Deutsche Studenten im Ersten Weltkrieg

Deutsche Studenten im Ersten Weltkrieg

Organisatoren
Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte (GDS)
Ort
Paderborn
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.09.2008 - 14.09.2008
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Von
Marc Zirlewagen

Obwohl der Erste Weltkrieg verstärkt ins historische Bewusstsein rückt, wird die spezielle Situation der deutschen Studenten immer noch zu wenig beachtet. Dabei handelt es sich um ein vielschichtiges, aber bislang noch nicht umfassend analysiertes Thema. Deutsche (männliche) Studenten sind unter anderem wegen ihrer zu Beginn des Krieges propagierten opferbereiten vaterländischen Begeisterung und ihrer immer stärker werdenden Infragestellung des wilhelminischen Systems im Verlauf des Krieges ein interessantes Forschungsthema. Ihr Privileg als Einjährig-Freiwillige dienen zu können, unterschied sie von ihren Altersgenossen. Daneben zeigen auch die Opferzahlen bei den Studenten eine Abweichung zu anderen Bevölkerungsschichten: der Anteil der Kriegstoten war bei den Studenten überproportional hoch: 16.000 Studenten fielen – ein Fünftel der Gesamtstudentenschaft jener Jahre und ein noch höherer Anteil unter den studentischen Kriegsteilnehmern. Nur durch die Betrachtung der deutschen Studenten im Ersten Weltkrieg lassen sich die politische Haltung der „Kriegsgeneration“ an den deutschen Universitäten in der Nachkriegszeit und deren Einwirken auf Politik und Gesellschaft ermessen.

Als Beitrag zur Erforschung dieses Themas veranstaltete die Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte (GDS) die Tagung „Deutsche Studenten im Ersten Weltkrieg“ vom Freitag, 12., bis Sonntag, 14. September 2008, im IN VIA-Gästehaus in Paderborn. Kooperationspartner der Veranstaltung war das Historische Seminar der Universität Paderborn.

Das Vortragsprogramm eröffnete FRANK KLAUSS (Dortmund) mit dem Thema „Studenten an der Front“. Er machte deutlich, dass der Krieg den Studenten viele Enttäuschungen gebracht habe. Der Kampf sei kein ritterliches Abenteuer junger Helden gewesen, die Einzelperson sei im Massenheer zurückgetreten. Statt eines fröhlichen Drauflosgehens sei der Stellungskrieg der Alltag gewesen. Den Tod vor Augen seien die Studenten dem Feindbeschuss fast schutzlos ausgeliefert gewesen. „So hatte sich niemand den Krieg vorgestellt“, erläuterte Klauss. Auch der Traum der Volksgemeinschaft sei im Krieg zerplatzt. Am Ende seien der Glaube an eine Zukunft und die nationalistischen Ideale zerstört gewesen.

Am Beispiel des Rüdesheimer Verbandes deutscher Burschenschaften (RVdB) stellte FRANK GROBE (Frankfurt am Main) den bürgerlichen Emanzipationskampf der Ingenieure dar. Denn obwohl die soziale Herkunft der TH-Studenten überwiegend im Bürgertum gelegen habe, habe das Bildungsbürgertum zunächst die meist nicht maturierten, aufstrebenden Techniker aus Konkurrenz- und Modernisierungsangst als „Emporkömmlinge“ verachtet. Das kulturelle Minderwertigkeitsgefühl der Ingenieure sei nach Kriegsbeginn gewichen und die Leistungen der Ingenieure hätten zu einer Neuinterpretation geführt. Der moderne Krieg wäre ohne ihre Fähigkeiten nicht ausgekommen, die nicht-universitären Studenten seien stärker rekrutiert worden als Universitätsstudenten. Die Techniker hätten sich – wie zum Beispiel im „Akademischen Hilfsbund“ – in nationalen Netzwerken engagiert und seien den Universitätsangehörigen näher gekommen. „Krieg, einigender Nationalismus und schließlich auch die Niederlage wurden zum Katalysator der gesellschaftlichen Anerkennung der Ingenieure“, resümierte Grobe. Für den RVdB habe dies den Eintritt in die Deutsche Burschenschaft bedeutet.

Den Blick auf die Studentinnen lenkte TRUDE MAURER (Göttingen). Sie beschrieb die Entfremdung zwischen Studenten und Studentinnen: „Die einen riskierten ihr Leben an der Front, die anderen lebten relativ sicher zuhause, auch wenn sie mit zunehmend erschwertem Alltag zu kämpfen hatten.“ Studentinnen seien zunächst Krankenpflegerinnen geworden. Da der Staat auch quasi-männliche Leistungen gefordert habe und aus ihnen Arbeiterinnen habe machen wollen, seien aus „studierenden Damen“ schließlich „Kommilitoninnen“ geworden. Dennoch hätten sie die Studenten trotz vielfältiger Aktivitäten nicht als Mitstreiterinnen im Krieg, sondern als unerwünschte Konkurrentinnen im ersehnten Frieden angesehen.

