Zwischen Ideal und Wirklichkeit – Herrschaft auf Sizilien von der Antike bis zur Frühen Neuzeit

Zwischen Ideal und Wirklichkeit – Herrschaft auf Sizilien von der Antike bis zur Frühen Neuzeit

Organisatoren
David Engels, Université Libre de Bruxelles; Michael Kleu, Lehrstuhl für Alte Geschichte, RWTH Aachen; Lioba Geis, Lehrstuhl für Mittlere Geschichte, RWTH Aachen
Ort
Aachen
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.02.2009 - 15.02.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Lioba Geis, Historisches Institut, Lehrstuhl für Mittlere Geschichte, RWTH Aachen; David Engels, Université Libre de Bruxelles; Michael Kleu, Lehrstuhl für Alte Geschichte, RWTH Aachen;

Im Rahmen des Forschungsprojekts „Zwischen Ideal und Wirklichkeit – Herrschaft auf Sizilien von der Antike bis zur Frühen Neuzeit“ fand vom 13. bis zum 15. Februar 2009 in Aachen eine Tagung statt, bei der die Mitarbeiter des Projektes ihre bisherigen Forschungsergebnisse präsentierten. Bei den Referenten handelte es sich um sechzehn junge Wissenschaftler aus zehn Universitäten und insgesamt sechs verschiedenen Ländern (Deutschland, USA, Großbritannien, Belgien, Italien, Griechenland), welche kurz vor oder nach der Promotion stehen und sich größtenteils im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Qualifikation bereits mit der behandelten Thematik auseinandergesetzt haben. Organisiert wurde die Tagung von David Engels (Université Libre de Bruxelles), Lioba Geis und Michael Kleu (beide RWTH Aachen). Das Ziel der Untersuchungen war eine Analyse der Diskrepanz zwischen den Herrschaftsvorstellungen der jeweiligen auswärtigen Mächte, die Sizilien von der Antike bis zur Frühen Neuzeit in Besitz genommen hatten, und der Realität ihrer Herrschaftsausübung anhand paradigmatischer Einzeluntersuchungen.

Die Tagung begann nach einer kurzen Einführung in die Thematik mit MICHAEL KLEUs (Aachen) Vortrag über die Herrschaftsausübung von Phöniziern und Karthagern auf Sizilien. Auch wenn die Quellenlage zu diesem Themenbereich nur wenige Rückschlüsse auf die tatsächliche Intention zulässt, ließ sich feststellen, dass das Engagement der Phönizier rein merkantiler Natur war und die Karthager anders als in anderen Gebieten ihrer Interessensphäre eine relativ lockere Herrschaft ausübten, die jedoch aufgrund ständiger Konflikte mit den griechischen Nachbarstädten intensiviert werden musste. Den weitgehend geschichtswissenschaftlich geprägten Rahmen der Konferenz erweiterte eine Präsentation von ANDREA HARMS (Hamburg), die das seit 2005 laufende Kooperationsprojekt der Universitäten Hamburg und Palermo mit dem Titel „Lilybaeum. Städtisches Leben in einer punisch-römischen Stadt auf Sizilien. Ausgrabungen im Archäologischen Park von Marsala“ vorstellte und die Tagung um einige aktuelle archäologische Ansätze bereicherte. STEFAN SCHORN (Rutgers University, New Brunswick, NJ/Leuven) untersuchte die Darstellung Dionysios’ I. von Syrakus bei seinem engen Mitarbeiter Philistos und in Xenophons Hieron und zeigte dabei auf, wie Xenophon Elemente verschiedener Traditionen über Dionysios benutzte, um einen paränetischen Dialog zu inszenieren. Der Referent stellte fest, dass der Hieron anders als oft vermutet nicht als Fürstenspiegel für einen der Dionysioi angesehen werden kann. ALEXANDER SCHÜLLER (Aachen) widmete sich Dions sizilischem Experiment und dem Problem seines Scheiterns und verdeutlichte, welchen äußeren Zwängen Dion besonders in Form seiner Söldnertruppen ausgesetzt war und in welchem Maße unsere Quellen, die der Referent mit Methoden der Literaturanalyse auf ihre innere Kohärenz und quellenkritische Abhängigkeit untersuchte, zahlreichen Verformungen ausgesetzt sind. LUCA GUIDO (Sassari/Heidelberg/Düsseldorf) beschäftigte sich mit dem 1. Punischen Krieg und der Konstitution der römischen Provinzadministration auf Sizilien. Die Rekonstruktion und Einschätzung der als lex Hieronica und lex Rupilia bekannten Maßnahmen standen dabei im Zentrum seiner Ausführungen, die deutlich machten, wie stark deren Bewertung davon abhängig ist, welche Bedeutung man den Schriften Ciceros für die Situation im Sizilien des dritten vorchristlichen Jahrhunderts beimisst. Die Sektion „Klassische Antike“ endete mit einem Vortrag von THOMAS BOUNAS (Athen/Aachen) über Cicero und Verres und die damit verbundene Diskrepanz zwischen Realität und Idealität der römischen Provinzverwaltung, wobei der Referent die Schlussfolgerung herausarbeitete, dass es dem römischen Staat bei der Bewertung der Provinzialmagistraturen keineswegs um ein idealistisches Leitbild philanthroper Menschenführung, sondern lediglich um die Durchsetzung römischer Interessen ging.

