„Secondary Conversions“

„Secondary Conversions“

Organisatoren
Simon Dubnow-Institut, Leipzig
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.02.2003 - 24.02.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Caspar Battegay, Institut für Jüdische Studien, Universität Basel

„Secondary Conversions“
Ein Konzept und seine Konferenz: Ein Bericht

Ein jüdischer Kaufmann aus Galizien mit dem Namen Katzmann emigriert nach Frankreich. Als Besitzer eines Herrenbekleidungsgeschäftes in Paris möchte er nun nicht mehr als Jude kenntlich sein, sondern als richtiger Franzose gelten; zu diesem Zweck muss er natürlich – nachdem er sich den Bart abgeschnitten und den Kaftan mit einem eleganten Anzug vertauscht hat – auch seinen Namen französisieren. Er wählt die wörtliche französische Übersetzung und nennt sich nun Chat l’homme.
Dieser Witz zeichnet ein etwas karikaturistisch verzerrtes Bild dessen, was der Historiker und Leiter des Leipziger Simon Dubnow-Instituts Dan Diner mit seinem Konzept der „Secondary Conversions“ vielleicht beschreiben möchte. Zu diesem zunächst recht rätselhaften Titel fand in Leipzig vom 22.–24. Februar 2003 eine Tagung mit dem Untertitel „Transforming Religious and Ethnic Emblematics of Judaism und Jewishness“ statt.

0. Das Konzept
Diner umriss in seiner Begrüssungsansprache seine Begriffsschöpfung recht ungenau, dafür mit grossem Elan: Sekundäre Konversion sei der Name eines Phänomens, das typisch sei für die jüdische Geschichte, aber auch für die Geschichte von anderen Minderheiten. Nicht Konversion im herkömmlichen Sinn ist damit gemeint, also nicht der Übertritt zu der Religion und der Lebensweise der Majorität, sondern Konversion eben im sekundären Sinn, also der Wechsel der Ausrichtung ohne sich aber ganz nach aussen zu wenden. Hatte man in der Kulturwissenschaft diese Phänomene früher mit dem Namen Akkulturation oder Assimilation belegt, versteht sich das Konzept der „sekundären Konversionen“ als Innenansicht der Minderheit und geht damit immer schon von der Differenz aus, anstatt diese zuschütten zu wollen. Die Wortbedeutung von Konversion als „Übertritt von einer Konfession zu einer anderen“ (Duden) wird damit aufgesprengt; es wird behauptet, dass es eine primäre Konversion nicht eigentlich gibt, sondern nur verschiedene Konversionen als vielfältige und fortlaufende Wandlungsprozesse, welche der modernen Gesellschaft ihre charakteristische Pluralität geben und zu einer „Hybridisierung“ (Diner) der einzelnen Gruppen führen. Der „Fokus“ wird damit „auf die inneren Verwandlungen jüdischen Selbstverständnisses“ (Diner) gelegt: Der Term „Sekundäre Konversionen“ beschreibt so einerseits, wie sich Religion in sich wandelt um sich unter den Bedingungen der Moderne zu erhalten, andererseits versucht er zu fassen, wie sich religiöse Embleme, Symbole oder Riten in säkulare Formen transformieren und dennoch ein, wie auch immer, charakteristisch Jüdisches behalten. Die Menschen, welche diese Prozesse durchleben, seien, nach Diner, Schmerzen unterworfen: Frei nach dem Sprichwort, dass der, welcher den Schaden hat, für den Spott nicht zu sorgen braucht, kann man sich in die peinliche Situation jenes ostjüdischen Kleiderverkäufers hineinfühlen, nachdem er die Vergeblichkeit seiner Übersetzungsbemühungen erkannt hat.

