Damenstifte in Oberschwaben in der Frühen Neuzeit

Damenstifte in Oberschwaben in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart; Gesellschaft Oberschwaben für Geschichte und Kultur; Landesarchiv Baden-Württemberg; Pädagogische Hochschule Weingarten / Zentrum für Regionalität und Schulgeschichte (ZeReS); Stadt Bad Buchau; Verein für Augsburger Bistumsgeschichte
Ort
Bad Buchau
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.03.2009 - 28.03.2009
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Von
Maria Gründig, Diözese Rottenburg-Stuttgart

Als „konstituierend für die Sakrallandschaft Schwabens“ bezeichnete WOLFGANG ZIMMERMANN (Stuttgart), der mit DIETMAR SCHIERSNER (Weingarten in Oberschwaben) und VOLKER TRUGENBERGER (Sigmaringen) die Tagungsleitung innehatte, in seiner Begrüßung die Stifte Schwabens. Einige Frauenstifte ließen sich bis ins frühe Mittelalter zurückverfolgen und boten somit über Jahrhunderte Frauen des hohen und niedrigen Adels einen besonderen Lebensraum, in dem sie sich zwischen ständischem Selbstbewusstsein und religiöser Praxis bewegen konnten. Damenstifte waren Teil der frühneuzeitlichen Reichskirche und damit in ein weites Beziehungsgeflecht eingebunden.

Für DIETMAR SCHIERSNER (Weingarten), der in die Tagung einführte, fordere die „übersichtliche Forschungslandschaft“ (darunter die Bände der Germania Sacra und die Forschungen der zum Teil anwesenden Referierenden) sowie ein gewisses „Desinteresse“ der Forschung dazu heraus, sich intensiv mit dem Thema Damenstifte auseinanderzusetzen. Galt das Thema innerhalb der Kirchengeschichte als „zu weltlich“ und der Sozialgeschichte „zu adelig“, empfand sie die Politikgeschichte als „zu weiblich“ und „zu unbedeutend“. Viele Forschungsarbeiten seien zudem unvollständig oder veraltet. Die Tagung, so Schiersner in seiner Einführung, möchte eine erste Lücke schließen, indem neue Fragen gestellt und alternative Forschungsmethoden diskutiert werden. Der zum Jahresende erscheinende Tagungsband will Lokalstudien anregen, in denen nach (politischen) Handlungsmöglichkeiten, aber auch nach der Lebenswelt der Stiftsdamen gefragt wird.

Einen ersten Forschungsüberblick gab HELMUT FLACHENECKER (Würzburg). Terminologische Unklarheiten hätte die Forschung lange Zeit erschwert: Aus den Quellen sei nicht immer unmittelbar zu erschließen, was die Schreibenden unter einem „Monasterii“, einer „Cella“ oder einem „adeligen frommen Stift“ verstanden hätten oder wodurch sich eine „Nonne“ von einer „Kanonisse“ oder einer „Stiftdame“ unterscheide. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts sei die Überlieferung von negativen Urteilen über Frauenkommunitäten belastet. Galten diese Gemeinschaften bis in unsere Zeit hinein als „Versorgungsanstalt“ übrig gebliebener, nicht verheiratbarer Töchter, die unter dem Generalverdacht standen, ein „sittlich verwahrlostes“ Leben zu führen, so stellte der Referent demgegenüber fest, dass diese Lebensgemeinschaften als Alternative zur Ehe verstanden worden seien. Zudem hätten die Kommunitäten entscheidende Beiträge zur Christianisierung des Landes im Frühmittelalter geleistet. Die Frauen hatten teilweise umfassende Reichsgüter verwaltet, dem Herrschaftsaufbau und deren Sicherung gedient. Die Memoria für die Stifterfamilie(n) war eine weitere, von den Adelsfamilien als sehr wesentlich betrachtete Aufgabe. Gleichzeitig hatten Frauenkommunitäten „weltliche“ Aufgaben im Bereich der Erziehung, Bildung und in der Sozialarbeit übernommen. Geistlicher und weltlicher Raum stellten somit lange Zeit keine getrennten Welten dar. Dagegen erreichten mehrere Reformperioden eine Einschränkung der Freiräume vieler Gemeinschaften und seien zu einem Leben nach klaren Regeln, unter anderem zu strenger Klausur verpflichtet worden.