Die zweite Sektion der Tagung, welche der Kaiserzeit, der byzantinischen Herrschaft und der islamischen Oberhoheit gewidmet war, wurde durch JULIA HOFFMANN-SALZ (Köln) eingeleitet. Sie referierte über die spannungsreiche Beziehung zwischen Augustus und den Städten Siziliens und arbeitete dabei heraus, inwieweit Augustus nach dem Sieg über Sext. Pompeius durch gezielte Statushebungen bzw. -senkungen sizilischer Städte sowie durch die Anlage römischer Kolonien auf Sizilien das städtische Gefüge grundlegend neu ordnete und hiermit nicht nur Rom-treue Städte belohnte bzw. die Anhänger des Pompeius bestrafte, sondern auch die logistische und wirtschaftliche Struktur der Insel gezielt umprägen sollte. CARLA NICOLAYE (Aachen/Leuven) behandelte in ihrem Beitrag die kurzlebige Herrschaft der Vandalen auf Sizilien und zeigte durch die Einbindung in den Kontext der übergreifenden vandalischen Mittelmeerpolitik, dass es den in Afrika angesiedelten Germanen nicht nur auf kurzfristige Plünderungen ankam, sondern auf die Schaffung einer soliden Basis für eine weitere Expansion im westlichen Mittelmeer, wenn auch die bemerkenswert schlechte Quellenlage kaum ein stimmiges Gesamtbild dieser Episode ermöglicht. Der Vortrag von PETER VAN NUFFELEN (Exeter/Leuven) war der Ausübung kirchlicher Herrschaft auf der Insel gewidmet und zeigte am Beispiel ausgewählter Texte zur Regelung bischöflicher Nachfolge die komplexe Interaktion der bischöflichen mit der päpstlichen Verwaltung und den hieraus hervorgehenden Zusammenstoß lokaler wie zentralistischer Interessen bei der Bischofswahl, mit dem auch folgereiche wirtschaftliche Faktoren wie etwa die umstrittene Fusion des privaten bischöflichen Eigentums mit den kirchlichen Besitztümern der Diözese zusammenhingen. Auch ERIK LIPPERTS (Aachen) untersuchte die Rolle der Kirche bei der Ausübung von Macht auf Sizilien, konzentrierte sich dabei auf die Zeit der Anfänge des Bilderstreits und hob hierbei besonders die konfliktreiche Beziehung zwischen Papst Gregor II. und Kaiser Leon III. hervor, welche zu einer weitgehenden Beschlagnahmung der päpstlichen Besitzungen auf Sizilien und einem Anschluss Siziliens an das Patriarchat Konstantinopel führte, wodurch die römische Kirche zu einer verstärkten Hinwendung zu den Franken veranlasst wurde. DAVID ENGELS (Brüssel) behandelte schließlich die muslimische Geschichte Siziliens im 10. Jahrhundert und widmete sich den dort herrschenden Spannungen zwischen den verschiedenen politischen, ethnischen und religiösen Gruppen – Fatimiden und Aghlabiden, Berbern und Arabern, Schiiten und Sunniten – und ihren jeweiligen, oft konträren, von außen nach Sizilien exportierten Herrschaftsvorstellungen – Konflikte, welche 913 im kurzlebigen Aufstand des Ibn Qurhub gegen die Fatimiden, im kurzfristigen Anschluss der Insel an das Abasidenkalifat und schließlich in der blutigen Niederschlagung der Revolte im Jahre 915 gipfeln sollten.

