Umstrittene Sicherheit. Militärische Mobilisierung, gesellschaftliche Ordnung und politische Partizipation in der Neuzeit (1500-2000)

Umstrittene Sicherheit. Militärische Mobilisierung, gesellschaftliche Ordnung und politische Partizipation in der Neuzeit (1500-2000)

Organisatoren
Ralf Pröve, Rüdiger Bergien, Universität Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.09.2008 - 13.09.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Paul Fröhlich, Historisches Institut, Universität Potsdam

Was haben frühneuzeitliches Defensionssystem, Bürgerwehren des Vormärz und die Freikorps der Weimarer Republik gemein? Nichts, möchte man meinen. Jedoch verbindet sie weitaus mehr, als der erste Blick vermuten lässt. Bei allen drei handelt es sich um Mobilisierungsformen von "Nicht-Militärs", von Zivilisten also, die im Laufe der Jahrhunderte kontinuierlich in Erscheinung traten und in einem Spannungsverhältnis von ziviler Partizipation und institutioneller Herrschaft - einer "umstrittenen Sicherheit" - standen.

Um der vorangestellten Frage näher auf den Grund zu gehen, hatten RALF PRÖVE und RÜDIGER BERGIEN von der Universität Potsdam vom 11. bis zum 13. September 2008 zu einer Konferenz unter dem Titel "Umstrittene Sicherheit" eingeladen. Da sich die historische Forschung des Phänomens der militärischen Mobilisierung von Zivilisten außerhalb regulärer Truppen trotz ihrer Beständigkeit bisher kaum epochenübergreifend genähert hat, wurde ihr in fünf chronologisch abgegrenzten Sektionen nachgegangen, welche die gesamte Neuzeit umfassten. Die zeitliche Breite wurde darüber hinaus durch eine geographische Dimension erweitert, um synchrone Kontinuitäten und diachrone Parallelitäten zu analysieren. Das daraus resultierende, heterogene Themenspektrum stellte den Untersuchungsgegenstand daher vor die Problematik unterschiedlicher Methoden und hermeneutischer Begrifflichkeiten. Die Suche nach strukturellen Gemeinsamkeiten, Differenzen und Gegensätzen im Zusammenhang mit der Mobilisierung von Zivilisten bzw. von "Nichtkombattanten" über den gesetzten Zeitraum hinweg stand somit im Mittelpunkt der Konferenz. Unter Berücksichtigung dieses komparativen Ansatzes wurde nach Kausalitäten zwischen der Mobilisierung von Zivilisten und dem jeweiligen sozio-politischen Kontext, Inklusions- bzw. Exklusionsprozessen, Autarkie vom bzw. Anbindung an den Staat und ideengeschichtlichen Dimensionen in Formationen abseits regulärer Verbände gesucht.

HOLGER GRÄF (Marburg) eröffnete die erste Sektion mit einem Referat über das hessische Defensionswesen vom Beginn des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Unter dem Rückbezug auf das antike Vorbild einer "disciplina militaris" zur Disziplinierung des Gemeinwesens wurde in der Landgrafschaft Hessen-Kassel bis zum Anfang des Dreißigjährigen Krieges ein Landesdefensionswesen aufgebaut. Trotz der Befürchtungen des Adels vor einem Kontrollverlust über die neu geschaffene Institution und trotz der militärischen Ineffizienz der Landesmilizen im Dreißigjährigen Krieg blieb das hessische Defensionssystem bestehen und bildete die Voraussetzung dafür, dass die Landgrafschaft im 18. Jahrhundert zum am "stärksten militarisierten Territorialstaat" im Alten Reich werden konnte. Diese "Fundamentalmilitarisierung" über die Milizen war jedoch nicht, wie Gräf ausführte, an staatlichen oder militärischen, sondern an den monetären Interessen des Landesherren orientiert.

