Policey, öffentliche Ordnung und das Militär. Aufgaben des Militärs bei der Aufrechterhaltung "guter Policey" in der frühen Neuzeit

Policey, öffentliche Ordnung und das Militär. Aufgaben des Militärs bei der Aufrechterhaltung "guter Policey" in der frühen Neuzeit

Organisatoren
6. Arbeitstreffen des Arbeitskreises 'Policey/Polizei im vormodernen Europa'
Ort
Stuttgart-Hohenheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.06.2003 -
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Von
Eva Wiebel, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/Konstanz

Aktuelle Diskussionen über einen möglichen Einsatz des Militärs im Inneren zeugen von der uns vertrauten klaren Aufgabenspaltung zwischen Polizei und Militär. Vor der Mitte des 19. Jahrhunderts lassen sich policeyliche und militärische Institutionen und Aufgabenfelder nicht so leicht voneinander trennen. Das diesjährige Treffen des Arbeitskreises 'Policey/ Polizei im vormodernen Europa' beschäftigte sich deshalb mit der Rolle des Militärs in policeylichen Regulierungsbereichen der frühen Neuzeit. Die erste Sektion thematisierte anhand zweier sehr unterschiedlicher Fallbeispiele die Praxis der Ausübung polizeilicher Aufgaben durch das Militär im 18. Jahrhundert. A. Robert MEIER (Würzburg) sprach über eine Truppe Musketiere in der kleinen Grafschaft Wertheim; Catherine Denys (Lille) über nordfranzösische und niederländische (Garnisons-)Städte. Wertheim war so klein, dass sich keine eigene Militärverwaltung und -gerichtsbarkeit etablierte. Die ca. 40 Soldaten blieben durch ihre Herkunft, ihre fortdauernde Einbindung in familiäre Wirtschaftssysteme, ihre in der Regel kurze Dienstdauer und die Einquartierung in Bürgerhäusern in der zivilen Gesellschaft integriert. Sie bildeten allerdings das einzige Exekutivorgan in der Grafschaft, wenn es darum ging, Gerichtsbeschlüsse gegen Untertanen zu vollstrecken. Nach Meier war es ihr Recht auf Gewaltanwendung, das sie von der Zivilbevölkerung unterschied und für die Übernahme polizeilicher Aufgaben (Verhaftungen, Gefangenentransporte, Nacht-, Tor- und Turmwachen, Sicherung im Brandfall, Abgabeneintreibung) prädestinierte. Betrachtet man die Einsätze dieser Musketiere genauer, war ihr Alltag allerdings häufig von Rollenkonflikten, Durchsetzungsproblemen und unbestimmten oder widersprüchlichen Instruktionen bezüglich des angemessenen Gewalteinsatzes ("nach militärischer Manier") geprägt. Catherine DENYS (Lille) zeichnete für die nordfranzösischen Städte entgegen der älteren französischen Forschungsmeinung das Bild eines gut funktionierenden, eingespielten Miteinanders von Militär und Zivilgesellschaft. Denys vertrat die These, dass das Militär in den Garnisonsstädten keine legislativen oder judikativen Kompetenzen in Bezug auf die "gute Policey" beanspruchte, sondern nur in der Exekutive die städtischen Kräfte unterstützte oder deren Aufgaben übernahm: Nacht- , Platz-, Markt- und Torwachen, Überwachung der Sperrstunde, Verhaftungen, Aufsicht bei Theater- und anderen öffentlichen Veranstaltungen, Verhinderung von Unruhen. Militärisches Personal wurde auch eingesetzt, um die Angehörigen der Garnison im städtischen Raum in Schach zu halten. Die Städte ohne Garnison forderten punktuell Militär an, wenn ihnen eine Verstärkung der städtischen Polizeikräfte geboten schien. Denys schilderte insgesamt einen Gewöhnungsprozess, der das Militär schließlich zum Modell für die Reform der städtischen Polizeiorgane am Ende des 18. Jahrhunderts werden ließ.

