Symbolik in Zeiten von Krise und gesellschaftlichem Umbruch

Symbolik in Zeiten von Krise und gesellschaftlichem Umbruch

Organisatoren
Graduiertenkolleg „Gesellschaftliche Symbolik im Mittelalter“, Universität Münster
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.10.2008 - 25.10.2008
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Von
Ursula Lehmann, Institut für Geschichtswissenschaft, Humboldt Universität zu Berlin

Das Münsteraner Graduiertenkolleg „Gesellschaftliche Symbolik im Mittelalter“ veranstaltete anlässlich seines Abschlusses eine Tagung zum Thema: „Symbolik in Zeiten von Krise und gesellschaftlichem Umbruch“. Auf der von Stipendiaten und Absolventen des Graduiertenkollegs konzipierten und organisierten Tagung verstand man unter Symbolen explizit die materiellen Symbole, also vor allem Artefakte und andere Bedeutungsträger, die innerhalb ritueller Handlungen den Statuswechsel der beteiligten Akteure kennzeichnen. Die in der älteren Forschung vor allem realienkundliche Betrachtung dieser Medien konnte in der Mehrzahl der vorgestellten Referate durch eine Fokussierung auf die von ihnen markierten kulturellen Veränderungen fruchtbar ergänzt werden.

Den Beginn machte der Vortrag von KRISTIN MAREK (Bochum), die sich mit Effigies im englischen Funeralzeremoniell beschäftigte. Sie beschrieb den faszinierenden Gebrauch von Körper-Doublen in englischen Königsbegräbnissen seit Anfang des 14. Jahrhunderts und erweiterte die Kantorowiczsche Zwei-Körper-Lehre um einen dritten Königskörper, den Heiligen Körper. Diese Funktionszuschreibung werde, so Marek, im Einsatz der Effigies sichtbar, die erstmalig 1327 in einer Krisensituation beim Tod Eduards II. verwendet wurde. Während der Leichnam verborgen war, trug die sichtbar zu Grabe getragene Effigies das Krönungsornat zum Zeitpunkt nach der Königsweihe. Die Effigies sei daher als bildliche Repräsentation des Heiligen Körpers des Königs zu sehen.

Von den nunmehr drei Körpern des Königs lenkte BARBARA STOLLBERG-RILINGER (Münster) den Blick auf die zwei Schwerter des Kurfürsten von Sachsen. Da das Schwert ein arbiträres Symbol sei, ändere sich der Bedeutungsgehalt dieses Symbols auf besonders sinnfällige Weise je nach Gebrauchskontext. Damit könne aus dem jeweiligen Einsatz des Symbols seine Funktion bzw. die Intention des Akteurs abgeleitet werden. Der Wandel in der symbolischen Praxis markiere dabei Krisen und Umbrüche; im Fall des Reichsschwertes sowie des sächsischen Kurschwertes die Krise der Reichsverfassung durch die konfessionelle Spaltung.

Ein glücklicher Griff der Organisatoren war die Einladung eines echten Zeremonienmeisters der Gegenwart, genauer gesagt des Protokollchefs im Bundesinnenministerium, CHRISTIAN KÖNIG (Berlin), der über den „Einsatz von Symbolen und Gestaltung von Zeremoniellen“ sprach, die in den Bereich des Innenministeriums fallen, so etwa staatliches Trauern und Gedenken: hier am Beispiel der Staatsbegräbnisse und des Mahnmals Neue Wache in Berlin. Aus seinem praxisnahen Bericht konnte man schließen, dass dem Protokollchef in der konkreten Situation ein recht großer Spielraum zukommt, da kaum gesetzliche Normen den Ablauf staatlicher Zeremonien regeln. Nur implizit kann - und da hat sich gegenüber der Vormoderne wenig geändert - auf das dem Symbolgebrauch zu Grunde liegende, gesellschaftliche Wertesystem geschlossen werden.
Auffällig deutlich trat im Vortrag Königs der „Wandel der Öffentlichkeit“ von der Weimarer Republik bis in die Gegenwart zu Tage. Während die Begräbnisse von Friedrich Ebert (1925), Ernst Reuter (1953), aber auch von Konrad Adenauer (1967) Menschenmassen auf die Straße zogen, finde heute die trauernde Teilnahme des Staatsvolkes vor dem Fernseher statt. Dies hinge jedoch nicht allein mit der gewandelten Partizipation in einer Mediendemokratie zusammen - so wie sich etwa die Gestaltung des Zeremoniells den Eigentümlichkeiten des Kamerablicks angepasst hat. Auch ein gewandeltes Sicherheitsverständnis bzw. Sicherheitsbedürfnis der politischen Funktionsträger schließe neuerdings die unvermittelte, räumliche Nähe zum Wahlvolk weitgehend aus.

