Boycott and Embargo. The Political Uses of Economic Power in the Twentieth Century

Boycott and Embargo. The Political Uses of Economic Power in the Twentieth Century

Organisatoren
Hannah Ahlheim (Humboldt-Universität zu Berlin), Rüdiger Graf (Ruhr-Universität Bochum)
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.10.2008 - 11.10.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Marcus Böick / Christoph Wehner, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Schon bei einem ersten Blick auf die Beiträge der vom 10. bis 11. Oktober 2008 an der Ruhr-Universität Bochum von HANNAH AHLHEIM (Berlin) und RÜDIGER GRAF (Bochum) mit finanzieller Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung organisierten Tagung „Boycott and Embargo. The Political Uses of Economic Power in the Twentieth Century“ offenbart sich die Heterogenität dieses Themenkomplexes im Spannungsfeld von Politik, Ökonomie und Konsum. Definitorische Annäherungen an die beiden Leitbegriffe standen dementsprechend im Zentrum der einleitenden Ausführungen der Veranstalter, die verschiedene Problemkomplexe entwickelten. Embargos seien demnach als klassische Instrumente souveräner Nationalstaaten zu begreifen, die im zwischenstaatlichen Interaktions- und Handlungsraum zu verorten seien. Dagegen erschienen Boykotte als tendenziell verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren offenstehende Strategien im Kontext (post-)moderner Konsumgesellschaften. Dementsprechend gelte es, die in der Forschung verbreitete Annahme zu prüfen, die einerseits Boykotte als „weapons of the weak“ und andererseits Embargos als „weapons of the strong“ charakterisiere. Um die räumlich und zeitlich sehr heterogenen Beiträge methodisch fassen und diskutieren zu können, entwarfen die Veranstalter fünf übergreifende Perspektiven. Eine erste Überlegung betraf die – unvermeidliche – Frage nach Erfolg und Misserfolg von Boykotten und Embargos und die diesen Kategorien selbst zugrundeliegenden Aushandlungs- und Konstruktionsprozesse. Zweitens wurde die Dialektik von Markt und Moral im Wechselspiel von ökonomischen Strukturen und alltäglichen Konsumpraktiken umrissen. Als dritten Punkt, der zu diskutieren sei, benannten die Veranstalter die symbolischen Dimensionen von Boykotten und Embargos in öffentlichen, insbesondere medial vermittelten Diskursarenen. Viertens gelte es, das Verhältnis von Marktmechanismen, Konsummustern und etablierten Ordnungsstrukturen des Sozialen (Race, Gender, Class) in den Blick zu nehmen. Die verschiedenen räumlichen Ebenen markierten schließlich eine fünfte mögliche Dimension des Themenkomplexes: Während Embargos vorwiegend im globalen, transnationalen sowie nationalstaatlichen Kontext der Makroebene anzusiedeln seien, könnten auf der Mesoebene die komplexen Übersetzungsdynamiken der Märkte im Modus von Angebot und Nachfrage und auf der Mikroebene schließlich die lokalen (Boykott-)Praktiken des individuellen Konsums untersucht werden.

Die systematische Einordnung und Ausdifferenzierung von verschiedenen Boykotttypen bildete den Schwerpunkt der ersten Sektion.

OLIVER KÜHSCHELM (Wien) untersuchte in seinem Beitrag die Erscheinungsformen patriotischen Konsums im Österreich der Zwischenkriegszeit. Einen Schwerpunkt habe hier die Dialektik von Boykott und Buykott markiert, die Kühschelm anhand der „Österreichischen Woche“ vom 3. bis zum 11. November 1927 darstellte. Kühschelms Fragenkatalog zielte sowohl auf die Entstehungs- und Etablierungsbedingungen der „Kauft Österreichisch“-Kampagne als auch auf ihre Typologie und Praxis im Spannungsfeld von politischen und ökonomischen Einflussfaktoren. Angesichts der Beteiligung staatlicher Institutionen am Planungsprozess der „Österreichischen Woche“ und darüber hinaus könne die Kampagne trotz des lokalen Bezugs der eingesetzten Arbeitsgruppe kaum als eine Graswurzelbewegung bezeichnet werden. Zentral seien vielmehr Überlegungen auf der Regierungsebene gewesen, eine Alternative zu einer protektionistischen Außenhandelspolitik, die mit hohen Zöllen einhergegangen wäre, zu etablieren. Das übergeordnete Ziel, einen positiven Einfluss auf die österreichische Handelsbilanz zu bewirken, sei jedoch unerreicht geblieben.

