Das Planetarische. Kultur – Technik – Medien im postglobalen Zeitalter

Das Planetarische. Kultur – Technik – Medien im postglobalen Zeitalter

Organisatoren
Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg "Medien und kulturelle Kommunikation" der Universität zu Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.10.2008 - 10.10.2008
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Von
Kai Marcel Sicks, Gießener Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften (GGK)

Terrorismus, Finanzkrise, Erderwärmung – nahezu alle nachrichtenwerten Ereignisse dieser Tage zeugen von einer Welt, die von einem engmaschigen Netz aus Medien, Techniken und Kulturen um- und eingespannt ist. Dieses Netz bringt eine Verknüpfung von „allem mit allem“ mit sich und verweist darauf, dass politische, ökonomische, soziale und ökologische Tendenzen in der heutigen Zeit immer die „Welt als ganze“ betreffen. Allerdings hat die Idee einer „ganzen Welt“ ihre eigene Geschichte, die weit hinter die aktuellen Globalisierungsprozesse zurückreicht: eine Geschichte der Imagination des „einen Globus“ und der Versuche des diskursiven wie des herrschaftlichen Zugriffs auf denselben. Diese Geschichte hat nun eine internationale Tagung des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs „Medien und kulturelle Kommunikation“ (SFB/FK 427) unter dem Titel „Das Planetarische. Kultur – Technik – Medien im postglobalen Zeitalter“ in den Blick genommen. Der Begriff des „Planetarischen“ brachte dabei das skizzierte Forschungsinteresse auf den Punkt, indem er als Terminus zur Metareflexion von Globalisierung lanciert wurde.

Als leitende, aber auch in vielfacher Hinsicht differenzierte Fragestellung stand zur Diskussion, auf welche Weise die sprach- und bildgebenden – medialen – Verfahren der Weltproduktion mit politischen, herrschaftlichen Verfahren der Weltregierung interagieren und koinzidieren. Zur Detaillierung dieser Untersuchungsperspektive fokussierte die Tagung vor allem vier historische Stadien: erstens die kopernikanische Wende und Erfindung der Zentralperspektive um 1500, zweitens die Blütezeit der Weltausstellungen und des „Weltverkehrs“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, drittens die Epoche der Weltraumfahrt zwischen 1950 und 1970 und schließlich viertens das gegenwärtige Zeitalter der postindustriellen Informationsgesellschaft. Diese Schwerpunktsetzung zielte nicht auf eine Geschichtsschreibung der Globalisierung entlang von vier Verdichtungsschüben, sondern einerseits darauf, die aktuelle Diskursivierung und Regulierung von Globalisierung mit spezifischen früheren Zugriffen auf den Globus zu kontextualisieren, und andererseits darauf, am Beispiel ausgewählter Zeiträume zu zeigen, wie die Konstruktion von Globalität je spezifische Konfigurationen von Medien, Kultur und Technik impliziert.

Die Gliederung der Tagung folgte dabei keiner historisch-chronologischen, sondern einer systematischen Ordnung: Anschließend an einen begriffstheoretisch ausgerichteten Eröffnungsvortrag und an zwei das Themenspektrum von unterschiedlichen Seiten einkreisenden Keynotes fragte sie nach Verfahren der Sichtbarmachung von „Welt“ (Panel I: Welt-Bilder, Welt-Ausstellungen. Techniken der Sichtbarmachung), nach politischen Bemühungen, den Planeten zu regieren (Panel II: Welt regieren. Implementationen von Handlungsmacht), nach Techniken der Übersetzung, die die globale Heteroglossie in „allgemeine“ Verständlichkeit überführen sollen (Panel III: Un/mögliches Europa. Kulturtechniken des Übersetzens und Entwerfens) sowie nach Formen der Zirkulation, die die Welt als ganze er- und umfassen (Panel IV: Weltverkehr. Formierungen der Geosphäre).