Auch in Brandenburg-Preußen hatte sich das Landesdefensionwesen im Dreißigjährigen Krieg als größtenteils wirkungslos erwiesen, wie FRANK GÖSE (Potsdam) feststellte. In dessen Folge kam es jedoch, basierend auf einigen regionalen Erfolgen, zu einer Wiederbelebung der ständischen Landesmilizen und zu deren enger Verschränkung mit dem stehenden Heer, welche in einer gegenseitigen Einflussnahme, aber auch in einer Konkurrenzsituation bestand. Voraussetzung für eine effektive Mobilisierung der Milizen und damit der Bevölkerung vor 'Ort', so betonte Göse, sei die Konstruktion bzw. Existenz eines das eigene Lebensumfeld betreffende Feindbild gewesen. Bedrohungspotential und die Bereitschaft zur Partizipation am Defensionssystem hätten hierbei miteinander korrespondiert. Jedoch wurde durch die preußischen Oberstände auch in der Landmiliz selbst ein Bedrohungspotential wahrgenommen, da sie die "ohnehin labile Ordnung" gefährde und "allerhand excessus mit dem Gewehr" mache.

SØREN BITSCH CHRISTENSEN ging in seinem Referat zu den städtischen "civic guards" Dänemarks von 1660 - 1848 von der These aus, dass der Dienst in der Miliz zu einem festen Bestandteil der kollektiven Identität der Stadtbürger wurde. Ursache für diese Entwicklung war die Reduzierung bürgerlicher Freiheiten mit der Entstehung des dänischen Absolutismus, welche durch die Teilnahme am Milizdienst partiell aufgehoben werden konnte. Zudem ergab sich aus dem Milizdienst die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs, der die Bindung zum dänischen Königshaus und damit die Loyalität zum und die patriotische Identifizierung mit dem Regenten forcierte. Zu einem Bruch der enthusiastischen Teilnahme an den "civic guards" kam es 1801, als infolge der Napoleonischen Kriege die bis dahin vor allem Repräsentationszwecken dienenden Stadtmilizen "militarisiert" und in das reguläre Heer integriert wurden und schließlich der Dienst in ihnen verpflichtend wurde.

In eine ganz andere Region führte FABIAN FECHNER (Tübingen) mit seinem Bericht über die Umsetzung des Milizgedanken am Beispiel der eingeborenen Guaranís im frühneuzeitlichen Paraguay. Missioniert durch Jesuitenpatres und ausgebildet durch spanische Offiziere sei die Ursache für die Gründung der Eingeborenenmiliz eine zweifache Bedrohung durch nicht christianisierte, angrenzende Stämme und Raubzüge unternehmende Portugiesen gewesen. Erst mit dem Vertrag von Madrid (1750) zwischen Spanien und Portugal und der damit bevorstehenden Vertreibung der Eingeborenen etablierte sich der Widerstand gegen die spanische Krone, der mit der Niederlage der Missionierten im "Guaraníkrieg" endete. Der Konflikt zeigte somit das Spannungsverhältnis zwischen regionaler Identität, die sich in diesem Fall durchsetzte, und der Loyalität zur Obrigkeit.

Im Fazit der ersten Sektion wies Ralf Pröve auf das "hermeneutische Dilemma" des frühneuzeitlichen Milizbegriffes hin, der einen Wandel vom "Lehnsaufgebot" über das "Defensionswesen" bis zur "Miliz" erfuhr. Zudem wurde ein zweifaches Bedrohungspotential -.ein Bedrohungsdilemma - hinsichtlich der Milizen, intern sowie extern, diagnostiziert. Intern wurde die zivile Bewaffnung vonseiten der Herrschaft stets als Gefahr begriffen. Eine Wahrnehmung, die in Mitteleuropa nicht zuletzt auf die Erfahrung des Bauernkrieges zurückzuführen sei. Daneben war vielfach eine Bedrohung von außen nötig, um Milizen mobilisieren bzw. legitimieren zu können. Umstritten blieb in der anschließenden Diskussion die Rolle der Milizformationen im Staatsbildungsprozess bzw. deren Wahrnehmung als Motor oder Konkurrenz der Staatsbildung, da sie einerseits von der Obrigkeit organisiert waren, sich andererseits aber emanzipatorische Ansätze innerhalb der Milizen finden lassen.

