Imperiale Hierarchisierungen

Imperiale Hierarchisierungen

Organisatoren
Universität Konstanz
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.10.2008 - 14.10.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Robert Heinze, Konstanz

Am 13. und 14. Oktober 2008 befasste sich der Workshop „Imperiale Hierarchisierungen“ an der Universität Konstanz mit den für globalhistorische Forschungen zentralen Begriffen und Konzepten ‚Raum’, ‚Agency’ und ‚Repräsentation’. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Konstanzer Nachwuchsgruppe „Dynamik transnationalen Handelns“ diskutierten dabei die Brauchbarkeit einschlägiger Theorieangebote vor dem Hintergrund ihrer empirischen Forschungen in einem Kreis eingeladener Experten. Der Workshop war in drei Panels untergliedert, die jeweils Papers zu den Konzepten Raum, Agency und Repräsentation miteinander verbanden. Die Kommentator/innen fassten die Papers dann noch einmal kritisch zusammen.

Das Panel zum Thema „Raum“ eröffnete den Workshop. INES EBEN VON RACKNITZ (Konstanz) zeigte verschiedene Raumkonzepte im britisch-französischen Feldzug gegen die Qing im August und September 1860 auf, bei denen sich strategische und repräsentative Aspekte überlagerten. Racknitz unterschied dabei drei Kategorien von Raum: den unbekannten, den besiedelten und den verbotenen Raum. Sie stellte die Frage zur Diskussion, ob die Plünderung des Sommerpalastes, der zu diesen verbotenen Räumen gehörte, unterschiedliche Raumwahrnehmungen der europäischen Diplomaten und Offiziere und der Qing-Kaiser zeige. Die Europäer nämlich nahmen den Yuanmingyuan als zwar wichtigen repräsentativen Raum wahr, dessen Plünderung eine nicht kalkulierte Eskalation war, werteten die Verbotene Stadt aber als wichtiger und somit auch als Tabu, weil sie sie für ein Symbol der Qing-Herrschaft hielten. Die Frage sei aber zu stellen, ob diese Wertigkeit auch in den Augen der Qing-Kaiser bestanden habe.

VALESKA HUBER (Konstanz) untersuchte in ihrem Paper verschiedene Aspekte des Raumes am Beispiel des Suezkanals. Sie machte dabei vier Formen der „Grenze“ aus, die den Suezkanal als Raum prägten. So sei der Kanal zunächst Grenze und Übergang zwischen imaginierten Räumen, besonders für die Kolonialbeamten der Kanal ein „Highway of Empire“ gewesen; Hierarchien stellten sich von europäischen auf koloniale um. Zum Zweiten habe der Kanal als Relaisstation für Waren, Rohstoffe und Arbeiter fungiert. Drittens wurde er als Zivilisierungsgrenze wahrgenommen, die zivilisierte Räume und Räume der Zivilisierungsmission voneinander schied. Ein vierter Aspekt sei die Funktion des Suezkanals als Kontrollpunkt, an dem ausgehandelt wurde, welche Reisenden kontrolliert werden mussten, an dem blinde Passagiere identifiziert, nach Verbrechern gefahndet und die Verbreitung von Krankheiten aus dem Kolonialreich verhindert werden musste.

BERND-STEFAN GREWE (Konstanz) diskutierte die räumlichen Strukturen in der globalen Warenkette des Goldes. In scharfer Abgrenzung gegen euro- und atlantik-zentrierte Ansätze und die Dichotomisierung des ‚Globalen’ und ‚Lokalen’ plädierte er für ein relationales Vorgehen, das mehrere räumliche Ebenen einbeziehen müsse. An konkreten Beispielen aus der Förderung des Goldes, seines Transports, Handels und Konsums zeigte er, wie globale und lokale Faktoren immer wieder neue Beziehungsgefüge schufen. Mit John Allen vertrat er die These, dass Macht grundsätzlich raumbezogen zu untersuchen sei, wobei neben Herrschaft und Kontrolle auch andere Formen der Machtausübung wie Manipulation, Verführung, Überzeugung oder Werbung sehr wichtige raumgestaltende Kräfte waren.

In Kommentaren und der anschließenden Diskussion zeigte sich die zentrale Rolle der Frage nach dem Raum in aktuellen geschichtswissenschaftlichen Debatten. INDRA SENGUPTA (London) verwies auf die symbolische Bedeutung von Raum, die über den rein militärstrategischen Aspekt beim Chinafeldzug hinausweise. Die unterschiedlichen Konzepte von Krieg in China und Europa müssten noch stärker in die Analyse einbezogen werden. MONIKA DOMMANN (Basel) sah eine Verbindung zwischen Bernd-Stefan Grewes und Valeska Hubers Projekten in einer „anonymous history“ der Dinge. Im Falle des Suezkanals könnte ein solcher Ansatz das Zusammenspiel von Naturkräften, Ingenieurswissenschaften, Diplomatie und den Touristenströmen durch den Kanal betonen. Sie regte an, Pierre Bourdieus Begriff des „sozialen Raums“ zu verwenden, um eine Engführung des geographischen und des sozialen Raumbegriffs zu versuchen. Dazu gehöre auch die Untersuchung der Infrastruktur, besonders in den Fällen, in denen diese nicht funktionieren würde, zum Beispiel wegen Unfällen, Pannen usw.

JÜRGEN OSTERHAMMEL (Konstanz) zog eine „Zwischenbilanz“ des „spatial turn“. Die Materialität des Raumes müsse wichtiger genommen werden. Mit Henri Lefebvre könne man soziale Praktiken als Verräumlichung sehen lernen. Auch die Relativität kognitiver Raumerkennung, wie sie im Konzept der „mental maps“ aufscheine, werde in den Beiträgen sichtbar. Mit Blick auf den Titel des Workshops betonte Osterhammel die Überlagerung und Hierarchisierung von Räumen. Raum, so Osterhammel abschließend, sei ein Produkt sozialer Prozesse: durch Machteinwirkung könne Raum still gestellt, gleichzeitig müssten Fliessstrukturen gesteuert, kanalisiert und geschleust werden.

Dreh- und Angelpunkt waren die Vorträge und Diskussionen zum Thema „Agency“, das den größten Teil des Workshops ausmachte. Dabei kamen die Schwierigkeiten mit dem Konzept, die vor allem durch seine Vagheit bedingt sind, zur Sprache. Gleichzeitig wurde ersichtlich, wie anregend und fruchtbar Agency-gestützte Ansätze sein können.

ROBERT HEINZE (Konstanz) eröffnete das Panel mit dem Vortrag „Kunst des Handelns“: Agency und Hierarchie in der Innenansicht einer Rundfunkstation. Dabei setzte er die von de Certeau in der „Kunst des Handelns“ eingeführte Unterscheidung zwischen Strategie als Berechnung oder Manipulation von Kräfteverhältnissen und Taktik als ein Handeln aus Berechnung, bestimmt durch das Fehlen von etwas Eigenem, in einer Sicht auf die Vorgänge innerhalb einer afrikanischen Radiostation um. Als wichtigstes Feld, auf dem sich die Spannung zwischen institutionellen Hierarchien und der Handlung einzelner Personen abspielte, identifizierte Heinze die Zensur, und beschrieb verschiedene Techniken der Radiokommentator/innen, die staatlich vorgegebenen politischen Eckpunkte auszuhebeln. Allein der Begriff der Agency, selbst in Kombination mit dem der Struktur, reiche aber nicht aus, um das Phänomen der Zensur zu erklären. Vielmehr müsse in einer Gegenüberstallung der Agency mit institutionellen, sozialen und kulturellen Hierarchien das Machtungleichgewicht zwischen verschiedenen Subjekten in die Analyse einbezogen werden.

Mit Handlungsspielräumen, die der Transfer französischer Erinnerungspraktiken in den kolonialen Kontext Französisch-Algeriens der kolonisierten Bevölkerung eröffnete, befasste sich JAN C. JANSEN (Konstanz). Er zeigte, wie stark diese Aneignungsprozesse von den Grauzonen zeugen, die sich im kolonialen Algerien herausbildeten und die sich nicht in einem Neben- oder Gegeneinander zweier monolithischer Blöcke erschöpfe. Vor diesem Hintergrund unterschied er vier verschiedene Aneignungsmuster auf algerischer Seite: affirmative Aneignung, subversive/kritische Aneignung, Boykott bzw. Protest und die Erfindung eigener (nationaler) Traditionen. In dieser letzten Strategie seien die französischen Erinnerungstechniken von einem Instrument kolonialer Aneignung zu einem Mittel antikolonialer Mobilisierung umgewandelt worden. Dennoch hob Jansen hervor, dass diese vier Punkte nicht in einem teleologischen Modell zu fassen seien. Vielmehr existierten beispielsweise Formen affirmativer Aneignung bis zum Ende der Kolonialzeit, was zeige, dass sich Agency keineswegs bloß auf widerständiges Verhalten beschränke.

MICHAEL ZEHETER (Konstanz) stellte die Frage nach der „Agency“ bei der Cholerabekämpfung in Madras und Quebec City. Unkenntnis über Charakter und Behandlungsmethode der Krankheit in Indien schützten den britischen Gouverneur von Madras und die Ärzte des „Indian Medical Service“ nicht davor, Massnahmen gegen die Krankheit ergreifen zu müssen. Im Fall der ersten Choleraepidemie in Madras 1818 werde deutlich, daß kurzzeitig der Handlungsspielraum einer Untergruppe der europäischen Herrschaftselite in einem bedeutenden Ausmaß erweitert wurde. Anders als in Madras waren in Quebec, wo die Cholera 1832 eintraf zunächst Präventionsmaßnahmen ergriffen worden. Dort war jedoch der Handlungsspielraum der Ärzte zunächst aus politischen Gründen stark eingeschränkt, erwies sich aber in der Praxis flexibler als derjenige der Ärzte in Madras, deren Möglichkeiten durch kulturelle Faktoren limitiert war.

Die Kommentator/innen waren der Ansicht, dass der allen drei Papern gemeinsame Ansatz, von der Empirie her kommend große Fragen zu lösen, begrüßenswert sei. Insgesamt aber erachteten sie es als lohnenswert, Forschungsergebnisse der „Subaltern" und „Postcolonial Studies“ (Homi Bhaba) sowie der "Cultural Studies" (Stuart Hall) noch stärker mit einzubeziehen, um so einige Forschungsergebnisse zu konkretisieren.

FRANZISKA RÜEDI (Oxford) betonte, dass in der Afrikaforschung die Frage nach Macht und Widerstand, nach Struktur und Agency zentral bleibe. Eine Untersuchung der Radiostationen anhand der Frage, wie „Schwache“ Räume „manipulieren“ habe daher besondere Bedeutung. In Bezug auf de Certeau kritisierte sie, dass der Begriff der "Taktik" in seiner Betonung des "Fehlens von etwas Eigenem" wichtige Erkenntnisse der Postcolonial Studies, wie Homi Bhabhas Begriff des "third space" vernachlässige. Zudem könne eine Hierarchie nicht nur als "starr" gesehen, sondern vielmehr in ein Aktion-Reaktion-Schema einbezogen werden. HARALD FISCHER-TINÈ (Zürich) und SVEN REICHARDT (Konstanz) verwiesen beide auf die zentrale Rolle von Religion in Bezug auf die Erinnerungskultur bei Jan Jansen, während im Fall der Cholerauntersuchung der Städte Quebec und Madras von JOHANNES PAULMANN (Mannheim) noch die Frage ins Spiel gebracht wurde, inwiefern die Bakterien auch als „agents“ zu betrachten seien.

Im zweiten Teil des Panels „Agency“ schloss Ines Eben von Racknitz zunächst an ihren Vortrag vom Vortag an, indem sie den unterschiedlichen Raumkonzepten nun das Handeln im Raum an die Seite stellte. Dabei unterschied sie zwischen verschiedenen Beschränkungen, denen die Handelnden – zunächst die britischen und französischen Offiziere und Diplomaten – von Beginn an unterlagen, und den Gegebenheiten vor Ort, wie die klimatischen Bedingungen und der Widerstand der Qing-Regierung. Die Wechselwirkung zwischen den von den Heimatregierungen aufgetragenen Zielen der Expedition und den sich ständig verändernden lokalen Bedingungen zwangen, so Racknitz, die europäischen Diplomaten ständig zu Kurskorrekturen und Strategieänderungen. Dabei überschritten sie auch die ihnen aufgegebenen Beschränkungen, zum Beispiel im Falle der Plünderungen. Im Zusammenwirken von Handlungsspielraum und Handlungsmacht ließen sich die Entscheidungen der Offiziere vor Ort analysieren. Dabei dürfe nicht vom Ergebnis – dem Erfolg der Mission durch die Ratifizierung der Verträge von Tianjin – aus gedacht werden, sondern der Prozeßcharakter und der für die Handelnden unsichere Ausgang müsse mitbedacht werden.

Bernd-Stefan Grewe unterschied ebenfalls zwischen Handlungsspielraum und Handlungsmacht. In der Forschung habe man sich zu sehr auf den Aspekt der Handlungsmacht konzentriert, zum Beispiel in einigen Arbeiten zur Sklaverei, was tendenziell zu einer Überbewertung der „Agency“ der Sklaven führe. Die Kontexte der Akteure müssten ernst genommen werden und konsequent in die Analysen einbezogen werden, um diese Gefahr zu vermeiden. „Handlungsmacht“ definierte Grewe als „individuelle Fähigkeit eines Akteurs, selbstbestimmt und eigenmächtig zu handeln.“ Zur Illustration kontrastierte er sehr unterschiedliche Lebensläufe eines Minenarbeiters, der im Compound blieb und sich dem „totalen System“ der Mine unterwarf, mit dem anderer Schwarzer wie Kas Maine, dem es unter den verschärften Bedingungen des Apartheidsystems gelang, sich als Sharecropper ein beträchtliches Maß an Selbständigkeit zu erhalten. Schließlich plädierte Grewe für eine Nutzung des in den Wirtschaftswissenschaften entwickelten Begriffs der „Pfadabhängigkeit“, mit dem untersucht werden könne, wie einmal getroffene Entscheidungen die folgenden beeinflussen.

Die Kommentatoren hoben hervor, dass hier „in einem sehr engen Diskussionszusammenhang eine gemeinsame Begrifflichkeit entwickelt“ werde. THORALF KLEIN (Erfurt) bemerkte, dass der Ansatz Eben von Racknitz’ an Stig Försters Analyse der Rolle der „men on the spot“ anschließe. Neu sei, dass hier Europäer weniger als Handelnde, sondern als Getriebene in den Blick gerieten, die auf sich ständig ändernde Umstände reagieren mussten. Es müsse aber untersucht werden, ob bei den Beteiligten eher die Ziele oder die Mittel zur Diskussion standen. Weiterhin wies Klein in Bezug auf Bernd Grewes Paper darauf hin, dass im Falle der unterschiedlichen Reaktionen auf gleiche strukturelle Bedingungen die Frage der Kontingenz durchaus gestellt werden müsse. Er kritisierte, dass hier tendenziell der Handlungsspielraum höher als die Handlungsmacht bewertet werde; wichtiger sei es allerdings, zu untersuchen, wie Akteure ihren Handlungsspielraum überschreiten. NIELS PETERSSON (Konstanz) bemerkte, die Handlungsmacht werde zu psychologisch gedacht, die soziokulturellen Aspekte müssten stärker in Betracht gezogen werden. Auch müssten externe Instanzen wie zum Beispiel der Staat einbezogen werden.

Das letzte Panel untersuchte den Begriff der „Repräsentation“ in verschiedenen Kontexten. Robert Heinze eröffnete mit einem Paper zu Ideologie und Hegemonie im Rundfunk des Südlichen Afrika, bei dem er zunächst für eine Wiedereinführung eines Ideologiebegriffs plädierte. Dieser lasse sich im Sinne Antonio Gramscis verwenden, so dass ‚Ideologie’ nicht automatisch als durch eine ökonomische Basis determiniert verstanden werde. Zugleich vernachlässige Gramscis Ideologiebegriff nicht die bestehenden Verbindungen zwischen sozialen und politischen Realitäten und den Ideologien.

Dem Begriff der Ideologie stellte Heinze die ebenfalls von Gramsci entwickelten Begriffe der Hegemonie und der Zivilgesellschaft zur Seite. Hegemonie und Ideologie unterschieden sich dadurch, dass Ideologien zur Produktion einer Zustimmung und Unterordnung unter ein herrschendes System oder einer Gruppe dienten, während Hegemonie als umkämpftes Verhältnis in der Zivilgesellschaft verstanden werde, das in diesen Kämpfen einen wesentlich stärkeren Aspekt der Konsensstiftung besitze. Im Nachfolgenden wendete er die Begriffe auf sein Forschungsthema, das Radio im Südlichen Afrika an und folgerte, dass der eindimensionale Begriff des Diskurses nicht ausreiche, um auch die materiellen Bedingungen des Radios und die Wechselwirkungen zwischen ideologischen Vorgaben, Radioprogramm und Hörerreaktionen zu fassen.

Jan Jansen befasste sich auf der Grundlage der Formel des "Historiographic State" (Abdelmadjid Hannoum) mit der Frage, wie die geschichtsgeleitetete koloniale Aneigung Algeriens in Form von Symbolen und Ritualen durch die Kolonialverwaltung und Siedlerschaft vor sich ging. Anhand einiger Beispiele vollzog er nach, wie die Eroberung Algeriens im öffentlichen Raum inszeniert und allmählich als lokale Geschichstradition verankert wurde. Er betonte dabei die Bedeutung der Siedlergemeinschaft als treibende Kraft. In den ersten Jahrzehnten Französisch-Algeriens unter der Militärverwaltung könne dabei noch kein systematischer Charakter ausgemacht werden. Erst unter dem Siedlerregime zwischen 1880 und 1914 habe die Eroberungszeit eine Verankerung im öffentlichen Raum als Teil der Einwurzelung der Siedlergemeinschaft erlebt, die Algerien als ihre neue Heimat definierte. Diese symbolische Aneignung sei wesentlich von lokalen Akteuren vorangetrieben worden. Abschließend zeigte Jansen, wie eng verzahnt diese Erinnerungsformen mit den Aushandlungs-, Ausschluss- und Integrationsprozessen waren, über die sich die Algérie française als Siedlerkolonie formierte.

In seinem Paper zur Umweltwahrnehmung zu Zeiten der Cholera in Madras und Quebec City untersuchte Michael Zeheter den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Handeln. Beobachtet wurden 1818 in Madras geographische Lage, Stadtbild, klimatische Verhältnisse, wobei man zum Schluss gekommen sei, dass Cholera bevorzugt die Bewohner feuchter, schmutziger und verwahrloster Orte befallen habe, die mit ihnen diese Eigenschaften teilten; Maßnahmen, den Charakter dieser Orte zu ändern, lagen aber außerhalb der Möglichkeiten der Behörden. Bei einem zweiten, lokal begrenzten Ausbruch der Cholera 1832 wurde aber bereits ein umfassendes Maßnahmenprogramm eingeleitet, das den Willen zur Änderung der Umwelt zu einer aktiv gesunden Umgebung dokumentiere.
In Quebec wurde die Beobachtung der urbanen Umwelt im Vorfeld und während der Epidemie verstärkt. Als die ärmere Unterstadt als Seuchenherd identifiziert war, wurde auch hier versucht, die Umwelt zu manipulieren. In beiden Städten rückte im Zuge der Seuchenbekämpfung die arme Stadtbevölkerung als Gefahr in den Blickpunkt der Behörden, zu der eine Distanz aufgebaut werden musste, um handeln zu können.

Die Kommentare zum Panel „Repräsentation“ betonten die Gemeinsamkeit der Beiträge. Jürgen Osterhammel bemerkte, dass die drei Papiere verbunden seien durch die Frage, wie Wissen in Praxiszusammenhängen entsteht, verwendet wird, sich modifiziert und auf die Praxis zurückwirkt. Dies sei mit einem subjektlosen Begriff von Repräsentation allerdings nicht zu vereinbaren.
SVEN TRAKULHUN (Zürich) beurteilte Robert Heinzes Verwendung des differenzierten Hegemoniebegriffes von Gramsci als positiv, verwies aber zur weiteren Unterfütterung auf medientheoretische Ansätze von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit und der Retraditionalisierung von Prozessen, während Jürgen Osterhammel die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft stellte.
In der weiteren Diskussion standen Fragen nach der Spezifik des französischen Kolonialismus in Algerien im Unterschied zum britischen Kolonialismus an anderen Orten der Welt und nach der Vergleichbarkeit von Quebec und Madras im Mittelpunkt. Johannes Paulmann interessierte sich für den Aspekt der kulturellen Repräsentation und ihrer Manifestierung, und fragte nach Machtanspruch und Wirklichkeit des kolonialen Staates, der Erschließung der Kolonie und deren Gestaltung, nach der unterschiedlichen Zusammensetzung der Siedlergemeinschaft und der Beschaffenheit der Denkmäler.
An Michael Zeheter stellten Paulmann und Osterhammel die Frage nach der Hierarchie der Geschlechter und nach der imperialen Hierarchie, dem Verhältnis zwischen Madras, Quebec und London sowie nach der Vergleichbarkeit von Quebec und Madras.

Jürgen Osterhammel zog abschließend ein erstes Fazit des Workshops. Er betonte zunächst den experimentellen Charakter der Nachwuchsgruppe als einer besonderen Zwischenform zwischen dem solitären Forschen und einem möglicherweise zu strikt reglementierten und zu großen Forschungszusammenhang. Bei so heterogenen Themen innerhalb einer Gruppe sei grundsätzlich zu diskutieren, wie viel Theorie nötig sei, sowohl für die Einzelprojekte als auch die Gruppe.
In der Abschlussdiskussion wurde deutlich, dass die meisten Teilnehmer ‚Agency’ als ein zentrales Forschungsproblem sahen. Die Beiträge, hieß es, hätten Motivation und Position der Handelnden zusammengebracht und zeichneten sich dabei durch einen pragmatischen Umgang mit dem Begriff aus, besonders brauchbar sei die Frage nach den Spielräumen. Als ein weiterer sehr nützlicher Begriff habe sich im Verkauf der Tagung insbesondere die ‚Hierarchisierung’ erwiesen, der gegenüber jenem der ‚Hierarchie’ bereits auf Prozesse hinweise, auf die Dynamik und Wandelbarkeit von Hierarchien, ihre Herstellung und die dabei ausgetragenen Kämpfe.

Konferenzübersicht:

Panel 1: Raum

Ines Eben v. Racknitz:
Raumkonzepte im außereuropäischen Krieg

Valeska Huber:
Verbindung und Grenze: Raum und Mobilität am Beispiel des Suezkanals

Bernd-Stefan Grewe:
Räumliche Strukturen in der globalen Ökonomie des Goldes

Panel 2: Agency (Teil I)

Robert Heinze:
"Kunst des Handelns": Agency und Hierarchie

Jan C. Jansen:
Kommemoration im kolonialen Kontext: Indigene Interventionen

Michael Zeheter:
Ärzte an der Macht? Cholerabekämpfung in Madras und Quebec City

Panel 3: Agency (Teil II)

Ines Eben von Racknitz:
Handlungsspielraum vor Ort: Diplomatische Strategien beim Chinafeldzug 1860

Bernd-Stefan Grewe:
Handlungsspielraum und Handlungsmacht - Akteure in einer globalen Warenkette

Panel 4: Repräsentation

Robert Heinze:
"Manufacturing Consent": Ideologie und Hegemonie

Jan C. Jansen:
Siedlerkolonialismus und öffentliche Erinnerung

Michael Zeheter:
Übler Geruch und schmutzige Orte: Umweltwahrnehmung zu Zeiten der Cholera in Madras und Quebec City


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts