Dynamiken zwischen Ost und West. Wie sich Religionen im wechselseitigen Kontakt entwickeln

Dynamiken zwischen Ost und West. Wie sich Religionen im wechselseitigen Kontakt entwickeln

Organisatoren
Internationales Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung (IKGF) „Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa“, Ruhr-Universität Bochum
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.10.2008 - 17.10.2008
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Von
Anna Neumaier, Lehrstuhl für Religionswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum

Der Vordere Orient, der Ferne Osten, das Abendland – geographische Regionen werden oft mit kulturell und religiös einheitlichen Blöcken identifiziert. Doch nicht nur in Zeiten der Globalisierung, sondern auch in den Jahrhunderten vor unserem bestanden bereits rege Kontakte zwischen weit entfernten und kulturell diversen Religionen. Mit solchen Begegnungen und den daraus entstehenden wechselseitigen Einflüssen befasst sich das in diesem Jahr vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eingerichtete Internationale Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung (IKGF) „Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa“ an der Ruhr-Universität Bochum. Seinem Forschungsprogramm liegt die Annahme zugrunde, dass die sogenannten Weltreligionen keine monolithischen Entitäten darstellen, sondern sich in der Vergangenheit im Kontakt und Austausch miteinander konstituiert haben und noch heute weiterentwickeln.

Bei der interdisziplinär besetzten Eröffnungstagung des Forschungskollegs vom 15.-17. Oktober 2008 in Bochum griffen Geisteswissenschaftler aus der ganzen Welt deshalb Fragen nach der Formierungsphase der großen religiösen Traditionen Buddhismus, Hinduismus, Christentum und Islam, ihren wechselseitigen Kontakten im Laufe ihrer Expansion und ihrer Bedeutung und Entwicklung auf. Mit Vorträgen und Diskussionen zu religiösen Formationen und interkulturellen Kontakten in China und Indien, den Austauschprozessen zwischen Christentum, Judentum und Islam und der Geschichte der Ausbreitung des Buddhismus in Süd- und Südostasien sollte das Konzept des neu gegründeten Forschungskollegs erprobt werden. Um Konstrukte von Orient und Okzident aufzulösen, untersuchten die Wissenschaftler aus Europa, den USA, Israel und Kanada die inner- und außerreligiösen Bedingungen, Vehikel und Folgen der Entwicklung und Verbreitung religiöser Traditionen.

JAN ASSMANN (Heidelberg) hob in seinem Eröffnungsvortrag zur Achsenzeit und dem Aufstieg der Weltreligionen insbesondere die Bedeutung der Schrift hervor. Ihre Entwicklung sei es gewesen, die sowohl die Basis für weitgreifende kulturelle Neuerungen als auch für den Erhalt bestehender kultureller Errungenschaften bereitgestellt habe. Zudem habe die Schrift die Kanonisierung religiöser Ideen ermöglicht – eine Entwicklung, die für die Religionsgeschichte kaum zu überschätzen ist.

Der Verlauf eines Farbtropfens in einem Whirlpool – mit dieser Metapher hatte SARAH STROUMSA (Israel) religiöse Dynamiken beschrieben. Religiöse Ideen ziehen Kreise, sie bleiben nicht, wie sie waren, und gleichsam ändert sich auch ihr Umfeld. In den folgenden Vorträgen und Diskussionen wurde allerdings – nicht zuletzt angesichts der breiten zeitlichen und räumlichen Spanne des Forschungsfeldes – die dringende Notwendigkeit deutlich, sich neben der materialen Geschichte auch mit wissenschaftstheoretischen und methodologischen Fragen auseinanderzusetzen. Dazu gehören etwa Überlegungen zu diachronen Entwicklungen in der Religionsgeschichte. In diesem Zusammenhang betonten Sarah und GUY STROUMSA (Israel) von der Universität Jerusalem, dass die Konstitution der verdichteten religiösen Traditionsgeflechte Judentum, Christentum und Islam nur vor dem Hintergrund der hellenistischen Religionsgeschichte zu verstehen ist. In komparativer Hinsicht stellte sich die Frage, ob ein westlich geprägtes Bild von Religion überhaupt einen passenden Maßstab für religions- und regionalwissenschaftliche Forschung im Bereich asiatischer Kulturen abgeben kann. Mit welchen analytischen Werkzeugen können etwa asiatische Traditionen untersucht werden, ohne dass durch die Anwendung von Konzepten, die in einem ganz anderen historischen und kulturellen Kontext entwickelt wurden, der Blick auf die Besonderheiten außereuropäischer Religionen verstellt wird? Diesen Themen widmeten sich die Asienwissenschaftler PATRICK OLIVELLE (Austin), STEPHEN C. BERKWITZ (Springfield), RONALD M. DAVIDSON (Fairfield) und ROBERT FORD CAMPANY (Los Angeles). Sie waren sich darüber einig, dass bestehende Konzepte gründlich auf ihre Herkunft und Implikationen für die philologische und historische Forschung hinterfragt werden müssen, um sich der Gefahr eines „methodologischen Okzidentalismus“ zu erwehren. Dies gilt nicht zuletzt für den Religionsbegriff selbst, der seit der Neuzeit und in der sich globalisierenden Moderne allerdings zu einem universalen Konzept geworden ist. Diese Entwicklung stellten die Religionssoziologen PETER BEYER (Ottawa) und JOSÉ CASANOVA (Washington) heraus.

Für die internationalen Sprach-, Religions- und Asienwissenschaftler, Soziologen und Historiker, die sich in der letzten Woche in Bochum versammelten, stellte sich zudem die Frage ihrer wissenschaftlichen Perspektive: Diese ist im Zweifelsfall nun einmal eine moderne europäische, so der Hinweis von Koreanist BOUDEWIJN WALRAVEN (Leiden). JOHN TOLAN (Nantes), Historiker an der Universität Nantes, plädierte daher dafür, den Diskurs über Entwicklungen der Religionsgeschichte durch die Beteiligung außereuropäischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu erweitern. Dass gerade das Bochumer Unternehmen gute Voraussetzungen dafür bietet, das komplexe Feld der religiösen Verflechtungen in und zwischen Europa und Asien zu untersuchen, bescheinigte dem Forschungskolleg TOMOKO MASUZAWA (Ann Arbor), Historikerin und Literaturwissenschaftlerin an der Universität Michigan. Religiöse Diversität „outside the box“ und damit jenseits feststehender Konzepte etablierter, vermeintlich monolithischer Weltreligionen zu untersuchen, müsse der Anspruch sein. Denn gerade die Dynamiken zwischen religiösen Traditionen ließen sich nicht mit dem Blickwinkel einer europäischen oder asiatischen Innenperspektive entdecken, im Gegenteil – „Dynamics are out there“.

Konferenzübersicht:

Welcome Address, Tibor Kiss, Vice-Rector for Structure and Finances, Bochum, Germany
Introduction, Volkhard Krech, Comparative Religion, Bochum, Germany
The Axial Age and the Rise of World Religions, Jan Assmann, Egyptology, Heidelberg, Germany
Evening Programme: »An Audio-Visual Journey through the Parthian Age« (Script: Heinz Georg Held)

SECTION I: THE FORMATION OF THE GREAT RELIGIOUS TRADITIONS THROUGH INTER-RELIGIOUS CONTACT
(Chair: Christian Frevel, Old Testament Studies, Bochum, Germany)

Religious Formations and Intercultural Contacts in Early China, Victor H. Mair, Chinese Language and Literature, Philadelphia (PA), USA
Response, Michael Friedrich, Chinese Language and Culture, Hamburg, Germany

Vedic Religion, Buddhism, and Hindu Religions, Patrick Olivelle, Sanskrit and Indian Religions, Austin (TX), USA
Response, Jens Schlieter, Religious Studies, Bern, Switzerland

Judaism, Christianity, and Islam, Guy G. Stroumsa, Comparative Religion, Jerusalem, Israel
Response, Sarah Stroumsa, Jewish Studies and Islamic Studies, Jerusalem, Israel

SECTION II: CONTACT BETWEEN THE GREAT RELIGIOUS TRADITIONS DURING THEIR EXPANSION
(Chair: Nikolas Jaspert, Medieval History, Bochum, Germany)

The First Islamic Empire: The Reaction of the Jewish World to the Rise of Islam, Michael Lecker, Arabic Language and Literature, Jerusalem, Israel
Response, John Tolan, History, Nantes, France

The Jesuit Mission to China: Its Consequences for the Religious Situation in Korea and for the Political Ideas in Europe, Eun-jeung Lee, Korean Studies, Berlin, Germany
Response, Michael Lackner, Sinology, Erlangen-Nürnberg, Germany

The Expansion of Buddhism in South and Southeast Asia, Stephen C. Berkwitz, Religious Studies, Springfield (MO), USA
Response, Sven Bretfeld, Comparative Religion, Bochum, Germany

Inauguration of the Exhibition »Hellenistic Coins from the East« at Ruhr-University Kunstsammlungen organised by Peter Wick, New Testament, Bochum, Germany

SECTION III: THE NOTION OF RELIGION AND RELIGIOUS SEMANTICS IN A CROSS-CULTURAL PERSPECTIVE
(Chair: Lucian Hölscher, Modern History, Bochum, Germany)

Troubles with Pluralism: Conceptualizing Religious Diversity outside the Box, Tomoko Masuzawa, History and Comparative Literature, Ann Arbor (MI), USA
Response, Aslam Syed, Philosophy of History, Islamabad, Pakistan

The Notion of Religion and its Meaning for Writing the History of Chinese Religions, Robert Ford Campany, School of Religion, Los Angeles (CA), USA
Response, Russell T. McCutcheon, Religious Studies, Tuscaloosa (AL), USA

Canon and Identity in Indian Esoteric Buddhism as the Intersection of Cultures, Ronald M. Davidson, Religious Studies, Fairfield (CT), USA
Response, Markus Zehnder, Old Testament Studies, Kristiansand, Norway

SECTION IV: RELIGION IN THE AGE OF GLOBALISATION
(Chair: Marion Eggert, Korean Studies, Bochum, Germany)

Religion in a Globalized World, Peter Beyer, Religious Studies, Ottawa (ON), Canada
Response, Ian Reader, Japanese Studies, Manchester, Great Britain

Religion, Secularization, and Sacralization, José Casanova, Sociology, Washington, DC, USA
Response, Reinhard Schulze, Islamic Studies, Bern, Switzerland

ROUND TABLE: STUDYING DYNAMICS IN THE HISTORY OF RELIGIONS. CONVERGENCES AND DIVERGENCES
(Chair: Volkhard Krech, Comparative Religion, Bochum, Germany)
Participants: Bettina Dennerlein (Islamic Studies, Hamburg, Germany), Peter Schalk (History of Religions, Uppsala, Sweden), Francesca Tarocco (Religions and Theology, Manchester, Great Britain), Veit Rosenberger (Ancient History, Erfurt, Germany), Boudewijn Walraven (Korean Studies, Leiden, Netherlands)