Nation and Modernity: The East European Metropolis (1890-1940)

Nation and Modernity: The East European Metropolis (1890-1940)

Organisatoren
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB); Deutsches Historisches Institut Warschau (DHI Warschau) mit freundlicher Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.10.2008 - 24.10.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Sarah Bianchi / Dominik Scholz, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Trotz der allgemein guten Forschungslage in der Stadtgeschichte fand bisher der osteuropäische Raum und speziell die Frage, ob und wie sich osteuropäische Metropolen in das Konzept der europäischen Stadt integrieren lassen, wenig Beachtung. Die von JAN C. BEHRENDS (WZB) und MARTIN KOHLRAUSCH (DHI Warschau) organisierte und durch die Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung ermöglichte Tagung befasste sich mit dieser Frage. für den Zeitraum zwischen 1890 und 1940 stellte sie die Schlüsselbegriffe „Metropole“, „Nation“ und „Modernität“ ins Zentrum der Diskussion. Die soziale Frage, ethnische Konflikte und die Debatte über die Modernität osteuropäischer Metropolen standen im Zentrum des Berliner Teils der Tagung, deren Ergebnisse vom 15.-16. Mai 2009 in einer zweiten Zusammenkunft in Warschau mit den Themen Stadtplanung und transnationale Kommunikation vertieft werden.

Nach konzeptionellen Überlegungen der Organisatoren präsentierte THOMAS MERGEL (HU Berlin) einleitende Bemerkungen zur osteuropäischen Metropole, die für ihn gleichzeitig einen Ort der Modernität als auch der Rückständigkeit und der Armut darstellte. Er wandte sich jedoch im Hinblick auf die Modernität dezidiert gegen eine kontrastive Gegenüberstellung von Ost- und Westeuropa, da diese nur allzu oft das Paradigma eines hohen Entwicklungsstands im Westen einerseits und einer Unterentwicklung im Osten Europas andererseits voraussetze. Vor dem Hintergrund ähnlicher Gemengelagen in Nord- und Südeuropa schlug Mergel stattdessen vor, besser von einem Gegensatz von Zentrum und Peripherie oder von forerunners und latecomers zu sprechen. Auch innerhalb westlicher oder östlicher Länder fänden sich, laut Mergel, für den untersuchten Zeitraum weiter und weniger weit entwickelte Städte. In Bezug auf die Rolle des Staates bestünden jedoch geographische Unterschiede, da die städtische Selbstverwaltung in Westeuropa weiter ausgebildet war als in Osteuropa, wo der Staat eine starke Position innehatte. Im russischen Imperium, der österreich-ungarischen Monarchie und im osmanischen Reich spielten Bürgertum und Zivilgesellschaft im Vergleich mit westeuropäischen Beispielen eine geringere Rolle. Einen weiteren Gegensatz zwischen ost- und westeuropäischen Metropolen sah Mergel in der ethnischen Zusammensetzung der Bewohner. Während die westlichen Großstädte im Untersuchungszeitraum eine homogenere Bevölkerungsstruktur aufwiesen, waren osteuropäischen Metropolen von ethnischer Heterogenität geprägt.

In der ersten Sektion “Social and Ethnic Conflict” thematisierte FAITH HILLIS (Yale University) „The Dark Side of Modernity: State, Society, and Political Cultures of Violence in Late Imperial Kiev“. Dabei ging sie von der These aus, dass Kiews politische Kultur und besonders seine sozialen Spannungen, Ausdruck von politischer Modernität seien; sie setzte sich somit von einer Vorstellung ab, welche die Rückständigkeit als eine maßgebliche Ursache für diese sozialen Spannungen betrachtete. Hillis hob dabei hervor, dass besonders rechtsradikale, natioanlistische und antisemitische Bewegungen Modernisierungsfolgen für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren verstanden - beispielsweise für die Mobilisierung zu Judenpogromen. Auch Jan C. Behrends problematisierte soziale Spannungen in seinem Beitrag „Oberserving Moscow’s Underclass. Reform Discourses before 1914“. Er stellte für die Stadt Moskau die Diskurse über die sozialen Reformen in der Zeit von 1890 bis 1914 in den Vordergrund, durch die soziale Probleme wie Wohnungsnot, Armenfürsorge oder Integration von Einwanderern angegangen werden sollten, die im Zuge des raschen Wachstums aufkamen. Hierbei zeigte er auf, dass die russischen Eliten im Fall von Moskau kulturelle Kontexte nicht berücksichtigten. So wurde beispielsweise ein auf Freiwilligenarbeit basierendes Sozialsystem aus dem deutschen Elberfeld nach Moskau transferiert, ohne die kulturellen Umstände zu berücksichtigen. Weder diese Armenfürsorge noch die nach 1905, mit Blick auf Amerika, entworfenen sozialen Reformen konnten die dringendsten Probleme lösen; diese Anstrengungen verdeutlichten vielmehr, wie wenig die urbanen Eliten über die ärmsten Schichten wussten. In seinem Kommentar erläuterte FELIX SCHNELL (HU Berlin) die Abhängigkeit städtischer Imaginationen von sozialen Gruppierungen, die diese entwerfen, und argumentierte, dass diese „dunklen Momente“ als integraler Bestandteil zur Moderne gehörten.

