Die Kapitalisierung des Krieges - Kriegsunternehmer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Die Kapitalisierung des Krieges - Kriegsunternehmer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Organisatoren
Matthias Meinhardt, Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle; Markus Meumann, Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung Halle
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.03.2009 - 20.03.2009
Von
Stephan Theilig, Deutsches Historisches Museum Berlin

Wie stark das Tagungsthema bis in die Gegenwart reicht, machte der Mitinitiator MARKUS MEUMANN (Halle) bereits am ersten Abend deutlich, indem er auf die zunehmende Privatisierung von Kriegen hinwies, seien es nun Sicherheitsunternehmen, private Söldnerheere oder gar die organisierte Piraterie.

Der Themenschwerpunkt der Tagung selbst lag auf der Darstellung und Analyse solcher Privatisierungs- und Kapitalisierungsprozesse während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, sowohl im europäischen als auch im internationalen Zusammenhang. Der Begriff der Kapitalisierung stand zudem im Kontext des soziologischen Begriffsfeldes Pierre Bourdieus, der von „Feldern“, „Kapital“ und „Habitus“ ausgeht.1 Kapital wäre damit sowohl als etwas Ökonomisches, Soziales, Kulturelles wie auch Symbolisches zu verstehen, das von unterschiedlichen Akteuren in und zwischen unterschiedlichen Feldern erlangt oder eingesetzt wird. MATTHIAS MEINHARDT (Halle) plädierte in seiner Einführung zudem für eine stärkere gesellschaftlich-wirtschaftliche Kontextualisierung des Kriegsunternehmers, die aber kulturelle Rahmenbedingungen nicht außen vorlassen sollte. Gerade diese offene Betrachtungsweite eines militärhistorischen Themas zeige die Möglichkeiten einer zukünftigen interdisziplinären Forschungstätigkeit, aber auch die bisherige Eingeschränktheit der Betrachtung. Daher müsse dieses Desiderat auch zukünftig stärker in den Mittelpunkt der Erforschung von Netzwerken gerückt werden, wie es RALF PRÖVE (Potsdam) in seinem Grußwort formulierte.

Dass gerade die symbolische und soziale Kapitalisierung im Zuge der Repräsentation der Kriegsunternehmer im zentralen Handlungsschwerpunkt der Akteure steht, machte DIETRICH ERBEN (Bochum) in seinem Eröffnungsvortrag am Beispiel der Entwicklung des „Capitano zum Strategen“ im Italien des 15. und 16. Jahrhunderts deutlich. In Selbstdarstellungen, wie zum Beispiel der Reiterstatue des Bartolomeo Colleoni, zeige sich deutlich, dass das „Image“ nicht den kriegerischen Kompetenzen entsprach, sondern vielmehr visuelle Behauptung war. Während des 16. Jahrhunderts jedoch zeigte sich im Zuge der Konsolidierung des Fürstenstaates und des Herrschers eine „Marginalisierung des Capitanos“. Als Beispiel führte Erben die Entwicklung der Darstellung und Bedeutung von Reiterstatuen an. Seine Schlussfolgerung, dass die Umwertung der Reiterstatuen die Umwertung der Kavallerie an sich wiedergebe, löste eine interessante und kontroverse Diskussion im Anschluss aus. Letztlich konnte sich darauf geeinigt werden, dass das Pferd an sich einem Bedeutungswandel vom „Schlachtross“ hin zu einer Allegorie des „Untertanen“ unterlag.

Im Zentrum der Beiträge der ersten Sektion stand besonders der von dem Ethnosoziologen Georg Elwert geprägte Begriff der „Gewaltmärkte“2, der im Vortrag von HEINRICH LANG (Bamberg) eingeführt wurde. Hierbei zeigte sich schnell die Vielschichtigkeit von Räumen und Akteuren, seien sie nun im Bereich der italienischen Condottieri im 14. und 15. Jahrhundert angesiedelt oder aber im Bereich der oberdeutschen Reichsstädte des 14. Jahrhunderts. Letztere, so zeigte STEFANIE RÜTHER (Münster), agierten vielfach mit den Mitteln von Raub und Brand, um konkurrierende Städte zu schädigen oder aber um Beute zu machen, die häufig im Zuge von Umverteilungsprozessen an die eigene Bevölkerung ging. Der Vergleich jedoch zwischen Italien und Oberdeutschland, so die anschließende Diskussion, sei unzulässig und nur im Zusammenhang mit dem Herausstellen von Unterschieden legitim. Es bestünden zwar äußerlich Gemeinsamkeiten, die Voraussetzungen und Rahmen seien aber völlig konträr.

Wie die Finanzierung innerhalb des Dreißigjährigen Krieges funktionierte, verdeutlichte STEFFEN LEINS (Tübingen) am Beispiel des Prager Münzkonsortiums von 1622/23. Hierbei benötigte Kaiser Ferdinand II. nicht etwa dazu Geld, ein Heer zu mobilisieren, sondern vielmehr, um es zu demobilisieren. Die ins Leben gerufene frühneuzeitliche Kapitalgesellschaft, bestehend aus hohen Hofbeamten, einem Juden und sogar einem Calvinisten [sic!], verpflichtete sich zur Aufbringung von Kapital, erhielt im Gegenzug aber das Silber- und Münzprägemonopol in Böhmen. Der eingebrachte Kapitalstamm konnte so um ein Vielfaches vermehrt werden.

Doch auch in der Seekriegführung zeigten sich Kapitalisierungsprozesse, die den klischeebehafteten Freibeuter eher als Kriegsunternehmer mit unterschiedlichen Modellen privatisierter Seekriegführung erscheinen lassen. CHRISTOPH RAß (Aachen) verdeutlichte eindrücklich diese maritimen Seiten des Tagungsthemas. Erst 1856 im Vertrag von Paris endete die Zeit der privat finanzierten Kriegsschiffe und Unternehmen, die eher Regel als Ausnahme waren. Bis dahin dominierten Risikominimierungsstrategien, Investitionssplitting in unterschiedliche „Privateers“ sowie Legalisierung von Beute aufgrund von Generierung legaler Gewinne durch Prisengerichte das Geschäft der Freibeuterei.

Die bereits bei Raß angesprochenen Risiken und Chancen wurden in der zweiten Sektion noch einmal konkretisiert. WILLIAM CAFERRO (Nashville) bezog sich in seinen Ausführungen auf die Sold- und Gehaltszahlungen in Florenz im 14. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Pest und den militärischen Auseinandersetzungen mit der Familie der Ubaldini. Dabei wurde deutlich, dass trotz der benannten Problemfelder weder Einschnitte noch Erhöhungen der Bezüge, sondern vielmehr eine Kontinuität der Zahlungen sichtbar wird. Risiken in einem anderen Zusammenhang verdeutlichte UWE TRESP (Leipzig) am Beispiel des Nickel Pflug von Knauthain. Diesen verglich der Referent mit heutigen Kleinunternehmern. So seien für einen Kriegsunternehmer des 15. Jahrhunderts Risiko-Gewinn-Analysen ebenso wichtig gewesen, wie seine Selbstdarstellung. Er hätte einen Eigenanteil zu tragen gehabt, der über „Know How“, Investitionen in Rüstung und Pferd sowie Erringung sozialen Prestiges reichte mit dem Ziel, Erwerb und Sold zu bekommen. Das Risiko des ökonomischen wie auch sozialen Abstieges wäre dabei aber immer mit einzukalkulieren. Auf diese Art und Weise hätte auch Nickel Pflug parallel zu seinen Verpflichtungen gegenüber seinem Lehnsherrn als „Privatunternehmer“ agiert, der auch nach Jahren noch Prozesse um seine Beute oder Lösegeldzahlungen führte.

Eine andere Gruppe von Kriegsunternehmern stellte BRIAN SANDBERG (Illinois) vor, der die Rolle von Adligen in den französischen Religionskriegen im ausgehenden 16. Jahrhundert untersuchte. Im Gegensatz zu den oft nur unter die Rubrik der sich befehdenden und duellierenden Eliten subsumierten Gruppe stellte sich heraus, dass gerade diese mit ihrem persönlichen Einsatz, sozialem Status, Kapital wie auch privaten Netzwerken viel stärker in die religiösen Konflikte eingebettet waren, als bisher angenommen. So zeigten sich gerade diese Adeligen als Schlüsselfiguren und Organisatoren der religiösen Gewalt.

