Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit. Aufgaben und Zukunftsperspektiven

Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit. Aufgaben und Zukunftsperspektiven

Organisatoren
Institut für Österreichische Geschichtsforschung; in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Staatsarchiv
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
10.09.2008 - 12.09.2008
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Von
Anita Hipfinger, Josef Löffler, Institut für Geschichte, Universität Wien

Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte (nicht nur) der Frühen Neuzeit sind historische Spezialdisziplinen, die an den Universitäten zu Gunsten neuerer Forschungsgebiete immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden und in den Lehrplänen eine zunehmend marginale Position einnehmen. Angesichts der Tatsache, dass diese Themen in der österreichischen Forschung noch weitgehend unterbelichtet sind, drängt sich die Frage auf, ob in Zukunft eine Beschäftigung damit nur noch in der Archivarsausbildung oder im außeruniversitären Bereich möglich sein wird. Die Diskussion dieser Defizite stand im Mittelpunkt einer internationalen Tagung im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, wo Forschungsstand und -desiderate, Aufgaben und Zukunftsperspektiven der Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte referiert und diskutiert wurden. Die Tagung beschränkte sich allerdings nicht auf das Gebiet der Habsburgermonarchie, sondern sie richtete den Blick auch auf die Ebene des Reichs sowie in exemplarischen Exkursen auf die Situation in Brandenburg-Preußen und Frankreich.

Den einleitenden Gedanken des Leiters der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt MANFRED MATZKA (Wien) über Bürokratie und die Bedeutung des Wissens um die historische Entwicklung der Verwaltung folgte die Vorstellung des von Thomas Winkelbauer und Michael Hochedlinger gemeinsam mit dem tschechischen Historiker Petr Maťa geplanten, dreibändigen Handbuchs „Verwaltungsgeschichte der Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit“ durch THOMAS WINKELBAUER (Wien).

In der daran anschließenden Sektion ging es darum, die Entwicklung der Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte innerhalb der historischen Forschung und Lehre zu skizzieren. Beginnend mit der Habsburgermonarchie verortete MICHAEL HOCHEDLINGER (Wien) dieses Forschungsfeld zunächst im Bereich der politischen Geschichte, die sich in der Habsburgermonarchie lange Zeit auf Staatsgeschichte, Außenpolitik und Krieg konzentrierte. Erst die Öffnung der Archive und der Zugang zu den Schriftquellen der Behörden auf allen Ebenen läutete die Herausbildung der drei genannten ‚Bindestrichgeschichten‘ ein.

Abstrahiert auf ein Drei-Ebenen-Modell charakterisierte Hochedlinger Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte als historische Forschung auf der Makro-, Meso- und Mikroebene, wobei er letztere als Konkretisierung der Verwaltungsgeschichte begreift. Nach einem historischen Abriss über die Entwicklung der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte in Österreich resümierte er, dass dieses Forschungsgebiet lange Zeit durch die Juristen dominiert und dass auch die meisten Überblickswerke von Juristen verfasst wurden. Als großes Manko erachtet er zudem, dass diese meist kombinierten Fächer in der österreichischen Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ausschließlich im Lehrplan des Ausbildungskurses am Institut für Österreichische Geschichtsforschung vorgesehen waren. Darin und zum Teil in den fehlenden empirischen Grundlagen und den darauf aufbauenden Gesamtinterpretationen, wie sie zum Beispiel für Preußen existieren, liegt für Hochedlinger der Grund für die bestehenden Forschungsdesiderate in diesem Themenkomplex.

WOLFGANG NEUGEBAUER (Würzburg) präsentierte in seinem Vortrag die preußische Tradition der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte mit ihren drei prominentesten Vertretern im 19. Jahrhundert: Gustav Schmoller, Otto Hintze und Fritz Hartung. Mit den auf Schmollers Initiative gegründeten „Acta Borussica“, die Otto Hintze und schließlich Fritz Hartung weiter führten, wurde der Grundstein für die Erforschung der inneren Geschichte des preußischen Staates gelegt. Zusammenfassend hielt Neugebauer fest, dass die preußische Tradition von einer intensiven Archivforschung in Verbindung mit komparativen Fragestellungen geprägt war. Diese Forschungstradition erlitt allerdings einen wesentlichen Einschnitt durch den Zweiten Weltkrieg und die archivalische Teilung im Zuge der Gründung der BRD und der DDR war bis in die 1990er-Jahre wesentlich davon geprägt. Ein Anknüpfen an diese Tradition nach der Vereinigung der Archive hält Neugebauer durchaus für sinnvoll – freilich nur unter der Voraussetzung, dass das Niveau der Hintze-Zeit weitergeführt werden würde.

