Das Ereignis. Zum Nexus von Struktur- und Ereignisgeschichte

Das Ereignis. Zum Nexus von Struktur- und Ereignisgeschichte

Organisatoren
Martin Fitzenreiter, Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.10.2008 - 05.10.2008
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Von
Beat Schweizer, Institut für Klassische Archäologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

„Das Ereignis. Zum Nexus von Struktur- und Ereignisgeschichte“, war Thema eines vom 3. bis 5. Oktober 2008 im Rahmen der IBAES-Reihe (Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie) von dem Ägyptologen MARTIN FITZENREITER (Berlin) in der Galerie Kunstgießerei Flierl bzw. im Museumsatelier Ruthild Hahne in Berlin veranstalteten Workshops. 1 Wissenschaftler/Innen der Kulturwissenschaft, der Ägyptologie und Hethitologie, der Alten Geschichte und verschiedener Archäologien (Ur- und Frühgeschichtliche, Sudan- und Klassische Archäologie) sprachen in einzelnen Sektionen, die sich aus den Einzelbeiträgen mit daran anschließenden, knapp gehaltenen Sach- und Verständnisfragen sowie kleinen Podiumsdiskussionen der Vortragenden zum übergreifenden Thema der jeweiligen Sektionen zusammensetzten. Den Abschluss des Workshops bildete eine große, die Themen und Gegenstände, Probleme und Perspektiven der Einzelsektionen integrierende Diskussionsrunde.

Als Grundlage des Workshops galt die Definition von Ereignissen als einmalige, auf menschliche Handlungen zurückführbare Vorgänge oder auch passiv erfahrene Geschehnisse mit einschneidenden Wirkungen auf strukturelle Zusammenhänge, also von strukturverändernder Bedeutung. Daraus ergibt sich andererseits, Strukturen nicht losgelöst von Ereignissen zu betrachten. Ereignisse sind also weder auf Elemente von ,Heldenerzählungen’ der Taten ‚großer Männer’ oder auf die ‚Haupt- und Staatsaktionen’ zu reduzieren, noch notwendige Ergebnisse struktureller Dispositionen. 2

In der ersten Sektion „Positionen und Perspektiven“ thematisierte der Ägyptologe LUDWIG D. MORENZ (Berlin/Leipzig) an der ‚Reichseinigung’ die Problematik, Ereignisse anhand der im historischen Material überlieferten Interpretationen dingfest zu machen. Die Verknüpfung von Fakten und Fiktionen zeige sich in der Bildformel ‚Erschlagen der Feinde’, zwar wohl tatsächlich auf kriegerische Ereignisse zurückverweisend, aber zugleich ideologielastige Selbstrepräsentation. Monument der Inszenierung, der Deutungshoheit der Sieger sei im Falle der Auseinandersetzung Hierakonpolis – Buto die Prunkkeule des Skorpion. Die verlorene Perspektive der Verlierer aus Buto müsse indirekt, über Ortsnamenwechsel und die Ablösung des Lokalgottes rekonstruiert werden.

Einem ganz ähnlichen Thema ging FRIEDERIKE HERKLOTZ (Berlin) am Beispiel des Ptolemaios XII., Neos Dionysos, des Vaters der Kleopatra nach. Versager oder siegreicher Pharao?, der Untertitel ihres Beitrags bezog sich auf die Bewertung des Pharao in den griechisch-römischen Quellen einerseits und andererseits der Möglichkeit, Informationen dieser Quellen, aber auch die ägyptischen Monumente, die Ptolemaios XII. als gottgefälligen Bauherrn zeigen, dazu zu nutzen, ein umfassenderes Bild des Pharaos zu generieren.

Der Historiker ROLAND STEINACHER (Wien) sprach zum Verhältnis zwischen spätrömischer Mittelmeerwelt und angrenzenden ethnischen Gruppen. Dabei schien sich in den letzten Jahrzehnten gegenüber Interpretationsmustern wie Eroberung, Unterwerfung und Untergang eine Sicht durchzusetzen, die auf Integration und Transformation von Rom und Germanen bzw. Barbaren zielt. Jüngst vorgebrachten Einwänden gegen dieses ‚harmonisierende’ Bild trat Steinacher auf sachlicher Ebene mit den Ergebnissen der Ethnizitätsforschung entgegen. Auf allgemeiner Ebene situierte er die Auseinandersetzung im Rahmen der Diskurse über die politischen und ethnischen Identitäten des zeitgenössischen Europa.