Auch die Referate in der Sektion mit archäologischem Schwerpunkt befassten sich überwiegend mit Begräbnisriten, Grablegen und Grabbeigaben. Am Wandel des Begräbniskultes sei es möglich, gesellschaftlichen Wandel abzulesen, auch wenn es an schriftlicher Überlieferung mangele, so HEIKO STEUER (Freiburg), der in seinem Vortrag darlegte, dass die archäologischen Quellen rascher auf gesellschaftliche Umbrüche „reagieren“ und damit eine exaktere Datierung und Einordnung ermöglichen. So sei um 700 im östlichen Merowingerreich ein veränderter Umgang mit Grablegen und Grabbeigaben sowie Grabraub festzustellen: Alte Grablegen wurden aufgegeben, Bestattungen fanden nun vermehrt im Umkreis von Kirchen statt. Diese veränderten Bestattungsformen seien dabei nicht auf einen religiösen Wechsel zu beziehen, denn mit christlichen Symbolen bezeichnete Gräber wären bereits bei den Merowingern üblich gewesen. Steuer schloss somit religiösen Wandel als Motiv aus. Vielmehr zeige sich an den neuen Bestattungsformen, dass die „offene Ranggesellschaft“ der Merowinger von der „festen Adelsgesellschaft“ der Karolinger abgelöst wurde: Damit sei, so Steuer, das nunmehr zentrale Ordnungsprinzip der Grundherrschaft bereits früh nachweisbar.

Durch die Untersuchung der Gräberfelder des frühen Mittelalters in Soest konnte DANIEL PETERS (Frankfurt am Main) die Vorstellung widerlegen, dass von einem Wandel der Bestattungsrituale gewissermaßen selbstverständlich auf einen Wandel der Jenseitsvorstellungen zu schließen sei. Stattdessen gelang es ihm für den Fall Soest, eine bislang unterschätzte gesellschaftliche Differenzierung in der Merowingerzeit auszumachen. So könnten in Soest für das 7. Jahrhundert in überwiegender Zahl die Gräber von Angehörigen der sozialen Elite identifiziert werden, diejenigen anderer Bevölkerungsteile hingegen blieben unauffindbar. Im 8. Jahrhundert veränderten sich die Bestattungsformen dann grundlegend und die Gräberfelder wurden von breiten Bevölkerungsteilen belegt. Dies sei weniger mit einem Verschwinden der Eliten zu erklären, als vielmehr durch veränderte Grabbräuche und Bestattungsformen innerhalb der Gesellschaft.

Einen magistralen Überblick über die Facetten der paganen Ringsymbolik als Würde-, Rang- und Herrschaftszeichen bot TORSTEN CAPELLE (Münster), der dabei neben den am Körper getragenen Ringen, die zumeist aus Edelmetall bestanden, auch auf Mauer- und Stadtringe hinwies, die etwa zur Abgrenzung von Rechtsbereichen dienten.

Neben Ring und Schwert nimmt auch der Stab unter den arbiträren Symbolen eine exponierte Stellung ein: Sein Einsatz kann profan wie sakral konnotiert sein. Dadurch kann der Symbolgebrauch ein Übergreifen der einen auf die andere Sphäre kaschieren, aber ebenfalls auch betonen. Um den Einsatz des Stabes als Herrschaftsinsignie bei der Bischofsinvestitur stritten sich kaiserliche und päpstliche Parteien während des so genannten Investiturstreits. Die Uneinigkeit in dieser konkreten Frage interpretierte PAUL TÖBELMANN (Heidelberg) als stellvertretend für die grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen der weltlichen und der geistlichen Sphäre. Der Stab sei damit zu einem Symbol der Krise geworden, anhand dessen Gebrauches die Verschiebung innerhalb eines Wertesystems deutlich zu Tage getreten sei. Das Symbol selbst stellt damit den Konflikt dar, und dieser Symbolkonflikt wird so zugleich zum Stellvertreterkrieg.

NATALIE KRENTZ (Münster) legte in ihrem Vortrag die Anpassung des „altgläubigen“ Begräbnisrituals an das neue lutherische Bekenntnis dar. Das Begräbnis Friedrichs des Weisen von Sachsen 1525 in Wittenberg stellte das erste Herrscherbegräbnis nach reformatorischem Ritus überhaupt dar. Zuständig für die Gestaltung des Begräbnisrituals war der kurfürstliche Sekretär Georg Spalatin, der zu diesem Zweck Gutachten der Reformatoren Luther, Melanchton und Zwilling einholte. Die unterschiedlichen Vorschläge zeigten deutlich, so Krentz, dass Luther bereits zu diesem Zeitpunkt bewusst in symbolischer Weise Herrschaftsrepräsentation und Reformation verknüpfte. In dem protestantischen Musterbegräbnis sei etwa auf Fürbitten verzichtet worden, dafür habe sich der Anteil von Predigten und Leichenreden erhöht. Während des Trauerkondukts durch fürstliches Territorium seien von in hierarchischer Ordnung mitziehenden Landeskindern Lutherlieder gesungen worden, die sich damit selbst als Untertanen konstituiert und zugleich als Anhänger des lutherischen Bekenntnisses gezeigt hätten. Für die protestantische Traditionsbildung war dieses Begräbnis grundlegend: So betonte Krentz, dass Friedrich der Weise erst postum zum Fürsten der Reformation gemacht wurde, sein Begräbnis habe dazu den ersten Schritt dargestellt.

