Habsburger Herrschaft vor Ort – weltweit (1300–1600)

Habsburger Herrschaft vor Ort – weltweit (1300–1600)

Organisatoren
Teuscher, Universität Zürich; Thomas Zotz, Universität Freiburg im Breisgau
Ort
Lenzburg (bei Zürich)
Land
Switzerland
Vom - Bis
09.10.2008 - 11.10.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Isabelle Schürch, Mittelalter, Universität Zürich

„Habsburger Herrschaft vor Ort – weltweit (1300-1600)“, unter diesem Titel organisierten Simon Teuscher (Zürich) und Thomas Zotz (Freiburg im Breisgau) in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv und der historischen Gesellschaft des Kantons Aargau eine Tagung, die Formen und Funktionsweisen von Habsburger Herrschaft in ihrer lokalen Umsetzung untersuchte und zudem den Bogen vom Hochmittelalter bis in die Neuzeit spannte. Wie Zotz und Teuscher in ihrer Einführung erläuterten, sollte der Blick für einmal ganz gezielt auf ländliche und kleinstädtische Lokalitäten gerichtet, dafür aber ganz bewusst unter Betrachtung des Habsburger Reichs in seiner globalen Dimension, also auch unter Einbezug von Mittel- und Südamerika, Iberien, den Niederlanden, Süddeutschland, Österreichs und der Schweiz. Ein solcher Ansatz ermöglichte es, die herkömmlichen Untersuchungen zur lokalen Herrschaftsausübung häufig inhärenten nationalgeschichtlichen Perspektiven auszubrechen und durch Vergleiche und Konfrontationen neuen Fragen zu generieren. Die Beiträge behandelten Fragen nach den Folgen von Präsenz und Absenz der Habsburger Herrscher vor Ort und nach den Praktiken, Medien und Symbolen durch die Herrschaft mehr oder weniger erfolgreich aufgebaut, durchgesetzt und konsolidiert wurde.

Die Beiträge wurden in die drei Sektionen unterteilt: „Regionale Perspektive in den alten und neuen Territorien, „Lokale Herrschaftsvermittler (local powerbrokers)“ sowie „Ferne und Präsenz der Machtzentrale.“

Im ersten Themenblock gelang es, aus einer vergleichenden Perspektive heraus regionale Unterschiede und Besonderheiten einzelner habsburgischer Territorien nicht zuletzt in Bezug auf ökonomische Strukturen und Praktiken herauszuarbeiten. Den Auftakt gestaltete ALEJANDRO CAÑEQUE (Maryland) mit einer Darstellung der konfliktreichen Habsburger Herrschaft in Neuspanien, in der er vor allem auf das systemimmanente Konfliktpotential hinwies, das sich in den Machtkämpfen zwischen den Vizekönigen und den klerikalen Autoritäten zeigt. Das Referat von KLAUS BRANDSTÄTTER (Innsbruck) beschäftigte sich mit den Habsburger Herrschaftsintensivierungen in Tirol (14. bis 16. Jahrhundert.). Sein Augenmerk richtete er dabei vor allem auf die teilweise problematische Intensivierung und Formalisierung der Beziehung zwischen den Habsburgern und den reichsunmittelbaren Hochstiften Brixen und Trient oder auch mit den weiter südlich beheimateten Grafenfamilien, die ihre ursprünglich über Tirol laufende Bindung an die Habsburger als Reichsunmittelbarkeit durchzusetzen suchten. MARTINA STERCKEN (Zürich) diskutierte Formen von Habsburger Herrschaft in Städten im Gebiet der heutigen Schweiz, wobei sie ganz konkret nach personalen und materiellen Aspekten fragte. Auf die wirtschaftliche Seite der Habsburger Herrschaft in Peru konzentrierte sich HERACLIO BONILLA (Bogotá). Er zeigte, dass vor der Conquista in den Zentralanden reine Subsistenzwirtschaft betrieben und erst mit der politischen Durchdringung der amerikanischen Territorien der Prozess hin zu Monetarisierung eingeleitet wurde. Der Ausbau und die Nutzung von Märkten erwiesen sich dabei für das Verständnis der transatlantischen und transnationalen Habsburger Herrschaft als zentral. In eine ähnliche Richtung zielten CHRISTIAN LACKNERs (Wien) Untersuchungen zu der Herausbildung eines Kreditsystems basierend auf Pfandschaftswesen und Ämterkauf in den spätmittelalterlichen habsburgischen Ländern Österreich und Steiermark. Die Bedeutung von Kapitalisierung strich auch WIM BLOCKMANS (Wassenaar) hervor. Er nutzte die Region Flandern als Beispiel für die Unzulänglichkeiten der Habsburger Herrschaft in einer Peripherie, die über die nötigen finanziellen, wirtschaftlichen und strukturellen Mittel verfügte, um sich gegen die Zentralisierungstendenzen der Herrschaftszentrale und gegen die Integration ins Reich zur Wehr zu setzen. Anschaulich präsentierte JELLE HAEMERS (Gent) die im Rahmen der Revolte von 1488 formulierten Klagepunkte der Stadt Gent und setzte diese den Inhalten der 1477 erhaltenen Privilegien der größeren flandrischen Städte gegenüber. Es gelang ihm dadurch, aufzuzeigen, wie wirtschaftliche Interessen, narrative Topoi oder auch der konkrete, berechtigte Vorwurf der Nichtpräsenz der Habsburger von den Aufständischen gezielt eingesetzt wurden.

Insgesamt zeigte diese Sektion, dass lokale Herrschaft und die Bedeutung der regionalen Herrschaftsträger sehr stark von den jeweiligen lokalen ökonomischen Systemen abhingen. In seinem Kommentar zur ersten Sektion schlug JON MATHIEU (Luzern) vor, den Monetarisierungsgrad mit einem komparativen Ansatz zu untersuchen und beispielsweise von den drei Typen von Staatsbildungsfaktoren nach Charles Tilly (capital-intensive, coercion-intensive und capitalized coercion) auszugehen.1 Weiter hob Mathieu die Bedeutung des Transfer politischer Techniken und Praktiken hervor, etwa in Bezug auf die Informationsweitergabe. Der Zugang zu verlässlichen Informationen über örtliche Geschehnisse und Begebenheiten war grundlegend, um eine wirkungsvolle und zielgerichtete Politik betreiben zu können. So stellte der Real y Supremo Consejo de Indias den Informationsfluss zwischen dem neuzeitlichen Spanien und Südamerika trotz beträchtlicher räumlicher Distanz durch sogenannte „questionàrios“ mit ihrem ausgeklügelten Fragesystem sicher. Es stellt sich die Frage, ob dieses Informationsmedium auch im europäischen Raum übernommen wurde. Schließlich diskutierte Mathieu die Frage nach der Periodisierung, die sich in den verschiedenen Teilen des Habsburger Reiches anders präsentiert und die Schwelle zwischen Spätmittelalter und Neuzeit variabel gestaltet.

Einen eigentlichen Höhepunkt der Tagung bildete der Abendvortrag von Thomas Zotz, der die langfristige Entwicklung des habsburgischen Machtkomplexes im knappen halben Jahrtausend zwischen der urkundlichen Ersterwähnung des Namens Habsburg 1108 und dem Tod Karls V. 1558 als Kontrapunkt zu den lokalen Zugangsweisen nachzeichnete. Zotz zeigte auf, wie sich im Lauf dieser Entwicklung nicht nur die regionalen Schwerpunkte, sondern auch die Instrumente der Integration neu dazu gewonnener Gebiete veränderten – bis zum Punkt, an dem die Expansionen die Gestaltungskraft des Hauses Habsburg überstrapazierten. Zwischen den Blöcken wurden in kurzen Beiträgen laufende Forschungsprojekte mit Bezug zur lokalen Herrschaft der Habsburger vorgestellt. So berichtete CLAUDIA MODDELMOG (Berlin) über ein Projekt zum Stiftungsverhalten der Habsburger und RAINER HUGENER (Zürich) stellte seine Untersuchungen zum eidgenössischen Schlachtgedenken vor, das er auf habsburgische Traditionen der Memoria zurückführte. LUKAS WOLFINGER (Münster) referierte über die Beziehungen zwischen dem kirchlichen Zentrum St. Stephan in Wien und seiner Peripherie, BRUNO MEIER (Baden) über neue Untersuchungen zur Geschichte der Habsburger im Aargau und CHARLOTTE BRETSCHER (Aarau) berichtete zusammen mit CHRISTIAN SIEBER (Aarau) über ihr Projekt der Neuedition der „Acta Murensia“, einer der wichtigsten Quellen zur älteren Geschichte der Habsburgerdynastie.

Im zweiten Block ging es um lokale Herrschaftsvertreter, ihre Interessenkollisionen, ihren Beitrag zur Stabilisierung und Destablisierung von Herrschaft und um ihre Darstellung in administrativen und literarischen Texten. Der Beitrag von CHRISTIAN LACKNER (Wien) zeigte die Ambivalenz der Herrschaftsvertreter auf, da diese sich im Schnittpunkt zwischen Verwaltung und Kommerzialisierung bewegten. SIMON TEUSCHERs Vortrag untersuchte literarische Topoi der bösen, gierigen, wollüstigen oder sadistischen Vögte. Diese stellen keineswegs die Amtstätigkeiten der Vögte dar, sondern waren Bestandteile eines moralischen Diskurses über politische Praktiken, die tatsächlich weniger durch tyrannische Herrschaftsvertreter als durch eine starke Einbindung dörflicher und kleinstädtischer Eliten in das Herrschaftssystem geprägt waren. Ein weiteres eindrückliches Beispiel von lokaler Verwaltung wurde durch FELIX HINZ (Kassel) anhand Tlaxcalas, die muy insigne, noble y leal ciudad im heutigen Mexiko, aufgezeigt. Diese Stadt innerhalb Neuspaniens stellt das Modell einer Peripherie dar, die sich freiwillig und selbstständig hispanisierte und sich so kurzfristig einen hohen Autonomie- und Selbstverwaltungsgrad sichern konnte. Hinz führte anhand anschaulicher Beispiele, wie die kostspielige Anschaffung einer Uhr, aus, wie die freiwillige und keineswegs immer erfolgreiche Anpassung an und Integration in die habsburgische Herrschaft erfolgen konnte.

In seinem Kommentar zu den Beiträgen des zweiten Themenblock entwickelte KARL-HEINZ SPIEß (Greifswald) folgende Thesen: Obwohl sich im Rahmen der Habsburgerherrschaft vor Ort Zwischenglieder mit eigenen Interessen einrichteten, wirkte sich das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis zwischen Zentralmacht und lokaler Vertretung in der Peripherie stabilisierend aus. Die Studien zu ganz unterschiedlichen Territorien zeigen aber auch auf, wie groß die Freiräume, vor allem in ökonomischer Hinsicht, dieser Herrschaftsvertreter sein konnten.

Im dritten und letzten Themenblock zu Präsenz und Ferne der Machtzentrale durchleuchteten BRIGITTE KURMANN-SCHWARZ (Zürich) und ANDREAS BIHRER (Freiburg im Breisgau) die Rolle kirchlicher Institutionen bei der herrschaftlichen Durchdringung ihrer Territorien. ALOIS NIEDERSTÄTTER (Bregenz) untersuchte lokale Gemeindebildung zwischen Bodensee und Alpen, in deren Prozess im 15. Jahrhundert auch die Stände durch die Herrschaft instrumentalisiert wurden. Die Kommentare zu diesem Teil von BIRGIT STUDT (Freiburg im Breisgau) leiteten zur Schlussdiskussion über. Diese ergab kontroverse Einschätzungen des heuristischen Werts einer Diskussion von Herrschaft entlang des Begriffpaars Absenz/Präsenz und befasste sich noch einmal mit der Bedeutung der wirtschaftlichen, sozialen und topographischen Bedingungen, unter denen sich Habsburger Herrschaft entfaltete. Dabei wurde deutlich, dass die Tagung einen wichtigen Reflektionsprozess über Möglichkeiten der vergleichenden Untersuchung lokaler Herrschaftsstrukturen in Gang gesetzt hatte.