Ein diesen Beiträgen gemeinsamer Aspekt bestand in dem Bemühen um eine möglichst umfassende Auswertung aller greifbaren Quellengruppen und -gattungen. Die dabei in den Blick gerückte Bedeutung der Medialität für die Rekonstruktion von Geschichte und Ereignissen stand dann in der zweiten, von Ägyptologen bestrittenen, unter dem Titel „Medien und Diskurse“ gefassten Sektion im Vordergrund. STEFAN GRUNERT (Berlin) beschäftigte sich anhand einer einzelnen Biografie der ersten Zwischenzeit mit dem Problem, wie Ereignisse in einer Textgattung behandelt werden können, die im Medium eigentlich nicht vorgesehen sind, weil sie gegen das Prinzip der Maat verstoßen.

Auf dieses über stereotype Thematisierungen von Unordnung hinaus selten notierte normwidrige Fehlverhalten zielte auch der Beitrag von ANTONIA GIEWEKEMEYER (Göttingen). Sie versuchte im Rückgriff auf Hayden Whites ‚emplotment’-Theorie, sich kontingenten historischen Ereignissen über die Analyse des in zwei verschiedenen Textgattungen des Neuen Reichs (Tempelinschrift und juridisch-administrativer Papyrus) angesprochenen Bezugs zwischen Fehlverhalten Untergebener und Handlungen des Pharao zu nähern.

Aus der übergreifenden Perspektive der Erforschung antiker Bibliotheken ging KIM RYHOLT (Kopenhagen) zur Analyse der narrativen Texte von Tebtynis über, die rund ein Viertel der Texte der Tempelbibliothek ausmachen. Insbesondere an den Geschichten von Inaros und Chaemwese konnte Ryholt zeigen, dass diese über die Jahrhunderte umgeschrieben worden waren. Wegen der Berücksichtigung späterer Ereignisse seien in den Texten Assyrer, Kuschiten und Perser austauschbar. Ägyptische Geschichte präsentiere sich damit als kontinuierliche Weiterentwicklung eher vager Erinnerungen an große Taten, als historische Fiktion ohne direkten historischen Wert der Details.

Am selben Punkt, dass das alte Ägypten keine Vorstellung von Geschichte im heutigen Sinn hatte, knüpfte der Beitrag von ROBERTO B. GOZZOLI (Bangkok) an. In einer im weiteren Sinne semiotischen Perspektive, in der Beachtung des Genres sieht Gozzoli den Schlüssel zur Lesung ägyptischer Texte. Auf dieser Basis des Zusammenhangs von Genre, also textlichen Eigenheiten einerseits und historischen Ereignissen andererseits analysierte er die von Herodot überlieferten Legenden von Psammetich I.

In der dritten Sektion „Wahrheit und Wirklichkeit“ thematisierte der Ägyptologe LUTZ POPKO (Leipzig) die Probleme der Rekonstruktion der Wirklichkeit, also dessen, „wie es eigentlich gewesen“, anhand von Quellen, die dazu nur äußerst eingeschränkt etwas aussagen bzw. ihre eigene ‚Wahrheit’ propagieren. Zwar suchte er, ägyptische Texte im Vergleich mit Redefiguren der antiken Rhetorik (paradeigma, exemplum) zu charakterisieren, wollte diese aber nicht auf eine reine Wiedergabe von Topoi reduzieren. Er betonte stattdessen die Toposaktualisierung, also die durch die Aktualisierung fassbaren Ereignisse.

Der Hethitologe AMIR GILAN (Mainz) widmete sich der Analyse der historischen Rekonstruktion einer Thronusurpation auf der Basis weniger Abschnitte eines einzelnen hethitischen Textes. Mittels einer ‚dichten Lesung’ diskutierte er methodische Zugänge und Interpretationen des Einzeltexts und problematisierte auf allgemeiner Ebene die Tendenz, Ereignisse zu rekonstruieren, die in den Quellen so nicht dargestellt sind.

Der Sudanarchäologe WOLFRAM GRAJETZKI (London) behandelte den Untergang der nur aufgrund archäologischer Quellen nachweisbaren, blühenden christlichen Reiche des nördlichen Sudan zwischen 650 und 1450. Gegen eine Sichtweise, die diesen Untergang mit den in arabischen Quellen überlieferten militärischen Aktionen verknüpft, suchte er den archäologischen Befund im überregionalen Kontext in Analogie zu Ereignissen derselben Epoche zu interpretieren und führte den Untergang des christlichen Sudan ursächlich auf die Ausbreitung der Pest zurück.

In einem kulturwissenschaftlichen Intermezzo beschäftigte sich daraufhin CHRISTIAN KASSUNG (Berlin) anhand von Beispielen aus der Wissenschaftsgeschichte der Physik mit dem Ereignis zwischen Zeit und Struktur. Sei das Ereignis zum einen singulärer, irreversibler Vorgang, so müsse es, um kommunizierbar und auch wissenschaftlich erfassbar zu sein, dennoch wiederholbar sein oder in unterschiedlichen Strukturen und damit unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen stattfinden. Ereignisse sind demnach beobachterabhängig und nur innerhalb bestimmter Wissenssysteme, nur in Dokumenten oder Spuren repräsentiert. Sie funktionieren in bestimmten Diskursen, dies auch je besser, je weiter und komplexer konkrete Vorgänge kontextualisiert werden.

Der Historiker DIETER METZLER (Münster) plädierte dafür, das von Karl Jaspers als Achsenzeit bezeichnete Phänomen der epochalen Gleichzeitigkeit philosophisch-religiöser Stiftungen zwischen China und Griechenland als historisches Ereignis zu analysieren. Das Ereignis Achsenzeit, verstanden als Reaktionen auf Krisen langfristig stabiler Systeme, böte die Möglichkeit, die in antiken Quellen und auch in der neuzeitlichen Forschungspolitik vorherrschende, auf autochthone, nationale Entwicklungen zielende Abschottung aufzubrechen. Auf der Basis der Untersuchung literarisch und auch archäologisch nachweisbarer Fernkontakte sei Achsenzeit nicht nur als ein Phänomen des intellektuellen Überbaus zu betrachten.

Die fünfte Sektion zielte auf „Grenzen und Möglichkeiten“ der Rekonstruktion von Ereignissen, wobei jedoch eher die Grenzen im Fokus standen. Der Ägyptologe KARL JANSEN-WINKELN (Berlin) analysierte ‚die Rolle des Unbekannten’ in Geschichtsdarstellungen ägyptologischer Standardwerke, also die Frage, wie in diesen mit dem Problem fehlender Fakteninformationen umgegangen wird. Dieses Defizit resultiert ja nicht nur aus dem spezifischen Charakter der ägyptologischen Quellen, sondern auch aus dem Zufall der Erhaltung der Überreste. Kritisiert wurde vor allem, dass in narrativen Geschichtsdarstellungen versucht würde, die Lücken zu kaschieren, anstatt das Ausmaß des Unbekannten offen zu legen.

Der Historiker REINHOLD BICHLER (Innsbruck) zeigte danach am Beispiel der Schlacht von Gaugamela wissenschaftliche Vorurteile und Strategien bei der Rekonstruktion antiker Schlachtbeschreibungen auf. Oft werde beim Vorhandensein mehrerer, in den Details voneinander abweichender Quellen der abstrakt und knapp argumentierenden, auch an eigenes Wissen des Lesers appellierenden Quelle der Vorzug gegeben, deren Lücken oder im Detail doch als Fehler entlarvte Faktenangaben dann durch Details der eigentlich zuvor als unzuverlässig betrachteten Quellen ergänzt oder berichtigt. Insbesondere bei Schlachtbeschreibungen stelle sich auch die Frage, ob detailreiche, vielleicht fiktive Narrative der Realität, der Brutalität der Ereignisse nicht mehr gerecht werden könnten.

Der Prähistoriker STEFAN BURMEISTER (Hamburg/Kalkriese) verfolgte zunächst öffentliche Diskurse über das literarisch überlieferte Ereignis der sogenannten Varus-Schlacht im Kontext von Sinnstiftung und Identitätsbildung der deutschen Nation. Aufgrund der dazu als Kontrastfolie beschriebenen Befundlage des wahrscheinlichen Ortes der Varus-Schlacht bei Kalkriese, in der der ‚germanische’ Sieger gar nicht erscheint, schloss er die Möglichkeit aus, derartige Ereignisse aus rein prähistorischer Sicht zu rekonstruieren, oder: allein aus der archäologischen Befundlage würde die komplexe, aus den Schriftquellen bekannte Faktenlage, also das Ereignis Varus-Schlacht nicht herzuleiten sein.