Einer anderen Boykottform widmete sich HANNAH AHLHEIM (Berlin) in ihrem Beitrag zu den Dynamiken sozialer und ökonomischer Segregation von Juden mit Hilfe „politischer Boykotte“ im nationalsozialistischen Deutschland. Zwar sei die ökonomische Exklusion in Form des „sozialen Todes“ der deutschen Juden die übergeordnete Zielsetzung der Boykottaktionen, jedoch müsse man den Exklusionsdynamiken auch auf mentaler Ebene nachspüren. So habe sich die Etablierung antisemitischer Stereotype und die Etikettierung von Geschäften als „jüdisch“ oder „deutsch“ als entscheidend für die Konstituierung einer „unsichtbaren Wand“ (Jacob Borut) zwischen Juden und Deutschen im öffentlichen Begegnungs- und Interaktionsraum erwiesen. Die Einbeziehung der Perspektive der betroffenen Juden zeige, dass die Auswirkungen auf das jüdische Leben in Deutschland nicht allein in ökonomischen Dimensionen zu suchen seien. Der „Erfolg“ der Boykottaktionen habe vielmehr in der Konkretisierung abstrakter wie pejorativer Stereotype innerhalb der alltäglichen Lebenswelt bestanden. Insofern seien die antisemitischen Boykottaktionen und die von ihnen angestoßenen mentalen Exklusionsprozesse eine entscheidende Wegmarke hin zur späteren physischen Vernichtung der deutschen Juden.

In seinem Kommentar zu den beiden Beiträgen hob KIM PRIEMEL (Frankfurt/Oder) verschiedene Aspekte hervor: Der Etablierung einer patriotischen Konsumwelt, die primär einem Top-Down-Modell folge, sei die lokale Praxis antisemitischer Boykotte einzig durch den Bezug auf den ideologischen Faktor „Überfremdung“ gegenüberzustellen, der im österreichischen Fall primär ökonomisch, im deutschen Fall durch einen Nexus von Politik und Ideologie codiert gewesen sei. Die Ebene der „Volksgemeinschaft“ sei in dem einen Fall durch einen „äußeren Feind“ (ausländische Importgüter), im anderen Fall durch einen „inneren Feind“ (die deutschen Juden) als ideologische Instanz angesprochen worden. Im Anschluss sei zu überlegen, wie Boykotte als Instrumente ideologischer Erziehung genutzt wurden.

Die zweite Sektion befasste sich mit verschiedenen Boykottkampagnen in der Ära der Zwischenkriegszeit in verschiedenen Weltregionen.

In seinem Beitrag diskutierte RICHARD HAWKINS (Wolverhampton) die Genese der Binnenstrukturen der US-amerikanischen Non-Sectarian Anti-Nazi League to Champion Human Rights, die von 1933 an bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1938 in der amerikanischen Öffentlichkeit für einen umfassenden Boykott deutscher Waren warb, der als schlagkräftige Antwort auf die antisemitischen Maßnahmen der NS-Führung dienen sollte. Zur zentralen Figur der Organisation sei der deutschstämmige Amerikaner Samuel Untermyer avanciert, der die Kampagnenpolitik der League nachhaltig geprägt und gestaltet habe. Die Boykott-Kampagne sei im Kontext einer kaum deutschfeindlichen Grundstimmung in der amerikanischen Öffentlichkeit chronisch unterfinanziert und wenig erfolgreich geblieben. Dies ist jedoch, so das Resümee, kaum dem eher unglücklichen Agieren Untermyers zuzuschreiben, dessen League eine Vereinheitlichung der verschiedenen Boykottinitiativen in den USA verhinderte.

