Loyalitäten im Staatssozialismus – DDR, Tschechoslowakei und Polen

Loyalitäten im Staatssozialismus – DDR, Tschechoslowakei und Polen

Organisatoren
Historische Kommission für die böhmischen Länder, Prag; Goethe-Institut Prag; Herder-Institut Marburg; Lehrstuhl für deutsche und österreichische Studien der Karls-Universität Prag;
Ort
Prag
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2008 - 26.09.2008
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Von
Volker Mohn / Thomas Oellermann, Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Düsseldorf

In der Diskussion über sozialistische Herrschaftssysteme wird nach wie vor oft vernachlässigt, dass es jenseits von staatlichem Zwang und widerwilliger Anpassung viele unterschiedliche gesellschaftliche Faktoren gab, die diese Regime stabilisierten. So trafen durchaus Maßnahmen oder Prozesse auf Zustimmung, ohne dass dies mit einer ideologischen Überzeugung einherging. Auf der anderen Seite stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach Loyalitätsangeboten seitens der Staatsführungen. Inwieweit konnten Personen und Gruppen dahingehend beeinflusst werden, sich den sozialistischen Regimen gegenüber auch unabhängig von Druck und Repression loyal zu verhalten? Im Rahmen der Konferenz „Loyalitäten im Staatssozialismus“ sollten unterschiedliche Gründe und Formen von Loyalität diskutiert und anhand verschiedener Themenbereiche erörtert werden, und zwar an den Beispielen DDR, Tschechoslowakei und Polen.

In seinen einleitenden Worten betonte VOLKER ZIMMERMANN (Düsseldorf / Prag), dass bezüglich der staatssozialistischen Systeme immer noch ein dichotomisches Bild von dem Staat auf der einen und der Gesellschaft auf der anderen Seite weit verbreitet sei. Ansatzpunkt der Konferenz sei es aber gerade, Mechanismen der Herrschaftsstabilisierung jenseits von offener oder verdeckter Repression und Gründe für loyales Verhalten aus eigenem Antrieb bzw. aus eigener Überzeugung und/oder bei partieller Interessenübereinstimmung in den drei betreffenden Staaten zu identifizieren. Denkbar sei dabei ein Spektrum von minimaler Loyalität in Form von Gehorsam bis zu maximaler Loyalität aus Überzeugung sowie verschiedene Typen wie institutioneller und funktioneller Loyalität. Zu beachten seien dabei aber verschiedene Faktoren, wie zum Beispiel die Wechselseitigkeit zwischen Herrschaftsapparaten und gesellschaftlichen Gruppen, Zustimmung oder Identifikation mit Teilaspekten der jeweiligen Herrschaft als Basis für loyales Verhalten, eine möglicherweise begrenzte Dauer eines solchen Verhaltens und die Frage der Messbarkeit von Loyalität. Wichtig sei zudem, dass sich für verschiedene zeitliche Phasen staatssozialistischer Herrschaft die Frage nach loyalem Verhalten immer wieder neu stelle.

Im ersten Teil der Konferenz standen „Neue Bevölkerungsgruppen“, bei denen eine „Loyalität durch Umverteilung“ zu vermuten ist, im Vordergrund. MICHAEL SCHWARTZ (Berlin) ging in seinem Beitrag auf die Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone ein und zeichnete die verschiedenen Konfliktlinien bei der Bodenreform nach. Ein zentraler Aspekt war der Versuch, die so genannten „Umsiedler“ aus dem östlichen Europa zu integrieren. Dies habe zwar kurzfristig in einigen Regionen zu Loyalitätsgewinn unter Vertriebenen beigetragen, langfristig jedoch enttäuscht. Außerdem müsse die Frage der Loyalität in diesem Zusammenhang auch unter anderen Aspekten betrachtet werden, zumal sich ein zunehmender Generationskonflikt abgezeichnet habe und es auch zu einer späteren umfassenden Abwanderung in andere Berufszweige gekommen sei. Loyalität zum Regime sei somit nicht nur abhängig von der Agrarpolitik der SED gewesen – gerade Aspekte wie die Grenzfrage und die Wohnsituation habe viele Menschen zu einer ablehnenden Haltung bewogen.

