Militär und materielle Kultur in der Frühen Neuzeit

Militär und materielle Kultur in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Jan Willem Huntebrinker (Frankfurt am Main) und Ulrike Ludwig (Dresden)
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.11.2008 -
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Von
Florian Kühnel, Exzellenzcluster „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Die Kulturwissenschaft hat in den letzten Jahren zunehmend das Verhältnis des Menschen zu den ihn umgebenden Gegenständen als neuen Untersuchungsgegenstand für sich entdeckt, so dass bereits von einem „material turn“ die Rede gewesen ist. Dabei wird immer deutlicher, wie komplex diese Beziehung gesehen werden muss, wie eng die gegenseitigen Wechselbeziehungen zwischen den Dingen und den kulturellen Wahrnehmungs- und Deutungsmustern von Menschen sind.

Allerdings, so stellten die Organisatoren des Workshops "Militär und materielle Kultur in der Frühen Neuzeit" Jan Willem Huntebrinker (Frankfurt a.M.) und Ulrike Ludwig (Dresden) in ihrer Einleitung fest, habe diese Entwicklung den Bereich des frühneuzeitlichen Militärs weitgehend unberührt gelassen. Die materielle Kulturforschung in der Militärgeschichte habe sich bisher überwiegend auf zwei Bereiche beschränkt: zum einen auf das Verhältnis von materieller Kultur und Staatsbildungsprozess, wie sie z.B. bei der Einführung von Uniformen als Disziplinierungsmittel greifbar wird; zum anderen auf die Bedeutung der materiellen Kultur für die militärische Repräsentation, etwa als Mechanismus zur Stiftung einer Gruppenidentität.

Um weiter gehende Erkenntnisse gewinnen zu können, sei bei der schwierigen Arbeit mit Objekten eine multiperspektivische Herangehensweise unabdingbar. Dies mache schon allein die „dingliche Doppelebene“ erforderlich: Dinge besäßen immer sowohl funktionale als auch symbolische Eigenschaften. Diese seien methodisch teilweise nur schwer voneinander zu trennen und können auch aus der unterschiedlichen Nutzung der Gegenstände resultieren. Darüber hinaus erweise sich aber gerade die Frage nach dem Verhältnis von Objekt, Bild und Text, für die geschichtswissenschaftliche Analyse als besonders fruchtbar. Denn an der Art und Weise, wie mit einem konkreten Gegenstand umgegangen wird, wie er (bildlich oder textlich) dargestellt wird, zeigten sich typische zeitgenössische Deutungsmuster. In diesem Zusammenhang sei auch die Frage nach der Rückwirkung des Dargestellten auf die Betrachter bzw. Leser von Bedeutung. Die Tatsache, dass Bedeutungszuschreibungen von Dingen häufig nicht einheitlich seien, helfe dabei, soziale Unterschiede aufzudecken und zu erklären. Hier zeige sich auch die Wandelbarkeit und Kontextgebundenheit solcher Zuschreibungen.

Zu Beginn widmete sich NIKOLAS FUNKE (Sussex) in seinem Referat dem Phänomen des „Festmachens“, einer im frühneuzeitlichen Militär weitverbreiteten Vorstellung, sich mithilfe bestimmter Praktiken und Objekte unverwundbar machen zu können. Quellengrundlage seiner Untersuchung waren vor allem die beiden militärischen Handbücher „HeldenSchatz“ (1615) und „Victori-Schlüssel“ (1631), die im Laufe des 17. Jahrhunderts eine erhebliche Verbreitung erfuhren. Dabei konnte er zeigen, dass sich die beschriebenen Methoden keineswegs – wie man annehmen könnte – auf den Bereich des ‚Teuflischen’ oder ‚Dämonischen’ bezogen, sondern in aller Regel eindeutig auf christlichen Vorstellungen und Symbolen fußten und damit eher der Volksfrömmigkeit zugehörig waren. So war es z.B. üblich, Schriftstücke mit Textstellen aus der Bibel herunterzuschlucken oder aber Schmuckstücke wie Amulette und Ringe mit biblischen Versen zu versehen und in der Schlacht zu tragen. Leider seien solche Objekte heute kaum noch überliefert, da sie häufig aus organischem Material, wie etwa Haselnüssen, hergestellt wurden bzw., wie etwa im Falle der Schmuckstücke, nicht eindeutig als Dinge des „Festmachens“ identifiziert werden können.

