Frauenstifte – Frauenklöster und ihre Pfarreien

Frauenstifte – Frauenklöster und ihre Pfarreien

Organisatoren
Essener Arbeitskreis zur Erforschung der Frauenstifte; Hedwig Röckelein, Universität Göttingen; Michael Schlagheck, Bistumsakademie
Ort
Essen
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.11.2008 - 09.11.2008
Von
Jörg Bölling, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Universität Göttingen

Vom 7. bis 9. November 2008 fand in der Katholischen Akademie des Bistums Essen eine Tagung zum Thema „Frauenstifte – Frauenklöster und ihre Pfarreien“ statt. Organisiert hatte diese Veranstaltung des Essener Arbeitskreises zur Erforschung der Frauenstifte die Göttinger Historikerin Prof. Dr. Hedwig Röckelein, unterstützt durch Dr. Michael Schlagheck von der Bistumsakademie.

An diesem fächerübergreifenden Kolloquium war neben den historischen Einzeldisziplinen der Mediävistik, Landesgeschichte, Rechtsgeschichte und Hilfswissenschaften die Kunstgeschichte beteiligt, mit Beiträgen zur Architekturgeschichte, historischen Bauforschung, Malerei und Plastik.

In ihrer Einführung machte HEDWIG RÖCKELEIN (Universität Göttingen) zum einen auf den interdisziplinären Zuschnitt des Programms aufmerksam, zum anderen auf die innovative Verknüpfung der Erforschung des niederen Pfarrwesens mit der von Frauenstiften und -klöstern: In ihren Eigen- und Patronatskirchen und inkorporierten Pfarreien oblag den Frauenkonventen nicht nur die Verwaltung, Dotation und künstlerische Ausstattung, sondern auch die Bestellung von Klerikern und deren Versorgung mit Pfründen (Präsentation und Kollation). Durch den bestehenden Pfarrzwang hätten die Konventualen somit maßgeblich das allgemeine Alltagsleben der vor Ort geborenen und wohnenden Laien geprägt.

Den Pfarreien des Frauenstifts Essen widmete sich THOMAS SCHILP (Universität Duisburg/ Stadtarchiv Dortmund). Bei der Ausstattung der Kanonikate mit Benefizien kam es oft zu Auseinandersetzungen wegen päpstlicher Provisionen. Die gleichzeitige Nutzung der Münsterkirche als Pfarrkirche wirft die Frage nach der Aufteilung der Raumnutzung auf, etwa die Funktion von Volksaltären für die Laien und die Bedeutung der Krypta und der verschiedenen Kapellen. Von den zahlreichen Pfarreien konzentrierte sich Schilp zunächst auf die zwei Filialkirchen in Essen (ohne eigenes Bestattungsrecht), die zusammen mit dem Stift exemt waren: zum einen St. Johann im westlichen Vorraum der Münsterkirche, ursprünglich Taufkapelle, dann Konventskapelle der am Stift tätigen Kleriker, zum anderen die Gertrudskapelle am Markt für die Pfarrseelsorge. Außerhalb Essens zeigte sich eine weite Streuung über die Grenzen des Ruhrgebietes hinaus, etwa am Mittel- und Oberrhein, wobei alle Pfarreien, inkorporierte wie Patronatspfarreien, unmittelbaren Grundbesitz des Stiftes bildeten. Die Oberhöfe der Schultheiße seien später oft umkämpft gewesen und mitunter als beliebte päpstliche Provisionen an Kleriker gegangen. Alle genannten Aspekte wurden lebhaft diskutiert.

Am nächsten Morgen richtete WOLFGANG PETKE (Universität Göttingen) das Augenmerk auf die Schnittstelle zwischen zönobitischem Ideal und Pfarrkirche. Zunächst ging er auf den Frankfurter „Dom“ – im gesamten Mittelalter Frankfurts alleinige Pfarrkirche – ein. Hier und andernorts hätten die Laien jedoch nach eigenen Kirchen gestrebt, um die Sakramente, vor allem die eucharistische Hostie, jederzeit erhalten zu können. Kirchen wie St. Clemens und St. Lucius in Werden hätten allerdings nur im Notfall Chrisam aus dem Kloster erhalten, wo in jedem Fall die Beerdigung stattzufinden hatte. Neben einer Tendenz zur Ausgliederung der Pfarrseelsorge in Pfarrkirchen (etwa im Augustinerchorherrenstift Steinfeld), nicht selten wegen erheblicher Lärmentwicklung (für Scheyern bezeugt), seien auch bestehende Pfarrkirchen inkorporiert worden. Die Abteikirchen der Zisterzienser waren Petke zufolge niemals Pfarrkirchen, sondern hatten allenfalls entsprechend genutzte Portalkapellen. Wienhausen bildet ein Beispiel für eine dritte Möglichkeit: Dort wurde ein Kloster an einer Gemeindekirche begründet. Das Benediktinerinnenkloster Walsrode schließlich war Konvents- und Pfarrkirche in einem.

„Sancta Colonia: Das Damenstift St. Maria im Kapitol als Teil der Kölner Sakrallandschaft?” lautete die Fragestellung von JOACHIM OEPEN (Historisches Archiv des Erzbistums Köln).
St. Maria im Kapitol, eine zwischenzeitlich benediktinisch geprägte Gründung des 7. Jahrhunderts auf antiken Fundamenten, bildete seit dem 12. Jahrhundert nach Essen das größte Damenstift im Erzbistum Köln. Bereits im Frühmittelalter bestanden Grundherrschaften. Im Hochmittelalter waren mehrere Pfarrkirchen inkorporiert, 1230 laut Oepen insgesamt acht (unter anderem Korschenbroich und Rheindahlen). Wichtige wirtschaftliche Aspekte seien die Pfarrerstellen (nominelle und mit seelsorgerisch tätigen Leutpriestern, Plebanen), die Kirchenbaupflicht und die Stiftungen gewesen.
In Köln selbst sei das Stift in Konkurrenz zur Kirche Klein St. Martin getreten, auf deren Pfarrgebiet es lag. Darüber hinaus habe es mitunter sogar die wichtigste Pfarrkirche der Stadt überragt, St. Kolumba, bezüglich städtischer Prozessionen und Dankgottesdienste. Bei den Stiftungen (Altäre, Kapellanbauten, Singmessen, Singmeisterhaus, Marienbruderschaftsgründung) übernahmen Oepen zufolge im Spätmittelalter Patrizier und höhergestellte Bürger die vormals von Adligen ausgeübte Memoria und ließen diese zahlenmäßig weit hinter sich. Erst ab ungefähr 1550 sollten die Bürger ihre eigentlichen Pfarrkirchen entdecken.

Der Landeshistoriker ARND REITEMEIER (Universität Göttingen) ging dem Verhältnis von Nonnen und städtischen Pfarrkirchen nach. Für die Verbindung von Pfarrkirche und Kloster stellte er drei Möglichkeiten fest: Die „cura animarum“ konnte einem Kloster ‚zuwachsen‘(1.), Konvente konnten an einer Pfarrkirche gegründet werden, was vor allem für zahlreiche Frauenkonvente belegt ist (2.) oder das Kloster bekam die „cura animarum“ nach seiner Gründung offiziell verliehen – auffallend häufig für Zisterzienserinnenkonvente bekannt (3.). Für Itzehoe konnte der Referent unter Einbeziehung verschiedener Schrift- und Bildquellen zeigen, dass wahrscheinlich zwei Kirchenschiffe mit eigenen Giebeln und einem Turm am südlichen Schiff existiert hat. Diese neue These fand in der Diskussion bis auf einen Alternativvorschlag einhellige Zustimmung. Ökonomisch scheint der Frauenkonvent die Kirche dominiert zu haben. Klosterkirchen wurden offenbar häufiger als Pfarrkirchen genutzt als bisher angenommen – je später die Klostergründung, desto größer die Wahrscheinlichkeit. Der Quellenüberlieferung nach gab es vergleichsweise wenige Konflikte.

ULRICH LÖER (Möhnesee/ Günne) zeichnete den Rangstreit zwischen St. Cyriacus („ecclesia conventualis“) und St. Petri („ecclesia forensis“) nach. Als die ältere Kirche besaß lediglich St. Petri dauerhaften Pfarrcharakter, St. Cyriacus – eine Gründung des 10. Jahrhunderts – zwischenzeitlich nur akzessorisch. Vom 11. bis 13. Jahrhundert habe es Konflikte um bestimmte liturgische Akte wie Beerdigungen und die Cyriacus-Prozession gegeben, an der die Petri-Gemeinde traditionell teilnahm. Obschon eine Inkorporation vorgesehen gewesen sei, habe das Stift parochiale Bedeutung in Anspruch genommen, so dass 1289 zwei Pfarreien bestanden. Im 18. Jahrhundert sei es der Äbtissin schließlich durch geschicktes Taktieren gelungen, beim Bischof die „professio fidei“ zu erwirken, die bis dahin der Petri-Kirche zugekommen war. Tatsächlich sei der Rangstreit jedoch im Jahre 1819 zugunsten der Petri-Kirche ausgegangen, die seit 2000 nun mit ihrer ehemaligen Konkurrentin einen Pastoralverbund bildet.

Wie die Seelsorge von Seiten des Stifts Gandersheim organisiert war, beleuchtete CHRISTIAN POPP. Zu Gandersheim gehörten die Eigenklöster Clus und Brunshausen mit der eigenen Pfarrkirche St. Georg. Eigentliche Pfarrkirche war jedoch die Stiftskirche mit Pfarraltar St. Stephanus am Stiftergrab. Über die Liturgie gibt das „Registrum chori“, ein Liber ordinarius des Stiftes, detaillierte Informationen. Darin begegnen Popp zufolge als Stationen für Prozessionen (je nach Anlass um die Stadt herum oder durch sie hindurch) neben den genannten Klöstern Brunshausen und Clus auch St. Maria, eine Filialgründung des 10. Jahrhunderts, sowie die beiden Pfarrkirchen St. Georg und die Kirche des Dorfes in Ellierode mit dem Patronat des Pfarraltares St. Stephanus in der Gandersheimer Stiftskirche. Die Reliquien der Päpste Anastasius (für den Außenbereich der Kirche) und Innozenz (für den Innenbereich) seien am Montag vor Christi Himmelfahrt mitgeführt worden. Die Pfarrrechte und Seelsorge wurden somit auch liturgisch berücksichtigt und durch Reliquien symbolisiert. Die nur sporadische Erwähnung der Laien lasse an deren grundsätzlicher Einbindung keinen Zweifel. Die Friedhöfe, zugleich Kirchhöfe, wirkten dabei als Orte der Memoria.

Zentrale Ergebnisse seiner Forschungen über die drei Metzer Frauenkonvente Sainte-Glossinde, Saint-Pierre-aux-Nonnains und Sainte-Marie-aux-Nonnains präsentierte GORDON BLENNEMANN (Universität Erlangen-Nürnberg). Im 13. und 14. Jahrhundert nutzten diese drei Konvente ihre Pfarrkirchen, um Einnahmen aus ihrer Grundherrschaft zu erheben. Ausgehend von einer schematischen Darstellung („carta figurata“) in einem Kopialbuch konnte die Verdichtung der Besitzlandschaften illustriert werden. Königliche, bischöfliche und päpstliche Urkunden sowie Weistümer hätten das bestehende Recht bestätigt. Die Besetzung der Priester sei durch die Frauenkonvente erfolgt. Die Sakramente hätten zwar zusätzliche Einnahmen eingebracht, aber das Wirken eines (Pfarr-)Klerus erfordert, der große Anteile der Spenden für sich in Anspruch genommen habe. Während Mönchskonvente ältere Pfarrpriester aufnahmen, war diese Möglichkeit den Frauenkonventen nicht gegeben. Kanonikate und Präbendare der Nonnen konnten Blennemann zufolge aufgrund von Rentenkäufen finanzielle Mehrbelastungen mit sich bringen.

Der Kunsthistoriker KLAUS GEREON BEUCKERS (Universität Kiel) interpretierte die Johanniskirche in Essen als Atrienkirche, Kanonikerkirche und Pfarrkirche. Nach einer genauen Beschreibung der gesamten Architektur stellte er einen Vergleich mit der Klosterkirche in Fulda, Alt-Sankt Peter in Rom, dem Tor von Lorsch und dem Mainzer Dom an, wo sich der Atrienkirche St. Johannis entsprechende Portalbauten zeigen. In Mainz wurde dieser Teil nach einem Brand als Kanonikerkirche neu gebaut, später dann für den zeremoniellen Einzug des Erzbischofs genutzt. Vorbild für eine vorgelagerte Gemeindekirche habe dann Sancta Maria ad Gradus vor dem Kölner Dom gebildet. Eine spezifische architektonische Ordnung für Pfarrkirchen lasse sich jedoch nicht nachweisen und daher auch für Essen nicht festmachen.

BARBARA WELZEL (Universität Essen) ergänzte die kunstgeschichtlichen Ausführungen um Untersuchungen zu den Essener Kirchen in Dortmund-Brechten und Huckarde, den beiden zum Stift Essen gehörenden Kirchen auf Dortmunder Stadtgebiet. Brechten weist große Partien von Ausmalungen des 13. Jahrhunderts auf, Inschriften an der Außen- und Innenwand und zahlreiche Ausstattungsstücke. In Huckarde findet sich unter anderem eine Kanzel des späten 15. Jahrhunderts, die über das Dortmunder Dominikanerkloster oder die Essener Äbtissin hierher kam, wobei beides miteinander zusammenhängen könne, da die Dominikaner für die Äbtissin den Gottesdienst zelebrierten. Ein Ziborium des 14. Jahrhunderts deute auf die von Laien postulierten Versehgänge hin.
Im Gegensatz zu der 2010 vielfach im Mittelpunkt stehenden Industriearchitektur sei Huckarde vor allem seit dem mit der Industrialisierung verbundenen Bevölkerungszuwachs nicht nur ein Ort ursprünglich hier arbeitender Männer, sondern der Raum für Hochzeiten, Begräbnisse und andere Feiern ganzer Familien und der Kinder.

Den Abend beschloss ein Roundtable zum Thema „Frauenklöster und ihre Pfarreien: Strategien zu ihrer Erforschung”, an dem sich Robert Suckale, Enno Bünz, Klaus Gereon Beuckers, Clemens Kosch und als Moderatorin Hedwig Röckelein beteiligten.

Robert Suckale illustrierte die – in der älteren Forschung vielfach verkannte –
herausragende Bedeutung der Frauenklöster anhand der Steinmetzarbeiten in Frauwüllesheim (Düren) aus dem Bereich des Meisters Arnold in Köln, Ausstattungsstücken in Hochelten und den Glasfenstern des theologisch sehr gebildeten Konvents in Legden (Westfalen). Klaus Gereon Beuckers beklagte die mangelnde Möglichkeit einer Systematisierung von Pfarrkirchenarchitektur. Clemens Kosch regte schematische Darstellungen (etwa als Organigramm) von ideellen und rechtlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Kirchen und Kapellen an und betonte die Bedeutung interdisziplinären Arbeitens unter Berücksichtigung der Grenzen der jeweiligen eigenen Fachkompetenzen. Enno Bünz machte deutlich, dass ungeachtet zahlreicher vorliegender historischer Arbeiten zum Pfarrwesen (Petke, Kruppa, Löer u.a.) Nachholbedarf in den Bereichen Wirtschaft, Liturgie und Bildung bestehe. Bei der Sichtung der Subsidienregister, Taxierungslisten und Investiturprotokolle sei immer der Diözesanverbund zu berücksichtigen.

Im Anschluss daran folgte eine Diskussion über die Aussagekraft historisch-schriftlicher und kunstwissenschaftlich-gegenständlicher Quellen (Barbara Welzel), die Möglichkeiten einer repräsentativen Auswertung der kulturellen und kommunikativen Leistungen der Sanktimonialen (Thomas Schilp), den mangelnden Erkenntnisgewinn einer notwendigerweise sehr komplexen Typologie (Wolfgang Petke) und das Konzept, von Einzelforschungen am Objekt zu Generalisierungen zu gelangen (Klaus Gereon Beuckers). Hedwig Röckelein beschloss die Runde mit dem Hinweis, dass die tatsächlich notwendigen Einzelstudien am Ende dennoch auf eine Typologie zielen müssten.

Die Vorträge des letzten Tages behandelten wiederum kunsthistorische Probleme. SANDRA MÜNZEL (Universität Erlangen-Nürnberg) ging anhand des Beispiels der Stadt Nürnberg und ihrer Umgebung der bereits am Vorabend kontrovers diskutierten Frage nach, welche architektonischen Einflüsse und Beziehungen zwischen Kloster- und Pfarrkirchen festzustellen sind. In der ehemaligen Dominikanerkirche Frauenaurach begegnen demzufolge ein an den Bamberger Dom, aber auch St. Sebald in Nürnberg erinnerndes Nordportal und ein in Ebrach, St. Sebald und Bamberg nachweisbarer Fries. Dadurch ergaben sich vielfältige Vergleichspunkte zu der Frauenaurach unterstellten Kirche in Kriegenbrunn sowie zu Erlangen-Bruck, Nürnberg-Katzwang und Nürnberg-Großgründlach. Die Entwicklung scheint von Ebrach ausgehend über Bamberg und Nürnberg bis Ende des 13. Jahrhunderts auf die Frauenklöster übergegangen zu sein, von wo aus sie von Pfarrkirchen in Nürnberg und Umgebung aufgegriffen worden sei. Diskussionsstoff bot im Anschluss das Verhältnis von Institutionalität und Bautraditionen mit deren jeweiliger Quellengrundlage (Petke, Röckelein) sowie die Frage der spezifischen Aussagekraft einzelner Architekturelemente (Suckale).

KATHARINA MERSCH (Universität Göttingen) stellte die Frage: „Taufbecken als Orte der Begegnung zwischen Frauenkonventen und Pfarrgemeinden?“. Dabei konnte sie sich auf nicht weniger als zwölf Beispiele stützen. Exemplarisch wandte sie sich dem Stift Freckenhorst und dem Benediktinerinnenkloster Lippoldsberg zu. Beim Freckenhorster Taufstein von 1129 würdigte sie die Arbeiten von Stefan Eugen Soltek, präsentierte aber in zentralen Punkten eigene Ergebnisse. Ein eigenes Baptisterium ist in Freckenhorst nicht vorhanden. Es gab offensichtlich keine Verbindung von Kloster und Pfarrkirche. Der um 1200 in Lippoldsberg entstandene Taufstein weise hingegen ein ikonographisches Programm auf, das sich eher hinsichtlich der Beziehung von Frauenkonvent und Gemeinde lesen lässt. In einer lebhaften anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Bedeutung der Frauenstifte für die Durchsetzung von Reformen in den Pfarreien (Röckelein) und das Verhältnis zwischen Reform und (oftmals offenbar erst im Nachhinein erfolgten) Ausstattungen (Beuckers, Petke) sowie die liturgiehistorische Frage des ursprünglichen Aufstellungsortes und der Funktion des Taufsteins, der möglicherweise für die Profess als zweiter Taufe bestimmt, jedenfalls für Laien offenbar nicht oder nur an Festtagen zugänglich gewesen sei (Kosch).

Abschließend untersuchte THORSTEN HENKE (Hannover/ Göttingen) den künstlerischen Einfluss des niedersächsischen Zisterzienserinnenklosters Medingen auf die Pfarre Wichmannsburg. Dabei widmete er sich drei Ausstattungsstücken: dem Wichmannsburger Leinwandantependium, dem gestickten Medinger Antependium (beide jetzt im Kestner-Museum Hannover) und dem Medinger Schnitzaltar. Alle Werke wiesen in ihren ikonographischen Formen und Inhalten, funktionalen Elementen wie Reliquienfächern und Einschnitten für Hostienverehrung bestimmte Charakteristika auf, die auf weitreichende Verbindungen schließen ließen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Verwendung von Altarfiguren in einer Prozession, die den festgestellten formalen künstlerischen Bezügen eine liturgisch-performative Dimension verliehen habe. In der Diskussion wurde auf die Bedeutung der Glasmalereien des Halberstädter Doms für das Leinwandantependium (Röckelein) sowie auf die Möglichkeit, Retabel und Kästchen als Ziboriumsvorform für den Gemeindegebrauch zu deuten (Beuckers), hingewiesen.

Die Schlussworte (Hedwig Röckelein) umrissen noch einmal die drei Bereiche der Grundherrschaft mit ihrem Eigenkirchenwesen, der Inkorporierung und der Einrichtung von Klöstern an bestehenden Pfarrkirchen, wie sie sich – ein Überlieferungszufall? – vor allem bei Zisterzienserinnen zeige. Bei der bemerkenswerten Öffnung zur Laienwelt habe neben den bislang von historischer wie kunstgeschichtlicher Seite unterschätzten ökonomischen Ressourcen der Pfarreien vor allem die Seelsorge und Sakramentenspendung eine zentrale Rolle gespielt, was zu eigenen Netzwerken geführt und den Ausbau der Landesherrschaft gefördert habe. Die vergleichsweise geringe Quellenüberlieferung zu den Pfarreien könne von einer weitgehend friedlichen Koexistenz herrühren oder aus der späten und von den zuständigen städtischen Räten weniger dauerhaft archivierten Verschriftlichung resultieren.

