Migration in Museums: Narratives of Diversity in Europe

Migration in Museums: Narratives of Diversity in Europe

Organisatoren
Netzwerk Migration in Europa e.V.; International Council of Museums Europe (ICOM Europe); Centre de Documentations sur les Migrations Humaines
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.10.2008 - 25.10.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Patricia Deuser, Institut für Politikwissenschaft, Universität Leipzig

Die Konferenz „Migration in Museums: Narratives of Diversity in Europe“ organisiert vom Netzwerk Migration in Europa e.V., dem International Council of Museums Europe (ICOM Europe) und dem Centre de Documentations sur les Migrations Humaines stellte, wie CLARA AROKIASAMY (ICOM UK) betonte, eine Innovation in der Tagungslandschaft dar.

Sieben verschiedene Museen in Berlin boten den Raum für etwa 90 Museumsexpert/innen, Wissenschaftler/innen, Künstler/innen sowie Akteur/innen aus Vereinen, NGOs und staatlichen Institutionen, um kontrovers über das Phänomen „Museum“ im Spannungsfeld von Migration zu diskutieren. Gefördert wurde dieses Projekt durch den Hauptstadtkulturfond und die kooperierenden Berliner Museen.

Die Auftaktveranstaltung der Tagung fand unter dem Dach des Kreuzbergmuseums statt. In seinen einleitenden Worten ging der Direktor des Museums, MARTIN DÜSPOHL, auf die migrationsbewegte Geschichte Berlins und des Bezirks Kreuzberg ein. Von den französischen und böhmischen Siedlern des 18. Jahrhunderts, über die Gastarbeiter/innen , Vertragsarbeiter/innen und die Flüchtlinge der 1990er-Jahre haben sehr unterschiedliche Gruppen von Migrant/innen das Bild und Leben der Stadt geprägt. DÜSPOHL stellte den Auftrag des Museums heraus, Migrationsgeschichte nicht nur als Objekt zu präsentieren, sondern Menschen mit Migrationsgeschichte in die Arbeit des Museums einzubinden. Diesen Aspekt unterstrich auch GÜNTER PIENING (Beauftrager des Berliner Senats für Integration und Migration). Er kritisierte, dass das Museum als kulturelle Institution Migrant/innen nicht erreichen würde. Es gäbe zu wenige Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund, genauso mangele es an Kooperation mit Vereinen, Schule und Quartiersmanagement. Das Museum müsse sich durch mehrsprachige Angebote und interkulturelles Training kulturell öffnen und sich als partizipative Institution begreifen, als Ort lebendiger Diskussionen. Mit Blick auf die Zukunft sollte es jedoch keine Unterscheidung mehr zwischen Migrant/innen und Nicht-Migrant/innen geben, sondern die Menschen als Bürger Berlins und Europas verstanden werden. Die Projektpartnerin ANTOINETTE REUTER (Centre des Documentations sur les Migrations Humaines, Dudelange) betonte die Bedeutung der Konferenz als Reflektion über die in den letzten Jahren in großer Anzahl entstanden Migrationsmuseen. Es sei Zeit, einen Schritt zurückzutreten, um kritisch zu überprüfen, wie dieser Trend gesellschaftlich einzuschätzen ist. RAINER OHLIGER (Vorstandsmitglied des Netzwerk Migration in Europa e.V.) und UDO GÖßWALD (Präsident des ICOM Europe) gaben einen Überblick über Struktur und Ziele der Tagung und verdeutlichten, dass es hinsichtlich der Thematisierung von Migration in Museen noch viel zu tun gäbe. Insbesondere in Deutschland ließen Quantität und Qualität der Museen und Ausstellungen zur Migration zu wünschen übrig. Dem interdisziplinären Ansatz entsprechend wurde abschließend das sehenswerte Filmprojekt von WIEBKE PÖPEL und RAINER OHLIGER „Narratives of Diversity in Europe“ gezeigt, in dem Künstler/innen aus zehn europäischen Metropolen mit Witz und Ernst über ihre eigene durch Migrationserfahrungen geprägte Biographie sprechen.

Dem Thema der Tagung entsprechend waren auch die auf sieben verschiedene Workshops verteilten Teilnehmer/innen auf der Wanderung zwischen unterschiedlichen Berliner Museen: der Deutschen Kinemathek, dem Jüdischen Museum, dem Jugendmuseum Schöneberg, dem Kreuzbergmuseum, dem Museum Neukölln, dem Märkischen Museum und der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde.

