Geschlechterkonflikte 14. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit

Geschlechterkonflikte 14. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Arbeitskreis Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.11.2008 - 08.11.2008
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Von
Georg Tschannett, Wien; Johanna Zigan, Aachen

Ausgehend von der europäischen „Querelle des femmes“ stellte sich die 14. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit vom 6. bis 8. November 2008 die Frage nach der Konflikthaftigkeit von Geschlechterbeziehungen und Geschlechterordnungen. Die Organisator/innen setzten sich zum Ziel, sowohl die mannigfaltigen Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern als auch innergeschlechtliche Konflikte in Form von Generationenbeziehungen zu thematisieren und boten insbesondere dem „wissenschaftlichen Nachwuchs“ eine Plattform zur Präsentation und Diskussion seiner Forschungsarbeiten. Die Fachtagung, bei der 14 Wissenschaftler/innen aus Geschichte, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft referierten, wurde in drei Sektionen zu je drei bis fünf Vorträgen mit anschließender Diskussion abgehalten.

CLAUDIA OPITZ (Basel) eröffnete die Tagung mit einem Abendvortrag über Marie de Gournays ‚Querelle‘-Traktate, wobei sie eingangs ihrer Verwunderung Ausdruck verlieh, dass bis heute die Gleichheitsdebatte innerhalb der frühneuzeitlichen Querelle des Femmes in keinem Handbuch zur politischen Theorie zu finden ist. Aber auch in der Forschung zur Querelles des Femmes fehle eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Wirkungsgeschichte der Gleichheitsdebatte, weshalb sie zu einem Rereading der klassischen Texte aufforderte. In ihrem Vortrag bezog sie sich exemplarisch auf Marie de Gournays Abhandlung „De l`Egalité des Hommes et des Femmes“ (1622). Auf den ersten Blick falle dabei Gournays Konzeption der „Egalité“ nicht aus dem Rahmen der klassischen Querelles-Abhandlungen: Gournay nimmt Bezug auf die Bibel, die Kirchenväter, nennt Beispiele aus der Antike und stellt „große“ Frauen der Geschichte vor. Ihr Verdienst ist indes, laut Claudia Opitz, dass sie weder die Inferiorität noch die Superiorität der Frau, wie in den meisten der Querelle-Streitschriften, gegenüber dem Mann zu betonen versucht, sondern dass sie die Gleichheit der Geschlechter hervorhebt. Die originellen Kernthesen Gournays sind, dass es keine angeborenen Verschiedenheiten – abgesehen von den Reproduktionsorganen - zwischen Männern und Frauen gibt, dass die Differenzen durch die unterschiedliche Erziehung hervorgerufen werden und es genauso viele Unterschiede zwischen Frauen verschiedener Stände und Länder gibt, wie zwischen Männern und Frauen. Besonders Gournays naturphilosophischer Ansatz, dass die Erziehung die sexuelle Differenz erzeugt, klingt modern und sollte laut Claudia Opitz besonders betont werden. Gournay setze eine ironische Ausdrucksweise ein, und decke einen falschen männlichen Herrschaftsanspruch auf, da sich dieser auf körperlicher Überlegenheit begründe, wenn sie beispielsweise von männlicher „Tyrannei“ spreche – ein Ausdruck, der zeitgenössisch für „illegitime“ Herrschaft stand. Wichtiger aber noch als die inhaltliche Dimension sei die Inszenierung der Schrift als Plädoyer vor einem Gericht, bei dem die Bibel, die Kirchenväter und die wichtigen Philosophen aus Antike und Gegenwart als Zeugen aufgerufen werden für die Gleichheit der Geschlechter, wobei Gournay selbst – wie schon im Vortragstitel hervorgehoben wurde – als „Anwältin der Gleichheit“ auftritt und mit einer offenen Frage am Ende der Abhandlung einem interessierten Lesepublikum gleichsam die Rolle des Richters zuweise. Wenn also Marie de Gournay mit ihren Schriften keinen unmittelbaren Erfolg erzielt habe, so habe sie (und das gilt im Prinzip auch für andere Querelle-Autorinnen und Autoren) immerhin an der Genese eines Publikums mitgewirkt, das im Sinne von Habermas` “Strukturwandel der Öffentlichkeit“ für die Genese moderner politischer Öffentlichkeit und Kultur unverzichtbar und langfristig enorm wirkungsvoll war.

Den Auftaktvortrag der ersten Sektion „Konflikt-Inszenierung und -Tradierung“ hielt LAURA BRANDER (Bamberg). An den Beispielen Mathilde von Tuszien und Urraca von Kastilien zeigte sie, unter welchen Umständen Frauen Herrschaft übernehmen und ausgestalten konnten. Eine verheiratete Frau war Mitglied zweier Familien, nämlich ihrer „Herkunfts-“ und ihrer „Ankunftsfamilie“, wie Laura Brander sie nennt. Die Frau hatte hier eine Wahlmöglichkeit: Wollte sie sich in die neue Familie integrieren oder ihrer „Herkunftsfamilie“ treu bleiben? Sie konnte durch die Integration in die neue Familie in dieser als Identitätsstifterin auftreten, diese prägen und zu deren Selbstverständnis beitragen. Mathilde von Tuszien und Urraca von Kastilien stellten die Interessen ihrer Herkunftsfamilien deutlich über die der Ankunftsfamilien. Beide herrschten aus eigenem Recht über Ländereien, die sie in der weiblichen Linie geerbt hatten. Beide Frauen bezogen ihre Identifikation und ihre Herrschaftsrechte aus ihrer Herkunftsfamilie. Abschließend stellte Laura Brander fest, dass beider Ehen scheiterten (die Konflikte werden von den Quellen nicht verschwiegen) und getrennt bzw. annulliert wurden. Inwieweit das in Zusammenhang mit der Entscheidung für das politische Leben als Töchter der Herkunftsfamilie und nicht als Ehefrauen der Ankunftsfamilie steht, ist laut Laura Brander durch weitere Forschung zu erhellen.

ANNIKA BEIFUSS (Tübingen) analysierte englische Huldigungstexte des 17. Jahrhunderts, die, wie sich im Laufe des Vortrags herausstellte, wohl besser als Widmungen zu bezeichnen sind. Einleitend führte sie aus, dass der Autor oder die Autorin eines Textes und die Person, an die er oder sie die Widmung richtete, durch ein Machtgefälle miteinander verbunden sind. Innerhalb dieser spezifischen Konstellation muss der Autor oder die Autorin seinem Gegenüber (Mäzen/in) einerseits schmeicheln und andererseits seine Autorschaft behaupten. In diesem komplizierten Drahtseilakt zwischen den gleichzeitig zu schaffenden Gesten der Unterwerfung und der Selbstbehauptung liegt laut Annika Beifuss die Kunst der Huldigung. Die Rhetorik der Huldigung ist von vornherein umstellt von sozialen und verbalen Tabus, von Normenerwartungen und Normverstößen, bei denen die Frage des Geschlechts des Adressaten und des Autors, sowie die stillschweigende Präsenz der Leser eine zentrale Rolle spielen. Der Autor oder die Autorin der Widmung wird durch Unterwürfigkeit und Abhängigkeit feminisiert, während der Adressat oder die Adressatin in seiner oder ihrer Machtposition den geschlechtsspezifischen Asymmetrien enthoben zu sein scheint. Als Exempel für diese These stellte Annika Beifuss einen Huldigungstext von Ben Jonson an die Countness of Bedford und einen Huldigungstext von Aemilia Lanyer an die Ladie Anne, Countesse of Dorcet vor.

