Europäisches Forum junger Rechtshistoriker/innen: Das neue Europa und seine Traditionen. Ius privatum, ius canonicum, ius publicum

Europäisches Forum junger Rechtshistoriker/innen: Das neue Europa und seine Traditionen. Ius privatum, ius canonicum, ius publicum

Organisatoren
Nadja El Beheiri, Komáromi László, Andrási Dorottya, Vígh Annamária, Szabó Béla; Balogh Judit, Schmidt Beatrix
Ort
Budapest
Land
Hungary
Vom - Bis
22.05.2003 - 25.05.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Vera Hierholzer und Oliver Peglow, Frankfurt am Main

Ob die Initiatoren des Forums Junger Rechtshistoriker/innen bei dessen Begründung die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Forum, "Marktplatz", im Kopf hatten? Jedenfalls war der zugrunde liegende Gedanke, ein ungezwungenes Treffen zu institutionalisieren, bei dem junge Nachwuchswissenschaftler die Früchte ihrer Forschungen anbieten können. 1 Ein Marktplatz der Ideen also - fernab von Einflussnahmen arrivierter Wissenschaftler. Ein weiteres Ziel sollte angesichts der Tatsache, dass das Fach zwischen den beiden Disziplinen der Rechts- und Geschichtswissenschaften steht, die Herstellung von Kontakten unter den jungen Rechtshistorikern sein. Seit 1994 findet das Forum jährlich statt, ohne dass es eine feste Instanz der Veranstalter gibt. Vielmehr organisieren sich die "Jungen" selbst. Dadurch gibt es keine verbindlichen Vorgaben für die Zielsetzung und Organisation der Tagung, ihr Charakter wird in jedem Jahr ein Stück weit neu erfunden. Ursprünglich als eine Plattform des Austauschs zwischen ost- und westdeutschen Doktoranden und Habilitanden gedacht, hat allmählich eine Europäisierung der Veranstaltung stattgefunden.

In diesem Jahr wurde mit der Wahl des Veranstaltungsortes erstmals der deutschsprachige Raum verlassen: Budapest bot mit dem Ehrenschutz des ungarischen Präsidenten und Grußworten des Erzbischofs im frisch renovierten Festsaal der Katholischen Universität Pázmány Pétér einen besonders feierlichen Rahmen. 2 Mit einer Meldung im ungarischen Fernsehen wurde dem Forum zudem ungewohnte öffentliche Aufmerksamkeit zuteil. So setzte sich zunächst die schon in den vergangenen Jahren sichtbar werdende Tendenz fort, das Treffen etablierten Fachtagungen anzugleichen; diesmal beschränkte sich das "Beiwerk" jedoch auf den Eröffnungsabend. Auch der in den vergangenen Jahren oft laut gewordene Vorwurf der Überalterung konnte der Veranstaltung diesmal nicht gemacht werden: das "junge Gemüse" dominierte deutlich, die Mehrheit der Teilnehmer bestand aus Doktoranden. Insofern wäre ein unbeschwerter Austausch durchaus möglich gewesen, die Warenfülle des Marktes setzte dem allerdings Grenzen: Die Diskussionsfreude wurde durch die dichtgedrängte Folge der Vorträge beeinträchtigt - bereits am ersten Tag präsentierten zwölf Referenten ihre Arbeiten.

Hinzu kam, dass letztlich keine zeitliche oder inhaltliche Verzahnung der in den Sektionen zusammengestellten Vorträge erkennbar war. Um im Bild des Marktplatzes zu bleiben: Die Beiträge dieses Forums purzelten meist wie Kraut und Rüben durcheinander. Die starke thematische Streuung schränkte die schon zeitlich limitierten Diskussionsmöglichkeiten weiter ein, häufig kam es nur zu einem Dialog unter Gourmets. Bedauerliche Nebenfolge war, dass Methodendiskussionen unter der Einbeziehung neuerer theoretischer Strömungen in den Geschichts- und Sozialwissenschaften weitgehend ausblieben.

Thematisch gab das diesjährige Treffen ein repräsentatives Bild der rechtshistorischen Forschung ab: Zivilrechtsgeschichtliche Themen dominierten, während die Geschichte des öffentlichen Rechts und vor allem die Strafrechtsgeschichte wenig vertreten waren. Sehr deutlich spiegelte sich auch die starke Stellung des 19. Jahrhunderts in der Rechtsgeschichte wider. Neben dem Presserecht der Habsburgermonarchie im Zeitalter des Neoabsolutismus (Thomas Olechowski, Wien) waren die Behandlung des Strafrechts in der ungarischen Presse des 19. Jahrhunderts (Szilvia Bató, Szeged/Ungarn) und "Klatsch" als Kommunikationsform der Wissenschaft (Michael Wieczorrek, Frankfurt am Main) Gegenstand von Vorträgen.

Mit den bisher kaum untersuchten Auswirkungen der Industrialisierung auf das Recht beschäftigten sich gleich drei Referenten, die aktuelle oder ehemalige Mitglieder der Nachwuchsgruppe am Frankfurter Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte sind: Georg Rasche (Frankfurt am Main) stellte die Auseinandersetzungen über die Einrichtung von Sondergerichten vor. Aufgrund des immer mehr offenbar werdenden Mangels an Sachkompetenz der Richter sollten diese mit technischen Sachverständigen besetzt werden. Tilmann Röder (Berlin) behandelte in seinem Referat internationale Harmonisierungsbestrebungen im Versicherungsrecht am Beispiel der Einführung einer einheitlichen "Erdbebenklausel" in Feuerversicherungsverträge. Grenzüberschreitende Vereinbarungen standen auch im Mittelpunkt des Vortrags von Margrit Seckelmann (Speyer). Sie zeichnete die Debatten um die Einrichtung der "Internationalen Union für den Schutz des gewerblichen Eigentums" und deren Rezeption in der Patentgesetzgebung des Deutschen Reiches nach.

Unter den Referenten zur antiken Rechtsgeschichte sind Philipp Scheibelreiter (Wien) und Kaius Tuori (Helsinki) hervorzuheben: Während Scheibelreiters solider Beitrag dadurch auffiel, dass er mit der Untersuchung des delisch-attischen Seebunds die sonst eher vernachlässigte altgriechische Rechtsgeschichte behandelte, glänzte Tuori mit einem stilistisch und inhaltlich eleganten Vortrag. Im Mittelpunkt stand Quintus Mucius Scaevola Pontifex, der im 1. Jahrhundert v. Chr. als Erster die Materie des römischen Zivilrechts systematisch geordnet haben soll. Tuori gelang es, diesen im 19. Jahrhundert entstandenen Mythos zu entzaubern, indem er nachwies, dass Scaevolas Einfluss vor allem auf seiner praktischen Tätigkeit als Jurist beruhte.

Erfreulich war, dass mit dem in der Sattelzeit angesiedelten Thema Lars Hendrik Riemers (Frankfurt am Main) das sonst eher unterrepräsentierte 18. Jahrhundert in der letzten Sektion noch einmal vertreten war. Er berichtete über die Arbeit der preußischen Gesetzkommission, die den ersten Versuch in Preußen darstellte, Gesetzgebung in Form eines permanenten Gremiums einheitlich und dauerhaft zu institutionalisieren. Den Abschluss des Vortragsteils bildete die souveräne, wenn auch eher formaljuristisch geprägte Präsentation von Julia Piffl (Wien): Sie stellte ihr Dissertationsprojekt zur Rückabwicklung arisierten Vermögens nach dem dritten österreichischen Rückstellungsgesetz vor. Besonderes Augenmerk legte sie auf die Rechtsfigur des "anständigen Erwerbers", mit der die Gesetzgeber dem unterschiedlichen Unrechtsgehalt des Erwerbs Rechnung tragen wollten.

Wer aufgrund des Tagungstitels eine Auseinandersetzung mit den aktuellen Debatten um die europäische Identität oder neue Erkenntnisse über das "alte Europa" erwartet hatte, kam nur bedingt auf seine Kosten: Längst nicht alle Vorträge ließen einen Bezug zum Rahmenthema erkennen - der Titel "Europa und seine Traditionen" bot sogar Platz für die Kodifikationskrise in Lateinamerika (Andres Gonzalez Watty, México City). Einzelne Referate griffen das Thema jedoch geschickt auf: Unter dem Titel "E pluribus unum" wies Thomas Wetzstein (Frankfurt am Main) nach, dass das römisch-kanonische Prozessrecht seit dem 12. Jahrhundert zunehmend eine gemeineuropäische Universalie wurde - bedingt durch den Modernisierungsdruck des Papsttums, das radikal eine Vereinheitlichung verfolgte. Als Beleg seiner These dienten Wetzstein die Akten der Kanonisationsprozesse, die trotz fehlender positiv-rechtlicher Regelungen einen weitgehend identischen Verfahrensablauf erkennen lassen. Eine eher gegenläufige Tendenz machte Nicole Grochowina (Jena) für die Frühe Neuzeit aus: Am Beispiel des Jenaer Schöppenstuhls zeigte sie, dass die Vormachtstellung des römischen Rechts nicht so umfassend war, wie vielfach angenommen. Mindestens bis zum 18. Jahrhundert hielten die Juristen des Schöppenstuhls am sächsischen Partikularrecht fest, rezipierten das römische Recht zwar, verwandten es aber nur subsidiär. Nach der Einheit aus der Vielfalt also die Vielfalt in der Einheit.