Den Anfang der zweiten Sektion machte WOLFGANG KRUSE (Hagen) mit einem Vortrag über die Nationalgarde, die das gesamte 19. Jahrhundert hindurch als Vorbild einer "bürgerlichen Selbstbewaffnung" diente, während der Französischen Revolution. Beginnend mit der Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen den Milizen des Ancien Régime und den neuen Bürgergarden differenzierte Kruse zwischen Paris und den ländlichen Départements. Inklusive und exklusive Faktoren seien dabei im Rahmen von Besitz und Geschlecht zu verorten gewesen. Darüber hinaus charakterisierte Kruse die Garden innerhalb eines emanzipatorischen Prozesses als "revolutionäre politische Kraft", die zur Demokratisierung, Nationalisierung und Radikalisierung der Revolution beitrugen. Als Feindbild galten die vorrevolutionären, privilegierten Stände und die Gegner der neuen Ordnung. Mit dem Hinweis auf die Radikalisierung der Nationalgarden ging Kruse auf den Prozess ihrer Militarisierung ein und umriss den Unterschied zwischen revolutionärer Militarisierung der Garden und Militarisierungsformen durch die reguläre Armee ab 1794.

Der Frage nach einem bürgerlichen Militarismus ging ferner UTE PLANERT (Wuppertal) am Ausnahmebeispiel der Freiburger Bürgermiliz am Ende des 18. Jahrhunderts nach, wobei sie besonders die Identitätsverortung des Bürgermilitärs akzentuierte. Während die Mobilisierung der Landmilizen Vorderösterreichs während der Koalitionskriege stets an eine konkrete Gefahr gebunden war, konnte Freiburg mit einer "stehenden" Miliz aufwarten, die sich explizit auf das Leitbild der Nation bezog. Geprägt durch eine bürgerliche Soziokultur war damit in Freiburg noch vor den Befreiungskriegen eine "nationale Bürgermiliz" entstanden, die sich demzufolge nicht als "preußische Erfindung" bezeichnen lässt. Die Mobilisierungsfaktoren waren eine Gemengelage aus habsburgischer Loyalität, bürgerlichem Patriotismus und deutsch-nationalen Motiven, welche einen Transformationsprozess der Bürgermiliz zu einer "nationalen Gruppierung" bewirkte. Neben der Bedeutung des französischen Feindbildes konstatierte Planert den Ausschluss niederer Sozialschichten.

LUDOLF PELIZAEUS (Mainz) ging in seiner Analyse vom spanischen Widerstand gegen die französische Besatzungsmacht zwischen 1808 und 1813 aus. Als tragende Gruppen der antinapoleonischen Mobilisierung rückten lokale "Bandenführer" und Vertreter der adligen Oberschicht in den Mittelpunkt. Als mobilisierendes Feindbild der neu entstandenen Guerilla identifizierte Pelizaeus den "moros" - die "maurischen", napoleonischen Expeditionstruppen - sowie den französischen "Ketzer" und verwies damit auf das Fehlen einer nationalen Komponente. Insbesondere das zweite Feindbild sei von der spanischen Kirche instrumentalisiert worden, die in der französischen Revolution eine Bedrohung ihrer Ordnungsvorstellungen erkannte, wodurch die Aufstandsbewegung ideengeschichtlich konservativ geprägt wurde. Mit zunehmender Länge des Kleinkrieges, so Pelizaeus, verwischten die Grenzen zwischen regulärem Militär und Miliz- bzw. Guerillaeinheiten, basierend auf einer gegenseitigen Durchdringung.

Inhaltlich knüpfte LINDA BRAUN (Bielefeld) an das spanische Milizkonzept an und thematisierte die Guerilla-Rezeption in Preußen während der französischen Besatzung. Unter ideengeschichtlichen Aspekten wurde die geistige Mobilmachung anhand der Schriften Clausewitz` und Ernst Moritz Arndts analysiert, welche zu einer Übernahme des spanischen und des französischen Exempels aufriefen. "Levée en masse" und Guerillakrieg in Form von Landwehr und Landsturm wurden zu bestimmenden Leitbildern, wobei diese jedoch nur im Notfall als "verzweifelte Maßnahme" ausgehoben werden sollten und in der militärischen Praxis des Jahres 1813 tatsächlich nur eine Episode bildeten. Die "heimliche Scheu vor einem Guerillakrieg" aus Furcht vor einer unkontrollierten Erhebung habe daher nur zu einem kurzen Bestehen des preußischen Landsturmes geführt.