Die Sektion wurde beschlossen durch einen methodologisch ausgerichteten Beitrag des Ägyptologen JUAN CARLOS MORENO GARCÍA (Lille), der aufzuzeigen suchte, warum bis in jüngste Zeit eine sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Fundierung der Ägyptologie ausgeschlossen gewesen sei. García sieht dies darin begründet, dass die formative Phase der Ägyptologie wesentlich durch kulturpessimistische Strömungen beeinflusst war, die zu einem gesteigerten Interesse an verlorenen und verborgenen Welten, etwa exotisch und paradiesisch gedachten antiken Zivilisationen, aber auch Pseudowissenschaften führte.

Die letzte Sektion „Medien und Diskurse II“ begann mit dem Plädoyer von NADJA S. BRAUN (Würzburg) zur Visual History. In konstruktivistischer Sicht werden von ihr nicht nur Bildquellen als wichtiges historisches Material betrachtet, sondern Bilder als Wahrnehmung prägende, Deutungen transportierende und generierende Medien, Bilder als ‚Geschichtsmotoren’ konzeptualisiert. Insbesondere Bilder historischer Ereignisse seien nicht nur Abbilder von Realität, sondern auch weil – nachweislich – inszeniert, geeignet Realität erst herzustellen. Ägyptische Bilder mit dem Motiv des Niederschlagens der Feinde seien aufgrund von Kontinuität und Häufigkeit als Medienikone zu bezeichnen, die geeignet sind, Wahrnehmung zu steuern und Handlungen zu organisieren.

Der Berichterstatter BEAT SCHWEIZER (Tübingen/Klassische Archäologie) behandelte ein politisches Attentat im antiken Athen, das nicht nur dem klassischen Athen und Griechenland, sondern auch sozialen Gruppen des republikanischen Rom und der modernen Geschichte als paradigmatisches antityrranisches Ereignis galt. Die Rezeption und Behandlung in unterschiedlichen Medien klassischer Zeit (statuarische Monumente und Kleinkunst, Trinklieder, frühe Geschichtsschreibung, politische Theorie) wurde genutzt, zeitgenössischen Diskursen zu Freiheit und Gleichheit auch in ihren medialen Bedingungen, Veränderungen der politischen Begrifflichkeit und der Bildung neuer visueller Konzeptionen nachzugehen.

Der Ägyptologe DAVID A. WARBURTON (Lyon) beschäftigte sich mit dem Verhältnis von Ereignis und Geschichte anhand der ‚Taten’ von Narmer und Ahmose. Warburton geht grundsätzlich davon aus, dass Ereignisse wie die ‚Einigung’ Ägyptens oder die Wiedereroberung des Nordens zu ihrer Zeit unbedeutende Vorgänge, historische Zufälle waren, die erst im Nachhinein politisch aufgeladen wurden; daher der Titel des Beitrags: Mythos zwischen Ereignis und Geschichte. Umgekehrt stellten sich aus Sicht der Historiografie Vorgänge – etwa die Vertreibung der Hyksos – als notwendig dar, was so im zeitgenössischen Kontext nicht zutrifft.

Abschließend beschäftigte sich MARTIN FITZENREITER (Berlin) mit dem Jahr 12 des Echnaton. Entgegen der Betonung von Anfang und Ende eines schlüssigen Bildes der Amarna-Zeit konstatiert Fitzenreiter etwa im Jahr 12 des Echnaton eine Reihe von Veränderungen in strukturell determinierten Medien, in Texten und Bildern. Auffällig sei insbesondere, dass Personen aus dem Umfeld des Pharao gesteigerte Aufmerksamkeit in den Darstellungen erhielten. Aus dem – letztendlich – archäologischen Befund deduzierte Fitzenreiter ein Ereignis, auf allgemeiner Ebene sollte am behandelten Beispiel die Möglichkeit evoziert werden, aus archäologischen Befunden auf Ereignisse, auf die Handlungen von Individuen zu schließen.

