Entspannung und KSZE in Europa

Entspannung und KSZE in Europa

Organisatoren
Historisches Institut Universität Mannheim; Friedrich-Ebert-Stiftung Prag; Institut für Zeitgeschichte der tschechischen Akademie der Wissenschaften (USD)
Ort
Prag
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.10.2008 - 15.12.2008
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Von
Oliver Bange, Historisches Seminar, Universität Mannheim

Zum Abschluß des von der VolkswagenStiftung geförderten und von Gottfried Niedhart und Oliver Bange geleiteten Projekts „Entspannung und KSZE in Europa: Die Staaten des Warschauer Pakts und die Bundesrepublik Deutschland in wechselseitiger Wahrnehmung und Annäherung 1966-1975“ fand Mitte Oktober 2008 in den historischen Räumlichkeiten des Instituts für Zeitgeschichte der tschechischen Akademie der Wissenschaft mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung Prag eine internationale Abschlußkonferenz statt.

Das Projekt, an dem Historiker aus sämtlichen ehemaligen Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes teilnehmen, versucht durch einen multiperspektivischen, damit bedingt insbesondere auch multiarchivalischen Ansatz, Zielsetzungen, Perzeptionen und Reaktionen im Ostblock auf die sich Ende der 1960er- bzw. Anfang der 1970er-Jahre entwickelnde Entspannungsära in Europa nachzuzeichnen. Analytische Schwerpunkte bildeten Veränderungen in (und durch) Ost-West-Kommunikation auf der Ebene bilateraler Beziehungen und auf dem Feld gegenseitiger Wahrnehmungen.

Vor drei Jahren begann das Projekt mit zwei zentralen Hypothesen: einerseits, daß die neue Ostpolitik der Bundesrepublik Bonn in eine Schlüsselposition des Ost-West-Konflikts brachte und somit auch zu einem der wichtigsten Bezugspunkte auch der jeweiligen nationalen Strategien für "friedliche Koexistenz" im kommunistischen Block machte; zum anderen, daß die Bruchlinien zwischen den jeweiligen staatlichen und parteipolitischen Interessen der kommunistischen Machthaber durch die Entspannungsära verstärkt und Konflikte verschärft wurden. Die Forschungsergebnisse, teilweise auf der Basis neuer und erst durch das Projekt selbst zugänglich gewordener Quellen, wurden in Prag einer Gruppe internationaler Experten (darunter Mark Kramer, Marie-Pierre Rey, Vladimir Handl, Mikhail Lipkin, Tomas Vilimek, Katarzyna Stokłosa, Valeri Katzounov, Bernd Rother, Jost Dülffer) vorgestellt und von diesen diskutiert.

Dabei zeigte sich, daß die beiden Ausgangsthesen zwar durchaus valide Annahmen darstellten, aber immer noch zu kurz griffen. Die positive (etwa im Falle Ungarns) wie negative (beispielsweise Polens) Fokussierung mancher Mitgliedsländer des Warschauer Paktes auf Bonn, die neue Ostpolitik und die damalige sozial-liberale Koalition unter den Kanzlern Brandt und Schmidt mag in der Retrospektive fast obsessiv erscheinen. Von einem monolithischen, grauen Block – als der der Warschauer Pakt damals vielen westlichen Beobachtern erschien – kann jedenfalls nicht mehr die Rede sein. Die Ausführungen des bulgarischen KP-Führers Todor Schiwkow gegenüber Leonid Breschnew, dieser möge das leidige deutsche Problem doch möglichst rasch lösen, da es eine politische, ökonomische und militärische Gefahr für den Sozialismus darstelle, soll hier nur beispielhaft angeführt werden.

Dabei war den kommunistischen Führern – sowohl individuell als auch kollektiv, wie die Beratungen im Politisch Beratenden Ausschuß, dem höchsten Organ des Warschauer Paktes, zeigen – durchaus bewußt, was Brandt und Bahr, de Gaulle und Pompidou, oder auch die sogenannten "Bridge-Builder" im amerikanischen State Department mit der Intensivierung von Kommunikation und Kooperation Richtung Osten beabsichtigten: eine Erhöhung des Reformdrucks in den sozialistischen Ländern, daraus resultierend eine Transformation der kommunistischen Herrschaftsstrukturen, schließlich deren Ablösung oder Zusammenbruch und die "Desintegration" des Warschauer Paktes, wie es Bahr auf einem streng geheimen Treffen der amerikanischen, britischen und westdeutschen Planungsstäbe bereits 1969 detailliert entworfen hatte.