Abgeschlossen wurde dieser Themenblock durch den Vortrag von OLIVIER PONCET (Paris). Er stellte Traditionen und Perspektiven der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte („histoire des institutions“) der Frühen Neuzeit in Frankreich vor. Im Mittelpunkt stand die Besprechung die weitere Forschung beeinflussender Autoren wie Éd. Laboulaye (1855), A. Chéruel (1855), N.-D. Fustel de Coulanges (1875), P. Viollet (1890), G. Pagès (1932), F. Olivier-Martin (1938), P. Ourliac (1955), R. Mousnier (1974), D. Richet (1973), M. Antoine (1986), R. Descimon (1986), J.-M. Carbasse / G. Leyte / S. Soleil (2000) und Ph. Minard (2000).

Ein weiteres Panel versammelte Beiträge und Erfahrungsberichte aus dem Bereich der universitären Lehre und der Archivarsausbildung zwischen Wien, München und Marburg.

PETER CSENDES (Wien) konstatierte im Rückblick auf zehn Jahre verwaltungs- und behördengeschichtlicher Lehre am Institut für Österreichische Geschichtsforschung eine nur mehr periphere Rolle des Faches innerhalb des Studienplans. Ein zu geringes Angebot an Lehrveranstaltungen verhindert(e) eine intensive und strukturierte Auseinandersetzung insbesondere mit der österreichischen Verwaltungsgeschichte. Derzeit ist Behördengeschichte nur im Rahmen der Archivarsausbildung vorgesehen – wobei auch hier, wie Csendes anmerkte, keine inhaltliche Vertiefung möglich ist –, nicht aber im regulären Lehramts- bzw. Diplomstudium Geschichte. Er plädierte daher für eine verpflichtende Lehrveranstaltung aus Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte für alle Studierenden der Geschichtswissenschaft und für die Archivarsausbildung eine Vorlesung sowie eine begleitende Übung.

Ähnlich gelagert sind die Verhältnisse im Rahmen des Studiums der Rechtswissenschaften, wie CHRISTIAN NESCHWARA (Wien) betonte. Das Stundenausmaß der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte variierte innerhalb der österreichischen Universitätslandschaft stark und wurde in den letzten Jahrzehnten stark reduziert, so dass das Fach nunmehr ausschließlich in Wien und Graz im Lehrplan steht. Für die Zukunft befürchtet Neschwara eine Tendenz in Richtung moderne Verfassungsgeschichte und einen weiteren Rückgang der Verfassungsgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Eine Perspektive für eine Beschäftigung mit dem Fach besteht seines Erachtens noch außerhalb der Universität – im Rahmen der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften bzw. in der Wiener Rechtsgeschichtlichen Gesellschaft.

Nicht so pessimistisch fiel der Bericht von MARGIT KSOLL-MARCON (München) über die Situation in Bayern aus. Im Unterschied zu den Ausführungen der vorangegangenen Redner setzt die der Generaldirektion der staatlichen Archive Bayerns angegliederte Archivschule, so Ksoll-Marcon, gerade in der wissenschaftlichen Ausbildung auf ein hohes Stundenausmaß der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. Damit sollen unter anderem drei Schwerpunkte in der Ausbildung sicher gestellt werden: die Erschließung und Bestandsbildung, die Schriftgutbewertung (die eine gute Kenntnis der Behördenstrukturen voraussetzt) und schließlich der Benützerdienst. Dennoch verwies Ksoll-Marcon auch auf die geringe Zahl an Abschlussarbeiten, die aus diesem Bereich vorgelegt werden.

Als Vertreter der Archivschule Marburg referierte RAINER POLLEY (Marburg) über Ausbildung und Bedeutung der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte innerhalb des dortigen Lehrplans. Dabei spannte er den Bogen von der ersten Prüfungsordnung 1950 bis in die Gegenwart und stellte fest, dass damals wie heute neben der Beherrschung der Aktenkunde auch die Vermittlung von Kenntnissen der Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte festgelegt und mit der aktuellen Fassung von 2008 gesichert ist. Allerdings bedauerte Polley, dass zwischen dem gehobenen und dem höheren Archivdienst differenziert wird, so dass dieses Thema in der Ausbildung zum gehobenen Archivdienst nur ab dem 16. Jahrhundert und nicht über die deutschen Verhältnisse hinaus behandelt wird und der Zeitrahmen im höheren Archivdienst auch nur einzelne Rückgriffe erlaubt.