In den dort stattfindenden Workshops wurden Erfahrungen, praktisches und theoretisches Wissen ausgetauscht. Die interdisziplinäre und interkulturelle Zusammensetzung der Workshops trug zu intensiven und kontroversen Diskussionen zu folgenden Kernaspekte: Inwiefern schaffen Transnationalisierung und Globalisierung neue Rahmenbedingungen für Ausstellungen und Narrationen? Welchen Herausforderungen sehen sich Museen gegenüber, um die Narrationen von Migrant/innen Teil bzw. Inhalt der Museen und der Ausstellungen werden zu lassen? Welches Potential und welche Fallstricke ergeben sich durch Migration-Mainstreaming sowie durch die Stärkung kultureller Pluralität in der Museumslandschaft? Welche Rolle kann das Museum in Bezug auf die Förderung politischer und kultureller Partizipation einnehmen? Können Museen die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in pluralen Gesellschaften befördern?

Diese strittigen Fragen ließen die Workshop-Moderator/innen eine Rolle zwischen Schiedsrichter und Talk-Show-Master einnehmen, wie der Soziologe und Workshop-Moderator JEROME KRASE anmerkte. So kam den Moderator/innen die Aufgabe zu, die „dynamic tension“ und das „polite disagreement“ (ebd.) in Workshop-Ergebnisse zu überführen, die am dritten Tag im Jüdischen Museum präsentiert wurden.

MARIA ROSA JIJON (Verein G2: Seconde Generazione, Rom), Sprecherin des Workshops „International, Transnational and Global Dimensions: New Frameworks for Narrating and Displaying“ stellte zunächst einige zentrale Fragen, mit denen sich Migrationsmuseen auseinandersetzen sollten: Welche Narrationen sollten sich in Museen wiederfinden, individuelle oder kollektive? Wer sollte über die Auswahl der Narrationen entscheiden? Wie kann man Migration überhaupt definieren? Sie kam zu dem Schluss, dass ein globalisiertes Museum globale Partnerschaften benötige und die Vernetzung mit Migrantengruppen. Jijon präsentierte als Fazit drei Vorschläge: Erstens sollte Partizipation ein Schlüsselaspekt der Gestaltung der Museen und Ausstellungen sein. Zweitens sollten Migrant/innen als Gestalter/innen (Kurator/innen, Wissenschaftler/innen) und Konsument/innen fungieren. Drittens sollte Migration sollte als globaler Aspekt präsentiert werden und die politischen, sozialen und ökonomischen Zusammenhänge aufzeichnen.

PADMINI SEBASTIAN (Immigration Museum Victoria, Melbourne) präsentierte die Ergebnisse des Workshops „Migrants Crossing Borders: In-Between – Mediation and Conflict”. Sie stellte als Diskussionspunkt das Spannungsverhältnis zwischen Präsentation und Selbstrepräsentation in Museen heraus. Hier sei die Gruppe zu dem Ergebnis gekommen, dass es vor allem um einen respektvollen und inklusiven Umgang gehen sollte. Ausstellungen sollten zu Diskussionen anregen, etwa um Partizipation und Staatsbürgschaft und diese nicht mit Debatten um kulturelle Vielfalt verwechseln. Als offenen Diskussionspunkt führte Sebastian die Frage an, wie mit kultureller Essentialisierung umgegangen werden sollte. Diese könne sowohl von Außen geschehen, als auch durch Selbst-Stereotypisierung. Welche Rolle soll und kann das Museum hier einnehmen? Es bliebe außerdem umstritten, inwiefern das Museum als neutraler, objektiver und sicherer Ort dienen kann. Neben diesen offenen Fragen, kam der Workshop zu dem Schluss, dass Ausstellungen, die auf Partizipation basierten, durchaus Teil eines gesellschaftlichen Heilungsprozesses sein können.

ZEYNAP TURAN (Middle East Center, Universität Pennsylvania) präsentierte vier verschiedene Ideen aus dem Workshop „Historical and Biographical Narratives: Catalysts for Communication?“ Erstens sei Migration kein Phänomen im luftleeren Raum, sondern sollte immer in einem weiteren Kontext betrachtet werden, der eine Vielfalt von Perspektiven zulässt, welche sowohl die Aufnahme- und Herkunftsregionen miteinbezieht. Zweitens bestehe immer die Gefahr der Exotisierung von Migrant/innen. Dem könne jedoch dadurch begegnet werden, indem Migration unter bestimmte Gesichtspunkten betrachtet werde, die gleichzeitig individuell und universell sind: z.B. Liebe, Partnerschaft, Arbeit. Drittens sei ein interdisziplinärer Zugang von großer Bedeutung, der Museumspraktiker/innen, Wissenschaftler/innen, Migrant/innenorganisationen und Künstler/innen zusammenbringt. Letztlich betonte Turan, dass kollektive wie auch individuelle Erzählungen gleichermaßen aufgenommen werden sollten, um Stereotypisierungen zu vermeiden und einen multiperspektivischen Blick zu ermöglichen. Ausstellungen hätten demnach nicht nur die Aufgabe, die Geschichten erfolgreicher Integration zu erzählen, sondern sich auch mit gesellschaftlichen Widersprüchen auseinanderzusetzen.

