum, von dem die Ausstattung erhalten war, auch mit modernen Methoden ausgegraben. Im Anschluss daran wurde durch NICOLE BIRKLE (Universität Mainz) die Fundgattung der gefiederten Votivbleche vorgestellt. Ein Schwerpunkt ihres Vortrages lag auf den wenigen Funden von Blechen aus Mithrasheiligtümern. Insgesamt sind Votivbleche im Wesentlichen über die Nordwestprovinzen verteilt gefunden worden. Es scheint sich um keine originär römische Tradition zu handeln, sondern eher um eine einheimische, keltische Votivpraxis. Die meist in sakralem Kontext ausgegrabenen Stücke werden von Nicole Birkle als stilisierte Blätter oder Bäume gedeutet.

Anknüpfend an den Abendvortrag vom Samstag, stellte ANDREAS HENSEN (Kurpfälzisches Museum Heidelberg) den Zusammenhang zwischen Tod und Mithraskult erneut her. Ausgehend von der Tatsache, dass es bei einigen Mithrasheiligtümern römische Brandgräber gibt, stellte er fest, dass oftmals ein direkter Bezug zwischen der Lage von Mithräen und den Gräberfeldern der jeweiligen Siedlung konstatieren werden kann. Zu einem ebenfalls aktuell in der Forschung diskutierten Thema referierte MARLEEN MARTENS (Vlaams Instituut voor het Onroerend Erfgoed, Belgien). In Tienen (Belgien) konnte vor einigen Jahren ein Mithrasheiligtum fast ausschließlich über den Inhalt nahegelegener Gruben identifiziert werden. Sie fragte nach der Zusammensetzung solcher Abfallgruben oder Deponierungen, nach deren Funktion und was sie über die Rituale im Mithraskult verraten können.

Das Kolloquium schloss mit einem Vortrag von MANFRED CLAUSS (ehem. Universität Frankfurt am Main). Im Mittelpunkt stand die soziale Herkunft der Anhängerschaft des Mithraskultes nach Ausweis der Inschriften. Dabei stellte sich heraus, dass die Mehrheit der Inschriften von Angehörigen des Militärs gestiftet wurde, sich aber im Vergleich zur beispielhaft angeführten Struktur der Anhängerschaft des Silvanuskultes weitgehend keine signifikanten Unterschiede zeigen. Nach Beendigung des Vortragsprogrammes gab es noch die Möglichkeit zur Besichtigung des im Entstehen befindlichen archäologischen Freilichtparks auf dem Gelände des ehemaligen Vicus. Dort wurde das Mithräum II inzwischen mit einer Holzkonstruktion nachgebaut. Neben einem Brunnen verdeutlichen auch die rekonstruierten Mauerzüge zweier Wohnhäuser die Ausrichtung der Siedlung im Gelände.

Das zweitägige Kolloquium hat weitere Denkanstöße zu vorhandenen Forschungsproblemen geliefert und vor allem neue richtungsweisende Fragen zu Religion im Neckarraum allgemein und zur Mythologie und Archäologie des Mithraskultes im Besonderen aufgeworfen. Der Tagung sind also mehr neue Impulse zu entnehmen gewesen, als dass alte Fragen beantwortet wurden. Diese Anregungen sollen nun die weiteren Forschungen der Teilnehmer an ihren beheimateten Institutionen bereichern.

Konferenzübersicht:

Peter Haupt (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz): „Archäologie und Religion im 21. Jahrhundert“.

Leif Scheuermann (Universität Erfurt): „Provinzialrömische Religion – Eine Einführung“.

Sebastian Gairhos (Stadtarchäologie Augsburg): „Der römische Tempelbezirk von Rottenburg – Sumelocenna“.

Ernst Künzl, Eckental: „Die Zwölfgötter von Rohrdorf – Ein zentrales Element mediterraner Religion im Rottenburger Umland“.

Klaus Kortüm (Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart): „Neuenstadt am Kocher – Ein städtischer Zentraltempel an der Peripherie des Reiches“.

Abendvortrag:
Richard Gordon: „Das Ladenburger Kultmahlrelief: Mythos, Ritual und Jenseitsvorstellungen im Mithraskult“.

Ines Klenner (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz): „Die Mithrasheiligtümer von Güglingen“.

Frauke Jacobi (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz): „Die Tierknochen aus dem Mithräum II von Güglingen“.

Nicole Birkle (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz): „Heilig’s Blechle! Gefiederte Votive für Mithras, Mars & Co.“

Andreas Hensen (Kurpfälzisches Museum Heidelberg): „Der Myste und der Tod. Bestattungen vor Tempeln des Mithras“.

Marleen Martens (Vlaams Instituut voor het Onroerend Erfgoed, Belgien): „Kultische Deponierungen in Mithrasheiligtümern“.

Manfred Clauss, Hennef/Sieg: „Die Anhängerschaft des Mithraskultes“.

Abschlussdiskussion und Führung zum konservierten Mithräum

Kontakt

Ines Klenner
Institut für Vor- und Frühgeschichte
Schillerstraße 11
55116 Mainz
Tel.: 06131/39-31335
Fax: 06131/39-30156


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