Mit der Wiederbesiedlung der ehemals mehrheitlich von Deutschen bewohnten tschechoslowakischen Grenzgebiete nach 1945 beschäftigte sich ANDREAS WIEDEMANN (Prag). In seinen Ausführungen verwies er darauf, dass für diesen Zeitraum und diese Landesteile die grundlegende Veränderung der Bevölkerungsstruktur entscheidend gewesen sei. In den ersten Nachkriegsjahren sei die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KPTsch) noch nicht mit polarisierenden sozialrevolutionären Parolen aufgetreten, obzwar sie von Anfang an bemüht gewesen sei, sich durch eine entsprechende Vertretung in den verschiedenen Gremien und Institutionen der Neubesiedlung die Kontrolle über die Entwicklung zu sichern. So profitierten in dieser ersten Phase viele Neusiedler von der Bodenreform und anderen Umverteilungen ehemals deutschen Besitzes, wobei sie die KPTsch als Wohltäterin wahrnahmen. Unter anderem mit Hilfe dieser Strategie ließen sich bei den Wahlen von 1946 in den „neubesiedelten“ Gebieten überproportional hohe Stimmenanteile von über 50 Prozent für die Kommunisten erzielen.

Dem unmittelbar anschließenden Zeitraum (ab 1948) widmete sich in seinem Vortrag MATĚJ SPURNÝ (Prag). Eine der größten Herausforderungen für die KPTsch sei es in den Folgejahren gewesen, die gewonnene Loyalität dauerhaft zu bewahren. Er beleuchtete dabei den Zusammenhang von Konflikten um Identität und Loyalitäten anhand des Fallbeispiels der in der Nachkriegszeit in den Grenzgebieten angesiedelten Wolhynientschechen. Bei dieser besonderen Personengruppe seien Aspekte wie historische Traditionen, das lokale Umfeld (Dorfgemeinschaften) und das zunehmende Aufgehen in der tschechoslowakischen Gesellschaft ab den 1950er Jahren zu nennen. Als ein Beispiel für loyales Verhalten infolge eines Aushandlungsprozesses nannte Spurný ein Tauschgeschäft: Die Gründung einer sehr effizient arbeitenden LPG durch Wolhynientschechen gegen das Versprechen des Staates, den Bau einer Dorfkirche zu fördern.

Vergleichende Überlegungen zur Loyalität der polnischen Landbevölkerung in den „wiedergewonnenen“ Westgebieten und in Großpolen thematisierte TADEUSZ JANICKI (Poznań). Die Agrarreform habe den Kommunisten auch als Propagandamittel gedient, um das in diesem Zusammenhang betonte „Bauern-Arbeiter-Bündnis“ zu etablieren. Dies habe in den „wiedergewonnenen Gebieten“ durchaus Erfolge gezeitigt, da die neue Staatsordnung von den dort neu angesiedelten Bauern eher angenommen wurde als von alteingesessenen Bevölkerungsgruppen in Großpolen, ermöglichte sie doch sozialen und kulturellen Aufstieg und sorgte für stabile Verhältnisse.

Im zweiten Themenblock stand die sicherheitspolitische Propaganda der 1950er- und 1960er-Jahre, die vermeintlich durch Angst erzeugte Loyalität, im Mittelpunkt. Einer vergleichenden Betrachtung unterzog JAN C. BEHRENDS (Berlin) die Situation in Polen und der SBZ/DDR von 1944 bis in die 1960er-Jahre. Er betonte, dass es im Falle Polens wie auch in anderen Staaten Ostmitteleuropas zu einem Transfer von Feindbildern aus der Sowjetunion gekommen sei. In Polen seien zudem das ethnische Feindbild der Deutschen sowie das Bild des „Inneren Feindes“ in Gestalt der Heimatarmee zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges sei allerdings das ethnische Feindbild hinter jenes des amerikanischen Imperialismus zurückgetreten. Der Trend zur Bekämpfung einer „Amerikanisierung“ habe sich in der DDR ähnlich abgezeichnet, obgleich dort bis 1948 die innenpolitischen Feindbilder, z.B. in Gestalt der Nationalsozialisten, zugunsten der „Volksfronttaktik“ an Bedeutung verloren. Loyalität sei in vielen Fällen vor allem inszeniert worden.

Mit auf der Grundlage von auf Furcht und Ängsten konstruierten Loyalitäten in der tschechoslowakischen Propaganda der 1950er-Jahre setzte sich MARÍNA ZAVACKÁ (Bratislava) auseinander. So habe „der Deutsche“ als Feindbild in den entsprechenden Medien eine Darstellung als mittelalterlicher Ritter oder maschinenartiger Soldat gefunden. Mithin seien durchaus auch deutsche Zivilisten als „Fünfte Kolonne“ in diese Propaganda mit einbezogen worden, womit an das allseits akzeptierte Bild von sudetendeutschen „Verrätern“ an der Ersten Tschechoslowakischen Republik angeknüpft wurde. Insgesamt zeigte sich in dieser Sektion die Schwierigkeit, die gesellschaftliche Wirkung der Feindbilder nachzuprüfen. Nachweisbar war lediglich das Bemühen insbesondere der tschechoslowakischen und der polnischen Führungen, über die Angst vor Deutschen vor allem in den 1950er-Jahren Loyalität zu generieren.

Der anschließende thematische Komplex widmete sich einem weiteren Mechanismus zur Loyalitätsgewinnung: Der Sozial- und Konsumpolitik als einer „weichen Form“ der Herrschaftssicherung. Einen Einblick in diese Thematik für die 1950er- und 1960er-Jahre in der Tschechoslowakei gewährte MARTIN FRANC (Prag) und verwies bei seinen Ausführungen insbesondere auf die besonderen Zuteilungen zugunsten der Industriearbeiterschaft. Diese Privilegierung habe allerdings zu Konflikten geführt, da einer Bevorzugung auch immer eine Benachteiligung anderer Bevölkerungsschichten gegenübergestanden habe. Die Konzentration auf den Konsum habe die tschechoslowakische Gesellschaft immerhin Ende der 1950er-Jahre stabilisiert. Zu einer Bewährungsprobe für die „Managementfähigkeit“ seien aber die wirtschaftlichen Krisen der beginnenden 1960er Jahre geworden. Insgesamt ließe sich bilanzieren, dass das Regime im Laufe der Zeit lieber eine verminderte Qualität etwa von Lebensmitteln in Kauf genommen habe, anstatt Preise anzuheben. Auf diese Weise sollte größerer Unmut vermieden werden.

Chronologisch schloss an dieser Stelle der Vortrag von CHRISTOPH BOYER (Salzburg) an, der die weitere Entwicklung in der Tschechoslowakei der 1970er- und 1980er-Jahre untersuchte. Rückblickend auf die vorherigen Jahrzehnte verwies er auf eine Phase der Repression und des „revolutionären Enthusiasmus“, auf die nun „geschmeidigere Formen der Kontrolle“ gefolgt seien. Eingedenk der Aufstände der Jahre 1953 und 1956, deren Niederschlagung sich für das Regime als zu kostspielig erwiesen habe, sei es nun darum gegangen, sich Loyalität durch materielle Angebote zu erkaufen, so dass von einer „Loyalitätsproduktion“ gesprochen werden könne. Diese Form materieller Zugeständnisse sei gerade nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ fortgeführt worden. Durch diese gezielte Sozial- und Konsumpolitik sei es tatsächlich gelungen, den Lebensstandard der Bevölkerung Anfang der 1970er-Jahre merklich zu erhöhen. Dass dies nicht dauerhaft funktioniert habe, ließe sich im Falle der Tschechoslowakei zwar auch mit einer „Schuldenfalle“, vor allem aber mit dauerhaften strukturellen Problemen, mangelnden technischen Innovationen, schlechter Produktqualität und daraus resultierenden sinkenden Absatzmöglichkeiten im Exportbereich erklären.

Einer vergleichenden Betrachtung unterzog PETER HÜBNER (Potsdam) (dessen Text verlesen wurde) die Sozial- und Konsumpolitik in der DDR und in Polen, und zwar ebenfalls in den 1970er- und 1980er-Jahren. Loyalitätsgewinn durch Sozialleistungen und Konsumangebote gehörten zum Standardrepertoire der Politik. Im Hinblick auf die für diesen Zeitraum charakteristische Verschiebung hin zu einer von oben gelenkten Konsumpolitik seien besonders der Sturz von Gomułka und Ulbricht 1970/71 als sozialpolitischer Wendepunkt zu nennen. Im Verlauf der 1970er-Jahre sei es in beiden Staaten zu einer „Sozialpolitik über die Verhältnisse“ gekommen. Gierek und Honecker hatten seit 1971 mit Hilfe erheblicher sozialer Zugeständnisse und einer Verbesserung der Versorgung recht schnell Zustimmung finden können. Auf Dauer habe dies allerdings nur noch begrenzt Loyalität der Bevölkerung sichergestellt: Eine „Anspruchsinflation“, auch bedingt durch die Ausrichtung des Konsumdenkens an den westlichen Ländern, habe so nicht mehr befriedigt werden können.

In der anschließenden Diskussion wurde intensiv die Frage diskutiert, inwieweit mit Hilfe der Konsum- und Sozialpolitik überhaupt ein dauerhafter Loyalitätsgewinn durchsetzbar sein konnte, oder ob sich diese nicht im Gegenteil vielfach als „Fass ohne Boden“ erwies und zu einer Anspruchsinflation führte, letztendlich zu einer „Loyalitätsfalle“ zu werden drohte.

Im folgenden Themenblock wurde gewissermaßen der individuellste Zugang gewählt, indem Intellektuelle (Künstler, Schriftsteller und Filmemacher) in den verschiedenen Ländern und Zeiten hinsichtlich ihrer Loyalität dem Regime gegenüber betrachtet wurden. DIETER SEGERT (Wien) entwarf zu Beginn seiner Ausführungen das Modell verschiedener Abstufungen von Loyalität und führte ein Spektrum von „bedingungsloser“ bis hin zu „kritischer Loyalität“ ein. Diese Differenzierung ließe sich zum einen anhand einer hinsichtlich ihrer Loyalität nur schwerlich zu fassenden „Dienstklasse zur Aufrechterhaltung der Herrschaft“ und zum anderen an Konflikten, Streitigkeiten und Dissonanzen innerhalb der ansonsten vermeintlich loyalen Gruppe von Intellektuellen ablesen. Beispielhaft seien Auseinandersetzungen innerhalb des Schriftstellerverbandes zu nennen. Bis zum Systemzusammenbruch blieb ein großer Teil der Intellektuellen dem Sozialismus grundsätzlich loyal und nur partiell kritisch (etwa der herrschenden Elite gegenüber) verbunden. Generell ließe sich aber Loyalität nicht begreifen, wenn man nicht auch Loyalitätskonflikte sowie verschiedene Generationen von Intellektuellen in den Blick nähme.

Den tschechoslowakischen Schriftstellern als einer Gruppe von Intellektuellen widmeten sich in einem Vortrag MONIKA PRÁCHENSKÁ und JIŘÍ PEŠEK (Prag). Auf eine vielleicht als Hochstimmung zu bezeichnende Phase nach 1945 sei eine Zeit der Ernüchterung, bestimmt von Zensur und Repressionen, gefolgt. Selbst der Tod von Stalin und Gottwald schien zunächst an dieser Situation nichts zu ändern. Erst ab 1956 habe sich dies allmählich geändert, so dass sich erste „legale Räume“ für Kritik im Kulturbereich hätten öffnen können. Mit Beginn der 1960er-Jahre hätten Schriftsteller zudem zunehmend das Selbstverständnis eines „Gewissens der Gesellschaft“ übernehmen wollen.

Mit polnischen Filmemachern in den 1970er-Jahren setzte sich PATRYK WASIAK (Warschau) auseinander. Der Filmproduktion seien vom Regime in dieser Phase durchaus Freiräume zugestanden und von dieser auch genutzt worden, und das auch vor dem Hintergrund der teilweise weltweiten Popularität polnischer Filmemacher. So habe beispielsweise Andrzej Wajda seinen provokativen Film „Człowiek z marmuru“ (Mann aus Marmor) letztlich gegen partielle Kritik von Seiten der Staatsmacht verteidigen und nach Streichung mehrerer Szenen in die Kinos bringen können, wobei Kulturfunktionäre der mittleren Führungsebene Kompromisse zu finden geholfen hätten.

Thema der anschließenden Sektion war die Institution der Kirche. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob trotz des ideologischen Alleinvertretungsanspruches in staatssozialistischen Herrschaftssystemen andere Loyalitäten ihre Bedeutung behielten. Mit der Rolle der protestantischen Kirche, die lange Zeit als Motor des Umbruchs 1989/90 gesehen wurde, befasste sich für den Zeitraum der Ära Honecker CLEMENS VOLLNHALS (Dresden). Konflikte seien nicht nur in der Auseinandersetzung zwischen Amtskirche und christlichen losen Gruppierungen zu beobachten gewesen, sondern auch etwa vor dem Hintergrund von Verstrickungen Geistlicher mit der Staatssicherheit, die ihrerseits das Ziel eines „innerkirchlichen Differenzierungsprozesses“ verfolgt habe, also einer Einteilung in einen „positiven“ und „negativen“ Teil der Kirche. Für Teile der Kirche lasse sich das Paradigma der Utopie eines noch verbesserbaren Sozialismus festmachen, das sich später mitunter in „sozialromantischen Vorstellungen eines Dritten Weges“ geäußert habe.