Auch DENIZ ÜNSAL (Department of Art Management, Istanbul Bilgi University), Sprecherin des Workshops „(Ex)change of Culture(s): Perspectives and Narratives“, betonte die wichtige Rolle des Migrations-Mainstreaming in Museen. Kultur(en) dürften nicht als etwas Exotisches, sondern müssten in ihrer gesamten gesellschaftlichen Reichweite dargestellt werden. Kulturelle Vielfalt sollte sich in den Management-Praktiken der Institutionen wiederfinden. Kultur in ihrer Offenheit und Dynamik würde nationale Narrative herausfordern oder in Frage stellen, gleichzeitig biete aber gerade der Bezug auf Kultur als Lebenspraxis und die Gemeinsamkeit dieser Erfahrung einen Ansatzpunkt, um das Zusammenleben in pluralen Gesellschaften zu fördern. In Ausstellungen könne diese Auseinandersetzung auf spielerische Art und Weise umgesetzt werden. Anhand individueller Migrationsgeschichten sollten Besucher/innen in die Lage versetzt werden, sich ihre eigene Didaktik zu schaffen und die Ausstellung als aktive Entdeckungsreise zu gestalten.

PAUL VAN DE LAAR (Historisches Museum Rotterdam/Universität Rotterdam), Sprecher des Workshops „Recognition, Empowerment and Participation: Inclusive History – Inclusive Museums“ äußerte eine sehr weitgreifende Kritik an der Institution Museum an sich. Gefordert wurde eine strukturelle Neuausrichtung des Museums. Es sollte als öffentlicher Raum begriffen werden und seine „romantische Arroganz“ (PETROS MARKARIS) ablegen. Das Museum müsste als Gruppenprozess begriffen werden, als Ort des Dialogs und der Partizipation. Was jedoch der Begriff „Partizipation“ bedeute, sei ohne eine politische Agenda nicht greifbar. Das Museum sei ein umkämpfter Ort, eingebettet in eine europäische Kultur, die durch Alltagsrassismen gekennzeichnet sei. Genauso wie die ICOM die Definition des Museums überdenken sollte, sollte sich das Museum dem multimedialen Zeitalter öffnen und eine neue Raumdefinition finden, die der Dynamik und Mobilität der Migration gerecht würden.

MARY STEVENS (University College London) und MARY BOUQUET (University College Utrecht) präsentierten die Ergebnisse des Workshops „Particular Narratives – Shared/Common Narratives – Universal Narratives“. Sie stellten zunächst ein von ISABELLE BENOIT (Musée de l´Europe) inspiriertes und im Workshop erweitertes Modell vor, welches die komplexe Vernetzung verschiedenster erinnerungspolitischer Akteur/innen in und um die Institution Museum herum zu fassen vermochte, um von dieser Basis ausgehend weiter zu diskutieren. Bouquet betonte, dass es Differenzen darüber gab, ob das Museum als „safe place“ angesehen werden könne und ob es der Ort sei, um plurale Identitäten zu diskutieren und auszustellen. Schließlich handele es sich bei dem Museum um einen Ort des Konsens‘, der die Aufgabe habe, Erfolgsgeschichten zu erzählen. Zwar könnten sich alte Museen für Neues öffnen, andererseits könnten neue Konzepte auch neue Möglichkeiten der Kommunikation schaffen. Bouquet nannte z.B. die Initiative „Born in Europe“ als ein mögliches Beispiel für eine neue Form von Migrationsmuseum.