Im Abschlusskommentar zur zweiten Sektion gelangte THOMAS BRECHENMACHER (Potsdam) zu der Erkenntnis, dass die Volksbewaffnung der Ambivalenz bzw. dem Dilemma zwischen deren innenpolitischen Bedrohung und deren militärischen Nutzen bzw. Notwendigkeit unterlag. Besonders in den unkontrollierbaren, emanzipatorischen Faktoren, welche Volksbewaffnung und gesellschaftliche Transformationsprozesse auslösten, wurde durch die Obrigkeit ein erhebliches Bedrohungspotential wahrgenommen. Diese Problematik verdeutlichte besonders das oftmals zügige Aufheben von Milizformationen nach Krisen- bzw. Kriegsphasen.

Die dritte Sektion eröffnete MATTHIAS STEINBACH (Braunschweig) mit einem Referat über das preußische Franctireurbild während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71. Von drei verschiedenen deutschen Perspektiven ausgehend, erhärtete Steinbach die These einer politischen Perzeption der Franctireurs. Dieser sei zunehmend nicht mehr als Teil einer regulären Ersatzformation des kaiserlich-französischen Heeres, sondern partiell als verlängerter Arm der "neu aufgestellten republikanischen Volksarmee" Gambettas und Favres wahrgenommen worden. Als Lösungsoption wurde von militärischer Ebene für eine strengere Besatzungspolitik plädiert, die zu Maßnahmen führten, welche am Horizont die entgrenzte Kriegführung der Weltkriege wetterleuchten ließ.

Die Bemühungen des preußisch-deutschen Militärs nach 1871, in Gestalt der Landwehr Zugriff auf die "Volksbewaffnung" als "ultima ratio" zu behalten, wobei die Sorge vor deren unkalkulierbaren Risiken stets präsent blieb, diskutierte OLIVER STEIN (Potsdam). Auch den von der Forschung bisher nicht zur Kenntnis genommenen Versuch des Militärs, in den 1890er-Jahren in Ostpreußen eine "Volkswehr" vorzubereiten, die im Falle einer russischen Besetzung einen Kleinkrieg hätte entfesseln sollen, deutet Stein als Zeichen einer Annäherung der militärischen Führung an den Gedanken der Volksbewaffnung. Beide, Volkswehr sowie Landsturm, waren für den Großen Generalstab jedoch keine Alternative, sondern allein ein Additiv zum professionellen Heer. Der "Schlieffensche Offensivgedanke" ließ die von defensivem Charakter geprägte Volksbewaffnung wieder einschlafen, bevor am Vorabend in Gestalt einer "Jugendertüchtigung" erneut Ansätze einer Volksmobilisierung praktiziert wurden.

Mit ähnlichen Fragestellungen hatte sich der österreichische Generalstab zu befassen, an dessen Beispiel GÜNTHER KRONENBITTER (Atlanta) die Frage der Volksbewaffnung in der Habsburgermonarchie erörterte. Als zentrales Problem für eine zivile Mobilisierung stellte er den österreichisch-ungarischen Dualismus sowie den uneinheitlichen Charakter des Vielvölkerstaates in den Mittelpunkt. Die Furcht, dass die ausgegebenen Waffen sich unter der Inklusion aller Nationalitäten gegen den Staat selbst wenden könnten, war allgegenwärtig, so dass die innermilitärische Diskussion um alternative Konzepte zur klassischen Wehrverfassung, wie dem von Kronenbitter thematisierten Schweizer Milizsystem, letztendlich in die Aporie führte.

Auch über die Habsburger Grenzen hinweg erfreute sich die Rezeption der Schweizer Milizen großer Beliebtheit. RUDOLF JAUN (Zürich) umriss das Bild der helvetischen Wehrverfassung und deren Rezeption am Beispiel der Sozialisten Wilhelm Liebknecht und Jean Jaurès, denen die grundlegende Ablehnung des "absolutistisch-dynastischen" Heeres gemein war. Beide attestierten der Milizarmee einen pazifizierenden Effekt, da sie rein defensiv orientiert sei. Während Liebknecht im Milizsystem bzw. einer "Volkswehr" in der Hauptsache die "Negation des Militarismus" sah, zielte Jaurès jedoch mit seiner "Armée nouvelle", welche durch die Erfassung der gesamten männlichen wehrfähigen Bevölkerung einen egalisierenden Effekt haben sollte, auf eine Veränderung der Gesellschaftsordnung ab.