1. Literatur als Transformation
Auf vergnügliche Art führte in ihrem Beitrag auch Barbara Harshav (Yale University) die Probleme von Übersetzungen vor. Das Übersetzen von Yiddish und Hebräisch ins Englische führe nicht nur zu all den bekannten Problemen von Übertragungen aus einer Sprache in eine andere, sondern bringe auch spezifische Probleme bezüglich der historischen und kulturellen Entwicklung dieser Sprachen mit sich. So sind Zitate oder Verweise auf die Tora im modernen Ivrit durchaus gebräuchlich, ohne dass damit die Rede einen religiösen Gehalt bekommt. Übersetzt man diese dann aber ins Englische, bekommt sie schnell ein ganz und gar nicht beabsichtigtes religiöses „Gewicht“. Beim Yiddischen zeigt sich das Problem von der anderen Seite: Viele yiddishe Wörter sind in den normalen Sprachschatz eines US-Amerikaners eingeflossen, haben da aber eine komische Konnotation. Benutzt man nun diese Wörter, wird eine sprachliche Äusserung da lächerlich, wo sie es vielleicht nicht sein sollte.
Am Beispiel von Heinrich Heines Fragment Der Rabbi von Bacherach und Robert Menasses neuerem Roman Die Vertreibung aus der Hölle, zeigte Alfred Bodenheimer (Basel) „die Unfähigkeit des Säkularismus“ den Graben zuzuschütten, der die Juden vom europäischen Kulturprozess ausschliesst. In den marranischen Gestalten beider Schriftsteller zeige sich das Schicksal des „Anderen“ in der Mehrheitsgesellschaft und verberge sich eine Kritik an der Philosophie des deutschen Idealismus, der die herrschende Ordnung nicht ändern kann, sondern eher bestätigt. Der Marrane steht damit mit seiner Nicht-Konversion gegen Hegels Auflösung der Gegensätze, denn in ihm lebt der unterlegene Teil geheim weiter.
Eine „marranische Schreibweise“ (Klaus Briegleb über Heine) sprach Martin Treml (Berlin) in seinem Referat dem ersten deutschsprachigen Juden, der sich ausdrücklich als Jude in Deutschland literarisch und philosophisch geäussert hatte, Moses Mendelssohn, zu. Ständig dem Druck ausgesetzt, entweder zum Christentum zu konvertieren oder öffentlich die Gründe zu benennen, beim Judentum zu bleiben, entwickelte Mendelssohn eine Schreibweise, die es ihm erlaubte, diesem Druck auszuweichen.

2. Konzeptuelle Überlegungen
Die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel (Berlin) stellte den Begriff der Konversion nach Benjamin als einen Schlüsselbegriff der Moderne dar. In ihm würde die Idee einer totalen Konvertibilität angesprochen; als Figur der Transformation oder der Umkehr beherrscht sie sowohl die marktwirtschaftliche Ökonomie, die im Währungstausch und im Tausch der Güter gegen Kapital ihre Grundlage hat, die Psychoanalyse mit ihren Vorstellungen von Substitution, als auch die Idee einer Globalisierung, das heisst die universale Konversion aller Kulturen zu einer einzigen. Als Kontrast zu dieser generellen Konversion setzt Weigel die jüdische partikulare Erfahrung von Moderne: Diese sei das Erlebnis einer Unmöglichkeit von totaler, ein-dimensionaler Konversion. In einer „Dialektik der Konversion“, ein Ausdruck, der wohl an Horkheimer/Adorno anlehnen soll, würde jüdische Säkularisation sich nie abschliessend er-eignen.

Der Historiker Moshe Zimmermann (Jerusalem) bestritt den Vorteil des neuen Konzepts der „Secondary Conversions“ gegenüber den Begriffen Assimilation und Emanzipation: Es gäbe nämlich keine klare Grenze zwischen dem Aussen und dem Innen einer Gruppe, einer Religion oder eines Volkes, so könne man auch nicht sagen, ob Assimilation ein Prozess im Judentum oder ein Prozess, der über das Judentum hinaus geht, beschreibe. Mit scharfer Polemik gegenüber orthodoxen oder zionistischen Betrachtungsweisen behauptete Zimmermann, dass gerade die Assimilation das Geheimnis der jüdischen Existenz über die Zeit hinweg garantiere. Demgegenüber wurde in der lebhaften Diskussion jedoch festgehalten, dass gerade das Konzept der Sekundären Konversionen danach frage, warum und wie, wer an wen zu assimilieren wäre. Es unterläuft damit die fast mythische Vorstellung, dass ein weises Judentum sich mit einem wohlgehüteten Geheimnis der Assimilationstechnik durch die Jahrhunderte geschlichen hätte, immer auf den Fersen einer wie auch immer gearteten Zentrumskultur und öffnet die Geschichte auf viele einzelne Schichten hin einer Betrachtungsweise, die viele kleine Transformationen im Blickfeld hat.