In dem Themenblock „Wege der Forschung: ‚Klassische‘ und ‚alternative‘ Zugänge“ stellte PETER RAUSCHER (Wien) die Geschichte der Finanzverwaltung als einen „klassischen“ Zugang zur Verwaltungsgeschichte vor und betonte deren Verbindung zur Kriegsführung, die maßgeblich zum Ausbau der Verwaltung beigetragen hat. Nach einem Überblick über die relativ gut erforschte Finanzgeschichte der Habsburgermonarchie konstatierte er noch bestehende Defizite in der Epoche Rudolfs II., Matthias’ sowie Ferdinands II. und III. Den Grund für das mangelhafte Interesse an diesem Thema sieht Rauscher zum Teil in der geringen institutionellen Verankerung der Finanzgeschichte. Abschließend forderte er zu einer intensiven Kooperation im Bereich Finanzgeschichte und einer verstärkten Grundlagenforschung auf, um das komplexe, aber dynamische System der Finanzverwaltung besser zu erforschen.

Um die Frage, inwieweit die Verfassung- und Verwaltungsreformen in der Zeit des aufgeklärten Absolutismus als „Revolutionen von oben“ einzustufen sind, ging es in dem Referat von WALTER DEMEL (München). Er wies zunächst auf den Bedeutungswandel des Begriffs Revolution seit der Französischen Revolution hin und definierte Verfassungsrevolution als die Entmachtung einflussreicher Stände und als grundlegende Veränderung im Sinne einer Gleichschaltung der verschiedenen Länder eines zusammengesetzten Staates, wie dies partiell auch auf die Habsburgermonarchie zutraf. Indem er die Entwicklung von Verfassungs- und Verwaltungsreformen in Europa verglich, kam er zu dem Schluss, dass es sich im Heiligen Römischen Reich im genannten Zeitraum jedenfalls nicht um Revolutionen von oben, sondern vielmehr um Vorarbeiten dazu handelte und lediglich die österreichische Entwicklung etwas darüber hinausging.

MATTHIAS SCHNETTGER (Mainz) beschäftigte sich in seinem Beitrag mit den Institutionen des Heiligen Römischen Reiches. Nach einem einführenden Überblick über das Forschungsfeld „Reichsgeschichte“ im Allgemeinen, widmete er sich der Darstellung der Forschungsgeschichte der einzelnen Reichsinstitutionen. Dabei konstatierte er einen sehr divergierenden Forschungsstand, wobei die reichsständischen Institutionen tendenziell besser erforscht sind als die dem Kaiser zugeordneten. Während das Reichskammergericht als die am besten erforschte Reichsinstitution gilt und zum nach wie vor wenig erforschten Reichshofrat zumindest in den letzten Jahren einige Publikationen erschienen sind, gibt es zur Reichskanzlei enormen Forschungsbedarf. Darüber hinaus regte er in seinen abschließend skizzierten Forschungsperspektiven systematische Untersuchungen zu den primär der österreichischen Sphäre am Hof zuzurechnenden Institutionen (Geheimer Rat, Hofkammer, Hofkriegsrat) bei der Regelung von Reichsangelegenheiten sowie deren Verhältnis zu den Reichsbehörden im engeren Sinn an. Ein weiteres Forschungsdesiderat bilden Untersuchungen zum Personal in den Reichsinstitutionen und dessen Verflechtung mit Verwaltungsinstitutionen auf territorialer Ebene.

Der Vortrag von KARL HÄRTER (Frankfurt am Main) ging der Frage der Durchsetzung der „guten Policey“ im Rahmen der frühneuzeitlichen Verwaltung nach. Die Verwaltung der „guten Policey“ fand seiner Meinung nach in einem Interaktionsfeld zwischen Obrigkeit, zentralen Herrschaftsorganen, lokaler Verwaltung, Amtsträgern und lokalen Gemeinschaften statt. Alle diese Gruppen brachten ihre Vorstellungen von guter Ordnung ein; wenn auch die Einflussmöglichkeiten der Obrigkeiten, insbesondere bei der Normsetzung, wesentlich höher waren, so hatten die lokalen Amtsträger bei der Durchsetzung der Normen doch Partizipationschancen. Durch die Zunahme der Aufgabenbereiche einerseits und durch den Ausbau der Reglementierung und Disziplinierung – auch unter Beteiligung des Gemeinen Mannes mittels Supplikationen – der lokalen Amtsträger andererseits, kam es zu einer Veränderung der Verwaltungskommunikation, hin zu einem mehr formalisierten Verwaltungsprozess. Bis auf den Bereich der Sicherheitspolizei gelang es aber weder auf der Ebene der Zentralbehörden noch auf den unteren Verwaltungsebenen, eine eigenständige staatliche Polizeiverwaltung zu etablieren.