Die vielschichtigen ökonomischen und politischen Verwicklungen in den besetzten chinesischen Gebieten der Zwischenkriegszeit bilden den Hintergrund der Untersuchungen BRETT SHEEHANs (Los Angeles) zur anti-japanischen Boykottbewegung in Tianjin zwischen 1929 und 1932. Die chinesische Hafenstadt erlebte zwei Boykottwellen in den Jahren 1928 und 1931/32, in denen sich politische sowie ökonomische Motive aufs engste miteinander verbunden hätten: der propagierte Konsum „einheimischer“ Produkte und die politischen Initiativen gegen die japanische Besatzungsmacht seien Hand in Hand gegangen. Diese Dynamik habe letztlich sogar so weit geführt, dass die antijapanischen Boykottbewegungen sowie die terroristischen Aktionen zur „nationalen Befreiung“ im lokalen Raum miteinander verschmolzen seien; Konsumhaltungen und nationale Identitätskonstruktionen seien im Tianjin der frühen 1930er-Jahre folglich aufs engste aufeinander bezogen geblieben.

In seinem Kommentar zu den beiden Beiträgen warf KIRAN KLAUS PATEL (Florenz) die Frage nach Akteuren und Adressaten von Boykottbewegungen auf und diskutierte die verschiedenen Mechanismen von Inklusion und Exklusion. Boykotte seien demgemäß stets als eine Form der politischen Kommunikation zu beschreiben, bei denen die Akteure ganz bewusst spezifische Zielgruppen adressierten. Zudem scheint die öffentliche Legitimitätsgeltung von Boykottbewegungen entscheidend für den Erfolg zu sein, wie etwa die antijapanische Bewegung illustrierte: Boykott und Terror seien daher nur schwer miteinander vereinbar geblieben.

Die Macht der Konsumenten und die moralischen Dimensionen im Konsumverhalten bildeten die inhaltliche Klammer der Beiträge aus der dritten Sektion.

MICHELLE HABERLAND (Statesboro/GA) entfaltete in ihrem Beitrag anhand der Look for the Union Label – Kampagne der International Ladies Garment Workers Union (ILG) 1975 sowie des Boykotts der Amalgamated Clothing Workers of America (ACWA) von Produkten der texanischen Bekleidungsfirma Farah ein Panorama der US-amerikanischen Öffentlichkeit zwischen 1948 und 1985 aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive. Ausgehend von der These, Boykotte und Kampagnen von Konsumenten orientierten sich an den geschlechtsspezifischen und sozialstrukturellen Ordnungsmustern des Marktes, rekonstruierte Haberland die Zuschreibungsprozesse und Identitätskonstruktionen des „weiblichen Konsumenten“ im Zuge der Aktionen der ILG und der ACWA. Die weite Tradierung des Paradigmas Men earn money, women spend money hätte weibliche Konsumenten zu den primären Adressaten von Kampagnen und Boykotten der Gewerkschaften gemacht. Erst im Zuge der neuen Frauenbewegung der 1970er-Jahre sei dieses Bild differenzierter geworden: Frauen seien nun zugleich als Konsumenten, Arbeiterinnen und Gewerkschaftsmitglieder wahrgenommen worden.

Mit dem moralischen Konsum und seiner politisch-ökonomischen Wirkmächtigkeit beschäftigte sich MATTHIAS SCHMELZER (Berlin) in seinem Beitrag zur historischen Entwicklung des Fair Trade-Zertifikats. Auch wenn im Bereich des ethischen oder politischen Konsums historische Vorläufer wie etwa die White Label-Kampagnen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert existiert hätten, seien die extensiven Fair Trade-Initiativen der 1990er-Jahre primär auf Aktivitäten der Alternative Trading Organizations (APOs) im Westeuropa der Nachkriegszeit zurückgegangen. Der Alternative Trade sei jedoch ein Nischenmarkt geblieben, der von relativ statischen subkulturellen Milieus getragen wurde. Erst 1988 sei es in den Niederlanden zur Gründung des ersten Fair Trade-Systems gekommen. Die Spannungen zwischen politischen, moralischen und ökonomischen Zielsetzungen im Fall des Fair Trade zeigte Schmelzer vor allem anhand der Versuche großer Unternehmen, das moralisch codierte Zertifikat ebenfalls zu erlangen. Ein Schwerpunkt künftiger Forschung müsse in der Einordnung des Fair Trade in die historische Perspektive einer longue durée von Konsumpraktiken bestehen, die über Zertifizierung eine Verbesserung der Produktions- und Absatzbedingungen zu erreichen suchen.