Einem Symbolträger im zweifachen Sinne, der sich in jüngster Zeit großer Beliebtheit in der Forschung erfreut 1, widmete sich ULINKA RUBLACK (Cambridge), die sich mit Kleidung und visueller Politik im Zeitalter der Reformation befasste. Als ausgewiesener Kennerin der materiellen Kultur der Reformation gelang es ihr, die gesellschaftlichen Bedeutungsverschiebungen, die ein Fundamentalvorgang wie die Reformation auslöste, anhand veränderter vestimentärer Codes vorzuführen. Dabei behandelte sie Streifen und Gestreiftes sowie Luthers roten Wams unter dem schwarzen Talar, die beide Merkmale der neu entstehenden lutheranischen Ästhetik wurden, bzw. sie mitentwickelten.

Mit Ahnenprobe und Aufschwörung der Ritter im Alten Reich befasste sich ELIZABETH HARDING (Münster) am Beispiel der Ritterschaft im Fürstentum Osnabrück. Während der Aufschwörung wurde eine durch ein eigenes Verfahren geprüfte Ahnentafel über die Saalschwelle der Ritterkurie getragen. Diesen Vorgang interpretierte Harding als Symbol für die Selbstkonstituierung eines Standes, ja grundsätzlich als ein Symbol des adeligen Stolzes. Entscheidend seien dabei Zuweisung und Kennerschaft der Wappen durch Standesangehörige und eben nicht eine wissenschaftliche Prüfung etwa durch Juristen oder Heraldikexperten; auf diese Weise ließ sich die ritterschaftliche Gruppenkohärenz bewahren. Harding betonte, die Korporation allein habe die Deutungshoheit besessen und dabei eben bewusst keine objektiven Kriterien formuliert. Dies werde etwa in Streitfällen über die Zulässigkeit einer Ahnentafel deutlich, denn dort sei oft eine flexible Handhabung der „kollektiven Grammatik“ ihrer sozialen Ordnung auszumachen.

Einem einzelnen Wappentier, dem Wolf, widmete sich CHRISTOPH F. WEBER (Münster) und leistete dabei eine kleine Kulturgeschichte des Wolfes mit Fokussierung auf die Krise des ausgehenden 13. Jahrhunderts in Italien. Der Wolf sei dort zu einem Krisensymbol geworden, der die Auseinandersetzungen zwischen Kommunen und Landadel markiert, zugleich aber auch Umdeutungen erfahren habe.

Die Umdeutung des symbolischen Gehalts der Nacht, die sich in Europa zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert vollzog, zeichnete CRAIG KOSLOFSKY (Urbana Champaign) in einem instruktiven Vortrag nach. Koslofsky vertrat dabei die These, die Erfahrung der Menschen im Verlauf des 16. Jahrhundert, die parallele Existenz mehrerer Religionen hinnehmen zu müssen, habe die klare Dichotomie von Tag und Nacht und der damit zusammenhängenden Zuweisung von gut und böse aufgeweicht. Anfang des 17. Jahrhunderts habe die Nacht, wie Koslofsky darlegte, ihre überwiegend negative Konnotation teilweise bereits eingebüßt und wäre - so etwa von spanischen Mystikern, aber auch von Anhängern der Täuferbewegung - nunmehr positiv ausgedeutet worden, etwa als ein Geschenk Gottes. Im Barock habe sich die positive Beherrschung der Nacht, zum Beispiel am fürstlichen Hof - durch Einsatz von Pyrotechnik - oder in den Städten - durch Einsatz von Straßenbeleuchtung - weiter fortgesetzt.

Zur europaumspannenden Betrachtung des symbolischen Gehalts der Nacht als mehrschichtiger Bedeutungsträgerin setzte PHILIPP DOTSCHEV (Münster) einen methodischen Kontrapunkt, indem er eine mikrohistorische Fallanalyse zweier Gerichtsverfahren über die Kirchhofseinfriedung in Badbergen und Neuenkirchen (Westfalen) vorlegte. Dotschev konnte anhand der überlieferten Gerichtsakten für den Verlauf des 18. Jahrhunderts, genauer von 1727 bis 1780 in Westfalen, einen deutlichen Säkularisierungsschub nachweisen, der im Umgang mit dem Übergangssymbol der Kirchhofsmauer konkret greifbar ist.