In der zweiten Sektion standen dann zwei Garnisonsstädte - Straßburg und Münster - im Mittelpunkt. Der Schwerpunkt lag in beiden Papieren auf der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert und vor allem auf den Bruchlinien zwischen städtischen und militärischen Zuständigkeiten. Beide Vorträge beschäftigten sich mit der paradoxen Situation, in der das Militär potentiell Störer der städtischen Ordnung war und gleichzeitig "gute Policey" schaffen sollte. Das Nebeneinander der zwei Gerichtsinstanzen führte insbesondere im späten 17. Jahrhundert zu massiven Konflikten; im 18. Jahrhundert bestimmten dann eher Routinen der Kooperation und Amtshilfe das Bild. Hanna SONKAJÄRVI (Florenz) beschrieb die komplexen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen in Straßburg jeweils nur kurz stationierten Regimentern und dem Straßburger Magistrat nach der französischen Eroberung der Reichsstadt 1681. Die polizeilichen und gerichtlichen Befugnisse der Stadt und der königlichen Verwaltung mussten erst ausgehandelt werden. Sonkajärvi beleuchtete vor allem die städtischen Maßnahmen zur Kontrolle des Militärs (Schutz der Bürger vor Übergriffen, Schutz der Zünfte und des städtischen Vorsorgesystems) und zeigte am Beispiel der Schweizer Privilegien die Grenzen der städtischen Handlungsmöglichkeiten auf. Obwohl die Stadt und das Militär bzw. die königlichen Instanzenzüge in vielen Fällen kooperierten, konnte die Konkurrenz um Zuständigkeiten Soldaten und anderen Personengruppen einen rechtlichen Freiraum bieten und der Stadt die Aufrechterhaltung "guter Policey" erschweren. Jutta NOWOSADTKO (Essen) sprach am Beispiel Münsters über die Konfliktpotentiale zwischen Garnison bzw. militärischer Führung und Stadtrat (juristische Sonderstellung, Versorgungsprobleme, Wachdienst, Wirtshausüberwachung, Übergriffe auf Stadteinwohner etc.). Auch kleinere Konflikte eskalierten schnell - vor allem im 17. Jahrhundert -, wenn Stadtrat und Militärführung die eigenen Rechtsgrundlagen und Machtpositionen bedroht sahen. "Gemischte Händel" erforderten andererseits immer wieder die Einigung auf ein kompliziertes Prozedere, das sämtlichen juristischen Ansprüchen gerecht wurde und allen Beteiligten erlaubte, ihr Gesicht zu wahren. Eine grundlegende Normendifferenz zwischen Stadt und Militär lässt sich nicht belegen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts stellten sich Militär- und Zivilgerichte aufeinander ein. Die zunehmende Bürokratisierung entschärfte manche Konfliktlagen; die Truppenteile lagen jetzt auch länger in der Stadt als im 17. Jahrhundert. Soldaten nahmen in Münster polizeiliche Aufgaben wahr; die Landesregierung beauftragte das Militär zeitweilig auch mit der Überwachung der Einhaltung der Policeyedikte zur Seuchenbekämpfung und Straßenreinigung.

Deutlich wurde in allen Fallbeispielen eine enge Verbindung zwischen Policey und Militär im 17. und 18. Jahrhundert. Die Beobachtungen sind allerdings nur mit Vorsicht generalisierbar, handelte es sich bei den Beispielen doch überwiegend um Garnisonsstädte. Aber selbst in ihnen erwies sich das Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und Militär - zumindest in Friedenszeiten - als überraschend wenig von Konflikt geprägt. Kooperation schliff sich ein. Deshalb aber von einem spannungsfreien Gewöhnungsprozess oder gar von einer Anerkennung der Überlegenheit des militärischen Modells zu sprechen, ging den meisten DiskutantInnen zu weit. Betont wurde auch, dass es sich beim Einsatz des Militärs bei polizeilichen Aufgaben letztlich um eine vorübergehende Erscheinung handelte. Mögliche Ursachen für die Einbeziehung des Militärs einerseits und für das Ende dieses Modells andererseits wurden in der Diskussion unterschiedlich beurteilt: fiskalische Beweggründe, der Rückgang der Kriegsjahre im Laufe des 18. Jahrhunderts, sich verändernde Sicherheits- und Ordnungskonzepte oder die Spezialisierung, Aufrüstung und Technisierung des Militärs. Diskutiert wurden außerdem Akzeptanzprobleme und Rollenkonflikte des militärischen Personals, die mögliche Bedeutung eines militärischen Ehrenkodex oder Auftretens, die Rolle der repräsentativen Aufgaben des Militärs, der Vergleich mit zivilen Polizeikräften der Zeit, etwa die Frage, ob sich die Obrigkeit vom Einsatz von Soldaten kontrollierte oder im Gegenteil massivere Gewalt versprach. Die Tagungsleitung durch Josef Pauser und Gerhard Sälter schuf wieder einmal viel Raum für Nachfragen und anregende Diskussionen. Ein interessanter Aspekt obrigkeitlicher Praktiken und Techniken unter dem Titel "Gute Policey" konnte so - über den deutschsprachigen Raum hinaus - angerissen werden.

Die Beiträge dieses Arbeitstreffens werden als Policey-Working Papers unter http://www.univie.ac.at/policey-ak/ veröffentlicht (dort auch Beiträge früherer Treffen). Das nächste Treffen wird am 10.6.2004 stattfinden. Als Thema wurde "Stadtherrschaft und Policey" ins Auge gefasst.

Kontakt

Eva Wiebel
eva.wiebel@uni-konstanz.de

http://www.univie.ac.at/policey-ak/
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