Im zweiten Panel der ersten Sektion problematisierte TANJA PENTER (HU Berlin) in ihrem Vortrag „From the Settlement Juzovka to the City of Stalino (Doneck) – The Becoming of a New Socialist Miners’ City during Stalin’s Five-year-plans of the 1930s“ das Mißverhältnis zwischen realer Existenz und stalinistischer Inszenierung am Beispiel der Stadt Juzovka, die ab 1924 Stalino hieß und seit 1961 Donetsk heißt. Die parteistaatliche Propaganda beschwor die rapiden sozialen Verbesserungen, den „sozialistischen Aufbau“ der Stadt und die Vorteile geplanter Industrialisierung. Penter wies jedoch darauf hin, dass die Realität in Stalino eine andere war: Die soziale Misere verschlimmerte sich und die stalinistische Planung veränderte kaum die Strukturen, die aus der imperialen Zeit stammten. Deshalb kann nicht von einem Bruch zwischen der imperialen und der stalinistischen Phase urbaner Entwicklung gesprochen werden. Der Neubeginn Beschränkte sich auf die Ebene der allgegenwärtigen Propaganda. Auch INES KOELTZSCH (FU Berlin) setzte sich mit der Konstruktion urbaner Wirklichkeit durch die Eliten auseinander. Sie untersuchte wie ethnische Gruppierungen durch die in Prag 1918, 1921 und 1930 stattfindenden Volkszählungen definiert wurden. Dabei wurde die Volkszählung von den Betreibern in ihrem urbanen Kontext interpretiert. Koeltzsch hob hervor, dass diese Volkszählungen als politisches Instrument fungierten um Identitäten zu bilden, wodurch das demographische Bild der Stadt politisch motiviert verändert wurde. DOROTHEE BRANTZ (TU Berlin) warf in ihrem Kommentar die Frage nach einer Theorie des urbanem Raums auf und problematisierte, inwieweit eine Definition von Modernität auf die unterschiedlichen Konzeptionen einer kapitalistischen und einer sozialistischen Stadt, wie sie am Beispiel Stalinos dargestellt wurden, eingehen kann.

In der zweiten Sektion „East European Modernism“ stand zunächst die städtische Planung im Vordergrund. STEVEN A. MANSBACH (University of Maryland) besprach in seinem Beitrag „Capital Modernism: Kauna’s Architecture for a New Lithuana“ die doppelte Funktion des Stadtumbaus in Kaunas: Einerseits sollte nach innen ein nationales Selbstverständnis transportiert werden und andererseits sollte er nach außen, auf internationaler Ebene, den demokratischen Fortschritt im neuen Litauen symbolisieren. In der praktischen Umsetzung unterschied sich die moderne Baukunst stark von der traditionellen, klassizistisch anmutenden Architektur von Kaunas. Ende der 20er Jahre manifestierten staatliche Bauwerke im modernen Stil, wie das zentrale Postamt, das Vertrauen in die nationale Politik und den Glauben an die Zukunft. DUBRAVKA STOJANOVIC (Universität Belgrad) unterstrich in ihrem Vortrag „Speed – Clutch – Break: The Modernization of Belgrade, 1890-1914“ das Fehlen eines kontinuierlichen Modernisierungsprozesses für die Stadt Belgrad in den Jahren von 1890 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Als hauptsächlichen Grund der diskontinuierlichen Entwicklung nannte sie Missmanagement. Zudem wies Stojanovic auf die antireformistische Haltung der politischen Eliten hin, die für sich einen Vorteil darin sahen, eine rückständige Stadt zu regieren. In seinem Kommentar verwies Martin Kohlrausch darauf, wie durch einen interdisziplinären Ansatz moderne Stadtplanungslösungen erklärt werden können. Er unterstrich, dass sich auch autoritäre Regime durch urbane Raumplanung zu legitimieren versuchten und warf für den Fall Belgrad, die Frage nach der Rolle einzelner Experten auf. Kohlrausch las weiterhin Kaunas’ architektonische Wandlungen als eine Art stilistische Modernisierung, bei der die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, die nationale Wiederbelebung einerseits und die nach außen sich offenbaren sollende Rolle von Modernität andererseits, zum Tragen komme.