Hochadelige Damenstifte standen, wie BERNHARD THEIL (Stuttgart) am Beispiel des Stifts Buchau zeigte, oft zwischen dem Reich und der Kirche. Die Buchauer Äbtissinnen besaßen von Rom bestätigte Privilegien (Papst Gregor, 1773); ihre Investitur entsprach der eines höheren Prälaten – die Überreichung von Ring und Stab als Herrschaftsinsignien belegt dies – obgleich sie der Jurisdiktion kirchlicher Instanzen, dem Bischof von Konstanz, unterworfen gewesen seien. Sie waren zwar als „geistliche“ Einrichtungen gegründet worden, doch waren sie auch weltliche Institutionen, die in die Institutionen des Reiches eingebunden waren und Aufgaben in und für die Welt übernahmen. Es verwundert nicht, dass es in Buchau im 17. und 18. Jahrhundert wiederholt zu Konflikten mit dem Bischof einerseits und dem Reich andererseits kam. Versuche von Reich und Kirche, den Einflussbereich der Äbtissin einzuschränken, stießen an Grenzen. Bis heute konnte die rechtliche Stellung der Damenstifte und deren Äbtissinnen in Reich und Kirche nicht exakt geklärt werden.

Am Beispiel des Damenstifts Oberstenfeld zeigte FRANZ QUARTHAL (Stuttgart) auf, dass es Äbtissinnen während der Reformation mithilfe durchdachter Strategien und politischer Klugheit gelungen sei, die Auflösung des Augustinerchorfrauenstifts zu verhindern und stattdessen in ein evangelisches Damenstift zu überführen. Dem im 11. Jahrhundert gegründeten, 1375 Württemberg zugeschlagenen Damenstift gelang es auch nach der Reformation, die Herrschenden von ihrer Funktion als Heimat für, so Quarthal, „nachgeborene Tochter adliger Familien, die nicht verheiratet werden konnten“ zu überzeugen. 1587 verlor Württemberg seinen Prozess vor dem Reichskammergericht, bei dem Oberstenfeld die Reichsunmittelbarkeit abgesprochen werden sollte. Oberstenfeld ist das einzige Stift, das im deutschen Südwesten die Säkularisation des 16. Jahrhunderts überlebt hat.

Ein Höhepunkt der Tagung war am Freitagabend die festliche Präsentation und Übergabe des Bandes „Die Urkunden des Stifts Buchau“ durch den Präsidenten des Landesarchivs Baden-Württemberg, Robert Kretzschmar. Diese fand im historischen Ambiente der barock ausgestatteten Stiftskirche statt. Das Grundlagenwerk erschließt nun die reiche Urkundenüberlieferung Buchaus von den Anfängen bis ins Jahr 1500.

Der Vortrag von SABINE KLAPP (Trier) nahm die reiche Stiftslandschaft des Unterelsass in den Blick: Trotz mehrfacher Reformversuche gelang es durch kluge Politik der Äbtissinnen, dass in den Stiften die ursprüngliche Lebensform der Kanonissen beibehalten werden konnte. Am Beispiel zweier elsässischer Äbtissinnen zeigte die Referentin, wie groß deren Handlungsspielräume sein konnten. Sophia von Andlau (im Amt 1408-1444) gab zwar zunächst Rechte an Familienmitglieder ab, doch einige Jahre später regierte sie – nach einem für sie positiven Gerichtsprozess – auch gegen ihre Familie. In Straßburg verhinderte Adelheid von Andlau (im Amt 1539-1544) zunächst den Verlust des Rechtes auf Verwaltung der Vermögen des konfessionsparitätischen, also bikonfessionellen Stifts St. Stephan. Durch das solidarische Auftreten von Stiftskanonikern und Vertretern der Stadt verlor sie später jedoch ihre Machtstellung. Unter anderem argumentierten die Herren mit dem Verweis auf ihr Geschlecht, dem die Alleinregierung verboten sei. Es ist noch nicht ausreichend erforscht, ob Humanismus und Reformation den Wandel des Frauenbildes förderten, das nun Mutterschaft und Eheleben zentrale Wertigkeit einräumte.