In ihrem Einleitungsvortrag diskutierte ULRIKE BERGERMANN (Köln) zunächst unterschiedliche kanonische Theoretisierungen des „Planetarischen“, wobei sie postkoloniale und technikphilosophische Ansätze in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellte. Bergermann zeigte, wie Gayatri Spivak und Kostas Axelos den Globus als differenzbasiert konzipieren und dem Planeten, der als Differenzen überschreitend verstanden wird, gegenüberstellen. Sowohl Spivak als auch Axelos verbinden dabei ihre Untersuchung und Kritik der differentiellen Globalität mit einer planetarischen (transdifferentiellen) Theoriesprache und setzen solchermaßen ein planetarisches Denken ins Werk, das (mit Axelos und in Anlehnung an Deleuze gesprochen) „umherirrend, wandernd“ – nomadisch – verfährt. Eine andere Tradition, das Planetarische zu denken, entdeckte Bergermann bei Hannah Arendt und Günter Anders, die den Zusammenhang von technischen, bildlichen und politischen Weisen der Welt-Erfassung betonen. Medien dienen aus dieser Perspektive nicht mehr bloß der Beschreibung und Darstellung von Welt, sondern stellen ein „Vermessungsvermögen“ (Arendt) bereit, das sich die Welt untertan macht. Die Hoffnung auf eine egalitäre, friedvolle, Gemeinsamkeiten in den Vordergrund rückende Globalisierung wird aus dieser Sicht in den Bereich des Utopischen verwiesen.

Im weiteren Verlauf der Tagung knüpften die beiden Keynotes eher an den ersten Ansatz einer planetarischen Theorie des Hybriden an, während sich die Vorträge der vier Panels stärker in der Tradition von Technik-, Wahrnehmungs- und Herrschaftstheorie des Globalen einordneten. Indes verwiesen die Diskussionen immer wieder auf die produktiven Überschneidungen beider Annäherungsverfahren an das Planetarische. Die Keynote von REY CHOW (Providence) – unter dem Titel „‚I insist on the Christian dimension’: Forgiveness, Translation, Secularized Representation, and the Outside of the Human” – profilierte insbesondere „Übersetzung” als planetarisches Konzept. Als Vertreterin der world cinema studies beschrieb Chow das Übersetzen, das jedem Vergleich und damit auch den unterschiedlichen komparativen Kulturwissenschaften immer schon eingeschrieben sei, als eine Form der Zusammenführung und Verdichtung unterschiedlicher Kulturen (und also der Vielfalt von „Welt“). Dabei ließen Übersetzungen aber – eine Reminiszenz an die Übersetzungstheorie Jacques Derridas – weder Ausgangs- noch Zieltext dominant werden. Vielmehr gelte: „Translation, being an act of transfer, must of necessity participate in an economy of in-betweenness”. Diese Ökonomie entfaltete Chow anhand des konkreten Falls der Vergebung und den Übersetzungsvorgängen, die diesem Konzept im Übergang von Religiosität zu Säkularität eingeschrieben sind.

Auch die Keynote von ANTONIO NEGRI (Paris) beschrieb das Planetarische als eine hybride Kategorie, die konventionelle Differenzen unterläuft und sich als Subversion der Globalisierung darstellt. Anders als in Chows moralphilosophischem Ansatz nahm Negri allerdings eine machttheoretische Perspektive ein, die danach fragte, auf welche Weise Europa dem US-amerikanischen Anspruch auf Welthegemonie begegnen könne. Unter dem Titel „Europe between the Atlantic and Urals“ konstruierte er eine planetarische Europa-Utopie, die den Atlantik „tiefer werden“ lässt und stattdessen die Nordostpassage ausbaut. Statt die Globalisierung zu kontrollieren, solle Europa danach streben, eine Macht der Vermittlung zwischen disparaten Kulturen zu werden, seine eigene Grenzhaftigkeit aufzugeben (für die es seit dem Ende des Kalten Krieges ohnehin keine politische Rechtfertigung mehr gebe) und zum Ort post-nationaler, post-moderner und insbesondere post-globaler Institutionen zu werden.

Solche im weiteren Sinne postkolonialen Perspektiven traten im Verlauf der weiteren Tagung in den Hintergrund, um den Diskussionsraum für Analysen unterschiedlicher Konstruktionen der „ganzen Welt“ zu öffnen. Den Beginn machte dabei GLORIA MEYNENs (Basel) Vortrag „Welt im Plural. Le Corbusier, Buckminster Fuller und das Futurama“. Meynen untersuchte – mit einem Schwerpunkt auf den Schriften des britischen Geopolitikers Halford Mackinder (1861-1947) – solche kartografischen Weltdarstellungsprojekte, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts aus Karten nicht nur Aussagen über räumliche Zusammenhänge entnehmen, sondern die auf ihrer Basis auch die Zukunft konstruieren wollen: als einen unerforschten Raum, den es zu bereisen, systematisch zu erforschen und über den es Wissen zu erzwingen galt. Den Globus als ganzen zu betrachten, eine Perspektive von außen einzunehmen, wird hier gleichbedeutend mit einer Spekulation über seine Zukunft, die Meynen parallel zu zeitgleichen Bemühungen um eine „geplante Evolution“ bzw. eine Biologisierung der Geschichte (fiktional etwa in H.G. Wells‘ „Die Insel des Dr. Moreau“, 1896) las.

Eine andere Form der Sichtbarmachung von Welt betrachtete ALEXANDER GEPPERT (Berlin) in seinem Beitrag über „Die normative Kraft des Flüchtigen. Figurationen des Globalen in der Welt der Weltausstellungen, 1851-1900“. Die Weltausstellung stellte Geppert als Medium dar, das fälschlicherweise häufig auf einige wenige Ereignisse (wie die Londoner Great Exhibition von 1851) reduziert wird, in Wirklichkeit aber selbst spätestens um 1900 voll globalisiert war: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es jährlich gleich mehrere Weltausstellungen in allen möglichen Städten der westlichen Hemisphäre. Die dabei unternommenen Versuche, das „Ganze“ der Welt abzubilden bzw. nachzubauen, schafften ein Bewusstsein für Globalität, indem sie gastgebenden Städten den Status von „Welt-Städten“ verliehen und Vorstellungen etwa der Nation oder der Ökonomie von „Welt-Rang“ implementierten. Zugleich stellte die Weltausstellung nach Geppert eine ambivalente Technik des Überblicks dar, da sie einerseits nahezu allem eine repräsentative Position zusprechen konnte (alles kann zum Ausdruck von „Welt“ werden), während sie andererseits ein stabiles und immer wieder zitiertes Repertoire an Akteuren, Ausstellungsanordnungen und ausgestellten Attraktionen aufwies.

Der Vortrag von JEANETTE HOFMANN (London) über „Mobilizing Bias in Internet Governance“ wandte sich im Anschluss daran und zur Eröffnung des zweiten Panels politischen Regulierungsmechanismen der „ganzen Welt“ in der Gegenwart zu. Die Untersuchung aktueller Bemühungen, eine Kontrollinstanz für das globale Netzwerk Internet zu etablieren, lasse, so die Annahme Hofmanns, eine umfassende Neukonfiguration globaler Hegemonie erkennbar werden. Dabei fokussierte der Beitrag mit dem 2006 gegründeten Internet Governance Forum (IGF) eine Institution, die sich auf transnationaler Ebene einem multi-stakeholder-Ansatz verpflichtet, der staatliche und nicht-staatliche Akteure gleichberechtigt zusammenbringt. Diese Institution verfügt über keine Entscheidungsmacht im gouvernementalen Sinn, vermag aber – so die These – dennoch allein durch ihre Zusammenstellung disparater Gruppen und den Anstoß bestimmter Diskussionen agency zu beanspruchen. Statt allein auf politische Entscheidungsmacht konzentriert zu sein, richtete der Vortrag seine Aufmerksamkeit so auf die politische Macht des Diskurses über das Globale und bot so eine wegweisende Verknüpfung einer herrschaftsorientierten mit einer darstellungsorientierten Herangehensweise an die Konstruktion der „einen Welt“.

In eben diese Richtung zielte auch der Vortrag von LISA PARKS (Santa Barbara), der sich unter dem Titel „Digging into Google Earth“ mit der Darstellung von Welt durch Satellitenbilder im Internet auseinandersetzte. Das „Crisis in Darfur“-Projekt, das Google Earth im Jahr 2007 gemeinsam mit dem US-Holocaust-Museum in Washington initiierte und das beabsichtigt, die globale öffentliche Aufmerksamkeit auf die Kriegszustände im Sudan zu lenken, untersuchte Parks hinsichtlich der Frage, inwiefern eine solche Sichtbarmachung kriegerischer Konflikte ihrem humanitären Anspruch gerecht werden könne. Dabei zeigte sie, wie die Satellitenbilder durch ihre Verschaltung mit anderen medialen Formaten im Sinne westlicher Stereotype über „afrikanische Tragödien“ lesbar gemacht werden. Statt eine Konfliktlösung anzustoßen, offenbare das „Crisis in Darfur“-Projekt die problematische Verknüpfung von humanitärem Anspruch und globalem Kapitalismus: Das visuelle Kapital, das die Kriegsbilder darstellten, trage nicht zur Veränderung der tatsächlichen Situation bei, sondern stärke durch ein kontinuierliches „conflict branding“, eine Auszeichnung der Bilder mit dem Google-Logo, die Marktmacht eines unternehmerischen „global players“. Die Darstellung von Welt wird hier zur Behauptung und Ausweitung globaler ökonomischer Macht eingesetzt.