Die Beiträge der dritten Sektion, so GERHARD GROß (Potsdam), mit ihren unterschiedlichen Perspektiven verfestigten somit den Eindruck, dass die Frage der Volksbewaffnung sich im Spannungsfeld der Furcht vor einem Kontrollverlust armierter Massen und Professionalisierungsprozessen stehender Heere bewegte. Die Inklusions-/Exklusionskonzepte der Vergangenheit schienen hingegen, wie die Debatte verdeutlichte, weitgehend in den Hintergrund getreten zu sein. Zudem wurde diskutiert, inwieweit im Zeitalter der Massenheere die Suche nach irregulären, vormodernen Formationen sinnvoll erscheint bzw. ob nicht vielmehr ein Kontinuitätsbruch zu diagnostizieren sei.

In der vierten Sektion folgte eine Verengung des Themenspektrums auf den deutschen Raum während der Zwischenkriegszeit, was angesichts der übernationalen, synchronen Konzeption der Konferenz Kritik hervorrief. BORIS BARTH (Bremen) orientierte seine Fragen nach einer "entgrenzten Mobilisierung und idealen Gemeinschaft" am Beispiel von Freikorps und Freiwilligenverbänden zwischen Novemberrevolution und Kapp-Putsch. Er verwies auf den hohen Grad von Selbstmobilisierung innerhalb dieser Formation, wobei Motivation und Zusammensetzung anfangs äußerst heterogen gewesen seien. Gerade die Selbstmobilisierung erschwerte jedoch die Kontrolle durch die Vertreter der republikanischen Ordnung und der "Vorläufigen Reichswehr". Insbesondere die Freikorpseinheiten entzogen sich durch das "Prinzip eines charismatischen Führers" stetig einer Lenkung bzw. einer Einbindung in eine militärische Hierarchie und bewiesen durch ein "hypernationalistisch-nihilistisches Weltbild" und eine zunehmende Brutalisierung ihren Wunsch nach einer nationalen, militaristischen Diktatur. Diese Veranlagung sollte später, so Barth, zu einem Aufsaugen der Freikorps in die SA bzw. NSDAP führen.

Thematisch knüpft RÜDIGER BERGIEN (Potsdam) an jene Freiwilligenformationen an, die im Osten den Grenzschutz übernahmen. Erkenntnisleitend war dabei die Frage nach Exklusions- und Inklusionsprozessen innerhalb des Grenzschutzes, da die Verschiebung von einer politisch breiten Partizipation, zurückgehend auf einen "integrativen Kriegsnationalismus", zu einer eindeutig rechts-nationalistischen Ausrichtung Anfang der 1930er-Jahre erkennbar ist. Die Ursache dieses Transformationsprozesses wurde in der Bereitschaft der Republik verortet, die geheimen Mobilmachungsvorbereitungen in den 1920er-Jahren zu protegieren, ohne jedoch Einfluss auf die personelle Zusammensetzung ausüben zu können und zu wollen. Die Beschränkung eines konservativ-nationalistischen Milieus in den Grenzschutzorganisationen bedeutete jedoch, dass die Republik ihre Feinde "zu ihrem besonderen Schutz" mobilisierte.

Die Mobilisierung der Universitäten im Rahmen der "Wehrwissenschaften" zwischen 1918 und 1945 stand im Mittelpunkt des Referats von FRANK REICHHERZER (Berlin). Reichherzer deutete die "Wehrwissenschaften" - bei denen es sich, so Reichherzer, um eine "integrative Metawissenschaft" gehandelt habe - als direkte Reaktion auf den Ersten Weltkrieg, da dessen empfundene Entgrenzung zu einer Öffnung bzw. Entgrenzung der "Militärwissenschaft" vom Monopol des Militärs geführt habe. Trotz des skizzierten hohen Grades einer Selbstmobilisierung der Wissenschaft, gekennzeichnet durch eine starke Heterogenität in Zusammensetzung und Konzeption, konnten die Wehrwissenschaften keinerlei Breitenwirkung unter der Studierendenschaft entfalten. Zusammenfassend markierte Reichhherzer deutlich die Entwicklung der Wehrwissenschaft als Teil einer "Tendenz zur gesamtgesellschaftlichen Bellifizierung".

Die anschließende Diskussion zeigte erneut, dass eine synchrone Erweiterung des Themenfeldes auf eine stärker komparatistische Ebene vonnöten ist. Da die epochenspezifische Erfahrung des Ersten Weltkrieges in seiner neuen, entgrenzten Art europaweit wirkte, aber in einem Ost-West-Gefälle unterschiedlich verarbeitet wurden, müsse, so das Fazit, dieser Bereich stärker ausdifferenziert werden.

Die fünfte Sektion "Volksbewaffnung und Sicherheitsregimes nach 1945" bewegte sich durch eine ubiquitäre Mentalitätsbeeinflussung, wie BERND STÖVER (Potsdam) im Anschluss konstatierte, im themenübergreifenden Rahmen des Kalten Krieges.

TILMANN SIEBENEICHER (Göttingen) umriss in seinem Referat Aufbau und Entwicklung der "Kampfgruppen der Arbeiterklasse" in der DDR, den aus Arbeitern gebildeten Sicherheitsformationen in staatlichen Betrieben, und gelangte zu der These, dass die Kampfgruppen in erster Linie Produkt "generationsspezifischer Erfahrungen" gewesen seien. Besonders die 1920er-Jahre hätten mit dem Rotfrontkämpferbund traditionsbildend und kontinuitätsfördernd gewirkt, was sich in Erscheinungsbild und Namensgebung niederschlug. Erst ein Wandel der Zusammensetzung nach dem Ausscheiden der "Veteranen" brachte ein verändertes militärisches Selbstverständnis der Kampfgruppen, charakterisiert durch eine "Externalisierung" des Feindbildes und die Aufwertung der Ausrüstung. Ihrer intendierten Aufgabe - dem Schutz von Partei und Staat - kamen sie letztendlich nicht nach und lösten sich noch vor dem Fall der Mauer auf.

Einen aktuell viel diskutierten Typus von ziviler Selbstmobilisierung stellte JOHANNES HÜRTER (München) am Beispiel der RAF vor. Nach einer Differenzierung der unterschiedlichen Perspektiven auf die Frage, inwieweit es sich bei der RAF um eine militärische, politische bzw. kriminelle Vereinigung gehandelt habe, markierte Hürter konzeptionelle Bezüge der "Stadtguerilla" auf Mao Tse-Tung und Che Guevara. Trotz ihrer auf das "Proletariat" gerichteten Mobilisierungsversuche fanden sich in der Sozialstruktur der so genannten "Unterstützerszene" der RAF zumeist Intellektuelle, aus deren Milieu sie sich zumeist rekrutierte. Zudem konnte sie nach der Gefangennahme einzelner Mitglieder gleich einer "Hydra" auf eine hohe Ergänzungsrate bauen, sah sich aber vor das Problem einer mangelnden militärischen Ausbildung gestellt. Ein Dilemma, das trotz Einbindung in internationale, terroristische Netzwerke letztendlich nicht gelöst werden konnte.

Den Abschluss der letzten Sektion bildete MANFRED GRÄF (Potsdam), Kriminaldirektor am Polizeipräsidium Potsdam, mit einem Überblick über sogenannte "Sicherheitspartnerschaften" in Brandenburg zu Beginn der 1990er-Jahre, die in der Boulevardpresse seinerzeit auch als "Bürgerwehren" bekannt geworden waren. Gräf, der mit dem Aufbau dieser "Sicherheitspartnerschaften" befasst gewesen war und dadurch aus der Perspektive des "Zeitzeugen" berichten konnte, verwies auf die politischen Transformationsprozesse der Wendezeit und den Wegfall der sicherheitsstaatlichen Instrumente, die für breite Bevölkerungsteile neue "Angsträume" bzw. ein verstärktes Unsicherheitsgefühl bewirkt hätten. Ein Lösungsansatz der Polizei gegen die tatsächliche bzw. gefühlte Kriminalität ermöglichte das Konzept der Sicherheitspartnerschaften. Unter diesem Ansatz sollte bürgerliches Engagement genutzt und mittels der Polizei Interventionsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

In der Abschlussdiskussion wurden auf Basis von "Defensionssystem, Bürgerwehren und Freikorps" der breite Rahmen von "militärischer Mobilisierung, gesellschaftlicher Ordnung und politischer Partizipation", Kontinuitäten sowie Diskontinuitäten aufgezeigt. Als zentrale Frage stellte sich die jeweilige Beschaffenheit eines "Kräfteparallelogramms" im Spannungsfeld von Fremd- und Selbstmobilisierung, "Staat" und bewaffnetem Bürger, innerem und äußerem Bedrohungspotential dar. In diesem Zusammenhang wurde angeregt, die Perspektive nicht allein auf die Obrigkeit bzw. den Staat zu verengen, sondern ebenso verstärkt auf der Mikroebene Wahrnehmung und Zielsetzung des einzelnen Akteurs zu beachten. Insbesondere die Relation von Milizformation und lokaler Identität, welche einem Wandel auf dem Weg in die Moderne zu unterliegen scheint, wurde hierbei zur Debatte gestellt.