Die „Koexistenz“ zwischen Loyalität gegenüber dem Staat auf der einen und gegenüber der Kirche auf der anderen Seite wurde von MIROSLAV KUNŠTAT (Prag) in seinem Vortrag durch eine Betrachtung der Lage in der Tschechoslowakei zwischen 1948 und 1989 analysiert. Das Wendejahr der tschechoslowakischen Geschichte 1948 sei durch einen umwälzenden Loyalitätswandel gekennzeichnet gewesen. Die traditionelle böhmische christliche Doppelloyalität zu „Gott und Kaiser“ sei im Kommunismus auf eine harte Probe gestellt worden. Trotzdem habe als Form des Dissenses ein kirchliches Subsystem existiert. Neben spontaner, echter Loyalität zu Beginn habe es eine Loyalität als Überlebensstrategie in den kirchlichen Strukturen gegeben. Ein expliziter Loyalitätsbezug wurde dabei vom System erst spät gefordert: 1949 war ein Treueid auf die Republik zu leisten, später ein Eid bei der Priesterweihe gegenüber staatlichen Beamten auf die volksdemokratische Ordnung – wobei dies nur eine verschwindend kleine Minderheit der Geistlichen abgelehnt habe.

Die Gegensätzlichkeit von „Kampf und Zusammenarbeit“ hinsichtlich der katholischen Kirche in Polen beleuchtete in der Folge STANISŁAW JANKOWIAK (Poznań). In der Nachkriegszeit sei es den Kommunisten zunächst darum gegangen, auch in den Reihen der Kirche Unterstützung für das Regime zu gewinnen, um somit die antikommunistische Stimmung in der Bevölkerung zu beeinflussen. Das Regime habe in dieser Phase alles daran gesetzt, seine wahren Absichten zu verschleiern, die mittelfristig darauf abzielten, den Einfluss der Kirche zu begrenzen und diese zu spalten. Ein Mittel zur Beruhigung etwaiger Befürchtungen sei beispielsweise die staatliche finanzielle Förderung des Wiederaufbaus von Gotteshäusern gewesen.

Der letzte Themenbereich beschäftigte sich mit einer an der Praxis orientierten Frage: Welches Bild vom gesellschaftlichen Leben in den drei Staaten zwischen 1945 bis 1989 vermitteln heutige Schulbücher? Einen Überblick zum Thema der Loyalität in kommunistischen Systemen in polnischen und slowakischen Lehrwerken gewährte ZDENĚK BENEŠ (Prag). Vergleichend untersuchte TOMÁŠ NIGRIN (Prag) tschechische und deutsche Geschichtslehrbücher. Beide Referenten machten deutlich, dass es bislang in der tschechischen, slowakischen und mit Einschränkungen auch ostdeutschen Schulgeschichtsbuchschreibung kaum zur Aufarbeitung der Loyalitätsfrage gekommen sei.