Der folgende Beitrag fokussierte demgegenüber ein anderes Verfahren, die Welt aus dem All, von außen, zu betrachten. Unter dem Titel „Das Planetarische als Wunschproduktion“ bot DIE GEHEIMAGENTUR (Hamburg) eine Performance, die gleichermaßen den Grenzbereich von Wissenschaft und Theater wie von Erdhaftung und Raumfahrt auslotete. Mit dem für Kinder gegründeten Club der Autonomen Astronauten stellte die Geheimagentur einen Verein zur Umsetzung von Buckminster Fullers Konzept des „Raumschiffs Erde“ vor, in dessen Konsequenz jeder Mensch als Astronaut anzusehen sei. Dabei belege die Konvergenz des alltäglichen Kommunikationszustands mit dem Status des Astronauten – radikal isoliert und doch zugleich total vernetzt, wobei das eine gerade das andere bedinge – die Plausibilität dieser „überraschend realen Fiktion“. Das der Fiktion inhärente Potential der Dezentrierung, demzufolge Welt nicht mehr von einem stabilen Innen aus wahrgenommen wird, sondern der Mensch immer in Bewegung ist und seinen Blick permanent nach außen richtet, setzten die Akteure der Geheimagentur, Sibylle Peters und Matthias Anton, in eine Aufführung um, die sich permanente Beweglichkeit und Vernetzung selbst zum Prinzip machte. Die für die gesamte Tagung leitende Umstellung vom Globus zum Planeten wurde so gleich in mehrfacher Hinsicht performativ gewendet.

Im Anschluss an die Geheimagentur und zu Beginn eines Panels, das das Paradigma des Globalen mit dem Bildverfahren der Zentralperspektive kurzschloss, kam WILLIAM URICCHIO (Utrecht) noch einmal auf aktuelle Verfahren der visuellen Weltproduktion im Internet zurück und knüpfte dabei ebenso an Lisa Parks Beitrag zu den Bildertechniken des globalen Netzes wie an die Diskussion neuer Formen globaler agency bei Jeanette Hofmann an. Unter dem Titel „Cartographies of Time“ diskutierte Uricchio einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel im Bereich der Visualität, der sich in neueren Softwareformaten wie flickr oder Google Maps zeige. Diese Formate führten zu einer Bilderproduktion, die nicht mehr der Zentralperspektive und dem stabilen Beobachterstandpunkt verpflichtet sei (dem „algorism“), sondern flexible, permanent wechselnde Point of Views einführe und damit herkömmlichen visuellen Disziplinierungen entgehe (gemäß dem „algorithm“). Die Neuvermessung und Neukartografierung der Welt implizierten dabei die Konstruktion eines künstlichen Bild-Raumes zwischen Fotografie und Film, dessen dynamischer und instabiler Charakter auf seine multiple Autorschaft – und damit eine multiple agency – verweise. Das Planetarische wird hier als nicht mehr an Identität, Zentralität und Globalität gebundenes Medienverfahren konzipiert, das die gegenwärtige Umwälzung von der globalen in die post-globale Kultur insgesamt symbolisiert. Uricchio diagnostizierte damit in der Gegenwart eine Tendenz, die Antonio Negri zu Beginn der Tagung aus herrschaftstheoretischer Perspektive noch als Postulat und Utopie formulierte.