Diesen verschiedenen Schutzzaubern ganz ähnlich gelagert waren die von ULRIKE LUDWIG (Dresden) in ihrem Beitrag beschriebenen Schadenszauber, mit denen die Effektivität von Waffen gesteigert werden sollte. Quellengrundlage war auch hier ein militärisches Handbuch, nämlich „Der Vollkommene Teutsche Soldat“ von Hans Friedrich Flemming (1726). Die darin beschriebenen Maßnahmen zur magischen Verbesserung von Waffen folgten vor allem der sogenannten „Sympathielehre“, das heißt es wurde versucht, Eigenschaften bestimmter Stoffe auf die jeweiligen Waffen zu übertragen. Dabei zeigt sich, dass magische Vorstellungen im zeitgenössischen Verständnis sowohl mit dem christlichen Glauben, als auch mit den entstehenden (Natur-)Wissenschaften vereinbar waren. Allerdings sei für das 18. Jahrhundert ein Wandel in Bezug auf die Waffenmagie zu konstatieren, der als „Rationalisierung der Magie“ zu beschreiben sei. Es sei nicht mehr versucht worden, die allgemeine Effektivität von Waffen zu steigern, als vielmehr konkrete mechanische Mängel durch den Einsatz von Magie zu beheben. In der Diskussion wurde zusätzlich die Vermutung geäußert, dieser Wandel sei außerdem mit der sich verändernden Gefechtstaktik in Zusammenhang zu bringen.

Die unterschiedlichen symbolischen Dimensionen von Waffen in der Frühen Neuzeit stellte URTE EVERT (Berlin) in den Mittelpunkt ihres Interesses. Sie ging dabei von der These aus, dass die positive Symbolisierung von Waffen im frühneuzeitlichen Militär eine notwendige Bewältigungsstrategie angesichts ihrer tödlichen Wirkung gewesen sei. So seien Waffen zum einen als Zeichen besonderer Ehre wahrgenommen worden, indem z.B. der soldatische Heldentod auf dem Schlachtfeld als besonders ruhmvoll galt. Daneben war die Waffe aber auch ein religiöses Symbol, mit dem im zeitgenössischen Selbstverständnis in aller Regel Gottes Wille auf Erden ausgeführt wurde. Ein weiterer Aspekt war die symbolische Bedeutung von Waffen für die Herstellung eines gemeinsamen Gruppenbewusstseins, beispielsweise in der preußischen Armee oder in den Heeren der entstehenden Nationalstaaten. Schließlich spielte auch die Dimension Geschlecht für die Waffe als „Männlichkeitssymbol“ eine nicht unerhebliche Rolle, auch wenn, wie in der Diskussion betont wurde, diese Dimension der ständischen untergeordnet werden müsse.

JAN WILLEM HUNTEBRINKER (Frankfurt a.M.) untersuchte in seinem Beitrag die bildliche Darstellung frühneuzeitlicher Soldatenbekleidung in Flugblättern in ihrer symbolischen Bedeutung. Die typische Abbildung der Landsknechte in verschwenderischer Schlitzkleidung sei als ikonographisches Mittel zu lesen, das dazu gedient habe, die Söldner als moralisch verwerflich zu kennzeichnen. Zwar habe sich die Art der Darstellung im Laufe des 17. Jahrhunderts gewandelt, allerdings sei die soldatische Kleidung weiterhin dazu genutzt worden, die Söldner zu diskreditieren. Setzten allerdings die Abbildungen des 16. Jahrhunderts das äußere Erscheinungsbild mit der Persönlichkeit der Söldner gleich, wurde nun eher der Widerspruch zwischen prahlerischer Selbstinszenierung und tatsächlichem feigen Verhalten betont. Insgesamt biete die Analyse solcher Darstellungen, so Huntebrinker, ein ausgezeichnetes Instrument, um sich der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Söldner als sozialer Gruppe zu nähern.