ROMAN KÖSTER (Frankfurt/Main) nahm in seinem Kommentar zu den beiden Beiträgen insbesondere auf die Möglichkeitsräume moralischer Initiativen im Bereich des Ökonomischen sowie auf die damit einhergehenden diffizilen Übersetzungsdynamiken Bezug. Insbesondere im Fall des Fair Trade sei es in den Transferprozessen zum latenten Konflikt zwischen „gerechten“ Intentionen und kommerziellen Anpassungsvorgängen gekommen, die durch die Adaption des Fair Trade-Labels durch bestimmte Unternehmen noch verstärkt worden seien. Die Einschränkung der Wirkungsmacht der Konsumenten habe schließlich durch die Globalisierung neue, entgrenzte Formen erreicht.

Unterschiedliche Aspekte von Embargo-Kampagnen im geteilten Deutschland der Nachkriegszeit standen im Fokus der vierten Sektion der Tagung.

Die Strategien zur Kompensation des westlichen CoCom-Embargos durch die SED-Führung in den 1960er- und den 1980er-Jahren waren Gegenstand des Beitrages von SIMON DONIG (Passau). Die planwirtschaftlichen Neuorientierungen der DDR-Volkswirtschaft in beiden Jahrzehnten hätten einen gesteigerten Bedarf an Schlüsseltechnologien (Kybernetik, Mikroelektronik) aus dem „nicht-sozialistischen Wirtschaftsgebiet“ generiert, die allerdings den Bestimmungen des westlichen CoCom-Embargos von 1949 unterlagen. Das allgemeine politische Klima der Entspannung der 1960er-Jahre sowie das Interesse westlicher Firmen an neuen Exportmärkten führten, so Donig, zu einer schleichenden Aushöhlung des Technologieembargos. Obschon sich CoCom seit den 1960er-Jahren in materieller Hinsicht als zahnloser Tiger erwiesen habe, sei es als diskursiver Bezugspunkt in den internen Auseinandersetzungen der ostdeutschen Wirtschafts- und Wissenschaftseliten der DDR durchaus virulent geblieben, indem es die veränderten Perzeptionen des Kapitalismus bestimmt habe. Gerade auch die Verhandlungen zur Umgehung des Embargos zwischen ostdeutschen und westlichen Akteuren hätten die gegenseitigen Wahrnehmungen nachhaltig beeinflusst und dergestalt ein grundsätzliches Vertrauen zwischen den Interaktionspartnern generiert, das sich etwa in den ost-westlichen Joint-Ventures der 1980er-Jahre niedergeschlagen habe.

PETER E. FÄSSLER (Dresden) rückte das Agieren der Bundesregierung im Kontext der sich etablierenden westlichen Embargo-Regime der 1950er-Jahre in den Mittelpunkt seines in Abwesenheit diskutierten Beitrages. Die wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidung der USA zu weitreichenden Handelsrestriktionen gegenüber dem von der Sowjetunion dominierten osteuropäischen Wirtschaftsraum hätte beträchtliche Verstimmungen der westeuropäischen Partnerstaaten zur Folge gehabt, die unter den gekappten Handelsverbindungen ungleich stärker zu leiden drohten als die atlantische Führungsmacht. Washington habe derlei Vorbehalte durch großzügige Wirtschafts- und Militärhilfen kompensiert, die nicht zuletzt einer ökonomischen Binnenintegration des atlantischen Wirtschaftsraums Vorschub geleistet hätten. Das Dilemma der Adenauer-Regierung sei so jedoch nicht aufzulösen gewesen: Zwar habe Westdeutschland durchaus den ökonomischen Schulterschluss mit den westlichen Alliierten gesucht, jedoch sei man andererseits deutschlandpolitischen Grundsätzen verpflichtet gewesen und habe sich zudem um die gewichtigen deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen gesorgt. Die Bundesregierung habe somit keinesfalls von Anfang an und ohne Einschränkungen auf die „Option für den Westen“ gesetzt, sondern noch bis Mitte der 1950er-Jahre zwischen verschiedenen Strategien hin und her laviert.