JENNIFER VILLARMA (Kassel) beschäftigte sich mit Geschlechterkonflikten in deutschsprachigen Amazonen-Werken des 17. und 18. Jahrhunderts. Amazonen, das Sinnbild für starke und unabhängige Frauen, stellen aus männlicher Perspektive eine „verkehrte Welt“ dar. Jennifer Villarama interessierte dabei besonders, wie Geschlechterkonflikte und Geschlechterverhältnisse zwischen Amazonen und ihren männlichen Gegnern in der deutschen Barockliteratur dargestellt worden sind. Als Beispiele zog sie zunächst den Text eines anonymen Autors, „Herkules“ (1714), heran. In diesem Singspiel geht es um den Geschlechterkampf zwischen der Amazonenkönigin Antiope und dem Helden Herkules. Antiope nutzt eine für Amazonen untypische Kampfstrategie und setzt ihre körperliche Attraktivität ein, um Herkules für sich zu gewinnen. Herkules, der ihren weiblichen Reizen unterliegt, erhält ein Spinnrad und verrichtet als Liebesbeweis „Weiberarbeit“. Am Ende wird diese „verkehrte Welt“ wieder aufgehoben und der männliche Held dominiert über das weibliche Geschlecht. Das zweite von Jennifer Villarama herangezogene Textbeispiel ist insofern ungewöhnlich, als die „Amazonische Smyrna“ eine innergeschlechtliche Konfliktsituation thematisiert. Die Amazonenprinzessin rebelliert gegen die Herrschaft ihrer Mutter und stellt sich öffentlich gegen den von ihrer Mutter für sie ausgewählten Ehemann. Die „verkehrte Welt“ des Amazonenstaates wird am Ende nicht aufgehoben, sondern von den siegreichen und großmütigen Trojanern akzeptiert. Gemeinsam ist beiden Texten, so das Fazit von Jennifer Villarma, dass nur die Amazonen kritisiert werden und ihr Weiblichkeitsentwurf getadelt wird. Die Handlungsspielräume starker Frauen könnten nur solange bestehen, wie sie ihnen von Männern eingeräumt werden.

Den letzten Beitrag dieser Sektion hielt IRIS WIEN (Frankfurt), die Joshua Reynolds mythologische Rollenbilder der 1760er-Jahre analysierte. In der zeitgenössischen Kritik fanden Reynolds’ Bildnisse wenig Anerkennung und auch die kunsthistorische Forschung schätzte sie gering. Nach der Mythoskritik der Frühaufklärung, so Iris Wien, erschien die mythologische Einkleidung weiblicher Modelle der englischen Aristokratie unzeitgemäß. Iris Wiens These ist, dass Reynolds auf diese Weise Stellung zur Geschlechterdebatte nahm. Analog zu zeitgenössischen englischen literarischen Werken des 18. Jahrhunderts, in denen Parodien auf das weibliche Geschlecht keine Seltenheit waren, stellte die Referentin die Frage, ob es in Reynolds’ mythologischen Bildnissen nicht um mehr als das Spiel mit der Rolle als gewagtes Kompliment an die Dargestellte ging. Denn besonders in seinem Bildnis „Lady Annabelle Blake as Juno“ bewegt sich Reynolds am Rande des guten Geschmacks, wenn er die frisch verheiratete Lady Blake mit dem Gürtel der Venus, den sie von Juno überreicht bekommt, darstellt. Ebenso das Bild „Lady Cockburn and her three eldest sons“, in dem ein Papagei, in der Antike das Symbol des geistlos plappernden Redners, beinahe lüstern zu der Lady hinüberschaut. Iris Wien konstatierte am Ende ihres Vortrages, dass Reynolds Bildnisse, vor dem Hintergrund der Geschlechterdebatte betrachtet, sich nicht in ihrer Portraitfunktion erschöpften, sondern im Ambiente der Adelssitze, für die sie gemalt wurden, unmissverständlich Stellung nahmen. Mit der Inanspruchnahme des antiken Mythos sollten in ironischer Umkehrung „moderne“, also zeitgemäße weibliche Geschlechterrollen festgeschrieben werden.

In der Sektion „Ehekonflikte als Herrschaftskonflikte“ befassten sich drei Vorträge mit der Lebenswelt adeliger Frauen und Männer. MICHAELA HOHKAMP (Berlin) eröffnete die Sektion mit einem Plädoyer, Geschlechter- und Herrschaftskonflikte strukturell aufeinander zu beziehen – ähnlich wie dies auch schon Laura Brander tags zuvor gezeigt hatte. Anhand einer exemplarischen Analyse des Ehekonflikts zwischen Anna von Württemberg und Philipp Graf von Katzenelnbogen, deren Ehe 1456 mit einer Trennung von Tisch und Bett endete, zeigte die Referentin die zentrale Bedeutung von Verwandtschaft und damit Geschlecht im Adel. Adelige Frauen mussten in den Heiratsverträgen den sogenannten „Fräuleinsverzicht“ leisten, d.h. auf das väterliche, mütterliche und brüderliche Erbe verzichten. Taten sie das nicht, so konnte, wie im Ehekonflikt zwischen Anna von Württemberg und Philipp Graf von Katzenelnbogen, eine Testamentsänderung der Herkunftsfamilie der Ehefrau Auswirkungen auf die Ehe haben. Der Scheidung des adeligen Paares war nämlich eine Testamentsänderung der Mutter Annas von Württemberg vorausgegangen, nach welcher der Ehemann nicht mehr erwarten konnte, in den Besitz und damit die Herrschaftsrechte der Württemberger zu kommen. Die Gründe des Ehekonfliktes seien also nicht zuletzt in den paradoxen Strukturen der zeitgenössischen Rechts- und Geschlechterverhältnisse zu finden. Zudem verweise der Konflikt zwischen Anna von Württemberg und Phillip Graf von Katzenelnbogen auf die widersprüchliche Position einer verheirateten Schwester im Kontext des spätmittelalterlichen Gütertransferprozesses.