Weniger Zustimmung fanden die dezidiert auf das Tagungsmotto ausgerichteten Vorträge: Der Vorschlag Michaela Reinkenhofs (Leipzig) und der Philologin Rozália Bánóczis (Budapest), Latein als "juristisches Esperanto" zur Lösung des Sprachenproblems in der Europäischen Union zu nutzen, stieß auf Skepsis. Die Bedeutung von Lateinkenntnissen für die Rechtsgeschichte wurde selbstverständlich nicht bestritten; einige Teilnehmer äußerten jedoch Zweifel gegenüber der Forderung nach einer "europäischen Kommission zur Förderung der lateinischen Fachsprache" oder gar nach Pflichtlateinkursen für Jurastudenten, insbesondere weil die Referentinnen ihre Ideen schon im Vortrag selbst relativierten.

Ähnliche Reaktionen rief das enthusiastische Plädoyer Viola Heutgers (Utrecht) für ein gemeinsames europäisches Privatrecht hervor. Die damit einhergehende Verschiebung von Gesetzgebungskompetenzen von der nationalstaatlichen auf eine supranationale Ebene wurde als problematisch empfunden. Ebenso bedenklich erschien Heutgers rein affirmative Auffassung der Rechtsgeschichte, die sich in ihrem Eintreten für die Nutzung der Rechtsgeschichte als Beitrag zur europäischen Rechtsharmonisierung zeigte. Man konnte den Eindruck gewinnen, als solle das Fach hier wie ein Sonderangebot angepriesen werden. Hinzu kam, dass das Verhältnis zwischen historischer Rechtsvergleichung und vergleichender Rechtsgeschichte in Heutgers Referat undeutlich blieb.

Insofern griff das Forum eine für die aktuelle Situation der rechtshistorischen Forschung symptomatische Debatte auf. Angesichts der zunehmenden Einsparungen bei rechtshistorischen Lehrstühlen zugunsten aktueller juristischer Disziplinen scheint die Frage nach dem Nutzen der Rechtsgeschichte derzeit an vielen europäischen Universitäten wieder dringlicher zu werden. 3 Muß es aber Ziel auch einer solchen Nachwuchsveranstaltung sein, einen wissenschaftspolitisch motivierten Legitimationsversuch für das eigene Fach zu unternehmen? Einen überzeugenden Beitrag hierzu lieferte das Forum jedenfalls nicht. Statt dessen wurden bereits vielfach diskutierte Vorstellungen aufgewärmt, indem auch in der Abschlussdiskussion die Rechtsgeschichte zum Hilfsinstrument für die Schaffung eines paneuropäischen Rechts erklärt wurde. Zwar geschah dies nicht ohne Widerspruch, zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit diesen Ansichten kam es jedoch nicht.

Zur Beantwortung der Frage nach der Bedeutung der Rechtsgeschichte für das "neue Europa" wäre eine Reflektion der Veranstaltung selbst lohnenswert gewesen: Zu bedauern war zwar, dass der Marktplatz in diesem Jahr ein weniger breites Besucherspektrum anzog; die Teilnehmer stammten im Gegensatz zu den vergangenen Tagungen fast ausschließlich aus mitteleuropäischen Ländern. Durch seine Themenvielfalt und das Zusammentreffen verschiedener Schultraditionen repräsentierte das Forum dennoch in gewisser Weise das "neue Europa". So waren vielfältige Möglichkeiten zum Austausch und genügend Diskussionsstoff gegeben: Ein interessantes Themenfeld hätte gerade angesichts des Veranstaltungsortes zum Beispiel die Neuorientierung der rechtshistorischen Forschung in den ehemaligen Ostblock-Staaten nach der Wende geboten. Das Aufspüren verbindender Linien, aber auch die Gegenüberstellung verschiedener Forschungstraditionen sowie das Zulassen von Irritationen wären vielleicht zukunftsweisender gewesen als eine Fortsetzung der Suche nach dem Nutzen der Rechtsgeschichte.

1 Für die Informationen zur Gründungsgeschichte des Forums danken wir Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Stolleis, der maßgeblichen Anteil an der Organisation des ersten Treffens hatte.
2 Leitende Organisatoren waren Nadja El Beheiri (Universität Pázmány Pétér, Budapest) sowie Béla Szabó (Universität Debrecen).
3 So widmen sich beispielsweise die nächsten beiden Ausgaben der Zeitschrift Rechtsgeschichte eben diesem Thema. Unter der Leitfrage "Wozu Rechtsgeschichte?" werden Beiträge von internationalen Rechtshistorikern zur Diskussion gestellt.

http://www.jak.ppke.hu/fjr/
Redaktion
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Land Veranstaltung
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Englisch, Deutsch, Hungarian
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