THOMAS SCHINDLER (Haßfurt) setzte bei seinem Vortrag über „Jüdische Studenten im Ersten Weltkrieg“ den Schwerpunkt auf das Kartell zionistischer Verbindungen (KZV), da es schwer sei, im breiten Spektrum des jüdischen Studententums eine gemeinsame Linie zu finden. Der KZV habe sich zunächst hinter den „deutschen“ Krieg gestellt. Man habe auf ein besseres Leben nach Kriegsende gehofft. „Kein Zweifel besteht auch darin, dass sich die jüdischen Studenten gegenüber Deutschland verpflichtet fühlten“, so Schindler. Eine Gemeinschaft von Deutschen und Juden hätte eine neue Weltkultur entstehen lassen sollen. Ihre Anstrengungen seien nicht anerkannt worden und es sei ein neuer Antisemitismus aufgekommen (zum Beispiel „Judenzählung“). Der akademische Burgfriede sei auseinandergebröckelt und habe auch innerjüdische Gegensätze offenbart. Die Identifikation mit den deutschen Kriegszielen habe im Kriegsverlauf abgenommen. Einem Land, das sie nicht hätte haben wollen, hätten sich die KZV-Studenten nicht mehr verpflichtet gefühlt. Die Diskussionen über die korporative und staatliche Ordnung nach dem Krieg habe den Zionismus gestärkt; das „Jüdisch sein“ hätte selbstverständlich werden sollen. „Nach Palästina“ sei für viele zum Motto geworden.

Die Deutsche Sängerschaft stand im Blickpunkt des Vortrags von HARALD LÖNNECKER (Koblenz). Bei den Sängern sei der Gesang schon Jahrzehnte vor dem Krieg zum Politikum geworden und hätte nach 1871 helfen sollen, die innere Einheit zu verwirklichen. „Wehrhaft und national gingen die Sängerschafter in den Krieg“, erläuterte Lönnecker. Die Begeisterung sei aber der Desillusionierung gewichen und Durchhalteparolen hätten die Siegeszuversicht stützen müssen. Musik und Gesang hätten als moralische Stärkung von Front und Heimatfront gewirkt. Die Niederlage habe die Sänger schließlich aus der Bahn geworfen. Immerhin habe der Krieg zur Geschlossenheit und 1919 zur Gründung des einheitlichen Verbandes Deutscher Sängerschaften geführt.

RAIMUND LANG (Hamburg) konstatierte in seinem Vortrag „Studentische und universitäre Weltkriegs-Ehrenmale“: „Der hohe Blutzoll im Krieg führte zu Schock und Desillusionierung der Überlebenden.“ Sie hätten ihn mit einem neuen Heldenkult sublimiert, Korporationen und Universitäten hätten ihrer zu Helden verklärten Opfer gedacht. Korporationsdenkmale seien meist schlichter und pietätvoller als Verbands- oder Universitätsmonumente. Die Kriegerdenkmäler seien jedoch keine Dokumente der Demut, sondern Manifeste verletzten Stolzes. Zahlreiche Beispiele aus Deutschland und Österreich präsentierte Lang im Bild.

Den Abschluss der Tagung bildete der Vortrag „Studenten, Professoren und die Legende vom Dolchstoß” von BORIS BARTH (Bremen). Er legte dar, dass ein großer Teil der Professorenschaft die Niederlage als Folge des „Verrats“ der Novemberrevolution gedeutet habe, denn das Reich sei nicht an der Front besiegt worden. Die Republik habe nach Versailles die Sympathien bei den meisten Professoren und Studenten verloren, ihre Radikalisierung und die Rezeption der Dolchstoßlegende seien Hand in Hand gegangen. Es sei das Feindbild gegen die vermeintlich bolschewistische Arbeiterschaft entstanden und weit rechts stehende Gruppierungen hätten an Einfluss an den Universitäten gewonnen. Bei allen Gegensätzen zwischen ihnen, habe die Dolchstoßlegende stets als kleinster gemeinsamer Nenner gewirkt, habe sie doch zur prinzipiellen Feindschaft gegen die Demokratie einiges beigetragen. „Der Glaube an die Richtigkeit vom gezielten Landesverrat war schließlich so weit verbreitet, dass er kaum mehr thematisiert werden musste“, bilanzierte Barth.

Kurzübersicht:

FREITAG, 12. September 2008

Marc Zirlewagen (Frankfurt am Main): Eröffnung und Begrüßung durch den Tagungsleiter

Friedhelm Golücke (Paderborn): Die Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte (GDS) und das Institut für deutsche Studentengeschichte am Stadtarchiv in Paderborn

Dietmar Klenke (Paderborn): Die Kooperation des Historischen Instituts der Universität Paderborn mit der GDS und dem Institut für deutsche Studentengeschichte

Frank Klauss (Dortmund): Studenten an der Front

SAMSTAG, 13. September 2008

Frank Grobe (Frankfurt am Main): TH-Burschenschafter im Ersten Weltkrieg

Trude Maurer (Göttingen): Studentinnen im Ersten Weltkrieg

Thomas Schindler (Haßfurt): Jüdische Studenten im Ersten Weltkrieg

Harald Lönnecker (Koblenz): Sängerschafter im Ersten Weltkrieg

SONNTAG, 14. September 2008

Raimund Lang (Hamburg): Studentische Weltkriegs-Ehrenmale

Boris Barth (Bremen): Studenten, Professoren und die Legende vom Dolchstoß

Noch bis zum 30. November 2008 ist der Sammelband zum Tagungsthema (16 Aufsätze) zum Subskriptionspreis von 24,80 Euro zu erwerben. Anschließend liegt der Ladenpreis bei 44 Euro. Bestellungen an info@sh-verlag.de oder an SH-Verlag, Osterather Str. 42, D-50739 Köln.
Marc Zirlewagen (Hrsg.), „Wir siegen oder fallen!“ Deutsche Studenten im Ersten Weltkrieg. (Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen, Bd. 17), Köln, SH-Verlag 2008, 448 S. m. zahlreichen Abb., geb., ISBN 978-3-89498-189-1.

Kontakt

Marc Zirlewagen
E-Mail: <marc.zirlewagen@t-online.de>


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