Zusammenfassend skizzierte PETER HASLINGER (Gießen / Marburg) Leitfragen und Forschungsperspektiven zum Themenbereich Loyalität. Er verwies auf das häufig in der Diskussion thematisierte Problem ihrer Messbarkeit sowie auf die nur schwer einzuordnende Vielschichtigkeit des Begriffs. Es hätten sich insgesamt vier Kategorien abgezeichnet. Die Loyalität als „Herrschaftsvertrag“ bzw. als „Kitt“ oder „Bindemittel“ ließe sich einer „strukturfunktionalen Kategorie“ zuordnen. So komme es beispielsweise über die Zuweisung knapper Konsumgüter zu einem Loyalitätsanreiz. Zweitens definierte Haslinger „Loyalität als diskursive Kategorie“, wobei es um Erwartungs- und Wahrnehmungshorizonte, Repräsentationen, Sinnwelten und Deutungskonkurrenzen geht. Eine dritte Kategorie verankerte er auf der ebenfalls methodisch nur schwer fassbaren sozialen und personellen Ebene: Wie trägt Loyalität zur Herstellung sozialer Gruppenbeziehungen und zur sozialen Schließung bei, wie wirken sich personelle Loyalitätsbeziehungen auf die Stabilität des Regimes aus, wenn sie zum Beispiel für den Erhalt und die Schaffung von Freiräumen sowie als Instrument der Zielerreichung eingesetzt werden? Anhand auch im Verlauf dieser Konferenz genannter Umbrüche und Wendepunkte ließen sich des weiteren für das Verhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten als vierte Kategorie „Zyklen von Loyalität“ nennen, wobei zum Beispiel strukturelle Krisen und Konstellationen ebenso zu berücksichtigen seien wie bestimmte Phasen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Konferenz „Loyalitäten im Staatssozialismus“ zum einen in der Beschreibung von Loyalitäten an die Grenzen stieß, an die mentalitätsgeschichtliche Betrachtungen zwangsläufig stoßen. Eine wirklich umfassende Beschreibung von Meinungen, Haltungen und Lebensweisen mit allen relevanten Aspekten ist nahezu in allen Bereichen nur schwer möglich. Die Konferenz hat zum anderen aber auch Wege aufgezeigt, auf denen eine Annäherung bzw. eine Verortung von Verhaltensweisen wie etwa der Loyalität möglich ist. So könnte die Betrachtung von dezidierten Gruppen, Zeitabschnitten und Sachgebieten in diesem Bereich zu neuen Forschungsergebnissen führen. Die vorgestellten unterschiedlichen Blickwinkel und Forschungsansätze können eine Grundlage für weitergehende Studien sein, so dass diese Konferenz als ein wichtiger Schritt gesehen werden kann, um gerade die Forschung in diesem Bereich voranzutreiben.

Konferenzübersicht:

Volker Zimmermann
Loyalitäten im Staatssozialismus (Einführungsvortrag)

Michael Schwartz
Loyale ‚Umsiedler‛ durch Bodenreform? Gesellschaftliche Konflikte
und politische Widersprüche in der SBZ/DDR

Andreas Wiedemann / Matěj Spurný
Die Wiederbesiedlung der tschechoslowakischen Grenzgebiete.
Loyalitäten von neuen Bevölkerungsgruppen in der ČSR (1945–1955)

Tadeusz Janicki
Die Bodenreform in den „wiedergewonnenen“ Westgebieten und in
Großpolen (1945–1949). Vergleichende Überlegungen zur Loyalität der polnischen Landbevölkerung

Jan C. Behrends
Deutsche ‚Faschisten‛ und amerikanische ‚Kriegstreiber‛. Loyalität durch
Feindbilder in Polen und der SBZ/DDR? (1944–1960er Jahre)

Marína Zavacká
Loyalties Built on Fear: the FRG in Czechoslovak Propaganda, 1950-60.

Martin Franc
Loyalität, Konsum- und Sozialpolitik in der Tschechoslowakei in den 1950/60er Jahren

Christoph Boyer
Loyalität, Sozial- und Konsumpolitik in der Tschechoslowakei in den 1970er und 1980er Jahren

Peter Hübner
Loyalität, Sozial- und Konsumpolitik. Zur Herrschafts- und Gesellschaftsgeschichte der DDR und Polens in den 1970/80er Jahren

Dieter Segert
Loyalitäten im späten Staatssozialismus. Die DDR-Intellektuellen im Vergleich

Jiří Pešek / Monika Práchenská
Loyalität von Schriftstellern in der Tschechoslowakei in den 1950er und 1960er Jahren

Patryk Wasiak
Loyalty in Polish Cinematography in the 1970s

Clemens Vollnhals
„Kirche im Sozialismus“. Loyalität und Konflikt in der Ära Honecker

Miroslav Kunštat
Kirche in der Tschechoslowakei 1948–1989: Dissens und Koexistenz, konkurrierende Loyalitäten

Stanisław Jankowiak
Zwischen Kampf und Zusammenarbeit. Loyalität und Kirche in Polen

Zdeněk Beneš
Loyalitäten im Staatssozialismus als Thema in polnischen und slowakischen Schulbüchern

Tomáš Nigrin
Loyalitäten im Staatssozialismus als Thema in tschechischen und deutschen Schulbüchern

Peter Haslinger
Loyalitäten im Staatssozialismus – Leitfragen und Forschungsperspektiven