Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400-1800)

Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400-1800)

Organisatoren
Martin van Gelderen (Sussex) und Georg Schmidt (Jena)
Ort
Jena
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.06.2003 - 14.06.2003
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Von
Alexander Schmidt, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Der Begriff Freiheit gehört - ob beschreibend, normativ oder offen propagandistisch - in der Geschichte der Neuzeit zu den vielleicht am häufigsten gebrauchten politischen Vokabeln Europas und der westlichen Demokratien.
Lange Zeit vor allem mit der Tradition von Liberalismus und Französischer Revolution verbunden entdecken Historiker, wie etwa das Projekt der European Science Foundation zum ‚Republicanism’ zeigt, immer mehr die Wirksamkeit dieses Schlagworts auch für das Europa vor der vermeintlichen Wasserscheide zwischen der Freiheit „des anciens et des modernes“ (B. Constant) um 1800. Im Spektrum dieses schillernden Begriffes hatte in der Frühen Neuzeit vor allem die Freiheit von sozialen Gruppen oder Kollektiven, sei es die von Nationen, Ständen oder religiösen Gemeinschaften einen festen Platz.

Auf der Jenaer Tagung wurden in 31 Vorträgen von Wissenschaftlern aus 12 Ländern unterschiedlichste Dimensionen kollektiver Freiheitsvorstellungen mit einer Fokussierung auf den nationalen Kontext ideen-, verfassungs-, sozialgeschichtlich sowie ästhetisch ausgelotet. Unter diesem verbindenden Thema verstanden die Veranstalter Freiheitsbegriffe, die auf Gruppen bezogen oder von Gruppen geteilt wurden und somit Bestandteile einer politischen Kultur bildeten. Die so klassische wie interpretatorisch vergröbernde Dichotomie von frühneuzeitlicher Privilegienfreiheit einerseits und moderner bürgerlich-liberaler Freiheit andererseits wurde durch Bezüge zum Naturrechtsgedanken, zu Gewissens- und Handlungsfreiheit aufgebrochen. Daher reichte das Spektrum der Themen von den Freiheitskonzepten bei den schottischen Aufklärern (Fania Oz-Salzberger) über Freiheit in den iberischen Reichen (Peer Schmidt), eine national akzentuierte Freiheit in der deutschsprachigen Oper (Detlef Altenburg) bis hin zu den sehr konkreten Freiheiten von Frauen in der frühneuzeitlichen Rechtspraxis (Siegrid Westphal).

Daß der Freiheitsbegriff keinem starren Set republikanischer oder ständischer Theorien angehörte, sondern mit sozialem und kulturellen Wandel eng verbunden war, machte Iain Hampsher-Monk (Exeter) bereits in seinem Eröffnungsvortrag „Politeness, Manners and Liberty in 18th Century England“ deutlich. Der klassisch-republikanische Freiheitsbegriff war ursprünglich stark mit Tugenden wie Frugalität, Aufrichtigkeit, Offenheit etc. verbunden. Diese schienen dem Ideal kultivierter ‚politeness’, das mit dem Aufstieg einer wohlhabenden, säkular gebildeten Mittelklasse einherging, zunächst diametral entgegengesetzt. Politeness galt vielen Republikanern als Form der Verweichlichung und der Schmeichelei – Eigenschaften also, die mit dem untertänigen Höfling verbunden wurden. Dagegen formulierten Autoren wie der Earl of Shaftesbury ein Programm von ‚politeness’, das verfeinerten Geschmack, gewitzte Konversation und humorvoll-ironischen Umgang mit politischen wie religiösen Autoritäten in einer „commercial society“ umfaßte. Diese Kultur einer ‚politeness’ konnte so die Grundlage für mögliche radikale Aufklärung und Kritik werden.

Während Hampsher-Monk mit dem Übergang republikanischer Ideale in die bürgerliche Kultur der modernen Gesellschaft gleichsam einen Endpunkt frühneuzeitlicher Freiheitsdiskurse aufgezeigt hatte, fragte Helmut G. Walther (Jena) in seinem Referat über den „Diskurs der italienischen gelehrten Juristen um den kollektiven Freiheitsbegriff des römischen Rechts im späten Mittelalter“ nach den theoretischen Grundlagen kollektiver Freiheit. Unter dem Schlagwort der ‚libertas’ verteidigten die italienischen Stadtgemeinden seit dem späten 12. Jahrhundert ihre Autonomie gegen die Ansprüche der römisch-deutschen Kaiser. Diese politische Auseinandersetzung fand ihren Wiederhall in Diskussionen und der Lehre des römischen Rechts bei den Kanonisten und Legisten. Die Befreiung von der kaiserlichen Jurisdiktion und die Usurpation städtischer Autonomie war nach dem Rechtslehrer Bartolus zulässig, wenn es in der Kommune einen populus liber, ein freies Stadtvolk, gebe. In einer Zeit, in der in den italienischen Kommunen ein Verfassungswandel stattfand, festigte Bartolus noch einmal die Theorie, daß äußere Unabhängigkeit auch eine verfassungspolitische, innere Freiheit voraussetze.

Anhand des Schlagworts „deutsche Freiheit“ verdeutlichten Georg Schmidt und Andreas Klinger (beide Jena) diesen Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Freiheit für das Reich des 16. bzw. des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Insbesondere in der protestantischen Publizistik gegen Karl V. zwischen 1546 und 1552 wird die in Tacitus’ Germania mythisch und der Wahlkapitulation praktisch fundierte ‚ancient constitution’ beschränkter Königsherrschaft propagandistisch eingesetzt. Der Schutz vor despotischer Herrschaft und übermäßiger Besteuerung wurde nach Schmidt als eine spezifisch nationale Freiheit gefaßt. Diese gelte es – so viele Flugschriften – gegen eine Fremdbestimmung durch Spanier und eine monarchische Herrschaft der Habsburger zu schützen. Wie Klinger hervorhob, benutzten nach 1789 Volksaufklärer diesen Topos vor allem, um Freiheits- und Gleichheitsforderungen nach dem Muster der Französischen Revolution in Deutschland durch einen traditionell positiv besetzten Begriff beim Volk abzuwehren. Dabei gingen die Meinungen der Autoren auseinander, was mit diesem Schlagwort inhaltlich gemeint sei und wie neben Verfassungsprinzipien modernere Grundrechte in diesen tradierten Begriff integriert werden könnten.

Wie traditionelle Freiheiten zu einer modernen Freiheitsidee transformiert wurden und so zur Revolutionierung der politischen Verhältnisse in den Österreichischen Niederlanden beitrugen, verdeutlichte der Beitrag Geert van den Bossches (Gent) zur mobilisierenden Funktion von ‚Freiheit’ während der Brabanter Revolution. In die Diskussion um Freiheit wurden nicht nur breitere Bevölkerungsschichten einbezogen, die schreibenden Patrioten artikulierten auch Ideen einer belgischen Nation.

Unterschiedliche Entwicklungen in Skandinavien stellten Sebastian Olden-Jorgensen (Kopenhagen) für Dänemark und Jonas Nordin (Stockholm) für Schweden dar. In letzterem entwickelte sich nach der Abschaffung des Absolutismus seit 1718 ein Verständnis von ‚frihet’, das sowohl bürgerliche Rechte als auch eine Regierung in den Interessen des Volkes durch das Parlament, den Riksdag, umfaßte. Im absolutistischen Dänemark war Freiheit nach 1660 lange mit der unbegrenzten Gewalt des Königs verbunden. Im Zusammenhang mit der Bauernbefreiung durch Friedrich IV. in Ostdänemark, die der König als eine seiner größten Regierungsleistungen auch ikonographisch propagierte, wurde Freiheit auch hier für Kollektive reklamiert. Begründet wurde diese Auflösung der Leibeigenschaft allerdings nicht naturrechtlich, sondern mit dem kameralistischen Argument erhöhter Produktivität der Bauern und der Schaffung einer Miliz.

Auch in den Ländern Ostmittel- und Südosteuropas wurde Freiheit immer wieder bestimmten sozialen Gruppen wie den Heiducken gewährt (Vortrag János Varga, Budapest) oder von polnischen und böhmischen Ständen als konstitutionelle Mitbestimmungsrechte (Vorträge Edward Opalinski, Warschau; Vacláv Buzek / Zdenek Vybiral, Ceské Budejovice) verstanden und gefordert. Einen besonderen Fall stellt die kroatische Militärgrenze dar. Nach außen hin eine stark zentralistisch und autoritär regierte Provinz des Habsburgerreiches verfügten ihre Bewohner – wie Alexander Buczynski (Zagreb) hervorhob – über ein hohes Maß an Freiheiten. Im Vergleich zu den Bauern anderer Regionen war die Landbevölkerung hier von Frondiensten befreit. Orthodoxe Grenzer konnten frei ihrer Religion nachgehen.

Über zwei sehr unterschiedliche Vorstellungen von religiös-konfessioneller Freiheit, die auf spezifische Weise das Verhältnis von Gemeinwesen, Gewissen und Kirche gestalteten, sprachen Luise Schorn-Schütte (Frankfurt) und Martin van Gelderen (Sussex). Das von Schorn-Schütte vorgestellte Konzept lutherischer politica christiana im Reich bestand im Kern aus einem Ständemodell, das zugleich den Fürsten als Teil der christlichen Gemeinde faßte. Herrschaft sollte hier die Freiheit des (lutherischen) Glaubens gegen äußere Bedrohungen sichern, das Ständemodell die Autonomie der jeweiligen gesellschaftlichen Bereiche, insbesondere der Kirche vor obrigkeitlichen Eingriffen bewahren. Van Gelderen fokussierte dagegen auf Diskussionen in den Niederlanden und unter Anglikanern um eine obrigkeitliche bzw. öffentliche Kontrolle der Kirche, die zugleich individuelle Gewissensfreiheit gegen dogmatische Zwänge garantieren sollte.

Die Konferenz verstand sich angesichts der Vielfalt politischer, nationaler und ästhetischer Freiheitskonzepte als ein Diskussionsforum und eine Möglichkeit vergleichender Bestandsaufnahme. Die Teilnehmer waren sich einig, daß eine Institutionalisierung angestrebt werden sollte, denn gerade mit Blick auf das heutige Europa könne es sich lohnen, über erfolgreiche und abgebrochene Traditionslinien von Freiheitsideen nachzudenken.


Redaktion
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