CAROL NATER (Fribourg) referierte über einen sich im Umfeld des päpstlichen Hofes abspielenden „Ehekonflikt“. Den Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen bildeten macht- und finanzpolitische Auseinandersetzungen zwischen den Familien Colonna und Barberini im Rom des 17. Jahrhunderts. Im Speziellen befasste sich die Referentin mit diversen Auseinandersetzungen, die sich unter anderem aus der Korrespondenz des Ehepaars Anna Donna Colonna und Taddeo Barberini, einem Neffen von Papst Urban VIII. sowie aus der Korrespondenz von Anna mit ihrem Vater rekonstruieren lassen. Carol Nater wies darauf hin, dass zwischen den offiziellen Rollenzuschreibungen an Anna Donna Colonna und der in den untersuchten Briefen aufscheinenden Lebenswelt eine Diskrepanz festzustellen sei. Die Briefe von Anna Donna Colonna, so die Referentin, zeugen in der Regel von einem konfliktreichen Verhältnis der beiden Familien und geben Aufschlüsse über die problematische Position von Anna Donna Colonna als Bindeglied zwischen den Familienclans. Carol Nater charakterisierte die von ihr untersuchten Auseinandersetzungen nicht als Ehekonflikt, sondern als einen Konflikt, der sich zwischen zwei Familien abspielte, und plädierte dafür, zeittypische und traditionsbedingte Faktoren in die Untersuchung von Geschlechterkonflikten einzubeziehen.

Den letzten Vortrag der Sektion hielt KARIN IFFERT (Magdeburg). Sie präsentierte den aktuellen Stand ihrer Dissertation, die sich mit „Trennungen und Scheidungen in deutschen Adelshäusern des 18. und 19. Jahrhunderts“ in Sachsen und Sachsen-Anhalt beschäftigt. In ihrer Untersuchung geht es darum, einen Einblick in die Alltagsgeschichte des deutschen Adels zu erhalten sowie die Konfliktlösungs- und Handlungsstrategien von Männern und Frauen zu analysieren. Ein zentrales Interesse gilt den Geschlechter- und Rollenbildern in der adeligen Lebenswelt. Gleichzeitig interessierte sich die Vortragende dafür, von wem ein Scheidungsverfahren ausging bzw. eingeleitet wurde und wie sich die Eheleute während des Verfahrens verhielten. Neben den Akten, die im Zusammenhang mit Scheidungsverfahren von den zuständigen Institutionen produziert wurden, bezieht Karin Iffert auch private Dokumente aus Familien- bzw. Herrschaftsarchiven in ihre Studie ein. Die Heterogenität des Quellenkorpus erlaube es, so die Referentin, einen Einblick in die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen adeliger Ehepaare zu erhalten.