Mit seinem Vortrag zu den Leges Palatinae beendete GOTTFRIED KERSCHER (Trier) die Münsteraner Tagung. Diese Zeremonialhandschrift, die „Urschrift“ des europäischen Hofzeremoniells, entstand in einer Krisensituation 1337 am mallorquinischen Hof und kann, so Kerscher, als Kompensation der herrschaftlichen Bedrängnis verstanden werden. In den Leges Palatinae werde, wie Kerscher betonte, jeweils autonom in Text und Bild, alle Handlungen am Hof definiert; dabei werde jedoch nicht nur bestimmt, was etwa ein Mundschenk zu tun habe, sondern warum er es tue, warum er es tun dürfe und, vor allem, wie er es tun solle. Diese festlegende Standardisierung für die Bediensteten am Hof, der auf vier Paläste verteilt war, müsse als vom Herrscher ausgehende Kodifizierung der symbolischen Kommunikation begriffen werden: Der Hofdienst sei zum Königsdienst und damit die Nähe zum König zum Rangindikator geworden. Kerscher interpretierte darüber hinaus die Leges Palatinae als Versuch des mallorquinischen Königs, seinen Machtverfall durch performatives Gegensteuern im Zeremoniell zu kompensieren.

Die hier zusammengefassten Referate zeigen das breite Spektrum von Symbolen in Krisensituationen. In spezifischen historischen Zusammenhängen treten Symbole durch ihre Veränderung, Neukreierung, aber auch Inszenierung oder Neubewertung sichtbar hervor. Es sei an dieser Stelle den Referenten für Aufschlüsselung und Interpretation einiger „Symbole in der Krise“ bzw. „Symbolkrisen“ gedankt. Den Organisatoren dieser Tagung ist es gelungen, eine reine Leistungsschau des Graduiertenkollegs „Gesellschaftliche Symbole“ zu vermeiden und vielmehr zu demonstrieren, wie ein fruchtbares Gespräch über nationale Forschungshorizonte und Disziplinengrenzen hinweg gelingen kann.

Konferenzübersicht:

Kristin Marek, Bochum
Drei Körper des Königs. Körpersymbolik im englischen Funeralzeremoniell

Barbara Stollberg-Rilinger, Münster
Die zwei Schwerter des Kurfürsten

Christian König, BMI, Berlin
Einsatz von Symbolen und Gestaltung von Zeremoniellen - Staatliches Trauern und Gedenken im Wandel

Heiko Steuer, Freiburg
Adelsgräber, Hofgrablegen und Grabraub um 700 im östlichen Merowingerreich. Widerspiegelung eines gesellschaftlichen Umbruchs

Daniel Peters, Frankfurt am Main
Vom Gräberfeld zum Friedhof. Bestattungssitten und Bedeutungswandel im Grabbrauch des frühen Mittelalters in Soest und Westfalen

Torsten Capelle, Münster
Ringsymbolik

Paul Töbelmann, Heidelberg
Stabsymbolik in der Krise. Der verdoppelte Bischofsstab in Reformkirche und Investiturstreit

Natalie Krentz, Münster
Herrschaftsrepräsentation und Reformation. Das Begräbnis Friedrichs des Weisen von Sachsen 1525

Ulinka Rublack, Cambridge
Luther in Rot. Kleidung und visuelle Politik im Zeitalter der Reformation

Elizabeth Harding, Münster
Warum der Adel seine Ahnen über die Schwelle trägt. Zur Symbolik ritterschaftlicher Aufschwörungen

Christoph F. Weber, Münster
Gerechtigkeit unter den Wölfen. Die Symbolik des Popolo als Antwort auf Krisen in den italienischen Kommunen des ausgehenden 13. Jahrhunderts

Craig Koslofsky, Urbana Champaign
Zwischen Mystik und Alltag: Die Symbolik der Nacht im 17. Jahrhundert

Philipp Dotschev, Münster
Die Kirchhofseinfriedung. Kontinuität und Wandel eines Übergangssymbols

Gottfried Kerscher, Trier
Verschriftlichung, Professionalisierung, Performanz. Überlegungen zur Funktion und Bedeutung der Leges Palatinae

Anmerkung::
1 Vgl. etwa die jüngst erschienene Arbeit von: Philipp Zitzlsperger, Dürers Pelz und das Recht im Bild. Kleiderkunde als Methode der Kunstgeschichte, Berlin 2008.

Kontakt

Graduiertenkolleg Gesellschaftliche Symbolik im Mittelalter
Pferdegasse 3
48143 Münster