Für oberschwäbische Adelsfamilien war der Aufenthalt einer Tochter in einem der Damenstifte im Nordwesten des Alten Reiches von immenser familiärer und politischer Bedeutung. Dagegen sei die religiöse Bedeutung der Stifte vernachlässigbar. UTE KÜPPERS-BRAUN (Essen) führte aus, dass die Aufnahme einer Tochter die Bestätigung für sie und die Familie war, zum „Hochadel“ gezählt zu werden. Während einige Familien die strengen Aufnahmebedingungen erfüllten, konnten andere süddeutsche Adelsfamilien ihre hochadlige Herkunft nicht ausreichend nachweisen, sodass die Aufnahme der Töchter in diese Stifte abgelehnt wurde. Trotz der im Vergleich zu den oberschwäbischen Refugien ärmlichen Ausstattung der Häuser in Nordwestdeutschland, blieb die Tochter aus dem Hause Salm-Wurzach lieber in Essen, wollte sie Karriere machen. Tatsächlich sollten die Erziehung und der Aufenthalt im Essener Damenstift ihr den Weg zum ersehnten „Titul“ ebnen – so wurde sie später Äbtissin im Damenstift Buchau.

THOMAS GROLL (Augsburg) fragte in seinem Referat nach den Statuten im Frauenstifte St. Stephan in Augsburg. Für das im 10. Jahrhundert gegründete Stift liegen erste Regelungen in Teilbereichen aus dem 14. Jahrhundert vor. Nach einschneidenden Reformmaßnahmen von 1581 folgte ein Jahr später eine erstmals systematische Zusammenstellung von Statuten. Eine weitere Verschärfung im Jahr 1596 ordnete einfachere Kleidung, gemeinsamen Tisch und allgemeinen Schlafsaal an. Eine Visitation zeigte 1667 die weitgehende Einhaltung der Statuten, die 1682 erweitert wurden. Die Vielzahl von Regelungen – beginnend mit Chor- und Kleiderordnungen über Wahlregeln bis zu Urlaubs- und Begräbnisordnungen – müssen allerdings nicht zwingend und zeitnah realisiert worden sein. Die Revision der Statuten von 1789 im Geist der Aufklärung brachte mit der Verdopplung der Urlaubstage, Lockerung der Chorordnung und Aufhebung jeglicher nonnenförmiger Kleidung eine "Verweltlichung". Groll wies in diesem Zusammenhang auch auf die schon von den Zeitgenossen beklagte Schwächung der leitenden Stellung der Äbtissin hin.

Ölgemälde, Fresken, Statuten und Gewänder der Zeit dienten MARIELUISE KLIEGEL (Weingarten) als historische Quellen, aus denen sie auf den sozialen Status der abgebildeten Äbtissinnen, auf Verhaltensmuster, Alltagsleben und auf religiöse Denkhaltungen schloss. Modische Spitzenvolants am Ärmel, das in weiße Spitze gefasste Dekolleté, helle, spitz zulaufende Schuhe unter den aus kostbarer schwarzblauen Seiden- und Samtstoffen gefertigten Roben zeigen nicht nur, dass die Frauen „gut betucht“ waren, sondern weisen auch darauf hin, dass sie auf standesgemäßen Lebensvollzug und modische Gestaltung ihrer Körper wert legten. Korsagen und Reifröcke zwangen weiterhin zu gerader und steifer Haltung und zeigen adeligen Habitus. „Ganz irdisch und höfisch“ präsentierten sich die Stiftdamen also auf den Bildern, die von einer diesseitig orientierten und extrem disziplinierten adeligen Lebenswelt zeugen. Andererseits scheinen ihre aus der mittelalterlichen Nonnentracht entlehnten steif gestärkten, gen Himmel zeigenden Flügelhauben und die oft nach oben gerichteten, fast entrückt wirkenden Augen der Stiftsdamen auch, dass sie sich in der Lage sahen, eine besondere (Ver-)Bindung zwischen Erde und Himmel herzustellen oder gar eine „himmlische Anbindung“ allein durch ihre, damals durchaus als monastisch verstandene, Lebensform besaßen.

Testamente, Verlassenschaftsinventare oder Leichenzettel stellen eine Quellengattung dar, auf die DIETMAR SCHIERSNER (Weingarten) seine neuesten Forschungen zum Thema Krankheit und Tod im Damenstift gründet. Hinzu treten Abbildungen und Beschreibungen über die Art der Aufbahrung, die Ausgestaltung der Beerdigungskirchen und der Messfeier sowie weitere Beerdigungsriten. Die Summe dieser Daten lässt unter anderem Rückschlüsse auf die soziale Stellung der verstorbenen Stiftdame, über ihre alltäglichen Lebensvollzüge, ihre persönliche Frömmigkeit oder ihre sozialen und familiären Kontakte zu. Die Beschäftigung mit dem Thema Krankheit und Tod bringt damit Licht in einen bisher wenig betrachteten Ausschnitt der Mentalitätsgeschichte; einer, die sich der Lebensführung innerhalb des Dreiecks adelig – geistlich – weiblich widmet. Weitere Ergebnisse könnte, und hier sieht Schiersner ein wesentliches Forschungsdesiderat, ein Vergleich der Lebenswelten von Stiftsdamen und verheirateten Standesgenossinnen bringen.

Abschließend fasste EWALD FRIE (Tübingen) zusammen, welche Fragen die Tagung behandelte, um deren Beantwortung es den Tagungsleitern ging:
Er machte klar, dass ein einheitlicher Typus „Damenstifte“ und “Stiftsdame“ in der mehr als tausendjährigen Geschichte adeliger Frauengemeinschaften nicht konstruiert werden könne. Weltlich orientierte Institutionen für Frauen aus dem hohen oder niedrigen Adel standen neben Gemeinschaften mit eindeutig monastischer Ordnung. In Abhängigkeit von Zeit und Raum wandelten sich zudem die Funktionen, die Handlungsspielräume der Kanonikerinnen und das Alltagsleben der Äbtissinnen wie der Stiftsdamen. Alle Vorträge hätten gezeigt, wie vielschichtig das Phänomen Damenstifte sei und verdeutlichten, wie zahlreich die Fragen seien, die auf die Erforschung warten.

Konferenzübersicht:

Eröffnung

Wolfgang Zimmermann, Stuttgart

Einführung

Dietmar Schiersner, Weingarten

Session I. Politik und Verfassung

Helmut Flachenecker, Würzburg
Weltliche Damenstifte in der Germania Sacra – Überblick und Forschungsfragen

Bernhard Theil, Stuttgart
Hochadelige Damenstifte zwischen Kirche und Reich: das Beispiel Buchau am Federsee

Franz Quarthal, Stuttgart
Äbtissinnen als Politikerinnen – Prägungen, Spielräume und Stil. Das Beispiel Oberstenfeld während und nach der Reformation

Rudolf Seigel, Sigmaringen
Liturgischer Alltag und Feste im Stift Buchau

Sabine Klapp, Trier
Mehr als Politik: Die Äbtissinnen der elsässischen Kanonissenstifte 1350 bis 1550. Handlungsmöglichkeiten zwischen Kirche und Welt, Individuum und Gemeinschaft, Amt und Familie

Session II: Kultur, Religion, Alltag

Ute Küppers-Braun, Essen
„... dausendtmahl lieber zu Buchaw wolldte sein, so ich einen Titul hatte“. Frömmigkeit und Selbstverständnis hochadeliger Frauen in nordwestdeutschen Damenstiften

Thomas Groll, Augsburg
Statuten im Wandel – Regeln zwischen Anspruch und Wirklichkeit ? Das Beispiel St. Stephan in Augsburg

Marieluise Kliengel, Weingarten
Gut betucht – Das Selbstverständnis adeliger Damenstifte Oberschwabens in Gewand und Stand

Dietmar Schiersner, Weingarten
Krankheit und Tod im Damenstift

Schlussstatement Moderation:
Ewald Frie, Tübingen

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