3. Stimmen der Haskalah
Shmuel Feiner (Ramat-Gan) stellte seine Arbeitsweise beschwörend als ein „Stimmen hören“ dar. Wer sensibel genug auf die Stimmen jener jungen gelehrten Männer des 18. Jahrhunderts lauschen würde, die aus ihren traditionellen Wegen ausgebrochen waren und sich der der Aufklärung und der ratio verpflichteten Wissenschaft zuwandten und damit zwangsweise in Konflikt mit den Autoritäten der traditionellen Elite gerieten, der würde nicht verkennen können, dass Konversion in der Tat eine Schlüsselerfahrung der Haskalah gewesen sein musste. Denn zu dringlich und zu passioniert klingt die Rhetorik der Maskilim, als dass sie nicht einer im Kern „gläubigen“ Lebenssicht verbunden gewesen sein muss. Über die blosse Akkustik hinaus, machte Feiner den Bezug von Konversion und Haskalah daran fest, dass die Haskalah eine kulturelle Konversion in dem Sinn gewesen sei, dass junge Gelehrte ihre Zeit nun anstatt dem Talmud- und dem Halachastudium in gleichem Masse einfach dem Studium der modernen Wissenschaften und der Philosophie widmeten. Auf einer individuellen Ebene waren diese Männer nun eigenständige Intellektuelle geworden, die nicht mehr mit der rabbinischen E-lite assoziiert waren, sondern sich als aufgeklärte Juden fühlten. Drittens sahen sich auch die Maskilim als Teil eines historischen Narrativs, welches aus einer abgestreiften dunklen Zeit in eine glorreiche erleuchtete Zukunft führte, in der auch die Juden Teil einer völkerumfassenden, aus der Wissenschaft gespeisten Humanität sein würden.

Taub für diese Rufe erwies sich Moshe Pelli (Orlando), der sich in eine (Spiegel-)Fechterei mit Feiner einliess. Pelli ging zuerst mit Feiner einig, dass die Maskilim Konventionen, Art und Weise von Strategien und Institutionen von den Rabbinern übernommen hätten. Durch ihre Übernahme zentraler Forderungen der europäischen Aufklärung, wünschten die Maskilim eine neue jüdische Identität im Einklang mit der gesamteuropäischen Aufklärung zu schaffen. Feiner würde sich aber verhören, interpretierte er die Stimmen der Maskilim als im Kern religiös. Für Pelli stand fest, dass die Haskalah ein ganz und gar säkulares Phänomen darstellt.

4. Modernity and Existentiality
Unter diesem eher unverständlichen Titel wurde ein letztes Diskussions-„panel“ zusammengefasst. Was bedeutet „Existentiality“? War es eine Anspielung an die moderne Philosophie des „Existentialismus“, nach der sich der Mensch in einer nicht frei gewählten Welt vorfindet und darin seine gesellschaftliche Existenz entwerfen muss? Der Psychologe Benjamin Beit-Hallahmi (Haifa) jedenfalls erläuterte anhand von Eigennamen – und diese findet ja jeder Mensch an sich vor ohne dass er etwas dazugetan hätte – wie sich Menschen selbst definieren wollen. Er zeigte anhand des Beispiels des Israelis Yahon Cohen, der sich in die Pop-Diva Dana International übersetzte, wie Existenz über die Transformation von Namen und sogar Geschlecht in der Moderne individuell entworfen werden und wie eine sekundäre Konversion im postmodernen Alltag aussehen kann. Beit-Hallahmi nannte den Vorgang der Trennung der Juden von ihrer traditionellen Jüdischkeit im Prozess der Moderne und die daraus entstehende Poly-Optionalität für den Einzelnen „the jewish conquest of modernity“, denn individuelle Juden würden nun durch ihre hybride Existenz zu Trägern und Emblemen der Moderne. Etwas genauer nahm Beit-Hallahmi dann die Namensgebung im modernen Israel von der Staatsgründung bis heute unter die Lupe: Sein Befund war, dass sich die häufigsten Vornamen immer weiter von den traditionellen biblischen Namen wegbewegen, die über Jahrtausende zu den gebräuchlichsten jüdischen Namen gehört hatten. Es zeichne sich ein Trend ab, dass die beliebtesten Namen sich immer schneller abwechseln, dazu seien es häufig Kunstnamen.