Ebenfalls mit dem Verhältnis von Globalität und Zentralperspektive, dabei aber ganz an den Anfang dieses Verfahrens im 15. Jahrhundert zurückgehend, setzte sich BERNHARD SIEGERT (Weimar) in seinem Vortrag „Weiße Flecken und finstre Herzen. Von der symbolischen Weltordnung zur Weltentwurfsordnung“ auseinander. Siegert entwickelte die These, dass der take-off der Produktion von „Welt“ in der Frühen Neuzeit nicht zuerst in der Zentralperspektive zu suchen sei, sondern dass er vom „Entwurf“ ausgehe: einer Werkstatttechnik der Projektion aus dem 14. Jahrhundert, die gleichermaßen Malerei wie Kartografie, Kunstwille und Eroberungsdrang begründet habe. Eine Medientechnik steht dieser Lesart zufolge am Beginn der neuzeitlichen Erfassung von Welt – wobei Erfassung gleichermaßen als Abbildungs- wie als Herrschaftstechnik begriffen wird bzw. beide miteinander konvergieren. Siegerts Vortrag verabschiedet zugleich die Idee vom kreativen, die Welt aus sich selbst erschaffenden „uomo universale“ (in der das Ich am Anfang steht) und führt stattdessen Weltentwurf und Ichentwurf parallel – recht genau Nietzsches Diktum folgend, wonach das „Entwurfswerkzeug an unseren Visionen mitarbeitet“.

Zu Beginn des abschließenden Panels, das sich mit Fragen globaler Zirkulation beschäftigte, erörtere NIELS WERBER (Dortmund) den „Weltverkehr als Technik und Semantik des Globalen“. Ausgehend von der um 1900 geführten Debatte um den Weltverkehr schilderte Werber die einander widersprechenden Semantiken, die sich an den Befund eines die Welt umspannenden Netzwerks aus monetärer, massenmedialer und logistischer Zirkulation anschlossen. So wird dieser Weltverkehr einerseits für Projekte der „Völkervereiningung“ in Anspruch genommen, erscheint er als Ausdruck eines friedvollen Zusammenwachens des Globus (eine Argumentationslinie, die von Ferdinand Tönnies bis zu Norbert Bolz verläuft). Andererseits und demgegenüber wird im Weltverkehr die Gefahr neuer, ausgeweiteter Konfrontationslinien erkannt, die letztlich in einen „clash of civilizations“ münden könne (diese Argumentationslinie verläuft von Friedrich Naumann bis Samuel Huntington). Entscheidend ist nach Werber indes nicht, diesen Streit zu lösen, sondern die Stimulationen in den Blick zu bekommen, die von ihm auf ein Denken in globalen Netzwerken ausgehen.

ELMAR ALTVATER (Berlin) besprach in seinem Vortrag über „Kohlenstoffzyklus und Kapitalkreislauf: Wie mit dem Klimakollaps Geld verdient wird“ die weltumspannende Zirkulation des Öls, in dessen Kontext sich industrielle Produktion und Logistik in exemplarischer Weise verknüpfen. Mit Blick auf aktuelle Tendenzen erkannte Altvater eine Verdoppelung dieser Zirkulation durch den Verkauf von Emissionsrechten: Seit die Folgen des Klimawandels direkt in Geld umgerechnet werden und verhandelbar sind, verlagere sich die Handlungsmacht in der Frage der Klimapolitik von der Politik hin zu den Finanzmärkten. Altvaters Vortrag schloss damit an die bereits verschiedentlich im Rahmen der Tagung aufgeworfene Frage nach der Neuverteilung von globaler agency an. Wie Uricchio, Hofmann und Negri konstatierte er dabei eine Dezentralisierung von Handlungsmacht, verband dies anders als seine Vorredner aber mit einem pessimistisch stimmenden Szenario: Die Übernahme der Klimapolitik durch die zur Irrationalität tendierenden internationalen Finanzmärkte stelle letztlich einen „gefährlichen Irrweg“ dar.