Die einzelnen Beiträge zum Themenkomplex sollen später in gedruckter Form veröffentlicht werden. Dem von den Veranstaltern geplanten Sammelband darf man daher mit Interesse entgegensehen.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Milizen und Staatsbildung (1550–1789)
Holger Gräf, Landesdefension oder »Fundamentalmilitarisierung?« Das hessische Defensionswerk unter Landgraf Moritz (1592–1627)
Frank Göse, Die brandenburgisch-preußische Landmiliz vom ausgehenden 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts: »Reserve« des landesherrlichen miles perpetuus oder Rudiment ständischen Selbstbewusstseins?
Søren Bitsch Christensen, "For the Protection of the Town and the Glory of the King". Danish Civic Guards between the Introduction of Absolutism and the Napoleon Wars, 1660–1801
Fabian Fechner, Gegen Ungläubige und „Mamelucken“. Die Rolle der Eingeborenenmilizen in der Jesuitenprovinz Paraguay (1641–1768)
Kommentar: Ralf Pröve (Potsdam)

Sektion II: Militärische Mobilisierung als politische Emanzipation (1789–1850)
Wolfgang Kruse, Französische Revolution und Nationalgarde
Ute Planert, Reichspatriotismus und dynastisch-nationale Kriegsmobilisierung am Ende des 18. Jahrhunderts: Das Freiburger Bürgermilitär in den Kriegen der Französischen Revolution
Ludolf Pelizaeus, Die anti-napoleonischen Mobilisierungen in Italien und Spanien
Linda Braun, "... eine heimliche Scheu vor einem Guerillakrieg" – Landwehr, Landsturm und Freiwilligenbewegung in Preußen (1806–1814)
Kommentar: Thomas Brechenmacher (Potsdam)

Sektion III: Im Schatten der »Völker in Waffen« (1850–1918)
Matthias Steinbach, »Der Krieg nimmt durch solche Infamie einen erbitterten Charakter an.« Der französische Franctireurkrieg 1870/71 im Spiegel preußischer Kritik.
Oliver Stein, Das deutsche Militär und der Milizgedanke 1871–1914
Günther Kronenbitter, Waffenträger im Vielvölkerreich – Miliz und Volksbewaff5nung in der späten Habsburgermonarchie
Rudolf Jaun, Die Schweizer Miliz als Inspirationsquelle republikanischer Streitkräfte und Staatlichkeit. Von Rüstow zu Liebknecht und Jaurès
Kommentar: Gerhard P. Groß (Potsdam)

Sektion IV: Entgrenzte Mobilisierung und ideale Gemeinschaft (1918–1945)
Boris Barth, Volksbewaffnung und Selbstmobilisierung während der deutschen Revolution 1918–1920
Rüdiger Bergien, Wer gehört zur "Wehrgemeinschaft"? Inklusion und Exklusion im Grenz- und Landesschutz der Weimarer Republik
Frank Reichherzer, "Die Synthese von Schwert und Geist". Wehrwissenschaften und die Mobilisierung von Wissenschaften und Gesellschaft für den Krieg (1918–1945)
Kommentar: Bernd Wegner (Hamburg)

Sektion V: "Volksbewaffnung" und Sicherheitsregimes (nach 1945)
Tilmann Siebeneichner, "Das unmittelbar bewaffnete Organ der Arbeiterklasse". Kampfgruppen in der DDR zwischen revolutionärer Tradition und realsozialistischer Transformation
Johannes Hürter, Rekruten für die "Stadtguerilla". Mobilisierungskonzepte des Linksterrorismus in der Bundesrepublik
Manfred Graef, "Sicherheitspartnerschaften" in Brandenburg nach 1990
Kommentar: Bernd Stöver (Potsdam)