Im Abendvortrag lud FRIEDERIKE HASSAUER (Wien) dazu ein, über mögliche Theoriepotentiale der „Querelles des femmes“ nachzudenken. Hierzu formulierte sie drei Ziele. Zunächst gelte es die Manifestation und Funktion der Quellen auf historischer und systematischer Ebene zu hinterfragen. Die Querelles sollte nicht mehr über Gegenstände, sondern über Strukturen definiert werden. In Anlehnung an Foucault könnten sie als Dispositiv bezeichnet werden. Als Arbeitsdefinition legte Friederike Hassauer fest, dass die Querelles ein Bündel von diskursiven Praktiken und die kohärente Form eines kommunikativen Prozesses seien. In diesen Überlegungen stellte die Vortragende drei Arbeitsziele auf: Semantik und Ordnung des Wissens, Semantik und Ordnung der institutionalisierten und repräsentativen Gestalt, sowie die Semantik und Ordnung der identitären Gestalt des Subjekts. Sie stellte fest, dass es an abstrakten Differenzierungsverfahren mangelt und dass die Komponenten der Öffentlichkeit und symbolischen Ausstattung stärker berücksichtigt werden müssen. Letzteres versuchte Friederike Hassauer über eine systematische Konzeption von Rangstreit unter Bezugnahme auf die Luhmannsche Systemtheorie anzudenken. Frühneuzeitliche Gesellschaften, die über keine funktionale Ausdifferenzierung verfügten, hätten, so Friederike Hassauer, einen hohen Bedarf an „Ausstreiten“, was die Vitalität der Querelles verständlich machen. Der Forschung böte die Querelles schließlich eine gute Möglichkeit, um die Kategorie „Gender“ sowohl historisch wie systematisch zu überdenken.

Die Sektion über „Häusliche Konflikte“ leitete ANNETTE CREMER (Gießen) ein. Sie befasste sich mit der Puppenstadt „Mon Plaisir“ der verwitweten Auguste Dorothea von Schwarzburg Arnstadt und stellte die Frage nach einem Wechselverhältnis zwischen dem normativen Konzept des Witwenstandes und der visuellen Repräsentation der verwitweten Herrscherin. In methodologischer Hinsicht wandte die Vortragende den geschlechtergeschichtlichen Ansatz der Intersektionalität an und versuchte die Verwobenheit und das Zusammenwirken verschiedenster Differenzkategorien in ihrer Analyse zu berücksichtigen. Annette Cremer rekonstruierte den an verwitwete Frauen gerichteten Verhaltens- bzw. Normenkatalog durch die Analyse zeitgenössischer Traktatliteratur. In der Zusammenschau der normativen Richtlinien bzw. Vorgaben mit der Puppenstadt „Mon Plaisir“ ergebe sich eine auffallende Diskrepanz. Auguste Dorothea von Schwarzburg Arnstadt inszeniere sich in „Mon Plaisir“ als gläubige Frau und Landesfürstin denn als Witwe. Auch die Erinnerung an ihren verstorbenen Ehegatten, so die Vortragende, fände in den Darstellungen der Puppenstadt keinen Platz. Die Puppenstadt, in der Auguste Dorothea von Schwarzburg Arnstadt ihr Selbstverständnis als autarke Fürstin demonstriere, sei als eine „weibliche Machtdarstellung in Miniaturformat“ zu lesen.

PAOLA CIMINO (Basel) beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit „Vater-Sohn-Konflikten in schweizerisch-großbürgerlichen Unternehmerfamilien um 1800“. Den Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen bildete die Frage danach, auf welche Art und Weise innergeschlechtliche Konflikte in großbürgerlichen Familien thematisiert und ausgetragen wurden. Zudem zielte die Vortragende auf eine Rekonstruktion von Männlichkeitsbildern während der Sattelzeit ab. Als Quellen dienten ihr primär der Briefwechsel zwischen Söhnen und Vätern, der sich ergab, wenn die Familien der städtischen Führungsschicht ihre Söhne auf eine Reise quer durch Europa schickten. Die Aufenthalte im Ausland sollten der „Lebensschulung“ und der sozialen Netzwerkbildung dienen. Am Beispiel des Briefwechsels zwischen David Nüscheler und seinem Vater Johann Conrad zeigte die Vortragende zentrale Eckpunkte von großbürgerlichen Vater-Sohn-Beziehungen und die sich daraus ergebenden Konfliktfelder. Ihre Analyse ergab, dass der Sohn die an ihn herangetragenen Erwartungen erfüllte, sich aber gleichzeitig als „Melancholiker“ mit durchaus depressiven Zügen gerierte. Wie Paola Cimino in ihrem Resümee festhielt, trug David Nüscheler den Konflikt mit seinem Vater nicht an der manifesten Oberfläche der Briefe aus, sondern verarbeitete die innergeschlechtlichen Auseinandersetzungen durch seine Zuwendung zur Religion und zum Glauben.

