Das Jahr 1933. Die nationalsozialistische Machteroberung und die deutsche Gesellschaft. 9. Dachauer Symposium zur Zeitgeschichte

Das Jahr 1933. Die nationalsozialistische Machteroberung und die deutsche Gesellschaft. 9. Dachauer Symposium zur Zeitgeschichte

Organisatoren
Große Kreisstadt Dachau, Amt für Kultur, Fremdenverkehr und Zeitgeschichte; Andreas Wirsching, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Augsburg; Jugendgästehaus Dachau
Ort
Dachau
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.10.2008 - 11.10.2008
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Von
Thomas Vordermayer, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Augsburg

Das Jahr 1933 kann als eines der am besten erforschten Jahre der deutschen Geschichte gelten. Die Anzahl der Studien über den mit diesem Jahr assoziierten Hauptthemenkomplex – die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten – ist schlechterdings unüberschaubar. Dass sich das 9. Dachauer Symposium zur Zeitgeschichte unter der Leitung von Bernhard Schoßig und Andreas Wirsching dennoch explizit dem Jahr der Machtergreifung widmete, liegt darin begründet, dass sich in dessen Erforschung trotz des unzweifelhaft hohen Kenntnisstandes der Geschichtswissenschaft nach wie vor unterbelichtete Themenfelder finden lassen. Insbesondere im Kontext einer „Gesellschaftsgeschichte des Dritten Reiches“, so ANDREAS WIRSCHING (Universität Augsburg) in seinem einführenden Vortrag über ‚Das Jahr 1933 als Aufgabe der Forschung‘, ließen sich neue Fragestellungen entwickeln oder in Bezug auf die Interaktion zwischen Bevölkerung und NS-Regime, sei es hinsichtlich einer „Erfahrungsgeschichte der großen Mehrheit des deutschen Volkes“. Einen Beitrag zu dem hiermit umrissenen Perspektivenwandel auf das Jahr 1933 zu leisten benannte Wirsching als das Ziel des Symposiums, wobei er die Aufmerksamkeit vornehmlich auf fünf, in einem jeweils spezifischen Spannungsverhältnis zueinander stehende Dimensionen der Machtergreifungen lenkte: Neben der Reichweite des Charismas politischer Entscheidungsträger (I.) verwies er auf die Bedeutung nationalsozialistischer Gewalt- und Terrormaßnahmen (II.) ebenso wie auf bürokratische (III.) sowie funktionale und zweckrationale Aspekte (IV.) der Machtergreifung. Diesen Blickwinkeln stellte Wirsching zudem die Dimension der Indifferenz (V.) zur Seite, mit dem die Bevölkerung den politischen Ereignissen um den 30. Januar 1933 zu einem gewissen Grad begegnet sei. Aus diesen sich gegenseitig überformenden Perspektiven sollte ein „multidimensionales Bild“ des Jahres 1933 entstehen und damit Aufschluss über die Wechselwirkung von deutscher Gesellschaft und nationalsozialistischer Machteroberung gewonnen werden.

Die Sektion Politiker, Parteien, Eliten eröffnete WOLFRAM PYTA (Universität Stuttgart) mit dem Vortrag ‚Geteiltes Charisma. Hindenburg, Hitler und die deutsche Gesellschaft im Jahre 1933‘. Unter Anlehnung an die Charisma-Modelle Michael Toths und Arthur Schweitzers versuchte Pyta das „Konzept charismatischer Doppelherrschaft“ auf Hindenburg und Hitler anzuwenden, wobei er insbesondere den Fragen nachging, ob es im Umfeld der Machtergreifung einerseits zu einer „charismatischen Sukzession“, bzw. „Arbeitsteilung beider Charismatiker“ gekommen sei, in welchem Maße es Hitler andererseits nach 1933 über Hindenburg hinausgehend verstanden habe, neue gesellschaftliche Leitvorstellungen auf sich zu vereinigen und zu repräsentieren. In dem zweiten Teil des Vortrags schilderte Pyta das kontinuierliche Vordringen Hitlers in die Klientel Hindenburgs durch Reisetätigkeiten, Radioansprachen und persönliche Gespräche, wobei er die zentrale Bedeutung des Tages von Potsdam betonte, durch den Hitler sein Image als politischer Beauftragter Hindenburgs endgültig habe überwinden können. Anschaulich erläuterte Pyta ferner den außerordentlich raschen Ansehensgewinn Hitlers während des Jahres 1933, wobei er vornehmlich auf die Besetzung „neuer symbolischer Felder“ rekurrierte, durch die sich Hitler gewissermaßen als Verkörperung nationalen Aufbruchs und neuer tatorientierter Politik von Hindenburg als Symbol der nationalen Vergangenheit habe abheben können. Durch den Rückzug aus der politischen Öffentlichkeit habe Hindenburg die Verkörperung der Nation schließlich an Hitler übertragen, womit die charismatische Sukzession vollzogen war.

Dem politischen Schicksal der Bayerischen Volkspartei in den Jahren 1932/33 widmete sich anschließend MARTINA STEBER (GHI Washington), wobei sie – nach den strukturellen Ursachen der Selbstauflösung der BVP fragend – überzeugend drei sich wechselseitig verstärkende Faktoren in den Fokus rückte: Zunächst habe sich Bayern seit 1932 in einem „Zangengriff“ zwischen Reich und Region befunden, wobei es der BVP nicht gelungen sei, einen überzeugenden Mittelweg zwischen zentralistischen Ansprüchen von oben und verbissenen Verfechtungen regionaler Hoheitsrechte von unten zu finden. Zweitens habe die BVP organisatorisch noch 1933 einem „kaiserzeitlichen Wahlverein“ geglichen, weshalb sie gegenüber den modernen Mobilisierungsstrategien der NSDAP schnell ins Hintertreffen geraten sei, zumal parteiinterne Lagerbildungen die Partei zusätzlich geschwächt hätten. Als dritten Destabilisierungsfaktor analysierte Steber schließlich das Selbstverständnis der BVP: Als antirevolutionäre, antisozialistische und antirepublikanistische, letztlich jedoch staatsneutrale, sich als Hüterin „bayerischer Wesenheit“ gerierende, zugleich aber von regionalen Unterschieden gezeichnete „katholische Weltanschauungspartei“ sei ihr kein einheitliches Vorgehen gegenüber der NSDAP, von der sie sich ideologisch ohnehin nicht klar habe abgrenzen können, gelungen. Hinzu kam, dass die BVP auch nach der Machtergreifung das vor 1933 eingeübte „Verhalten einer Partei im Parteienstaate“ tradierte und also vor dem Hintergrund der veränderten politischen Verhältnisse keine neue politische Strategie zu entwickeln fähig war. Neben diesen Faktoren bedingte schließlich die sich sukzessive verschärfende nationalsozialistische Druck- und Drohkulisse den raschen Zusammenbruch der BVP während des Jahres 1933.

Der Frage nach Möglichkeiten des Widerstands von Seiten bürgerlicher Eliten im Jahre der Machtergreifung ging anschließend JOACHIM SCHOLTYSECK (Universität Bonn) nach. Der Referent kam hierbei zu dem Ergebnis, dass Widerstand zwar theoretisch möglich gewesen sei, für das Jahr 1933 aber als ausgesprochen unwahrscheinlich angesehen werden könne. In einem breit angelegten Forschungspanorama ging Scholtyseck seiner Fragestellung anhand von Untersuchungsgruppen aus Verwaltung, Kirche, Wirtschaft, Militär und Wissenschaft nach. Hierbei konstatierte er eine jeweils spezifische Melange aus mangelndem Oppositionsgeist, partieller Begeisterungsfähigkeit für den mutmaßlichen nationalen Aufbruch, Sympathien gegenüber der Machtergreifung als einen vermeintlichen Triumph staatlicher Autorität und Ordnung, Respekt gegenüber der dezisionistischen Vehemenz nationaler Problemlösungs-strategien, aber auch „tiefgreifende Orientierungs- und Sprachlosigkeit“ ob der rasanten Geschwindigkeit der Konsolidierung des Dritten Reiches. Wohl habe es von Seiten des Bürgertums durchaus Skepsis und Kritik gegeben, Ansätze dafür, dass sich diese zu organisiertem Widerstand hätten bündeln können, bestritt der Referent aber mit dem Verweis darauf, dass im Jahre der Machtergreifung von Seiten der ausgewählten Untersuchungs-gruppen keine Bereitschaft zum „Wagnis“ bestanden habe, gegen den Mythos des egalitären, nationalen Neuanfangs aufzubegehren und sich hierdurch ins gesellschaftliche Abseits zu stellen.

DIRK SCHUMANN (Universität Bremen) eröffnete die Sektion Repression und Terror mit einer Analyse von ‚Gewalt als Methode der nationalsozialistischen Machteroberung‘. Er differenzierte den Gewaltbegriff insofern aus, als er zwischen einer durch die NSDAP-Spitze „kalkulierten“, einer sich aus eigenen Motiven der SA-Basis speisenden und also „eigensinnigen“, sowie einer von Seiten des Bürgertums „akzeptierten“ Gewalt unterschied. Für die Zeit vor der Machtergreifung konstatierte Schumann eine begrenzte, auf Einschüchterung ausgerichtete Gewalt, die von Seiten der Polizei zumeist verhältnismäßig schnell habe kontrolliert werden können. Von Seiten der bürgerlichen Öffentlichkeit sah er diese Form der Gewalt durch einen „Akzeptanzdiskurs“ begleitet, der das nationalsozialistische Vorgehen im Kern legitimierte. Für den Zeitraum zwischen dem 30. Januar und der Reichstagswahl (5. März) bilanzierte der Referent schließlich eine neue, von gesteigerter Brutalität gekennzeichnete „tödliche Stufe“ der Gewalt, die nach wie vor einen Akzeptanzdiskurs evoziert habe. Erst in dem Zeitraum bis zum Ermächtigungsgesetz (23. März) habe die polizeilich zunehmend schlechter kontrollierbare, über die Kommunisten hinausgreifende NS-Gewalt intensive öffentliche Kritik hervorgerufen, eine Kritik, die jedoch bis Jahresende 1933 im Kontext einer in der Regel positiv wahrgenommenen „Konsolidierung der Macht mit Hilfe der Gewalt“ wieder weitgehend abgeklungen sei. Kritik gegenüber unkontrollierter Gewalt von unten versiegte dennoch nicht gänzlich, ein Problem, für das Hitler im Umfeld des sogenannten Röhm-Putsches eine neue Form nationalsozialistischer Gewalt ausgeben sollte, jene innerhalb der eigenen Reihen.

ROBERT SIGELs (Ludwig-Maximilians-Universität München) Vortrag über das ‚KZ Dachau als Instrument der nationalsozialistischen Machteroberung‘ beschloss den ersten Tag des Symposiums. Sigel schilderte das Dachauer Konzentrationslager als Ausgangspunkt eines reichsweiten NS-Terrorsystems, wobei er es aufgrund zweier Spezifika von den 1933 zahlreich entstandenen „wilden“ Lagern abhob: Zum einen sei Dachau das einzige staatlich eingerichtete KZ gewesen, zum anderen sei es nicht geheim gehalten sondern mehrfach in der Presse thematisiert worden. Als Motivation dieser bewusst geschaffenen Öffentlichkeit benannte der Referent eine einschüchternde Wirkung auf die Bevölkerung, in deren Konsequenz der Begriff ‚Dachau‘ zu einem inhaltlich zwar vage bleibenden, in seiner einschüchternden Tendenz aber deshalb nicht weniger wirkmächtigen, allgemeinverständlichen Chiffre werden konnte. Weiterhin umriss Sigel die Geschichte des Dachauer KZs während der Jahre 1933/34, wobei er insbesondere auf das – letztlich vergebliche – soziale Engagement des Münchner Staatsanwalts Karl Wintersberger im Anstreben von Strafprozessen gegen verschleierte Ermordungen Dachauer Häftlinge verwies. In diesem Zusammenhang verfolgte der Referent die sukzessive Entwicklung des Dachauer KZs zu einem de facto „rechtsfreien Raum“ unter Federführung der SS. Abschließend unterstrich Sigel die „entscheidende Funktion“ des KZs für den Aufstieg Himmlers und der SS im Allgemeinen ab dem Jahre 1934, waren es doch die in Dachau stationierten SS-Mannschaften, welche die Morde im Umfeld des sogenannten Röhm-Putsches vorbereitet und durchgeführt hatten, in deren Konsequenz die Unterordnung der SS unter die SA aufgehoben worden sei.

Die Sektion Ambition und Interesse eröffnete FRANK BAJOHR (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg) mit einer Analyse der ‚materiellen Aspekte der nationalsozialistischen Machteroberung‘. Zum Verständnis der Mechanismen von Korruption, Ämterjagd und Pfründenwirtschaft legte Bajohr zunächst mit den der NS-Bewegung inhärenten „personellen Führerbindungen“ und „cliquenähnlichen Netzwerkstrukturen“ die Ressourcen für Karrieren nach der Machtergreifung offen. Hierbei arbeitete er anschaulich das Spannungsverhältnis zwischen den durch finanzielle Begünstigungen hofierten, für den Staatsdienst aber in der Regel geringqualifizierten ‚Alten Kämpfern‘ und anpassungswilligen, mit unverzichtbarem Fachwissen ausgestatteten, aus NS-Perspektive aber als ‚Märzgefallene‘ weltanschaulich verdächtigen Weimarer Funktionären heraus. Hinsichtlich des Personalwandels im öffentlichen Dienst ab 1933 konstatierte Bajohr auf höchster Ebene einen im Vergleich zu den mittleren und unteren Rängen nur geringfügigen Elitenaustausch. Die nichtsdestotrotz aufkeimende Kritik gegen die Bevorzugung alter Parteigänger gerade von Seiten jener hochqualifizierten Neumitglieder, die es gerade in der Konsolidierungsphase des Dritten Reichs nicht zu verprellen galt, hätten Ämterjagd und Pfründenwirtschaft für die NSDAP-Spitze zusätzlich problematisch gemacht, wenngleich in der Bevölkerung mehrheitlich rasch wieder Gleichgültigkeit gegenüber der nationalsozialistischen Vetternwirtschaft vorgeherrscht habe. Der Ruf zahlreicher nationalsozialistischer Emporkömmlinge blieb gleichwohl außerordentlich schlecht. Hitler selbst, so schloss Bajohr, erlitt hierdurch indes keinen signifikanten Ansehensverlust: In seiner Führungsrolle unangefochten, profitierte er von dem Nimbus des über aller kleinlichen Postenjägerei Stehenden.

Am Beispiel der Bayerischen Bezirksämter lenkte GERMAN PENZHOLZ (Universität Augsburg) anschließend den Blick auf das Verhältnis zwischen NSDAP und lokaler Verwaltung, deren Bedeutung er als „Ziel und Katalysator“ der nationalsozialistischen Machtergreifung gleichermaßen unterstrich. Penzholz fragte insbesondere nach dem konfliktgeladenen Verhältnis zwischen Kreisleitern der NSDAP und bayerischen Bezirksamtsvorständen, wobei er deren distanziertes Verhältnis zur NS-Bewegung vor 1933 betonte, das sich in marginalem Parteiengagement, geringer Kontaktdichte, sowie restriktiven politischen Maßnahmen ausgedrückt habe. Eben jene Maßnahmen führte Penzholz indes auf die „sicherheitspolitische Sensibilität“ des bayerischen Innenministeriums zurück, während die Bezirksamtsvorsitzenden von sich aus für eine gemäßigtere Haltung gegenüber der NSDAP geworben hätten. Für die Zeit nach 1933 hob der Referent fehlende personelle Möglichkeiten der Bezirksamtsvorstehenden zum Widerstand gegen SA und SS hervor, wobei er jedoch auch die geringe Eigeninitiative derselben zur Sprache brachte. Bezüglich der konkreten personellen Folgen der Machtergreifung konstatierte Penzholz schließlich eine hohe Kontinuität unter den Bezirksamtsvorstehenden, die er auf ihren Status als ordentliche Staatsbeamte, auf ihre Vernetzung als „Juristenkorps“, sowie auf die Personalpolitik des Innenministers Adolf Wagner zurückführte. Vor diesem Hintergrund betonte Penzholz den hohen Grad der Kollaboration der Bezirksamtsvorsitzenden nach 1933, die daher in ihrer Majorität nicht als Opfer nationalsozialistischer Druck- und Gewaltmaßnahmen gelten könnten, weshalb Verwaltungsgeschichte auf der unteren Ebene als dezidierte „Tätergeschichte“ behandelt werden könne.

Den Grad der Verstrickung der Ärzteschaft in den Nationalsozialismus thematisierte schließlich CARIS-PETRA HEIDEL (Technische Universität Dresden). Als elitäre, bildungsbürgerliche Berufsgruppe schrieb die Referentin ihrer Untersuchungsgruppe eine eo ipso hohe Öffentlichkeitswirksamkeit zu und demonstrierte den hohen Organisationsgrad deutscher Ärzte im Nationalsozialismus. Als Gründe für die auffällige Nähe zur NS-Bewegung benannte die Referentin vier Aspekte: Zunächst seien die Ärzte sozial und kulturell in einer „deutschnationalen und antidemo-kratischen Tradition“ gestanden, die einige Anschlussfähigkeit zu nationalsozialistischem Gedankengut bereitgehalten habe. Ferner hätten die Nationalsozialisten gezielt an die Ressentiments der Majorität der Ärzte gegen die Krankenkassen als dem „Inbegriff sozialisierter Medizin“ und den vermeintlichen Verursachern einer „Proletarisierung“ der Ärzte angeknüpft. Weiterhin hätten prekäre Berufsaussichten gerade unter Medizinstudenten zu einer starken Anfälligkeit „für radikale Problemlösungen“ geführt, wie sie von den Nationalsozialisten vertreten wurden. Viertens verwies Heidel auf die sich unter dem Schlagwort ‚Kampf dem Kurpfuschertum‘ verschärfende Frontstellung der Ärzte gegenüber nicht akademisch ausgebildeten Konkurrenten. Abschließend analysierte die Referentin den Prozess der Gleichschaltung der ärztlichen Standesorganisationen, wobei sie die Anschlussfähigkeit des Führerprinzips innerhalb ärztlicher Spitzenverbände ebenso darlegte, wie die letztlich illusionär bleibenden Hoffnungen auf eine Beibehaltung partieller Eigenständigkeit während des Dritten Reiches.

In dem letzten Vortrag des Symposiums zeichnete JÜRGEN FINGER (Universität Augsburg) die Wege nach, auf denen sich der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) im Prozess der Gleichschaltung gegenüber seinen Konkurrenzverbänden durchsetzen und bereits ab 1934 zum alleinigen Lehrerbund des Dritten Reiches entwickeln konnte. Der Referent rückte hierbei externe und interne Konfliktfelder des NSLB gleichermaßen ins Blickfeld. Hinsichtlich interner Antagonismen schilderte Finger anschaulich die von einem „Dauerkonflikt um Ernennungen und Verfügungen“ begleiteten Auseinandersetzungen zwischen den Geschäftsstellen des NSLB in Bayreuth und Berlin, in deren Konsequenz es gelegen habe, dass sich „nötige Strukturen für effektive Verbandsarbeit“ nicht hätten entfalten können. Hinsichtlich der externen Konflikte arbeitete Finger wiederum am Beispiel des Bayerischen Lehrervereins drei 1933 noch ungeklärte, jeweils mit einer eigenen Logik ausgestattete, jedoch unterschiedliche Formen der Gleichschaltung implizierende Organisationsfragen heraus: Demnach stand der Konzeption eines alle Lehrer umfassenden Verbandes die einer nur auf Parteigenossen beschränkten Organisation ebenso gegenüber, wie der Entwurf eines hierarchisch nach Schularten gegliederten Verbandes jenem einer egalitär ausgerichteten Gesamtvereinigung. Hinzu trat eine Kontroverse über eine Ausrichtung als berufsständische Interessensvertretung oder aber die bewusste Beschränkung auf einen gleichsam unpolitischen Fachverband. Die Eingliederung des NSLB in das Dritte Reich skizzierte der Referent als einen letztendlich zwar von totalitärer Herrschaft und nationalsozialistischer Ideologie vorgezeichneten, aber letztlich ergebnisoffenen, von Widersprüchen und Zufälligkeiten begleiten Prozess.

Wie in den Jahren zuvor, werden die Beiträge aller Referenten in der Reihe ‚Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte‘ als Sammelband erscheinen. Die Publikation des Bandes ist für Sommer 2009 geplant.

Konferenzübersicht:

Einführung
BERNHARD SCHOßIG, Projektleiter
ANDREAS WIRSCHING (Augsburg): Das Jahr 1933 als Aufgabe der Forschung

Sektion I: Politiker, Parteien, Eliten
WOLFRAM PYTA (Stuttgart): Geteiltes Charisma. Hindenburg, Hitler und die deutsche Gesellschaft im Jahre 1933

MARTINA STEBER (London): „…dass der Partei nicht nur äußere, sondern auch innere Gefahren drohen“. Die Bayerische Volkspartei im Jahr 1933

JOACHIM SCHOLTYSECK (Bonn): Die deutschen Eliten im Jahre 1933: War Widerstand möglich?

Sektion II: Repression und Terror
DIRK SCHUMANN (Göttingen): Gewalt als Methode der nationalsozialistischen Machteroberung

ROBERT SIGEL (München): Das KZ Dachau als Instrument der nationalsozialistischen Machteroberung

Sektion III: Ambition und Interesse
FRANK BAJOHR (Hamburg): Ämter, Pfründe, Korruption. Materielle Aspekte der nationalsozialistischen Machteroberung

GERMAN PENZHOLZ (Augsburg): NSDAP und lokale Verwaltung: Die bayerischen Bezirksämter

CARIS-PETRA HEIDEL (Dresden): Ärzte und Zahnärzte im Jahre 1933 – Bedingungen und Formen ihrer Teilhabe am NS-Regime

JÜRGEN FINGER (Augsburg): Der Nationalsozialistische Lehrerbund in Bayern 1933/34. Konkurrenzkampf und Richtungsstreit im Prozess der „Gleichschaltung“


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