Welche Bedeutung die Soldaten selbst den Gegenständen ihres alltäglichen Lebens zuschrieben, untersuchte MARIAN FÜSSEL (Göttingen) in seinem Referat anhand von Selbstzeugnissen aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges. Am Beispiel der „Montierung“, also der Einkleidung und Ausrüstung eines Soldaten, stellte er heraus, dass die Bewertungen keineswegs einheitlich waren. So konnte der symbolische Übergang vom Zivilisten zum Soldaten sowohl als ehrenvolle Auszeichnung, wie auch als disziplinierende Maßnahme empfunden werden. Da das materielle Leben der Soldaten nach der Montierung vor allem von Güterknappheit geprägt war, sei es im Heer zu „regen Aneignungs- und Austauschprozessen von Dingen“ gekommen, wie z.B. der Plünderung der Toten nach einer Schlacht. Dabei zeige sich, dass mindestens genauso wichtig wie die rein praktische Funktion der Gegenstände auch ihre symbolische Bedeutung war, indem sie über den Status ihrer Träger entschied bzw. diesen nach außen sichtbar machte. Schließlich werde in den Selbstzeugnissen deutlich, so Füssel, wie wichtig das Erinnern an Besitz und Verlust von Dingen für die Soldaten gewesen sei, um ihre Kriegserinnerungen mental zu organisieren.

Im letzten Vortrag des Workshops beschrieb KLAUS WOLF (Dresden) die Entwicklung der Wahrnehmung des Zeughauses der Stadt Köln. Zunächst lag das kölnische Zeughaus im 17. und 18. Jahrhundert als architektonisches Bauwerk außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Im Zuge der Frühromantik sei dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit dem zunehmenden prämusealen Interesse an Altertümern und Kuriosita das Inventar des Zeughauses mehr und mehr in den Mittelpunkt des städtischen Interesses gerückt. Gleichzeitig habe seine militärische Bedeutung als Folge der allgemeinen waffentechnischen Entwicklung immer weiter abgenommen. Allerdings sei ein wirkliches gemeinstädtisches Interesse an diesem Bauwerk erst nach seiner Plünderung durch französische Truppen in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts entstanden. Mit seinem Verlust erlangte das Zeughaus Bedeutung im kollektiven Bewusstsein der Stadt Köln – seine Plünderung blieb noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein ein Politikum.

Besonders die Konzeption des Workshops – allen Tagungsteilnehmern wurden die Beiträge der Referenten vorab zugesandt, so dass nach kurzen Impulsreferaten sofort mit der Diskussion begonnen werden konnte – erwies sich als äußerst ertragreich. In den intensiv geführten Diskussionen wurden immer wieder der Nutzen, aber auch Probleme einer materiellen Kulturforschung im frühneuzeitlichen Militär deutlich: Vor allem die Rekonstruktion der Selbstdeutung der Soldaten in Bezug auf Dinge ist, bedingt durch die Art der Quellen, häufig nur schwer zu leisten. Bis auf einige Ausnahmen (hier besonders Füssel) haben die herangezogenen Quellen ihren Ursprung in aller Regel außerhalb der sozialen Gruppe der Soldaten, wodurch gerade die Frage nach der kulturellen Praxis im frühneuzeitlichen Militär oft nicht umfassend zu beantworten ist. Trotz dieser methodischen Schwierigkeiten haben die Beiträge auch gezeigt, wie groß der Erkenntnisgewinn für die Militärgeschichte durch die Beschäftigung mit der materiellen Kultur sein kann.

Die Tagungsbeiträge werden 2009 als Themenheft der Zeitschrift "Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit" erscheinen.

Kurzübersicht:

Jan Willem Huntebrinker (Frankfurt a.M.) / Ulrike Ludwig (Dresden): Begrüßung und Einführung

Nikolas Funke (Sussex): Die Praktiken und Objekte des „Fest Machens“ im Militär des 16. und 17. Jahrhunderts

Ulrike Ludwig (Dresden): Der Zauber des Tötens. Magische Praktiken und Waffengebrauch im frühneuzeitlichen Militär

Urte Evert (Berlin): „Gute Sach stärkt den Mann“. Symbolische Funktionen der frühneuzeitlichen Militärwaffen

Jan Willem Huntebrinker (Frankfurt a.M.): Soldatentracht? Mediale Funktionen materieller Kultur in Söldnerdarstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts

Marian Füssel (Göttingen): Der Wert der Dinge. Materielle Kultur in soldatischen Selbstzeugnissen des Siebenjährigen Krieges

Klaus Wolf (Dresden): Vom Zweckbau zum Denkmal. Der Bedeutungswandel des stadtkölnischen Zeughauses in der Wahrnehmung der frühneuzeitlichen Öffentlichkeit

Abschlussdiskussion


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