Am Beispiel von Fragen der Ökonomie thematisierte STEFAN BRAKENSIEK (Duisburg-Essen) die Verwaltungsgeschichte als „Alltagsgeschichte“, im Sinne von Alltag der Verwaltung als soziale Praxis. Ziel seines Referates war es, systematische Schlussfolgerungen aus der bekannten Diskrepanz zwischen der von der Obrigkeit formulierten Verhaltenserwartung an die Amtsträger und den realen Verhaltensweisen zu präsentieren. Anhand von Quellenstudien zur lokalen Verwaltung der Landgrafschaft Hessen-Kassel stellte er Überlegungen über die Probleme der mit der Besoldung aus Steuereinnahmen vertrauten Amtsträger und der Planbarkeit von Domänen- und Steuereinnahmen an. Im Vergleich zu den nicht zu erreichenden Vorgaben in den Salbüchern waren die Einnahmen wesentlich geringer, weshalb die lokale Amtsausübung von der Zentralverwaltung mit chronischem Misstrauen betrachtet wurde. Ebenso war die Bereicherung durch Amtsträger ein allgemeiner Topos in der öffentlichen Meinung. Da aber die Besoldung der Amtsträger durch die Beamten zu gering war, waren diese nahezu dazu gezwungen, ihre Amtsführung auch zum „Auffetten“ ihrer Besoldung zu nützen. Eine wichtige These von Brakensieks Vortrag war, dass, den Normen zum Trotz, die Zentrale die Machenschaften der lokalen Amtleute duldete.

Die letzte Sektion, „Die Habsburgermonarchie: Forschungsstand und Desiderate“, eröffnete CHRISTIAN LACKNER (Wien) mit einem Vortrag über die landesfürstliche Verwaltung im Spätmittelalter und an der Wende zur Neuzeit in den österreichischen Ländern. Mit einem einführenden Beispiel über eine Rangstreitigkeit demonstrierte er seine These vom sich verändernden Verständnis von Amt und Person, weg vom älteren Amtsverständnis, in dem die Amtsträger ihren gesellschaftlichen Stand, Verwandtschaft und Vermögen in das Amt einbrachten und somit an der Macht teilnahmen, hin zum neueren, zwischen Amt und Person unterscheidenden, das die Amtsträger einheitlichen Normen unterwarf. Nach dem kritischen Hinweis, dass in der österreichischen Forschung zu lange ein institutionenzentrierter Zugang dominiert habe, obwohl die internationale Forschung schon lange erkannte, dass fürstliches Verwaltungshandeln im Spätmittelalter besser durch die Träger zu erfassen ist, bot er einen Überblick über die Entwicklung des fürstlichen Rates, in dem er seine These detailreich untermauern konnte. Als größtes Forschungsdesiderat nannte er insbesondere die untersten Verwaltungsebenen, die Rolle der Amtspacht und das Amts- und Selbstverständnis vormoderner Verwaltungseliten.

Der in seiner Tätigkeit als Archivar selbst in der Verwaltungspraxis tätige GERNOT PETER OBERSTEINER (Graz) bot einen Überblick über Quellen und Literatur zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der österreichischen Länder zwischen 1519 und 1848. Dabei stellte er fest, dass trotz der umfangreichen Quellenbestände, die meist in den Landesarchiven lagern, das Forschungsinteresse weiterhin auf die staatliche oberste Verwaltungsebene fokussiert ist. Als ergiebige Quellengattungen nannte er zeitgenössische Verwaltungstexte, Gesetzessammlungen, topografische Beschreibungen, Handbücher für den Verwaltungsdienst sowie Behördenschematismen. Das Referenzwerk „Die österreichische Zentralverwaltung“ (ÖZV) ist, wie schon sein Titel besagt, für die mittlere und untere Verwaltungsebene der Länder wenig ergiebig. Größere Impulse brachte hingegen die Grundlagenforschung der historischen Geografie, namentlich durch den Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer. Insgesamt beschränkt sich der Schwerpunkt der Forschung auf einzelne Länder, länderübergreifende Darstellungen gibt es kaum.