Zum Abschluss kehrte CLAUS PIAS (Wien) in seinem Vortrag „Die Zukunft des Kolonialen. Herman Kahn als Berater der NASA“ noch einmal zur Epoche der Weltraumfahrt in den 1960er/70er-Jahren zurück. Am Fall des US-amerikanischen Kybernetikers Herman Kahn skizzierte Pias den futurologischen Versuch einer Modellierung anderer Welten bzw. zukünftiger Weltszenarien, die auf die Kolonisierung des Alls („space settlement“) setzt. In der Simulation alternativer Welten offenbart sich eine genau in die Phase der Dekolonisierung fallende neue Vision der Eroberung eines unbesiedelten Raums: eine nun auf den gesamten Welt-Raum gerichtete Unterwerfungsgeste, die als Ausweitung globaler Regierungsansprüche verstanden werden kann. Zugleich brechen einige der Weltraum-Kolonisierer aber mit der Geschichte als Erdgeschichte und plädieren für ihre Pluralisierung in Netzwerken zahlloser, in sich geschlossener, autonomer Ökosysteme. Zentrierung als Organisationsprinzip von Globalität wird damit zugunsten eines dezentralisierten Planetarischen aufgegeben.
Damit eröffnete der Vortrag von Pias noch einmal neue Perspektiven auf die Problemstellungen, die im Lauf der gesamten Tagung verhandelt wurden: auf das Problem des Zusammenhangs von Weltkonstruktion/Weltimagination und Weltbeherrschung/Weltregulierung, die als unlösbar, aber historisch je kontingent miteinander verbunden gedacht werden müssen; auf das Problem einer Alternative zum zentralistischen, auf Identität und Differenz basierenden Denken der Globalität und Globalisierung, die im Titel der Tagung mit den Begriffen „post-global“ und „planetarisch“ gleich doppelt angesprochen ist; auf das Problem der Verschränkung von Fiktionalität und Faktualität in der Konstruktion der „einen Welt“, die einerseits immer nur eine heuristische Konstruktion ist, zugleich aber höchst faktische Konsequenzen für die auf ihr Lebenden nach sich ziehen kann; sowie auf das Problem des Zusammenhangs von Kultur, Technik und Medien als historisch variabler Bedingungen der Möglichkeit einer diskursiven wie politischen Konstruktion von Globalität. Diese Problemhorizonte erweisen sich selbst als so weit gefasst, dass die Tagung eher als Anstoß eines umfassenden Diskussionszusammenhangs denn als endgültige Abhandlung der angesprochenen Sachverhalte verstanden werden muss. Sie begründen jedoch eine wissenschaftliche Agenda, ein Spektrum an künftigen Forschungsdesideraten, die in den kommenden Jahren ihre nachhaltige Dringlichkeit erweisen werden.

Konferenzübersicht:

Ludwig Jäger (Köln/Aachen): Begrüßung

Ulrike Bergermann (Köln): Einleitung. Das Planetarische.

Keynotes
Moderation: Astrid Kusser (Köln)/Felix Axster (Köln)

Rey Chow (Providence): "I insist on the Christian dimension": Forgiveness, Translation, Secularized Representation, and the Outside of the Human

Antonio Negri (Paris): Europe between the Atlantic and Urals

Panel 1. Welt-Bilder, Welt-Ausstellungen. Techniken der Sichtbarmachung
Moderation: Ilka Becker

Jürgen Fohrmann (Bonn): Einführung

Gloria Meynen (Basel): Welt im Plural. Le Corbusier, Buckminster Fuller und das Futurama

Alexander C. T. Geppert (Berlin): Die normative Kraft des Flüchtigen. Figurationen des Globalen in der Welt der Weltausstellungen, 1851-1900

Panel 2. Welt regieren. Implementationen von Handlungsmacht
Moderation und Einführung: Markus Stauff (Amsterdam)

Jeanette Hofmann (London/Berlin): Mobilizing Bias in Internet Governance

Lisa Parks (Santa Barbara): Digging into Google Earth

Die Geheimagentur (Hamburg): Das Planetarische als Wunschproduktion

Panel 3. Un/mögliches Europa. Kulturtechniken des Übersetzens und Entwerfens
Moderation: Ulrike Bergermann/Wolfgang Beilenhoff (Bochum/Weimar)

Max Kerner (Aachen): Einführung

William Uricchio (Utrecht/Cambridge): Cartographies of Time

Bernhard Siegert (Weimar): Weiße Flecken und finstre Herzen. Von der symbolischen Weltordnung zur Weltentwurfsordnung

Panel 4. Weltverkehr. Formierungen der Geosphäre
Moderation: Carsten Zelle (Bochum)

Christoph Neubert (Köln): Einführung

Niels Werber (Dortmund): Weltverkehr als Technik und als Semantik des Globalen

Elmar Altvater (Berlin): Kohlenstoffzyklus und Kapitalkreislauf: Wie mit dem Klimakollaps Geld verdient wird

Claus Pias (Wien): Die Zukunft des Kolonialen. Herman Kahn als Berater der NASA


Redaktion
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