Konferenzübersicht:

1. Alte und neue Territorien: regionale Perspektiven

Alejandro Caneque (Maryland): In Lands so Remote – The Conflictual Nature of Habsburg Rule in the Viceroyality of New Spain

Wim Blockmans (Wassenaar): What to Do with a Rich Periphery? Intergration and Resistance in the Habsburg Low Countries

Klaus Brandstätter (Innsbruck): Habsburger Herrschaft vor Ort – Tirol (14.-16. Jahrhundert)

Heraclio Bonilla (Bogotá): The Nature and the Mechanisms of the Habsburg Rule in the Context of the Andean Rule

Martina Stercken (Zürich): Landesherrschaft in Städten. Zur Präsenz der Habsburger im Gebiet der heutigen Schweiz.

Jelle Haemers: Faire son prouffit – La politique de Maximilien de Habsbourg et les révoltes urbaines au comté de Flandre (1477-1492)

Thomas Zotz (Freiburg i.Br.): Zentren und Peripherien des habsburgischen Imperiums im Mittelalter

2. Lokale Herrschaftsvermittler

Christian Lackner (Wien): Zwischen herrschaftlicher Gestaltung und regionaler Anpassung. Pfandschaften, Ämterkauf und Formen der Kapitalisierung in der Verwaltung der spätmittelalterlichen habsburgischen Ländern Österreich und Steiermark

Simon Teuscher (Zürich): Evil Bailifs. Narratives, Models and Institutions of Local Lordship in the Vorlande

Felix Hinz (Kassel): Eine rein-indianische Stadt gibt sich demonstrativ kaisertreu: Die Muy insigne, noble y leal ciudad de Tlaxcala (Mexiko) 1521-1550

Kurzpräsentationen zu aktuellen Forschungsarbeiten:

Claudia Moddelmog (Berlin): Die Habsburger und Königsfelden: Deutungen einer Beziehung

Rainer Hugener (Zürich): Liturgie und lokale Herrschaft. Habsburgisches und eidgenössisches Totengedenken nach der Schlacht bei Sempach (1386)

Bruno Meier (Baden): Der aargauische Beitrag (Schwerpunkte der aktuellen Forschungen)

Charlotte Bretscher und Christian Sieber (Aarau): Das Editionsprojekt der „Acta Murensia“

Lukas Wolfinger (Münster): Die „Attraktion“ der Herrschaft – Zu Strategien der Einbindung unter Herzog IV. von Österreich und seinem Kanzler Johann Ribi von Lenzburg

3. Ferne und Präsenz der Machtzentrale

Brigitte Kurmann-Schwarz (Zürich): Zeichen der Frömmigkeit oder Bilder der Macht? Die Habsburger in den Glasmalereien der ehemaligen Klosterkirche Königsfelden

Teofilo F. Ruiz (Los Angeles): Royal Itinerancy and Festivals. Philipp and the Crown of Aragon, 1585-1586 (Referat verlesen)

Andreas Bihrer (Freiburg i.Br.): Kirchenpolitik und sakrale Präsenz. Formen stellvertretender Herrschaft der Habsburger in den Vorderen Landen (1291-1415)

Alois Niederstätter (Bregenz): Habsburgische Herrschaftspraxis zwischen Bodensee und Alpen (14. und 15. Jahrhundert)

Anmerkung:
1 Vgl. Charles Tilly, Coercion, Capital, and European States. AD 990-1990, in: Journal of Social History, Bd. 29, Nr. 1 (1995), S. 173-174.