EVELYNE LUEF (Wien) wandte sich in ihrem Vortrag der (häuslichen) Konfliktaustragung vormoderner Gesellschaften zu, wie sie in österreichischen Niedergerichtsprozessen des 18. Jahrhunderts ihren Niederschlag fanden. Beschäftige man sich mit häuslicher Gewalt, so die Referentin, geraten oftmals Handlungen in das Blickfeld, die – im Gegensatz zur gegenwärtigen Rechtsauffassung – in der Frühen Neuzeit keine Straftat darstellten. Indem der Hausvater über ein Züchtigungsrecht verfügte, das auch körperliche Gewalt einschloss, war die Grenze zwischen potestas und violentia fließend. Mit einem Verweis auf Michaela Hohkamps Forschungen in diesem Themenfeld betonte Evelyne Luef, dass die Einschätzung, wann das legitime Züchtigungsrechts überschritten war, vom Kontext abhing. Anhand der Präsentation von drei vor Gericht verhandelten Prozessen schilderte Evelyne Luef einerseits die Kontexte, innerhalb derer häusliche Gewalt thematisiert bzw. angewandt wurde, andererseits den obrigkeitlichen Umgang mit den vor Gericht stehenden Ehepaaren. Bei der Schilderung der häuslichen Gewalt, so die Vortragende in ihrem Resümee, stehe die Kategorie der Erfahrung im Vordergrund. Sie plädierte mit Joan W. Scott dafür, Erfahrung nicht als unhinterfragbare Wahrheit zu betrachten und forderte dazu auf, nach den gesellschaftlichen Vorbedingungen von Erfahrungen zu fragen.

In ihrem Vortrag über „Eheanbahnung und Ehealltag im frühneuzeitlichen Münster“ befasste sich SIMONE LAQUA-O’DONNELL (Cambridge) mit den Erwartungen, die die jeweiligen Ehepartner/innen an eine Ehe hatten. Weiters interessierte sie sich dafür, wie das münsteranische Stadtgericht des 17. Jahrhunderts das „Problem“ der vorehelichen Sexualität handhabte. Simone Laqua-O’Donnell wies darauf hin, dass die tridentinischen Dekrete den Geschlechtsverkehr im Kontext einer Eheanbahnung verboten. In der ehegerichtlichen Praxis des münsteranischen Stadtgerichts, das neben dem kirchlichen Offizialat für die Verhandlungen dieser Form von illegitimer Sexualität zuständig war, zeige sich jedoch ein anderes Bild. Das Stadtgericht setzte die tridentinischen Dekrete lediglich zum Teil um und sanktionierte voreheliche Sexualität in der Regel mit Geldstrafen. Im weiteren Verlauf ihres Vortrages beschäftigte sich Simone Laqua-O’Donnell mit den Konfliktfeldern, die die Ehegatt/innen vor dem Stadtgericht aufmachten, um eine Trennung von Tisch und Bett zu erwirken. Abschließend betonte die Referentin, dass die Eheleute von ihrem jeweiligen Gegenüber in der Regel ein der zeitgenössischen Geschlechterkonzeption entsprechendes Verhalten erwarteten.

Im letzten Vortrag referierte WIEBKE JENSEN (Göttingen) über Alimentationsprozesse gegen Studenten im Göttingen des 19. Jahrhunderts. Die zentrale Frage ihres Vortrags lautete, ob durch die Machtstrukturen und Herrschaftsverhältnisse vor dem Göttinger Universitätsgericht die Geschlechterordnung nicht eher gefestigt als verhandelt wurde. Das Problem, vor das die meisten Studenten sich gestellt sahen, war, dass sie oft aus nicht wohlhabenden Familien stammten, aber unter Entbehrungen der Angehörigen zum Studium geschickt wurden, um später als Arzt oder Jurist der Familie Ehre zu machen und vorteilhaft zu heiraten. Dennoch gingen die Studenten vor Ort durchaus sexuelle Beziehungen ein und verleugneten diese meist auch nicht, wenn sie wegen illegitimer Vaterschaft vor Gericht zitiert wurden. Vielmehr kam es hier in der Regel zu einem Vergleich. Wiebke Jensen vermutete, dass die Männer Wert darauf legten, die ganze Angelegenheit möglichst schnell und ohne viel Aufhebens hinter sich zu bringen. Außerdem scheint es einen Konsens gegeben zu haben, dass solche Schwangerschaften „eben vorkamen“. Die eingangs gestellte Frage, was diese Alimentationsprozesse für die Geschlechterordnung bedeuteten, griff Wiebke Jensen zum Schluss wieder auf und beantwortete sie so: Diese wurde gefestigt, weil sich alle Beteiligten an die gesellschaftlichen Normen hielten. Die typischen Rollenmerkmale wurden genutzt, um die eigene Position zu stärken.