In ihrem Kommentar zu beiden Beiträgen lenkte FREDERIKE SATTLER (Potsdam) das Augenmerk auf verschiedene Problemkomplexe. So seien etwa die Rationalitätsdifferenzen zwischen politischen und ökonomischen Handlungsmaximen von Eliten ein entscheidender Punkt zum Verständnis von divergierenden Embargo-Politiken. Auch die Querverstrebungen von politischer Führung, Wissenschaft und Spionage seien gerade für die Konstellationen der Systemkonkurrenz von besonderem Interesse. Noch wenig greifbar seien hingegen die verschiedenen Reaktionen von Öffentlichkeit und Bevölkerung auf die verschiedenen Embargos und deren Folgen „vor Ort“ geblieben, zumal im osteuropäischen Kontext. Auch lohne es, den konkreten Umgang von Einzelakteuren, etwa Wissenschaftlern, mit spezifischen, embargobedingten Restriktionen zu ergründen.

Die Beiträge der fünften Sektion beschäftigten sich in historischer Perspektive mit der bisher vor allem von Politikwissenschaftlern geleisteten Embargoforschung.

Zu einer Neubewertung der sich über fünf Jahrzehnte erstreckenden Embargopolitik der USA gegenüber Kuba gelangte STEPHEN WILKINSON (London) in seinem Beitrag. Während die Geschichtsschreibung den (Miss-)Erfolg des Kuba-Embargos meist an seiner formulierten Zielsetzung zu messen versuche – der Überwindung des Castro-Regimes und allgemeiner des Kommunismus in der westlichen Hemisphäre – empfahl Wilkinson einen erweiterten Blick auf die sehr unterschiedlichen Implikationen der US-amerikanischen Embargopolitik. Folgt man der von Wilkinson vorgeschlagenen Erweiterung, die das Embargo als symbolischen Ausdruck US-amerikanischer Herrschaftsansprüche in der westlichen Hemisphäre hervorhebt, scheint der so oft konstatierte Misserfolg des Embargos weit weniger eindeutig. Etwa die integrationsideologische Funktion des Kuba-Embargos im Kalten Krieg spreche dafür, die US-amerikanische Embargopolitik durchaus auch als Erfolgsgeschichte zu deuten. Insofern plädierte Wilkinson abschließend dafür, das Paradigma, nach dem der Erfolg des Embargos allein anhand des Ziels des Regimewechsels zu bemessen sei, aufzubrechen und stattdessen die Wandlungsdynamiken der mit dem Kuba-Embargo verbundenen Zielsetzungen hervorzuheben.

Mit der Frage nach Erfolg und Misserfolg von Embargos beschäftigte sich auch der Beitrag von RÜDIGER GRAF (Bochum), der sich dem Embargo der Organization of Arab Petrol Exporting Countries (OAPEC) gegenüber den westlichen Industrienationen während der Ölkrise von 1973/74 widmete. Hier gelte es, ein simplifizierendes Sender-Target-Modell zu überwinden. Vielmehr müssten das Öl-Embargo und die damit verbundenen Zielsetzungen als Produkte von kommunikativen Aushandlungsprozessen zwischen OAPEC und Industrieländern begriffen werden, in denen die Frage nach Erfolg und Misserfolg ständig neu formuliert worden sei. Die Maßnahmen der OAPEC hätten eine Konstellation „doppelter Kontingenz“ (Luhmann) geschaffen, in der die verschiedenen Akteure versucht hätten, Deutungshoheit über die Interpretation, aber auch die konkrete Ausgestaltung des Embargos zu erlangen. Darüber hinaus habe das Embargo zur Durchsetzung innenpolitischer Ziele westeuropäischer Staaten – etwa der Umsetzung energiepolitischer Rationierungsmaßnahmen – instrumentalisiert werden können. Da das Embargo der OAPEC auf materieller Ebene wirkungslos geblieben sei, plädierte Graf dafür, den primären Fokus auf die symbolischen Dimensionen der embargopolitischen Aushandlungspraxis zu legen.

In seinem Kommentar zu den beiden Beiträgen hob MALTE ZIERENBERG (Berlin) den Zusammenhang von Embargos und bestimmten Zeitkonstruktionen hervor, die Erwartungshaltungen und Antizipationskonstruktionen in der Analyse embargopolitischer Praxis stark beeinflusse. Es gelte zudem, den Zusammenhang etwa materieller und symbolischer Zielsetzungen und Maßnahmen auch unter Einbeziehung bestimmter Teilöffentlichkeiten (etwa Medien oder Expertengruppen) zu untersuchen und so die Frage nach der Wirkmächtigkeit von Embargos neu zu formulieren. Insbesondere der Informationspolitik müsse dabei besondere Bedeutung beigemessen werden, da sie auf die aus den Embargos gezogenen Lehren großen Einfluss gehabt habe. Insofern gelte es, die Interdependenzen zwischen verschiedenen Embargoregimen in einem globalen Kontext zu analysieren.

Die sechste Sektion wandte sich dem stärker gegenwartsbezogenen Problem der Praktikabilität von UN-Sanktionen zu.

Der Beitrag von PETAR DRAGISIC (Belgrad) befasste sich mit den UN-Sanktionen, die im Zuge des Bosnienkrieges in den frühen 1990er-Jahren verhängt worden waren. Mit der fortschreitenden Eskalation der Kriegshandlungen im Frühjahr 1992 hätten die Vereinten Nationen Zug um Zug ihr Vorgehen gegenüber dem serbisch dominierten „Rumpfjugoslawien“ verschärft und schließlich Ende Mai 1992 ein im Laufe des Jahres immer weiter intensiviertes, umfassendes Embargo beschlossen, von dem lediglich Nahrungsmittellieferung und medizinische Güter ausgenommen blieben. Erst das Einlenken der Belgrader Führung nach 1993 habe die UN zur Lockerung der verhängten Sanktionen veranlasst. Das Friedensabkommen von Dayton im November 1995 habe schließlich im Oktober 1996 zum Ende des UN-Embargo-Regimes geführt. Obschon, so die Zusammenfassung, die politischen Zielstellungen der UN-Sanktionen – ein schnelles Ende der ethnischen Säuberungen – als verfehlt gelten können, seien die mittel- und langfristigen Folgen des UN-Embargos für Serbien verheerend gewesen: Die ökonomische Isolation habe die ohnehin schwierigen Transformationsprozesse des Landes massiv erschwert und seine Wirtschaftsstruktur substanziell beeinträchtigt. Das Embargoregime habe nicht zuletzt einen idealen Nährboden für die organisierte Kriminalität bereitet.

MIKAEL ERIKSSON (Florenz) analysierte in seinem in Abwesenheit diskutierten Beitrag 18 gegenwärtige UN-Sanktionsmaßnahmen. Die UN verfüge über ein sehr weitgefächertes Instrumentarium an möglichen Sanktionen von unterschiedlicher Durchschlagskraft, wobei gegenwärtig bevorzugt Reiseverbote sowie das Einfrieren internationaler Vermögenswerte zum Einsatz kämen. Auch nach dem Zeitpunkt ihres Einsatzes ließen sich Sanktionsregime differenzieren, je nachdem, ob sie vor, während oder nach dem Konflikt verhängt worden seien. Schließlich seien auch die Ziele der Maßnahmen zu differenzieren. So könnten die verschiedenen Regime etwa auf die Durchsetzung von Menschenrechten, Konfliktbeendigung oder Friedensverhandlungen abzielen, wobei die Beilegung von Konflikten derzeit das häufigste Ziel solcher Maßnahmen darstelle. Einen besonderen Sanktionstypus bildeten dabei die personalisierten Sanktionen der UN, die bevorzugt gegen Mitglieder der politischen Eliten gerichtet seien. Eine Analyse der Auswahl der verschiedenen Instrumentarien, Zielobjekte und ihre Effizienz sollten somit laut Eriksson den Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen bilden.

Der Kommentator JAN ERIK SCHULTE (Bochum) verortete die beiden Entwürfe im Kontext der „Sanktionsdekade“ zwischen 1990 und 2001, in der vor allem aktive Menschenrechtspolitik im Fokus der UN-Sanktionspolitik gestanden habe. Obgleich das „Finetuning“ dank eines immer stärker ausdifferenzierten Instrumentenkastens beträchtliche Möglichkeiten bereithalte, bleibe die Frage nach den Sanktionswirkungen in Hinblick auf ihre ursprünglichen Zielsetzungen fundamental. Bei einer solchen Betrachtung seien, etwa im serbischen Fall, Kriegsfolgen von Sanktionsfolgen zu unterscheiden. Zudem sei das Spannungsverhältnis von politischer Moral der Maßnahmen auf der einen und den humanitären Folgewirkungen auf der anderen Seite stärker zu berücksichtigen. Auch die verschiedenen transnationalen Mediendiskurse über die Sanktionsmaßnahmen in der internationalen Öffentlichkeit bzw. in den Öffentlichkeiten der betroffenen Länder selbst gelte es weiter zu untersuchen.

Die von CONSTANTIN GOSCHLER (Bochum) eröffnete, lebhafte Abschlussdiskussion führte die Ergebnisse der einzelnen Sektionen zusammen. Erstens verbinde die verschiedenen Erscheinungsformen und -dynamiken von Boykotten und Embargos im 20. Jahrhundert eine Tendenz zur Komplexitätsreduktion: So gelte es, ökonomische Benennungsstrategien im medienöffentlich vermittelten Spannungsfeld von Staatlichkeit und Zivilgesellschaft – etwa durch Labeling- oder Branding von Produkten und Gütern – auf ihre vereinfachenden Orientierungsleistungen für das individuelle Konsumverhalten hin zu befragen. Zweitens seien implizite liberale Grundannahmen über funktional gedachte Marktdynamiken als kategoriale Deutungsmuster selbst zu historisieren. Drittens erwiesen sich Boykotte und Embargos als weitläufiges historiographisches Themenfeld, das verschiedenen Teildisziplinen und Methodiken offen stehe: Im produktiven Nebeneinander etwa von Wirtschaftsgeschichte und Kulturgeschichte könnten sich neue Dialoge auch über die innerdisziplinären Gräben hinweg ergeben, um so gemeinsam das vielschichtige Terrain des Politischen, der Ökonomie und des Konsums neu zu vermessen. Von der Bochumer Tagung gingen erste Impulse für eine derartige Diskussion aus.

Kurzübersicht:

Freitag 10. Oktober 2008

Sektion I: Direct and Indirect Boycotts – Different Degrees or Types?

Kommentar: Kim Priemel (Frankfurt/Oder)
Oliver Kühschelm (Vienna): Implicit Boycott. The Call for Patriotic Consumption in Austria in the Interwar Period
Hannah Ahlheim (Berlin): Establishing anti-Semitic Stereotypes: Social and Economical Segregation of Jews by Means of “Political Boycott” in Nazi-Germany

Sektion II: Racializing Products and Consumption in the Interwar Period

Kommentar: Kiran Patel (Florence)
Richard Hawkins (Wolverhampton): The Internal Politics of the Non-Sectarian Anti-Nazi League to Champion Human Rights, 1933-1938
Brett Sheehan (Los Angeles): Tariff and Terror: Economics and Politics and the Anti-Japanese Boycott, Tianjin China, 1929 – 1932

Samstag, 11. Oktober 2008

Sektion III: Moral Purchasing and the Power of the Consuming People

Kommentar: Roman Köster (Frankfurt/Main)
Michelle Haberland (Statesboro/GA): Look for the Union Label: Organizing Women Workers and Women Consumers in the United States Apparel Industry, 1948-1985
Matthias Schmelzer (Berlin): Marketing morals, moralizing markets. Assessing the effectiveness of Fair Trade as a form of boycott

Sektion IV: Embargoes in a divided Germany

Kommentar: Friederike Sattler (Potsdam)
Simon Donig (Passau): A Limited Impediment. Mechanisms and Conceptions of the CoCom Embargo in the GDR
Peter E. Fäßler (Dresden): Star Pupil or Dubious Alliance Partner? Bonn and the Early Phase of the Strategic Embargo 1950-1959 [abwesend]

Sektion V: Power and the Politics of Embargo

Kommentar: Malte Zierenberg (Berlin)
Stephen Wilkinson (London): When is an embargo not an embargo? Five decades of successful failure in US-Cuba policy
Rüdiger Graf (Bochum): Making use of the ‘Oil Weapon’. Western Industrialized Nations and Arab Petropolitics in 1973/74

Sektion VI: The Presence and Power of UN Sanctions and Embargoes

Kommentar: Jan-Erik Schulte (Bochum)
Petar Dragišic (Belgrad): The United Nations Sanctions against Yugoslavia 1992-1996
Mikael Eriksson: Sanctions: Historical Connections and Contemporary Trends [abwesend]

Schlussdiskussion: Boycott and Embargo in the 20th Century

Leitung: Constantin Goschler (Bochum)