MERETE IPSEN (Women´s Museum, Denmark), Sprecherin des Workshops „Migrants and Migration in Museums: How to institutionalize Migration History“, stellte drei wesentliche Fragestellungen heraus: Wie werden Migrationsgeschichten erzählt? Soll Migration als spezielles Thema behandelt oder in Form des Mainstreaming in weitere Themenfelder integriert werden? Wie kann die bislang weitgehend unsichtbare Migrationsgeschichte sichtbar gemacht werden? Ipsen stellte heraus, dass der anthropologische Aspekt der Migration betont werden müsse, indem das Kommen und Gehen als Teil menschlichen Alltagshandelns betrachtet wird. Migration sei Teil der nationalen Geschichte und deswegen müsse sich jedes Museum für Migrationsgeschichte öffnen, gleichzeitig mache es Sinn, das Migrationsmuseum als eigenständigen Typ zu begreifen. FIDELE MUTWARASIBO (The Immigrant Council of Ireland) machte abschließend zwei praktische Vorschläge. Erstens sollte das Museum eine neue Form annehmen. Es sollte ein offener Diskussionsraum sein, interdisziplinär und offen für alle. Zweitens sollte ein Fond eingerichtet werden, der die Ressourcen zur Verfügung stellt, um die Ideen der Menschen für die Repräsentation von Migration umsetzen zu können.

Während die Inhalte der Präsentationen im Gegensatz zu den Prozessen in den Workshops doch relativ frei von „dynamic tension“ und durch sehr ähnliche Kernfragen und Forderungen gekennzeichnet waren, erlaubten die kurze Diskussion nach den Workshops sowie die Podiumsdiskussion ein Aufgreifen der kritischen und strittigen Fragen. So wurde aus dem Publikum die Frage gestellt, warum sich Migrant/innen als „Aliens“ in Museen wiederfänden. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass Mainstreaming nicht die Lösung aller (Re-) Präsentationsfragen sein könne, oftmals sei es auch Ausdruck mangelnden Interesses an Minderheitengruppen. Aufgegriffen wurde auch die in den Workshop-Präsentationen geäußerte Kritik am Museum als geschlossener Raum. So erläuterte PETROS MARKARIS (Athen) dass genau dies der Grund sei, warum er Museen nicht möge: Sie seien im Gegensatz zu den Straßen und Räumen der Metropolen verschlossen und intransparent. Der Filmemacher SARJIT BAINS (London) bekannt sich dazu, dass er Museen oftmals ermüdend finde. Der Schriftsteller FOUAD LAROUI (Amsterdam) verkündete, dass er kein Teil eines Migrationsmuseums sein wolle und die Filmemacherin NEFISE ÖZKAL-LORENZEN (Oslo) kritisierte, dass Museen Gleichheit nur über die Ebene des Intellekts ermöglichten, aber das Herz außen vor ließen. Die Kritikpunkte unterstrichen die Relevanz der Forderungen, Anregungen und Ideen, die in den sieben Workshops gesammelt und diskutiert wurden. Sie bieten wesentliche Anknüpfungspunkte für zukünftige Debatten um Migration in Museen, sowie die damit einhergehenden Streitfragen um kulturelle Vielfalt, politische Gleichheit und Partizipation. Die Beiträge erscheinen in einem Sammelband.

Konferenzübersicht:

Welcome and Opening Remarks
Martin Düspohl (Director of the Kreuzberg Museum)
Günter Piening (Berlin Commissioner for Integration and Migration)
Antoinette Reuter (Centre de Documentations sur les Migrations Humaines)

Introduction to the topic and the conference
Rainer Ohliger (Board member of Network Migration in Europe e.V.)
Udo Gößwald (President of ICOM Europe)

Wiebke Pöpel (film director)
Short presentation of the film project "Narratives of Diversity in Europe"; 15 minutes preview (interview project with artists from 10 European metropolises)

Guided tours through respective museums for workshop participants
Seven parallel workshops with 12-14 participants each in seven participating museums:

Workshop: Session 1: Introduction and input statements of participants
Reception at the embassy of the Grand Duchy of Luxemburg; opening of photo exhibition “Little Italy in Luxemburg” by Christian Kandzia (architect, photographer, author)

Workshop: Session 2: Group discussions along set topics

Guided tours through respective museums for workshop participants

Workshop: Session 3: Group discussions along set topics

Concluding presentations of results from the seven workshops
Chair: Joachim Baur (Zeitgeschichtliches Forum Leipzig)

Concluding panel discussion: Cultural and Political Perspectives in Immigrant
Societies: Migration, Museums and Cultural Diversity
Sarjit Bains, Film maker, London
Fouad Laroui, Writer (Amsterdam)
Nefise Özkal-Lorentzen, Film maker, (Oslo)
Petros Markaris, Writer (Athens)
Chair: Udo Gößwald (ICOM Europe)

Public keynote lecture by Saskia Sassen (Columbia University, New
York) in the Jewish Museum Berlin: "Migrants Moving History" (in cooperation with
the Einstein Forum, Potsdam)
Chair: Rainer Ohliger, Network Migration in Europa e.V.


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts