Das PersonenstandsReformgesetz ist sexy. Neue Perspektiven für die Genealogie, Geschichtswissenschaft, Archive und Standesämter. 5. Detmolder Sommergespräch

Das PersonenstandsReformgesetz ist sexy. Neue Perspektiven für die Genealogie, Geschichtswissenschaft, Archive und Standesämter. 5. Detmolder Sommergespräch

Organisatoren
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen
Ort
Detmold
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.08.2008 -
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Von
Dr. Bettina Joergens, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Ostwestfalen-Lippe

„Das PersonenstandsReformgesetz ist sexy“, lautet der Titel des 5. Detmolder Sommergesprächs. „Sexy“ heißt hier „verlockend“, „interessant“, „ansprechend“ und „inspirierend“. Sicherlich ist es ungewöhnlich, bei einer archivfachlichen und familienhistorischen Tagung ausschließlich ein Gesetz zum Thema zu machen. Aber in diesem Fall kann bedenkenlos die Attraktivität des Gesetzes festgestellt werden. Denn die Novellierung des Personenstandsgesetzes (PStG) wurde seit Jahrzehnten von der Genealogie, der Familienforschung, der historischen Wissenschaft und von Archiven geradezu herbeigesehnt. Ab dem 1. Januar 2009, wenn das Personenstandsreformgesetz (PStRG) in seinem ganzen Umfang gilt, fallen bislang unüberwindbare Forschungsgrenzen, und auf die Archive und Standesämter warten neue Aufgaben.

„Verlockend“ war daher die Tagung: Rund 160 Personen aus den Archiven, den Standesämtern und ihren Aufsichtsbehörden, aus der genealogischen und historischen Forschung, Laien und Fachleute aus der gesamten Bundesrepublik und dem benachbarten Ausland nahmen daran teil. Der Präsident des Landesarchivs NRW, WILFRIED REININGHAUS, bezeichnete in seiner Begrüßung das „Echo“ als „überwältigend“. Die in der Bundesrepublik singuläre Situation Nordrhein-Westfalens mit zwei Personenstandsarchiven und seinen spezifischen Erfahrungen und Kompetenzen im Personenstandsarchivwesen erklärt, so Reininghaus, warum das Landesarchiv NRW diese Tagung veranstaltete. Das 5. Detmolder Sommergespräch war bislang die größte Veranstaltung zum novellierten Personenstandsgesetz in der Bundesrepublik, die sich nicht ausschließlich an ein spezifisches Fachpublikum wandte und die Archivkundinnen und -kunden bewusst einschloss.

Die Detmolder Sommergespräche richten sich seit ihrem Bestehen im Jahr 2004 an verschiedene Gruppen, um die unterschiedlichen Perspektiven von Behörden, Archivbenutzern und Archiven zueinander zu führen. Das überaus große Interesse an der diesjährigen Tagung – was die Kapazitäten des Archivs übrigens voll ausreizte – ist zum einen auf die Aktualität des Themas und den direkten Bezug zum jeweils eigenen Aufgabenbereich zurück zu führen. Nach der Vorstellung des Programms orientiert sich dieser Tagungsbericht an folgenden systematischen Aspekten: 1) das Gesetz und landesrechtliche Regelungen zur Archivierung, 2) Übernahme von Personenstandsregistern in ein Archiv, 3) Erschließung und Bereitstellung der Personenstandsregister im Archiv, 4) Benutzung und Service, 5) Forschung: Quellenwert und neue Möglichkeiten.

Das Programm gliederte sich den verschiedenen Perspektiven entsprechend in drei Sektionen unterteilt: 1) das Standesamt, 2) das Archiv und 3) die Forschung.

In der ersten Sektion referierten DETLEF DOHMEN, Referent im Innenministerium, zuständig für Personenstandswesen, und ANDREAS BRUNE. Brune ist Standesbeamter in Lemgo und zugleich Fachreferent des Fachverbandes der Standesbeamtinnen und Standesbeamten Westfalen-Lippe e.V. Beide erläuterten die Genese des PStRG, wesentliche gesetzliche Änderungen und die Inhalte der Personenstandsverordnung NRW. Während Dohmen aus der Perspektive des Ministeriums übergeordnete Aspekte darlegte, „tauchte“ Brune in den Alltag des Standesbeamten ein und schilderte die sich durch das neue Gesetz verändernden Aufgaben. Beide zeigten bereits die Schnittmengen zu Archiven und Forschenden auf.

Anschließend, in der zweiten Sektion, kamen die Archive zu Wort: BETTINA JOERGENS referierte darüber, wie die nordrhein-westfälischen Personenstandsarchive die Gesetzesnovelle umsetzen werden. Die Personenstandsarchive in Detmold und Brühl erwarten neue Herausforderungen, die alle archivischen Bereiche betreffen: Behördenkontakt, Übernahme, Magazinierung, Erschließung und Bereitstellung sowie Beratung und Öffentlichkeitsarbeit. BERND KAPPELHOFF, Präsident des Niedersächsischen Landesarchivs und zugleich Sprecher der Arbeitsgruppe „Archivrecht“ in der Archivreferentenkonferenz, nahm dagegen eine überregionale Perspektive ein und legte dar, wie das PStRG in den verschiedenen Bundesländern umgesetzt werden wird – sofern dies im August des Jahres schon bekannt war. Damit erlaubte er Einblicke in die vielseitigen archivfachlichen Diskussionen zum PStRG in der föderal verfassten Bundesrepublik.

Im dritten Teil der Tagung wurden die Erwartungen der Archivkundinnen und -kunden formuliert und Forschungsperspektiven angesichts der neuen Zugänglichkeit zu Personenstandsdaten entworfen. VOLKER WILMSEN, Geschäftsführer der Westfälischen Gesellschaft für Genealogie und Familienkunde, nahm die Bedürfnisse der Familienforscher und Genealogen, häufig Laien, in den Blick. ANGELIKA SCHASER, Universität Hamburg, setzte die aktuelle Gesetzesnovelle in einen verwaltungshistorischen Kontext und prüfte den Quellenwert der nun zu öffnenden Register für verschiedene historische Fragestellungen.

Immer wieder wurden in den Sektionen die gesetzlichen Änderungen angesprochen, jedoch immer aus einer anderen Perspektive. Dies ist auch den Moderatorinnen und dem Moderator geschuldet, die die kommunalen Archive (MARCUS STUMPF, LWL-Archivamt für Westfalen), die Forschung (JULIA PAULUS, LWL-Institut für Regionalgeschichte in Münster und Universität Münster) und das staatliche Archivwesen (BETTINA JOERGENS, Landesarchiv NRW, Dezernat Personenstandsarchiv Westfalen-Lippe in Detmold) vertraten. In den Diskussionen wurden insbesondere viele Fragen und Argumente aufgeworfen, die die Schnittstellen zwischen den beteiligten Partnern, also die Benutzung und die Übernahme sowie die Abstimmung zwischen den Archiven, betrafen. Reininghaus verwies in seinem Schlusswort darauf, dass das 5. Detmolder Sommergespräch den durch das neue Personenstandsgesetz noch notwendiger gewordenen Dialog zwischen kommunalen und staatlichen Archiven, zwischen Standesämtern und Archiven sowie zwischen Forschenden und Archiven beflügelte.

Die Detmolder Sommergespräche waren wie sonst auch ein Treffpunkt für Kolleginnen und Kollegen, gute Bekannte und genealogischen Gedankenaustausch sowie eine Gelegenheit, Neues im Detmolder Archiv kennen zu lernen. Deshalb wurden nach der ausgedehnten Mittagspause vier Führungen angeboten. KARIN EICKMEIER und GABRIELE HAMANN (Landesarchiv NRW, Dezernat Personenstandsarchiv Westfalen-Lippe) arbeiteten einen neuen Rundgang durch das Personenstandsarchiv aus, bei dem besonders standesamtliche Personenstandsregister zu sehen waren. Darüber hinaus bot WOLFGANG BENDER (Landesarchiv NRW Abteilung OWL) eine Führung zu frühneuzeitlichen Quellen aus Lippe für die Familienforschung an. Außerdem präsentierten MATTHIAS SCHULTES und GERHARD HEUER vom Landesarchiv NRW dem interessierten Publikum die Foto- und die Restaurierungswerkstatt.

Das Interesse an den nun ab 2009 leichter zugänglichen Personenstandsregistern ist groß und vielseitig. Mannigfaltig sind somit auch der Quellenwert und die Verknüpfungsmöglichkeiten mit anderen Archivalien. Die Aufgabe der Archive wird sein, neben den klassischen Erschließungsdaten auch quellenkundliche Informationen über die Personenstandsregister unterschieden nach Registertyp und Überlieferungsschicht bereit zu stellen. Dabei sind Kirchenbücher in Kirchenarchiven wegen der Ersatzqualität mit in den Blick zu nehmen (Reininghaus). Wie die Diskussionen und Referate der Tagung deutlich machten, ist es geboten, bei der Konzeption von Erschließungssystematiken und Quellenkunden mit den Benutzerinnen und Benutzern des Archivs, also der Forschung weiterhin das Gespräch zu suchen. Insofern war das 5. Detmolder Sommergespräch ein gelungener Auftakt für aufgefrischte Dialoge und neuartige Kooperationen für eine neue „Epoche“ im Personenstands(archiv)wesen.

Im Internet sind eine ausführlichere Fassung des Tagungsberichts und Kurzfassungen der Vorträge und Präsentationen der Referentinnen und Referenten nachzulesen: <http://www.archive.nrw.de/LandesarchivNRW/Detmold/Service/Genealogie/index.html>.

Kurzübersicht:

Begrüßung
Wilfried Reininghaus, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen

1. Sektion: Das Standesamt
Moderation: Bettina Joergens, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen

Personenstandsreformgesetz und Personenstandsverordnung
Detlef Dohmen, Innenministerium Nordrhein-Westfalen

Standesämter im Umbruch: Veränderungen, Erwartungen und Möglichkeiten nach der Novellierung
Andreas Brune, Fachverband der Standesbeamtinnen und Standesbeamten Westfalen-Lippe e.V. / Standesamt Lemgo

2. Sektion: Das Archiv
Moderation: Marcus Stumpf, LWL-Archivamt für Westfalen, Münster

Das Personenstandsreformgesetz aus archivfachlicher und archivpolitischer Sicht: Umsetzung in den Bundesländern
Bernd Kappelhoff, Niedersächsisches Landesarchiv

Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen und das Personenstandsreformgesetz: Übernahme, Benutzung und Recherche
Bettina Joergens, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen

3. Sektion: Die Forschung
Moderation: Julia Paulus, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte in Münster / Universität Münster

Die Genealogie vor neuen Möglichkeiten: Forschungsperspektiven, Erwartungen und Quellenwert anhand ausgewählter Beispiele
Volker Wilmsen, Westfälische Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung, Münster

Neue Perspektiven für die historische Forschung dank des PStRG
Angelika Schaser, Universität Hamburg

Abschlussdiskussion


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