Im Unterschied zu den Erwartungen der Veranstalterinnen führte das Tagungsthema „Geschlechterkonflikte“ in den meisten Vorträgen zunächst sehr direkt auf Konflikte zwischen Männern und Frauen; Konflikte innerhalb der Geschlechtergruppen stärker zu fokussieren war die Ausnahme bei den hier präsentierten Forschungen. Doch erweiterten sich die Ehestreitigkeiten durch ihre Bezugnahme auf Herrschafts-, Verwandtschafts-, Erb- und Familienkonflikte und zeigten damit gleichzeitig nochmals die grundlegende Bedeutung der Kategorie „Geschlecht“ für alle Bereiche der Frühneuzeitforschung auf. In der Abschlussdiskussion wurde der interessante interdisziplinäre Austausch hervorgehoben, der schon im Tagungskonzept angelegt war, sich dann aber in den Vorträgen und Diskussionen als sehr fruchtbar erwies. Ausgehend von den im Kontext von Ehekonflikten beschriebenen Einzelschicksalen stellten sich einige Tagungsteilnehmer/innen die Frage, wie Leid und Glück in der Vergangenheit greifbar und verständlich gemacht werden könne – wie also „Erfahrung“ strukturell und quellenmässig greifbar gemacht werden könne, eine Frage, die in einer der kommenden Tagungen aufgegriffen werden sollte. Die nächste Tagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit wird sich dem Thema ÖKONOMIE aus Geschlechter-Perspektive widmen und vom 5. bis 7. November 2009 in Stuttgart-Hohenheim stattfinden.

Konferenzübersicht:

Eröffnungsvortrag
Claudia Opitz: Anwältin der Gleichheit. Über Marie de Gournays "Querelle"-Traktate

I. Konflikt-Inszenierung und -Tradierung
Laura Brander: Wenn Frauen wählen können. Beurteilungen weiblicher Herrschaft im Mittelalter
Annika Beifuss: Gefühlsinszenierung, Leseverführung und Geschlecht. Die Schreibweise der Galanterie
Jennifer Villarama: Geschlechterkonflikte in deutschsprachigen Amazonen-Werken des 17. und 18. Jahrhunderts
Iris Wien: Joshua Reynolds' mythologische Rollenbilder

II. Ehekonflikte als Herrschaftskonflikte
Michaela Hohkamp: Ehen im Herrschaftskonflikt. Anna von Württemberg (1408–1471) und Anna von Habsburg (1432–1462)
Carol Nater: Ein vorprogrammierter Ehekonflikt im Umfeld des päpstlichen Hofes. Colonna vs. Barberini
Karin Iffert: Gescheiterte Ehen im Adel. Trennungen und Scheidungen in deutschen Adelshäusern des 18. und 19. Jahrhunderts

Abendvortrag
Friederike Hassauer: Querelles des femmes

III. Häusliche Konflikte
Annette Cremer: Mon Plaisir – Die Puppenstadt der Auguste Dorothea von Schwarzburg Arnstadt. Weibliche Machtdarstellung im Miniaturformat
Paola Cimino: Vater-Sohn-Konflikte in schweizerisch-großbürgerlichen Unternehmerfamilien um 1800
Evelyne Luef: Von Grobheiten, Injurien und Schlägen. Häusliche Gewalt im 18. Jahrhundert in Österreich
Simone Laqua-O'Donnell: Eheanbahnung und Ehealltag im frühneuzeitlichen Münster
Wiebke Jensen: Die Klägerin ein "allgemeines Mädchen". Alimentationsprozesse im Göttingen des 19. Jahrhunderts


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