In dem zweiten Teil dieser Sektion behandelte MARK D. STEINBERG (University of Illinois) die Thematik „Modernity as Mask: Reality, Appearance, and Knowledge on the Petersburg Street“. Zwar galt St. Petersburg als schönste Hauptstadt Europas, aber hinter der beeindruckenden Fassade verbargen sich miserable Lebensbedingungen in einer autoritär regierten und sozial segregierten Metropole. Steinberg stellte heraus, dass gerade in den Krisenzeiten von 1905 bis 1917 die Moderne als unlesbar und nicht entzifferbar wahrgenommen und ein linearer Fortschrittsgedanke von den urbanen Eliten Petersburgs in Frage gestellt wurde. Soziale Realitäten wurden literarisch durch Masken kaschiert, um den dunklen Wahrheiten der Moderne nicht auf den Grund zu gehen. Unlesbarkeit, Ungewissheit und Nichtwissen entwickelten sich demzufolge als Leitmotive des städtischen Journalismus zur Beschreibung von St. Petersburg. EVE BLAU (Harvard University) ging in ihrem Beitrag „Zagreb: City as Open Work“ der Frage nach, wie überhaupt planmäßiger Städtebau in einer durch anarchischen Wandel geprägten Stadt, wie dem kroatischen Zagreb, entstehen konnte. Dabei stellte sie die These auf, dass Zagreb eine eigene Form der Moderne entwickelte. Denn durch die geschichtlichen Wandlungen der kroatischen Metropole im 20. Jahrhundert – als Bestandteil der Habsburger Monarchie, dann des Königreiches Jugoslawien und schließlich des sozialistischen Jugoslawien – konnte keine normative Planung vollzogen werden; vielmehr begann dieser Prozess unter unterschiedlichen Voraussetzungen jeweils von Neuem. CLEMENS ZIMMERMANN (Universität Saarbrücken) stellte in seinem Kommentar in den Mittelpunkt, dass die theatrale Maskerade einer Stadt, wie Steinberg sie am Beispiel St. Petersburgs ausgeführt hatte, nur als mediale Erzählung erfahrbar war. Ferner stellte er zur Diskussion, wieweit Zagreb als Idealtyp nichtnormativer Planung gelten könne.

Insgesamt hat sich im Verlaufe der Tagung gezeigt, dass die Eingrenzung des zeitlichen Rahmens auf die Periode von 1890 bis 1940 sinnvoll gewählt war. Alle Beiträge konzentrierten sich auf diesen Zeitraum der Beschleuningung und des Wandels. Weitgehende Übereinstimmung herrschte ebenfalls in der Erkenntnis, dass die Rolle des Staates in osteuropäischen Metropolen von weit größerer Bedeutung war als in Westeuropa. Ausgiebig diskutiert wurde der Begriff der Moderne und die Problematik nachholender Modernisierung. Die Teilnehmer verwendeten dabei regional und zeitlich unterschiedliche Definitionen, die sich auf Bereiche wie Infrastruktur und Architektur oder kulturelle Konstrukte wie Identität, Zuversicht, Sicherheit und Zivilisiertheit bezogen. Mehrheitlich abgelehnt wurde die Konzeption der osteuropäischen Metropole als zurückgebliebenes Abbild der westlichen Großstädte zu Gunsten eines europäischen Gegensatzes zwischen Zentrum und Peripherie. Sinnvoll erschien den Teilnehmern die von den Organisatoren aufgeworfene Frage nach den Spezifika der osteuropäischen Metropole. Diese Debatte wird im Mai 2009 in Warschau beim zweiten Tagungsteil fortgesetzt werden.

Konferenzübersicht:

Introductory Remarks
Jan C. Behrends / Martin Kohlrausch

Introductory Lecture
Thomas Mergel: Reflections on the East European Metropolis

Panel I: Social and Ethnic Conflict

Faith Hillis: The Dark Side of Modernity: State, Society, and Political Cultures of Violence in Late Imperial Kiev.

Jan C. Behrends: Observing Moscow’s Underclass. Reform Discourses before 1914.
Commentary: Felix Schnell

Ines Koeltzsch: Practices of National Homogenization. The Census in Prague between the World Wars

Tanja Penter: From the Settlement Juzovka to the City of Stalino (Doneck) – the becoming of a New Socialist Miners' City during Stalin's Five-year-plans of the 1930s

Commentary: Dorothee Brantz

Panel II: East European Modernism

Dubravka Stojanovic: The Breaks of Modernity: The Case of Belgrade 1890/1914

Steven Mansbach: Capital Modernism: Kaunas's Architecture for a New Lithuania

Commentary: Martin Kohlrausch

Mark Steinberg: Modernity as Mask: Reality, Appearance, and Knowledge on the Petersburg Street

Eve Blau: Zagreb: City as Open Work
Commentary: Clemens Zimmermann