PETR MAŤA (Wien) stellte in seinem Vortrag die Verwaltungsgeschichte der böhmischen Länder in den Mittelpunkt. Die Böhmische Krone beschrieb er als ein zusammengesetztes, asymmetrisch aufgebautes und von einer dezentralen Struktur geprägtes Staatsgebilde, das bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts seine Selbstständigkeit weitestgehend einbüßte und im böhmisch-österreichischen „Kernstaat“ (Friedrich Walter) der Habsburgermonarchie bzw. in den Kurfürstentümern Sachsen (Ober- und Niederlausitz) und Brandenburg (Schlesien) aufging. Er konstatierte, dass sich aus der an national-politischen Konstellationen orientierende Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts vier verschiedene Forschungstraditionen zur Verfassungsgeschichte der böhmischen Länder herauskristallisierten, die auch dem Begriff „böhmische Länder“ unterschiedliche Bedeutungen zu Grunde legten. Die größte Tradition besitzt die tschechische Forschung, die sich unter dem Einfluss des Böhmischen Staatsrechts entwickelte. Dazu im Gegensatz stand die österreichische Forschung, während sich die preußisch-deutsche und die polnische Forschungstradition jeweils um Schlesien drehten. Den Forschungsstand charakterisierte Maťa als unausgeglichen, einige Gebiete sind gut erforscht, andere harren noch völlig einer Untersuchung, wie er beispielhaft an der Böhmischen Hofkanzlei dokumentierte.

Die Verwaltungsgeschichte des Königreichs Ungarn wurde von ISTVÁN FAZEKAS (Wien), dem Leiter der ungarischen Archivdelegation am Österreichischen Staatsarchiv präsentiert. Seine Darstellung begann er mit den Ursprüngen der ungarischen Verwaltungsgeschichte in den 1860er-Jahren, als sich im Umfeld des österreichisch-ungarischen Ausgleichs die Frage nach der zukünftigen strukturellen Gestaltung des Staatswesens stellte. Die während der Doppelmonarchie (meist von Österreichern) publizierten Arbeiten hatten den Charakter der Beziehungen zwischen den beiden „Reichshälften“ zum Inhalt und führten wegen ihrer politisch-legitimatorischen Ausrichtung zu Aufregung in der ungarischen Öffentlichkeit. Ab 1917 stand die Verwaltungsgeschichte auch in der ungarischen Forschung vermehrt im Zentrum des Interesses. Für den Zeitraum nach dem Zerfall der Monarchie schilderte Fazekas einen weiteren Aufschwung der Verwaltungsgeschichte, eine neue Historikergeneration, für die insbesondere Győző Ember steht, schuf bis 1960 eine solide Basis. Danach waren es in erster Linie Archivare, die sich mit der Verwaltungsgeschichte beschäftigten. In der Zeit nach 1989 etablierte sich vermehrt die prosopographische Forschung, die Fazekas auch in Zukunft als vielversprechend ansieht, während er beträchtliche Lücken in der klassischen Verwaltungsgeschichte, wie zum Beispiel zur Ungarischen Hofkanzlei oder zu ständischen Würdenträger, bemängelte.

ELISABETH GARMS-CORNIDES (Wien) widmete sich in ihrem Beitrag den italienischen Provinzen der Habsburgermonarchie zwischen 1714 und 1797. Für die beiden Jahrzehnte nach dem Maria-Theresien-Jahr 1980 stellte sie eine zunehmende Verklärung der österreichischen Verwaltung in Italien durch die österreichische Forschung fest, obwohl insgesamt verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Studien zum österreichischen Italien bis zu den Arbeiten von Brigitte Mazohl-Wallnig ein Desiderat darstellten, wobei die Situation für die Toskana am besten ist. Danach erläuterte Garms die italienische Forschung der letzten 50 Jahre, für die sie drei Forschungslinien ausmachte, eine geistes-, eine rechts- und eine wirtschafts- und sozialhistorische Linie, die sie im Einzelnen erläuterte. Dabei berührte sie auch allgemeine Fragen, wie das Selbstverständnis der italienischen Historiker als politisch engagierte Intellektuelle, die institutionelle Verankerung der Verwaltungsgeschichte oder die Archivarsausbildung. Insbesondere der Großkongress anlässlich des Maria-Theresien-Jahres und die dadurch angeregten Studien gaben der Forschung neuen Auftrieb.