Auch GUY ROWLANDS (St. Andrews) bezog sich in seinen Ausführungen auf das Beispiel Frankreichs, jedoch zu Regierungszeiten Ludwig XIV. Er stellte die unterschiedlichen Motivationen und Anwerbungsstrategien der unter französischem Kommando dienenden fremdländischen Truppen vor. Er unterschied in seiner Analyse zwischen „allied loan forces“, „forced military loans“, „francophile“ und „renegate forces“. Rowlands verdeutlichte diese am besonderen Beispiel irischer Truppen, die zwischen den Stuarts und ihrem französischen Brotgeber standen, wobei er die Möglichkeit eines moralischen Kapitals betonte. Der letzte Vortrag dieser Sektion behandelte das Bild des Feldherrn Johann t’Serclaes Graf von Tilly.

Bezugnehmend auf die Ausstellung aus dem Jahre 2007 „Tilly – Heiliger oder Kriegsverbrecher?“ untersuchte THOMAS KOSSERT (Osnabrück) das ambivalente „Image“ des großen Feldherrn. Dabei zeigte sich, dass dessen Handeln auch und besonders durch dynastisches Denken bestimmt war. Die überkommenen Charakterisierungen wie „bescheidener Feldherr“, „für nichts außer Militärdienst und Religion interessiert“ müssten im Kontext der ehrgeizigen Familienpolitik, seines Profitstrebens und Investitionen in Oberösterreich neuerlich hinterfragt werden.

Besonders die unterschiedlichen Darstellungen und Wahrnehmungen von Kriegsunternehmern standen im Mittelpunkt der letzten Sektion, die mit dem Vortrag von NIKLAS KONZEN (Tübingen) eingeleitet wurde. Er stellte die unterschiedlichen Darstellungswelten über Hans von Rechberg vor, der in heutigen Darstellungen und älteren Chroniken als Edler und Tugendhafter, aber auch als skrupelloser Mörder dargestellt wird. Besonders die „Öffentlichkeitsarbeit“ des von Rechenberg wurde betont, wobei die gezielt inszenierten Meinungsbildungsprozesse im Vordergrund standen. NATHALIE BÜSSER (Zürich) analysierte im Anschluss die Rolle der schweizerischen Söldnerheere. Besonders im 18. und 19. Jahrhundert wurde dieses Kapitel der schweizerischen Geschichte als „dunkle Phase“ bezeichnet, die der Nationswerdung und inneren Kohäsion entgegen sprach. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch ein Bild, das ein komplexes inner- und intrakantonales Wirtschaftssystem erkennen lässt. In diesem spielten die Kantone selbst die Rolle der Zwischenhändler und Investoren. Gleichfalls wird aber auch die Rolle von einzelnen Familien und ihren Netzwerken sichtbar, womit eine genauere Betrachtung von systematisierten und formalisierten Regularien innerfamiliärer Transfers von Gütern und Erbangelegenheiten notwendig erscheint.

Auf die deutschen Landsknechte, vielmehr auf einen ihrer bedeutendsten Vertreter, nahm REINHARD BAUMANN (München) Bezug. Er kontrastierte die historische Person des Georg von Frundsberg mit der überlieferten Darstellung. So erläuterte Baumann in seinen Ausführungen insbesondere die postume Kapitalisierung oder besser Vermarktung und Inbesitznahme des bekannten Landsknechtführers als „Markenname“, sei es als Namenspatron für Schiffe, SS-Einheiten oder gar Kinderfeste. Frundsberg kommt hierbei fast eine „weltgeschichtliche Bedeutung wie Columbus oder Moltke“ zu, die jedoch kaum in Relation zur historischen Person stünde, die in ihrer Zeit zwar als unternehmerisch, nicht aber als Kriegsunternehmer an sich bezeichnet werden kann.

Den abschließenden Vortrag hielt MARIAN FÜSSEL (Göttingen), der den Fokus auf den britischen Kriegsunternehmer Robert Clive im 18. Jahrhundert richtete. Wie sehr diese Persönlichkeit fortwirkt, lässt sich an den zahlreichen Publikationen, Statuen, Bildern, Filmen und Nachrichten erkennen. So war erst im Jahr 2006 der letzte noch lebende Besitz des „Clive of India“ im Alter von 255 Jahren im Zoo von Kalkutta verstorben – seine Riesenschildkröte Adwaitya. Allein diese Meldung machte deutlich, wie stark die Persönlichkeit des Briten noch heute wirke. Darüber hinaus sei aber die historische Person hinter den Zuschreibungen und Legenden regelrecht verborgen. Erst im Zuge der Globalisierung und Postkolonialismuskritik würde der hybride Typus aus Politiker, Militär und Ökonom eines Clive hinterfragt. Langsam entstünde ein Bild, das ihn im Stil der Konquistadoren erscheinen lässt, der allerdings als Kriegskapitalist des 18. Jahrhunderts die wirtschaftliche Ausbeutung politisch regelte.

In dem die Tagung abschließenden Resümee betonte Markus Meumann noch einmal die tatsächliche und gezeigte Heterogenität des Themas, verwies jedoch auch auf nicht besprochene Themenfelder wie die osmanisch-arabische Welt. Er regte eine Quantifizierung und einen Überblick zu Kriegsunternehmern zum Beispiel in Form einer Datenbank an. Bezugnehmend zum Titelbild der Tagung, einem Porträt des Christian von Braunschweig-Lüneburg, betonte Meumann die Notwendigkeit des kritischen Hinterfragens der „Gewaltmärkte“ in ihren unterschiedlichen Kontexten, Personalien und Netzwerken. Das Klischee der Devise „live fast and die young“ wäre eine unzureichende Verkürzung des Sachverhaltes. Auch wäre der Begriff des Kriegsunternehmers zu umfassend, fließend und unscharf, sodass über Alternativen nachgedacht werden müsse. Es habe sich gezeigt, dass das soziale Profil der Akteure heterogen und die Motivation geprägt ist durch unterschiedliche Definitionen von Kapital und Markt. Die gezeigten Beispiele dürften nicht als notwendige Bedingung des Folgenden gesehen werden, sondern vielmehr als singuläre abgeschlossene Ereignisse, die zwar zu einem Vergleich einladen, aber immer in ihren jeweiligen Kontexten gebunden sind.

Die Tagung in Berlin hat sehr eindrücklich gezeigt, wie modern und zeitlos Militärgeschichte sein kann. Besonders die aufgezeigten interdisziplinären Möglichkeiten von Analysen und multiperspektivischen Herangehensweisen lassen das scheinbar verstaubte Bild mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kriegswesens im Kontext von „Gewaltmärkten“ als modernen Untersuchungsgegenstand erscheinen. Dabei kommt der Untersuchung von Netzwerken eine besondere Bedeutung zu. Die Ergebnisse der Tagung werden in einem Tagungsband im LIT-Verlag veröffentlicht.

Konferenzübersicht:

Dietrich Erben – Vom Capitano zum Strategen.
Matthias Meinhardt- Einführung

Sektion I (Märkte, Ressourcen, Finanzen)
Moderation Jörg Rogge

Heinrich Lang – Das Geschäft mit der Gewalt.
Stefanie Rüther – Reichsstädte als Kriegsunternehmer?
Steffen Leins – Das Prager Münzkonsortium von 1622/23.
Christoph Raß – Freibeuter als Kriegsunternehmer.

Sektion II (Profile, Chancen, Risiken)
Moderation Bernhard Kroener:

William Caferro – Petrarch´s War and the Meaning of Florentine Military Wages (1349-1350).
Uwe Tresp – Private Kriegsbeteiligung zwischen Recht und Risiko.
Brian Sandberg – Military Entrepeneurs and Personal Armies in the French Wars of Religion.
Guy Rowlands – Serving Another Sovereign – Foreign Forces in French Pay under Louis XIV.
Thomas Kossert – Tilly und der „Casus Brunsvicensis“.

Sektion III (Darstellungen, Wahrnehmungen, Deutungen)
Moderation Stephan Selzer:

Niklas Konzen – Selbstverständnis, Fremdwahrnehmung und Legendarisierung des Hans von Rechenberg.
Nathalie Büsser – Neue Zugänge zum Soldgeschäft als erbliches Verwandtschaftsunternehmen.
Reinhard Baumann – Georg von Frundsberg: beansprucht, heroisiert, missbraucht.
Marian Füssel – Händler und Krieger? Robert Clive und die East India Company.
Markus Meumann – Schlusskommentar

Anmerkungen:
1 Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übersetzt von Bernd Schwibs und Achim Russer, Frankfurt am Main 1982.
2 Georg Elwert, Markets of violence, in: Georg Elwert / Stephan Feuchtwang / Dieter Neubert (Hrsg.), Dynamics of violence. Processes of Escalation and De-Escalation in Violent Group Conflicts, Berlin 1999, S. 85-10.

http://www.dhm.de/news/symposien/docs/symposium_kapitalisierung_programm.pdf