In der großen Abschlussdiskussion wurden die Fäden der vorangegangenen Debatten wieder aufgenommen. Im Fokus standen dabei Probleme und Chancen der Auswertung des ägyptologischen, schriftlichen, bildlichen und allgemein archäologischen Quellenmaterials. Offensichtlich erfordert die Rekonstruktion von Ereignissen, insbesondere wenn jenseits der Sicht der Historiker/Innen auf den Erfahrungshorizont der im Quellenmaterial dokumentierten Gesellschaften gezielt wird, die Analyse eines komplexen Wechselspiels der in unterschiedlichen Medien repräsentierten historischen Fakten und Fiktionen. Wie in vielen der Beiträge, aber auch der Diskussionen der Einzelsektionen zuvor wurde in der einen oder anderen Weise auf die mediale und diskursive Konstruktion der Ereignisse abgehoben. Andererseits ergibt sich aus dieser Bindung der historischen Fakten an mediale und diskursive und damit ästhetisch geformte Repräsentationen die Möglichkeit, sich auch anhand archäologischer Quellen auf die Spur von Ereignissen zu machen. Ereignis ist dann nach Fitzenreiter eine „Kategorie, die ganz generell den Entstehungsmoment eines wie auch immer gearteten Befundes beschreibt.“3 Die Untersuchung des Nexus von Struktur und Ereignis ist somit – archäologisch und historisch gesprochen – die Deutung von Befunden und deren Entstehungsmomenten und -bedingungen. Wie die Beiträge des Workshops gezeigt haben, stellt die Ägyptologie für diese Operation ein sicherlich besonders geeignetes Experimentierfeld dar, ist doch schon deren historisches Quellenmaterial in besonderem Maße durch das jeweilige Genre bedingt, durch visuelle oder mediale Topoi geprägt. Etwa ist nach Jan Assmanns Ausführungen zur Hieroglyphenschrift die Semantik der Texte durch eine charakteristische Ko-Signifikation geprägt, die sich aus den materiellen Gegebenheiten der Schrift ergibt. 4 An die durch die spezifische Quellenlage der Ägyptologie in besonderem Maß erzwungene Diskussion zur Medialität und Materialität von Texten, Bildtexten und Kontexten, also von kanonisierten und gestalteten Inhalten können jedoch auch alle anderen historischen und archäologischen Wissenschaften anschließen – und wie der Workshop zeigt, nicht nur über das schon kulturhistorisch Verallgemeinerte. 5 Denn da Ereignisse beobachterabhängig und nur in bestimmten Wissensbeständen repräsentiert sind, kann ihre Rekonstruktion nur im Rahmen der über die Befundlage zu analysierenden Strukturen gelingen. Dies ist die Basis einer ‚archäologischen Geschichtsschreibung’, die Ereignisse der Geschichte an Archäologie – als Befunderhebung konzipiert – bindet.

Die Beiträge des Workshops werden sowohl in Buchform als auch im Internet im Rahmen der IBAES-Reihe (Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie) vorgelegt werden. 6

Kurzübersicht:

Martin Fitzenreiter (Berlin – Ägyptologie):
Eröffnung: Struktur, Ereignis – und Erlebnis

Sektion I: Positionen und Perspektiven (Leitung: Martin Fitzenreiter)

Ludwig D. Morenz (Berlin/Leipzig – Ägyptologie):
Ereignis Reichseinigung(?) und der Fall Buto. Inszenierungen von Deutungshoheit der Sieger und - verlorene - Perspektiven der Verlierer
Friederike Herklotz (Berlin – Ägyptologie/Alte Geschichte):
Ptolemaios XII. Neos Dionysos – Versager oder siegreicher Pharao?
Roland Steinacher (Wien – Alte Geschichte):
Transformation und Integration oder Untergang und Eroberung? Gedanken zu politischen und ethnischen Identitäten im postimperialen Europa

Sektion II: Medien und Diskurse I (Leitung: Reinhold Bichler)

Stefan Grunert (Berlin – Ägyptologie):
Erlebte Geschichte – ein authentischer Bericht
Antonia Giewekemeyer (Göttingen – Ägyptologie):
Feindbild, Königsbild, Weltbild: Widerständige Realität in zwei Texten des Neuen Reiches
Kim Ryholt (Kopenhagen – Ägyptologie):
Egyptian Historical Literature from the Greco-Roman Period
Roberto B. Gozzoli (Bangkok – Ägyptologie):
History and Stories in Ancient Egypt. Theoretical Issues and the Myth of the Eternal Return

Sektion III: Wahrheit und Wirklichkeit (Leitung: Beat Schweizer)

Lutz Popko (Leipzig – Ägyptologie):
Toposaktualisierung oder exempla virtutis? Zur historischen Wahrheit in Ägypten
Amir Gilan (Mainz – Hethitologie):
Telipinu in the dock – ancient and modern historical accounts of a usurpation that may have never happened
Wolfram Grajetzki (London – Sudanarchäologie):
Der Untergang der christlich-nubischen Reiche