RENATE ZEDINGER (Wien) wandte sich schließlich den belgischen Provinzen der Habsburgermonarchie zu. Sie bot einen längeren ereignisgeschichtlichen Überblick, in dem sie die Verwaltungsstruktur, den Geschäftsverkehr zwischen Wien und Brüssel, die Herkunft und die Ausbildung des Verwaltungspersonals sowie die Reformen in diesen Bereichen beleuchtete. Zum Forschungsstand bemerkte sie, dass es sowohl in Wien als auch in Brüssel sehr viel unbearbeitetes Quellenmaterial gibt. Die Forschung, die bis 1918 durchaus einige Ergebnisse zeitigte, kam danach auf lange Zeit zum Erliegen und wurde erst ab 1987 durch Moritz Csáky wieder belebt. Außerdem führte Zedinger einige bilaterale Projekte an, die auch zu einer Reihe von Publikation führten.

Zusammenfassend kann diese internationale Tagung als erfolgreicher Versuch interpretiert werden, die Probleme und Forschungsdesiderate der Verwaltungsgeschichte der habsburgischen Länder und darüber hinaus zu sammeln und zu diskutieren. Dabei ist es nicht nur gelungen, Lücken zu thematisieren, sondern auch neue Ansätze zu formulieren und Anreize zu schaffen. So könnte die Perspektive für dieses Forschungsgebiet vor allem durch eine stärkere Integration innerhalb des Lehrangebots an den Hochschulen verbessert werden. Weitreichende Ergebnisse der Tagung sind von der geplanten „Verwaltungsgeschichte der Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit“ zu erwarten, die Antworten auf einige bislang offene Fragen liefern und zudem noch weitere, auf der Tagung nicht berücksichtigte Länder behandeln wird.

Konferenzübersicht:

I. Zur Einführung

Manfred Matzka: „Bürokratie“ und Geschichte. Gedanken zum historischen Bewußtsein der Verwaltung

Thomas Winkelbauer: Eine „Verwaltungsgeschichte der Habsburgermonarchie“ in drei Bänden Forschungsinstrument und Lehrbehelf. Bemerkungen zu einem großangelegten internationalen Kooperationsprojekt

II. Forschungsgeschichte

Michael Hochedlinger: Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte in der historischen Forschung
und Lehre

Wolfgang Neugebauer: Preußische Traditionen der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte

Olivier Poncet: L’histoire des institutions de l’époque moderne en France. Traditions et perspectives

III. Die Lehre

Peter Csendes: Erfahrungen und Schlüsse aus zehn Jahren verwaltungs- und behördengeschichtlicher Lehre am Institut für Österreichische Geschichtsforschung

Christian Neschwara: Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte in der rechtshistorischen Forschung und Lehre

Margit Ksoll-Marcon: Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte im Rahmen der bayerischen Archivarsausbildung

Rainer Polley: Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte im Rahmen der bundesdeutschen Archivarsausbildung

IV. Wege der Forschung: „Klassische“ und „alternative“ Zugänge

Peter Rauscher: Verwaltungsgeschichte als „Finanzgeschichte“

Walter Demel: „Revolutionen von oben“? Verfassungs- und Verwaltungsreformen in der Zeit des Aufgeklärten Absolutismus

Matthias Schnettger: „Reichsgeschichte“ als Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte

Karl Härter: Die Verwaltung der „guten Policey“: Verrechtlichung, soziale Kontrolle und Disziplinierung

Stefan Brakensiek: Verwaltungsgeschichte als „Alltagsgeschichte“

V. Die Habsburgermonarchie: Forschungsstand und Desiderate

Christian Lackner: Die Entwicklung der landesfürstlichen Räte, Kanzleien und Verwaltungsapparate im Spätmittelalter und an der Wende zur Neuzeit in den österreichischen Ländern

Gernot Peter Obersteiner: Die österreichischen Länder 1519-1848

Petr Maťa: Die böhmischen Länder 1526-1848

István Fazekas: Die Länder der Stephanskrone 1526-1848

Elisabeth Garms-Cornides: Die italienischen Provinzen der Habsburgermonarchie 1714-1797

Renate Zedinger: Die belgischen Provinzen der Habsburgermonarchie 1714-1794 (1797)


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