JULIA BECKER (Rom) präsentierte in der dritten Sektion facettenreich die Herrschaft Rogers I., der etwa im Bereich der Kirchenpolitik und Verwaltung an die bestehenden Herrschaftsstrukturen anknüpfen musste und in einer Mischung aus Improvisation, Anpassung und Durchsetzungsvermögen einen Kompromiss zwischen seinen Herrschaftsideen und den realen Gegebenheiten zu verwirklichen suchte. Für die Herrschaftszeit Rogers II. nahm LIOBA GEIS (Aachen) dessen Hofkapelle in den Blick, um zu verdeutlichen, dass dieses lange Zeit als statisch verstandene Herrschaftsinstrument für die Frühzeit der normannischen Königsherrschaft vielmehr als ein lockerer Personenverband anzusehen ist, der von Roger II. neben weiteren Personengruppen für verschiedene Aufgaben innerhalb seines Herrschaftsaufbaus herangezogen werden konnte. GEORG VOGELER (München/Lecce) zeigte am Beispiel der sizilischen Urkundenempfänger nachdrücklich, dass Sizilien seit der Kaiserkrönung Friedrichs II. 1220 immer stärker in eine Randlage geriet und selbst enge Vertraute Friedrichs – wie etwa Erzbischof Berard von Palermo – keine nachhaltige Unterstützung und Privilegierung mehr erhielten. Die Insel rückte somit aus dem Blickfeld des Kaisers, Herrschaft spielte sich nunmehr fast ausschließlich auf dem süditalienischen Festland ab. Wie sehr Herrschaftsideal und Herrschaftswirklichkeit nach dem Tod Friedrichs II. auseinander gehen konnten, demonstrierte CHRISTIAN FRIEDL (München) anschaulich am Beispiel König Manfreds. Dieser versuchte, wie die Titulaturen seiner Urkunden erkennen lassen, nahtlos an die Herrschaftsvorstellungen seines Vaters anzuknüpfen, vermochte es aber nicht, die inzwischen veränderten Machtverhältnisse zu erkennen bzw. seine friderizianischen Ideale, die bis zum Erwerb der Kaiserkrone reichen sollten, daran anzupassen. Ebenfalls unter dem Aspekt des Scheiterns von Herrschaft beleuchtete PHILIPP SCHNEIDER (Aachen) die sogenannte Sizilianische Vesper von 1282, indem er zeigte, dass sich das Ideal weitgehend unabhängiger, allein dem Papst unterstellter Kommunen aufgrund städtischer Rangstreitigkeiten und der Parteinahme Martins IV. für den vertriebenen König Karl I. von Anjou letztlich nicht durchsetzen ließ. In einem Ausblick lenkte SASCHA SCHLEDE (Aachen) abschließend den Blick auf die Situation Siziliens im Spätmittelalter und stellte heraus, wie sehr die Insel in dieser Zeit zum Spielball der europäischen Politik, nicht zuletzt der Interessen des Papst- und Kaisertums wurde.

Die gut besuchte Tagung wurde abgerundet durch eine Schlussdiskussion, welche die wissenschaftliche Aktualität wie auch die methodische Komplexität des Forschungsvorhabens unterstrich. Den jeweils thematischen und chronologischen Rahmen der einzelnen Vorträge bewusst überschreitend, standen nun Kontinuitäten und Brüche, Übernahmen und Weiterentwicklungen von Herrschaftsidealen und Herrschaftspraktiken auf Sizilien im Vordergrund. Die Frage nach bestimmten zu kategorisierenden Idealen wurde dabei ebenso diskutiert wie die Frage nach der Herkunft von Herrschaft und den Bedingungen ihrer Entstehung und Entfaltung auf dieser Insel, deren vielschichtige ethnische, religiöse und politische Geschichte einen zusätzlichen Anreiz bietet, weniger in einem geschlossenen chronologischen Überblick als vielmehr in paradigmatischen Einzelanalysen Antworten auf die erörterten Problemstellungen zu finden.1

Konferenzübersicht:

Sektion Klassische Antike

Michael Kleu (Aachen): Von der phönizischen Hegemonie zur karthagischen Epikratie

Andrea Harms (Hamburg): Lilybaeum. Städtisches Leben in einer punisch-römischen Stadt auf Sizilien. Ausgrabungen im Archäologischen Park von Marsala

Stefan Schorn (New Brunswick, NJ/Leuven): Politische Theorie, ‚Fürstenspiegel’ und monarchische Propaganda: Philistos von Syrakus, Xenophons Hieron und Dionysios

Alexander Schüller (Aachen): Der Befreier Siziliens und die Macht der Soldaten. Dions sizilisches „Experiment“ und das Problem seines Scheiterns

Luca Guido (Sassari/Heidelberg/Düsseldorf): Der erste Punische Krieg und die Gründung der römischen Provinzverwaltung auf Sizilien

Thomas Bounas (Aachen/Athen): Cicero und Verres: Realität und Idealität römischer Provinzverwaltung

Sektion Kaiserzeit, Byzanz, Islam

Julia Hoffmann-Salz (Köln): Augustus und die Städte Siziliens

Carla Nicolaye (Leuven/Aachen): The Vandal Occupation of Sicily and the Struggle for Domination over the Mediterranean

Peter Van Nuffelen (Exeter): Episcopal succession in Late Antique Sicily

Erik Lipperts (Aachen): Sizilien zur Zeit der Anfänge des Bilderstreits

David Engels (Brüssel): Der Aufstand des Ibn Qurhub: Sizilien zwischen Fatimiden und Abbasiden

Sektion Mittelalter

Julia Becker (Rom): Graf Roger I. von Kalabrien und Sizilien. Eine realistische Herrschaft zwischen drei Kulturen?

Lioba Geis (Aachen): Die Hofkapelle als Herrschaftsinstrument Rogers II. für Sizilien?

Georg Vogeler (München/Lecce): Sizilien unter Friedrich II.: Vom Kernland des Regnum Siciliae zur imperialen Peripherie

Christian Friedl (München): Herrschaftskonzeption bei König Manfred. Staufisches Ideal und Scheitern der realpolitischen Ansätze

Philipp Schneider (Aachen): Die Sizilianische Vesper und die communitas Siciliae

Sascha Schlede (Aachen): Von der Herrschaft Friedrichs III. bis zur Vereinigung mit dem Königreich Neapel 1296-1458

Anmerkung:
1 Die Ergebnisse des Forschungsprojekts werden voraussichtlich im Herbst 2009 in Form eines Sammelbandes veröffentlicht. Nähere Informationen über den Stand der Publikation sind der Internetseite <http://www.histinst.rwth-aachen.de/ext/sizilien/> (11.03.2009) zu entnehmen.