Paul Mendes-Flohr (Chicago/Jerusalem) führte am Beispiel des Philosophen Franz Rosenzweig aus, dass auch das Adaptieren oder Absorbieren von Ideen, Konzepten und Werten anderer Religionen, wie es das Judentum gemäss Mendes-Flohr schon seit immer tue, nicht zwangsweise zu einem Synkretismus führen müssen. Er definierte das Judentum als das klassische Beispiel einer hybriden religiösen Kultur. So sah er auch Rosenzweigs Weg zu einem eigenen Judentum via Umweg über die Adaption von Begriffen und Konzepten aus der christlichen Theologie und Übernahmen von zentralen christlichen Vorstellungen, wie die der Offenbarung als Ausdruck der Liebe Gottes, nicht als ein Aufgeben, sondern als eine kreative und notwendige Neudefinition des Judentums an.

5. Konklusionen
Nach zwei Tagen der Vorträge und Diskussionen war das Konzept der „Secundary Conversions“ noch lange nicht erschöpfend er- oder geklärt, geschweige denn war allen Teilnehmern der Nutzen dieses Begriffs plausibel. Auch die abschliessenden Kurzvoten von Todd Endelmann (Ann Arbor), Justin Stagl (Salzburg), Alfonso de Toro (Leipzig), Shmuel Feiner (Jerusalem) und Dan Diner vermochten die Einigkeit nicht herzustellen. Gemäss Feiner, der die Aufgabe des Historikers als Suche nach Ordnung im immer schneller anwachsenden Chaos der Moderne definierte und davon sprach, dass Historiker die Geschichte als „story“ der Veränderungen erzählen müssen, indem sie den Abläufen Namen geben und so Bedeutung schaffen. In diesem Sinn hätte die Tagung ihren Zweck vielleicht verfehlt, denn eine Ordnung im Chaos war nicht auszumachen.
Todd Endelmann versuchte die Sache dadurch zu retten, dass er anstatt „Secundary Conversions“ den Term „Secundary Transformations“ vorschlug. Transformation impliziere das positive Moment an einer Veränderung, während Konversion mit eindeutig falschen, weil religiösen Konnotationen verbunden werde. Er vermochte damit aber keine Begeisterungsstürme zu wecken.
Gemäss Diners Abschlussvotum breche ein Konzept auseinander, will man es definieren; leben würde es aber von seiner Aura. Wenn nach der berühmten Benjaminschen Nicht-Definition Aura verstanden wird als „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“, dann hatte Diner wohl recht: Nach zweieinhalb Tagen erschien eine strenge begriffliche Fassung des „Konzepts“ „Secundary Conversions“ in weite Ferne gerückt, so nah und anschaulich es in den einzelnen Referaten dennoch manchmal geworden war. Diner machte in einem kurzen Abriss drei grundlegende Paradigmen der Geschichtswissenschaft in den letzten hundertfünfzig Jahren aus: Das erste sei das Konzept der Macht gewesen. Das Hauptthema des historischen Diskurses zum Beispiel bei Ranke seien demnach die Repräsentationen der Machtverhältnisse gewesen. Zweitens etablierte sich nach Diner das Konzept der Gesell-schaft. Die Historiker wendeten den Diskurs sozialgeschichtlichen Untersuchungen zu und versuchten ihn dadurch aus dem Einflussbereich der politischen Macht zu nehmen. Drittens stehe nun das Konzept des Gedächtnisses im Zentrum des historischen Interesses. Es werde vermehrt danach gefragt, wie historische Erinnerung überhaupt funktioniere, was sie im Gedächtnis behalte und was nicht. Diner plädierte eindringlich dafür, jüdische Geschichte bezüglich einer spezifisch jüdischen Zeiterfahrung zu befragen. Diese pendle zwischen einer sakralen – ewigen und simultanen – Erfahrung und einer profanen, linear ablaufenden Erfahrung von Zeit. Das Konzept der „Secundary Conversions“ in der Geschichtsschreibung angewandt würde nun heissen, dass im Profanen das Sakrale gesucht werden müsse. Dass heisst, eindeutig profane Phänomene können als transformierte Sakrale gedeutet werden.

Inwiefern diese epistemologischen Feinabstufungen unserem armen galizischen Kleiderhändler vom Anfang gerecht werden können, ist natürlich zweifelhaft. Trotzdem öffnete die Konferenz – um mit Shmuel Feiner zu sprechen – einige Ohren für neue Stimmen.


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