Die Konferenz begann mit Vorträgen von GOTTFRIED NIEDHART (Mannheim) und JORDAN BAEV (Sofia), die mit ihren Ausführungen über die westdeutsche Ostpolitik und die damit verknüpften Erwartungen zu einer graduellen Transformation der Gegenseite sowie zu den teilweise hitzigen, immer aber konfliktgeladenen Bemühungen, innerhalb des Warschauer Paktes zu einer gemeinsamen Linie in der Ost-West-Entspannung zu kommen, die zwei zentralen Bezugspunkte der Tagung vorstellten.

CARMEN RIJNOVEANU (Bucharest) und ALEXEI FILITOV (Moskau) fokussierten dann auf die frühen rumänischen Reaktionen auf Bonns Ostpolitik und die sowjetischen Interessen in den Moskauer Verhandlungen. Ihre Ausführungen griffen insofern fallbezogen die zuvor erläuterten Rahmenbedingungen der osteuropäischen Akteure – zwischen hegemonial-imperialistischer Präponderanz Moskaus und dem nicht zuletzt auch wirtschaftlichem Magnetismus der Bundesrepublik Deutschland – wieder auf. Während für Moskau die kognitive Dissonanz der deutsch-russischen Übersetzung der Schlüsselpassage des Moskauer Vertrages (Unverletzbarkeit oder Unveränderbarkeit der Grenzen) den Weg zu einer globalen, am Status quo orientierten Entspannung zwischen den Supermächten ebnen sollte und damit hinnehmbar schien, nutzte Ceauşescu den sich aus den Ost-West-Aufbrüchen ergebenden Spielraum schnell und rigoros. Zu den für Rumänien positiven Effekten gehörten wirtschaftliche Vorteile im Westen (insbesondere in Bonn), eine internationale Mittlerfunktion, aber auch Moskaus im Interesse des Blockzusammenhalts gezeigte Kompromissbereitschaft. Daß dies über viele Jahre ohne nennenswerten Rekurs auf die innenpolitische Situation in Rumänien stattfand, kann wohl nur aus den Spezifika der Block-zu-Block Konfrontation (der ausgerechnet Ceauşescu den rhetorischen Kampf angesagt hatte) erklärt werden.

Die deutsche Frage, ihre Lösungsszenarien und die damit verbundenen Ängste verbanden die Vorträge von OLIVER BANGE (Mannheim) und WANDA JARZĄBEK (Warschau). Bange identifizierte die DDR als eigentliches Opfer der Entspannung zwischen Ost und West. Seine These von der Prozeßhaftigkeit des Untergangs des ostdeutschen Staates erläuterte er anhand einer Reihe fundamentaler Veränderungen in der Politik der DDR: die Westpolitik der SED-Führung verlor mit dem Wechsel von Ulbricht zu Honecker auch weitgehend ihre offensive Spitze; die offiziellen Sprachregelungen beschrieben in Bonn statt des kapitalistisch-imperialistischen Aggressors nun einen ernsthaften Gesprächs- und Kooperationspartner; und statt umfangreicher öffentlicher Abstrafungen von Oppositionellen waren ostdeutsche Behörden zunehmend mit einer möglichst unauffälligen (aber daher um so aufwendigeren) Kontrolle von Dissidenz beschäftigt. Jarząbek erläuterte, wie die damalige polnische Führung einerseits die mit der Entspannungspolitik verbundenen Gefahren einer Westöffnung erkannte, andererseits aber gerade in der Multilateralisierung von Ostpolitik und Détente ein Instrument zu Sicherung der eigenen Grenzen vor deutschem Revisionismus oder gar Revanchismus verfolgte.

CSABA BÉKÉS (Budapest) und KOSTADIN GROZEV (Sofia) stellten mit Ungarn und Bulgarien zwei weitere, spiegelbildlich verkehrte nationale Positionen vor. Die sozialistische Führung in Budapest baute, nachdem ein erster Versuch 1967, zu offiziellen Beziehungen mit Bonn zu gelangen, am polnischen und ostdeutschen Einspruch gescheitert war, die eigenen, insbesondere die Wirtschafts- und Wissenschaftsbeziehungen mit der Bundesrepublik auch ohne diplomatische Repräsentanz sukzessive aus. Sofia, das wie Budapest erst 1973 volle diplomatische Beziehungen mit Bonn aufnahm, besaß offenbar weniger Spielraum oder auch Motivation die eigenen Wirtschaftsbeziehungen mit Bonn unterhalb der offiziellen staatlichen Ebene auszubauen und konzentrierte sich auf die traditionelle Rolle als Moskaus engster Verbündeter im Pakt. Dabei dürften auch andersgelagerte geopolitische Interessen (die das deutsche Problem als weiter entfernt und den Balkan als nächstgelegenes sowohl Krisen- als auch Wirtschaftsgebiet erscheinen ließen) eine wichtige Rolle gespielt haben.

OLDŘICH TŮMA (Prag) und SVETLANA SAVRANSKAYA (Moskau/Washington) deuteten die Entspannungsära in ihren Beiträgen zur CSSR und zur UdSSR als Aufbruchphase, in der ein neuer, stabilerer außenpolitischer Rahmen (Respektierung und damit Sicherheit der Grenzen statt bedrohliches militärisch-politisches "Roll-back") Möglichkeiten für innenpolitische Reformen und damit letztlich auch Opposition und Dissidenz schuf. Tůma erläuterte den Effekt der Niederschlagung des Prager Frühlings, der den kommunistischen Machthabern Sicherheit im Inneren und mit den "68ern" im Westen sogar neue Verbündete versprach, und so paradoxerweise den Weg der kommunistischen Regierungen in die Entspannungsära ebnete; ein Weg, der schließlich in der KSZE-Schlußakte von Helsinki münden und so die Rechtfertigung für die intellektuelle Opposition der Charter 77 liefern würde. Ähnliche Mißverständnisse über Wesen, Inhalt, Kurs und Steuerbarkeit der Ost-West-Entspannung konstatierte Savranskaya für die sowjetische Seite. Zwar führten internationale Abkommen und wachsende Transparenz zu einer deutlich verringerten Zahl von inhaftierten Dissidenten; doch insbesondere die KSZE-Schlußakte führte dazu, daß die Verfolgten nun zu internationalen, auf den KSZE-Folgekonferenzen heftigst diskutierten Fällen wurden und sich die unterschiedlichsten Oppositionellen erstmals als Helsinki-Gruppen miteinander vernetzten.

Dieser "Prag-Effekt" oder "Helsinki-Effekt" war denn auch Gegenstand der Abschlußdiskussion in der Karlsuniversität, die von Vorträgen von OLDŘICH TŮMA und OLIVER BANGE über östliche und westliche Entspannungskonzepte eingeleitet wurde und unter dem Titel "Prague 1968 and Beyond – On the Treshold of a New Era: Towards Détente and Dissidentism" stand. Die Überlegungen von FRANTIŠEK ČERNÝ (Journalist im Prager Rundfunk 1968, Literat und nach der Wende 1989/90 Botschafter seines Landes in Bonn und Berlin), von ERHARD EPPLER (1968 außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und auf Parteimission in Prag, danach Minister in den Kabinetten Kiesingers, Brandts und Schmidts) sowie des tschechischen Europaabgeordneten LIBOR ROUČEK spannten einen genauso weiten wie langen Bogen von den Prager Ereignissen 1968 bis zu den gegenwärtigen Spannungen mit Rußland. Die Enttäuschung der Prager Reformer über die westdeutsche Linke wurde ebenso angesprochen wie die "subversiven Seiten" (Eppler) der neuen ostpolitischen Ansätze. Dabei schienen den Beteiligten die Parallelen zu aktuellen Problemen so eklatant, daß offen über das ob und wie einer neuerlichen Transformationspolitik unter wirtschafts- und sicherheitspolitischen Vorteilen für alle Seiten nachgedacht wurde.
Die Ausführungen Epplers und die Diskussion werden bald auf der oben angeführten Internetseite zugänglich gemacht werden.

Konferenzübersicht:

Gottfried Niedhart, Mannheim: Ostpolitik, CSCE and Bonn's expectations over the effects of détente policies

Jordan Baev, Sofia: Bulgaria, USSR and Warsaw Pact intra-bloc coordination during the CSCE process, 1969-1975

Carmen Rijnoveanu, Bucharest: Romania's reactions towards West German Ostpolitik

Alexei Filitov, Moskau: Moscow's German policy and the perception of Ostpolitik

Oliver Bange, Mannheim: The GDR in the Era of Détente – Conflicting Perceptions and Strategies, 1965-1975

Wanda Jarązabek, Warschau: The impact of the German question on the Polish attitude towards the CSCE

Csaba Békés, Budapest: Hungary and the German question, 1965-1977

Kostadin Grozev, Sofia: Bulgaria and the FRG's Eastern Policy: perceptions and steps of rapprochement
Oldřich Tůma, Prag: Czechoslovakia, Ostpolitik and CSCE between the Prague Spring and Charter 77

Svetlana Savranskaya, Moscow/Washington D.C.: Opening the Window to Change – Détente and the Soviet Dissidents

http://www.csce-1975.net