1. Tag der sachsen-anhaltischen Landesgeschichte: "Neue Forschungen zur Stadtgeschichte Sachsen-Anhalts"

1. Tag der sachsen-anhaltischen Landesgeschichte: "Neue Forschungen zur Stadtgeschichte Sachsen-Anhalts"

Organisatoren
Historische Kommission für Sachsen-Anhalt und Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt
Ort
Dessau
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.06.2003 -
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Von
Michael Hecht, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Am 28. Juni 2003 fand im neuen Archivgebäude der Abteilung Dessau des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt der "1. Tag der sachsen-anhaltischen Landesgeschichte" statt. Die Veranstalter - die Historische Kommission für Sachsen-Anhalt und das Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt - verbanden mit der Etablierung einer solchen, in anderen Bundesländern bereits bekannten Veranstaltung vornehmlich zwei Ziele: Erstens sollte die Vernetzung zwischen universitärer Forschung, Archivwesen, Geschichtsvereinen und Museen im Land Sachsen-Anhalt befördert und ein Forum für die Präsentation von Projekten und Forschungsergebnissen geschaffen werden, zweitens die Region des heutigen Sachsen-Anhalt mit Blick auf die vergleichende deutsche Landesgeschichte stärker ins Bewußtsein geraten. Schwerpunktthema des "1. Tages" stellte die Stadtgeschichte dar, da einerseits in bezug auf die Städtelandschaft Sachsen-Anhalts deutliche Forschungsdefizite bestehen, andererseits eine Vielzahl von Stadtjubiläen in den kommenden Jahren (Aschersleben 2003, Halberstadt 2004, Magdeburg 2005 und Halle 2006) Herausforderungen und Chancen bereithält.

Eine erste Sektion mit drei Vorträgen widmete sich Problemen der Stadtgeschichte im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Gudrun Wittek (Magdeburg) stellte "Die freie Stadt Aschersleben (1400-1720)" vor. Hauptsächlich durch die Auswertung der "Huldbriefe", in denen die Stadt- bzw. Schutzherren die Rechte und Freiheiten Ascherslebens bestätigten, kam sie zu dem Ergebnis, daß ein hohes Maß an städtischer Autonomie erkennbar sei, welches auf ein geschicktes Taktieren der Stadt im Mächtespiel der Region sowie eine hohe Finanzkraft der Kommune zurückzuführen sei. Ob der von der Referentin postulierte Befund einer Nähe Ascherslebens zum Reichsstadtstatus im späten 16. und im 17. Jahrhundert aufrechterhalten werden kann, muß weiteren Studien zur Verfassungswirklichkeit vorbehalten bleiben. Gerade das Beispiel Aschersleben verdeutlicht den großen Nachholbedarf stadtgeschichtlicher Forschung in Sachsen-Anhalt.

Der sich anschließende Vortrag von Werner Freitag (Halle) zu "Salzstädten in Spätmittelalter und Früher Neuzeit" stellte einen städtischen Sondertypus in den Mittelpunkt, dem die im Erzstift/Herzogtum Magdeburg liegenden Städte Halle, Staßfurt und Groß Salze (Schönebeck) zuzuordnen sind. Die "städteprägende Qualität des Salzes" wurde anhand verschiedener Kriterien herausgestellt, vor allem der spezifischen Beziehungen zum Stadtherren aufgrund dessen Eigentumsrechten an den Solebrunnen, der Existenz eines Sonderrechtsbezirks im Umfeld der Saline, einer auf das Salz bezogenen Wirtschaftspolitik des Stadtrates sowie der Herausbildung einer besonderen städtischen Oberschicht, dem Salzpatriziat (Pfännerschaft). Erst das 18. Jahrhundert läutete das Ende der Salzstadt ein, indem nun kameralistisch geschulte Staatsbeamte den Salinenbetrieb modernisierten und dabei die beschriebenen Verbindungslinien zwischen Salzherstellung und "alteuropäischer" Stadt kappten. Der Vortrag und die ihm folgende Diskussion zeigten auf, daß insbesondere zum Salzpatriziat noch detailliertere prosopographische Forschungsarbeit zu leisten ist.

Das die erste Sektion abschließende Referat von Frank Kreißler (Dessau) widmete sich "Städten in Anhalt um 1600" unter wirtschafts- und sozialgeschichtlichem Blickwinkel. Ein zum Teil enormer Bevölkerungsanstieg in den anhaltischen Städten des 16. Jahrhunderts legt die Frage nach der ökonomischen Entwicklung nahe, auf die Kreißler faktenreich antwortete. Als bestimmend für die Städte im Fürstentum Anhalt erwies sich der Agrarsektor, so daß die Agrarkonjunktur des 16. Jahrhunderts wichtige Wachstumsimpulse gab. Im gewerblichen Bereich spielte das Brauwesen die entscheidende Rolle, aber auch für andere Handwerks- und Gewerbezweige wurde die Entwicklung und Ausdifferenzierung in vielen Einzelheiten präsentiert. Ein wenig zu kurz kam hingegen die Rolle der anhaltischen Fürsten und der Einfluß des Faktors Residenzbildung auf die Wirtschaftsentwicklung der Städte.

In der zweiten Sektion der Tagung wurden ausgewählte Probleme der Stadtgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in den Blick genommen. Zunächst widmete sich Katrin Minner (Halle) den "Ortsjubiläen in der Provinz Sachsen und in Anhalt 1871-1932", wobei vor allem die entsprechenden Festlichkeiten in Wittenberg 1893, Zerbst 1907, Quedlinburg 1922 und Naumburg 1928 den empirischen Hintergrund abgaben. Trotz einer generell zu konstatierenden Attraktivität des Festtyps Stadtjubiläum konnte die Referentin sehr überzeugend Wandlungsprozesse vom Kaiserreich zur Weimarer Republik herausarbeiten, die sich auf veränderte politische Konstellationen und damit auf neue Herausforderungen in bezug auf die Sinnstiftung städtischer Erinnerung zurückführen lassen. Während im Kaiserreich die städtischen Honoratioren die Deutungshoheit beanspruchten und im Fest eine in der Gegenwart gipfelnde bürgerliche Erfolgsgeschichte inszenierten, die gleichsam eng mit dem monarchischen Kult verzahnt war, bildete bei den Festlichkeiten in der Weimarer Republik die Darstellung von Gewerbefleiß und Modernität das Zentralmotiv. Da nun nicht mehr nur die bürgerliche Selbstinszenierung, sondern die Einbeziehung breiterer Bevölkerungsschichten (inklusive der Arbeiterschaft) in die Jubiläen gewünscht war, konnte eine darüber hinausgehende konsensfähige politische Leitidee nicht erlangt werden, wie die Auseinandersetzungen um die Festsymbolik im Vorfeld der Jubiläen 1922 und 1928 verdeutlichen. Die im Vortrag vorgenommene Fokussierung auf Geschichtsbilder und Deutungsmuster in der städtischen Festkultur erweist sich nicht nur in historischer Perspektive, sondern auch vor dem Hintergrund der bevorstehenden Stadtjubiläen in Sachsen-Anhalt als äußerst interessant.

Der sich anschließende Vortrag von Maik Hattenhorst (Magdeburg) befaßte sich mit der "Machtergreifung" 1933 in Magdeburg, wobei vor allem die Besonderheiten der Verhältnisse in der Provinzialhauptstadt gegenüber den allgemeinen, in der Literatur zum NS ausführlich behandelten Entwicklungen im Mittelpunkt standen. Magdeburg, das durchgehend von 1919 bis 1933 einen sozialdemokratischen Magistrat besaß, galt in der Weimarer Republik als dezidiert "rote Stadt" und insbesondere im Bereich der kommunalen Sozialpolitik als sozialdemokratische Musterstadt. Dies wurde von der NSDAP als Herausforderung begriffen, ohne daß jedoch schon 1933 ein schlüssiges Gegenkonzept zur Verfügung stand. Immerhin bewirkten nach dem Machtwechsel die Sonderbedingungen einen stärkeren personalen Umbau in der Stadtverwaltung sowie einen deutlicheren Umschwung der Kommunalpolitik durch Kürzung von Sozialleistungen und Reprivatisierung der Wohlfahrtspflege als anderswo. Diese im Vortrag zu Recht herausgestellten Spezifika sind zukünftig durch systematische Vergleiche noch stärker zu konturieren.

Das Abschlußreferat hielt Albrecht Wiesener (Potsdam/Hannover) zum "Thälmannplatz/Riebeckplatz in Halle nach 1945". Dieser verkehrsreiche, im heutigen Stadtbild als eher störend empfundene Platz wurde ab 1958 als "neues sozialistisches Tor zum alten Stadtkern" geplant und ab 1964 gebaut. Neben funktionalen Aspekten (Regelung des Verkehrsflusses) spielte die Versinnbildlichung sozialistischer Gesellschaftspolitik, sichtbar vor allem anhand der Randbebauung, eine entscheidende Rolle. Die Platzgestaltung kann damit insgesamt vor dem Hintergrund des Versuches gesehen werden, Halle in den 1960er Jahren als Stadt der Arbeit und des Aufbaus eine neue Prägung zu geben, was am nachhaltigsten in der Errichtung der Chemiearbeiterstadt Halle-Neustadt seinen Ausdruck fand. Der Vortrag verdeutlichte indes zugleich die Schwierigkeiten des heutigen Umgangs mit den städtebaulichen Hinterlassenschaften aus der DDR-Zeit, die einst mit dem Ziel der positiven Zukunftsstiftung errichtet worden waren.

Den beiden Vortragssektionen schloß sich eine Podiumsdiskussion zu den bevorstehenden Stadtjubiläen in Halberstadt, Magdeburg und Halle an, an der Vertreter der örtlichen Arbeitskreise zur Jubiläumsvorbereitung, der Historischen Kommission und der lokalen Geschichtsvereine teilnahmen. Auch wenn sich der konkrete Vorbereitungsstand in den drei Städten noch unterschiedlich ausnimmt, ist doch überall eine Vielzahl von Aktivitäten geplant, die unter anderem die Herausgabe neuer stadtgeschichtlicher Publikationen, die Veranstaltung wissenschaftlicher Symposien, die Präsentation von Sonderausstellungen in den Museen sowie öffentlichkeitswirksame "events" umfassen. Damit sollen die Jubiläen sowohl Impulse für die vergleichende Stadt- und Landesgeschichtsschreibung nach außen wie auch für die städtische Identitätsbildung nach innen aussenden. Als ein bisher ungelöstes Problem erwies sich die angedachte Vernetzung der Städte, um die Jubiläen als "Gesamtereignis" unter anderem dem Tourismus nutzbar zu machen. Die weitere Kommunikation der "Jubilare" untereinander und mit der Historischen Kommission scheint dennoch gewährleistet, denn alle drei Städte boten an, in ihrem jeweiligen Jubiläumsjahr den Tag der Landesgeschichte auszurichten.

Gemessen am großen Interesse der Teilnehmer und am weitgehend hohen Niveau der Vorträge kann der 1. Tag der sachsen-anhaltischen Landesgeschichte als Erfolg gewertet werden, wobei das organisierte "Beiprogramm" (Archivführungen, Büchertische) zusätzlich positiv hervorgehoben werden muß. Die von den Veranstaltern propagierte Fortsetzung der Veranstaltung ist somit sehr zu begrüßen. Trotz der Aktualität und des großen Nachholbedarfes der Stadtgeschichtsforschung Sachsen-Anhalts sollten dann jedoch auch andere Aspekte der Landesgeschichte Berücksichtigung finden, die sich ebenfalls als anregend für die vergleichende Landesgeschichtsforschung erweisen könnten.


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