Ergebnisse sind Röckelein zufolge nur im interdisziplinären Zusammenwirken von Archäologie, Denkmalpflege, Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte und Liturgiewissenschaft zu erzielen. Denkbar sei etwa eine umfassende systematische Erforschung Essens und seiner Pfarreien, der Konvente der verschiedenen Orden (etwa in Lamspringe) und der Memorialstiftungen mit ihren eigenen Beziehungen und Netzwerken sowie dem jeweiligen Verhältnis zwischen Klosterkirche und Pfarrei.

In einem abschließenden Resümee lässt sich festhalten, dass die Tagung durch die innovative Verknüpfung der Forschungen zum niederen Pfarrwesen mit Fragestellungen zur Geschichte der Frauenstifte zahlreiche neue Erkenntnisse hervorgebracht und richtungsweisende Akzente für weiterführende Studien gesetzt hat. Dies ist auch dem interdisziplinären Zuschnitt zu verdanken, bei dem die einzelnen Fächer und fachinternen Spezialgebiete keineswegs unverbunden additiv nebeneinander standen, sondern sich bei verschiedensten Einzelfragen in transdisziplinärer Weise fruchtbar ergänzten. Anlass zu diesem fächerübergreifenden Diskurs war kein äußerlich forcierter Anspruch, sondern die jeweils von eigenen fachinternen Fragestellungen motivierte Anfrage an die jeweils zuständige Nachbardisziplin.

Die nächste Tagung des Essener Arbeitskreises wird vom 6. bis 8. November 2009 zum Thema „Frauenstift und Reformation“ stattfinden. Für das Jahr 2010 wurde das Kulturhauptstadt-Projekt „Frauen bauen Europa“ (5.-11. November) angekündigt.

Konferenzübersicht:

Hedwig Röckelein, Universität Göttingen: Begrüßung und Einführung: “Die Frauenkonvente und ihre Pfarreien - Aufriss eines Problems”

Thomas Schilp, Universität Duisburg / Stadtarchiv Dortmund: “Die Pfarreien des Frauenstifts Essen”

Wolfgang Petke, Universität Göttingen: "Mittelalterliche Stifts- und Klosterkirchen als Pfarrkirchen"

Joachim Oepen, Historisches Archiv des Erzbistums Köln: “Sancta Colonia: Das Damenstift St. Maria im Kapitol als Teil der Kölner Sakrallandschaft?”

Arnd Reitemeier, Universität Göttingen: "Nonnen und städtische Pfarrkirchen: Einfluss und Beziehungen"

Ulrich Löer, Möhnesee/Günne: “Zum Rangstreit vor den Augen der Äbtissin: Ecclesia conventualis und ecclesia forensis in Geseke"

Christian Popp, Göttingen: „Die Pfarrseelsorge im Stift Gandersheim“.
Gordon Blennemann, Universität Erlangen-Nürnberg: "Dos patronarum. Deutung und Funktionalisierung von Pfarrei- und Patronatsrecht am Beispiel der Metzer Benediktinerinnen (12.-14. Jahrhundert)"
Klaus Gereon Beuckers, Universität Kiel: "Die Johanniskirche in Essen. Atrienkirche, Kanonikerkirche, Pfarrkirche"

Barbara Welzel, Universität Essen: "Die Essener Kirchen in Dortmund-Brechten und Huckarde“

Roundtable “Frauenklöster und ihre Pfarreien: Strategien zu ihrer Erforschung”

Moderation: Hedwig Röckelein

Teilnehmer:
Robert Suckale, Technische Universität Berlin
Enno Bünz, Universität Leipzig
Klaus Gereon Beuckers, Universität Kiel
Clemens Kosch, Klostermuseum Dalheim

Sandra Münzel, Universität Erlangen-Nürnberg: "Architektonische Einflüsse und Beziehungen zwischen Klosterkirchen und Pfarrkirchen. Das Beispiel Nürnberg und seine Umgebung"

Katharina Mersch, Universität Göttingen: "Taufbecken als Orte der Begegnung zwischen Frauenkonventen und Pfarrgemeinden?"

Thorsten Henke, Hannover/Göttingen: "Das Zisterzienserinnenkloster Medingen und sein künstlerischer Einfluss auf die Pfarre Wichmannsburg

Hedwig Röckelein/Michael Schlagheck: Schlussworte

Kontakt

Prof. Dr. Hedwig Röckelein
Georg-August-Universität Göttingen
Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Platz der Göttinger Sieben 5
37073 Göttingen
Tel.: 0551 / 39 46 67
Fax.: 0551 / 39 46 32
e-mail: hroecke@gwdg.de

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