Sektion IV: Kulturwissenschaftliche Eröffnung (Leitung: Martin Fitzenreiter)

Christian Kassung (Berlin – Kulturwissenschaft):
Datum und Ereignis: Ein Synchronisationsproblem
Dieter Metzler (Münster – Alte Geschichte):
Achsenzeit als Ereignis und Geschichte

Sektion V: Grenzen und Möglichkeiten (Leitung: Roland Steinacher)

Karl Jansen-Winkeln (Berlin – Ägyptologie):
Die Rolle des Unbekannten in der Rekonstruktion und Darstellung der ägyptischen Geschichte
Reinhold Bichler (Innsbruck – Alte Geschichte):
Probleme und Grenzen der Rekonstruktion von Ereignissen am Beispiel antiker Schlachtbeschreibungen
Stefan Burmeister (Hamburg/Kalkriese – Ur- und Frühgeschichte):
Die Varusschlacht als historisches Ereignis? Ereignis für wen?
Juan Carlos Moreno García (Lille – Ägyptologie):
From Dracula to Rostovtzeff; or the misadventures of the economic history in early Egyptology

Sektion VI: Medien und Diskurse II (Leitung: Stefan Burmeister)

Nadja S. Braun (Würzburg – Ägyptologie):
Visual History – Bilder machen Geschichte
Beat Schweizer (Tübingen – Klassische Archäologie):
„da den Tyrannen sie erschlugen, gleiches Recht den Athenern schufen“. Archäologie eines Attentats
David A. Warburton (Lyon – Ägyptologie):
Mythos als Bindeglied zwischen Ereignis und Geschichte: Die Beispiele von Narmer und Ahmose
Martin Fitzenreiter (Berlin – Ägyptologie):
Das Jahr 12 des Echnaton – Facetten eines Ereignisses

Sektion VII: Große Abschlussdiskussion

Zusammenfassung der Sektionen. Diskussion von Problemen und Perspektiven

Anmerkungen:
1 Zur IBAES-Reihe:
<http://www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/index.html> (19.10.2008).
Zum Workshop:
<http://www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes10/index.html> (19.10.2008).
2 Vgl. dazu das dem Workshop zugrunde liegende Thesenpapier von Martin Fitzenreiter:
<http://www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes10/thesen.html> (19.10.2008).
3 Vgl. dazu Fitzenreiter, Thesenpapier (danach auch das wörtliche Zitat).
4 Jan Assmann, Im Schatten junger Medienblüte. Ägypten und die Materialität der Zeichen, in: Hans Ulrich Gumbrecht / K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.), Materialität der Kommunikation, Frankfurt 1988, S. 141–60.
5 In der Differenzierung von mündlicher, schriftlicher und inschriftlicher Kommunikation bei Assmann, Im Schatten S. 151 sieht Ulrich Veit, Über die Grenzen archäologischer Erkenntnis und die Lehren der Kulturtheorie für die Archäologie, in: Ulrich Veit / Tobias L. Kienlin / Christoph Kümmel / Sascha Schmidt, Spuren und Botschaften. Interpretationen materieller Kultur, Tübinger Archäologische Taschenbücher 4, Münster u. a. 2003, S. 463–90, bes. S. 481–83 einen Ansatz einer archäologischen Theorie materieller Kultur. Erforderlich sei jedoch die Erweiterung um die Kategorien Körpersprache, bildliche und materielle Kommunikation.
Vorgaben von Aleida Assmann / Jan Assmann, Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis, in: Klaus Merten / Siegfried J. Schmidt / Siegfried Weischenberg (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Opladen 1994, S. 114–140 sind aufgenommen in dem medienarchäologischen Versuch: Beat Schweizer, Fremde Bilder – andere Inhalte und Formen des Wissens. Olympia in der ‚orientalisierenden’ Epoche des 8. und 7. Jhs. v. Chr., in: Tobias L. Kienlin (Hrsg.), Die Dinge als Zeichen. Kulturelles Wissen und materielle Kultur, Internationale Fachtagung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main 3.–5. April 2003, Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 127, Bonn 2005, S. 355–82, bes. S. 360–63.
6 Die Abstracts sind abrufbar:
<http://www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes10/abstracts.html> (19.10.2008).


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